21.11.2024
21.11.2024  
Sie sehen eine Reihe mit gelben Aktenordnern, die mit Barcodes markiert sind.

Dokument-Nr. 33018

Drucken
ergänzende Informationen

Bundesverwaltungsgericht Urteil21.06.2023

Untersagung von Versammlungen durch die Sächsische Corona-Schutz-Verordnung war unver­hält­nismäßigAuch unter den Bedingungen der Corona-Pandemie hätten Versammlungen nicht pauschal verboten werden dürfen

Die Regelungen der Sächsischen Corona-Schutz-Verordnung vom 17. April 2020 (Sächs­Co­ro­naSchVO) über die Zulässigkeit von Versammlungen waren mit dem Grundsatz der Verhält­nis­mä­ßigkeit nicht vereinbar. Das hat das Bundes­verwaltungs­gericht entschieden.

Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Sächs­Co­ro­naSchVO* waren alle Veranstaltungen, Versammlungen und sonstigen Ansammlungen untersagt. Im Einzelfall konnten Ausnah­me­ge­neh­mi­gungen auf Antrag insbesondere für Versammlungen im Sinne des Sächsischen Versamm­lungs­ge­setzes vom zuständigen Landkreis oder der zuständigen Kreisfreien Stadt erteilt werden, wenn dies aus infek­ti­o­ns­schutz­recht­licher Sicht vertretbar war (§ 3 Abs. 3 Sächs­Co­ro­naSchVO). Das Sächsische Oberver­wal­tungs­gericht hat den Antrag einer Privatperson, festzustellen, dass diese Vorschriften unwirksam waren, abgelehnt.

Maßnahme außer Verhältnis zur Schwere des Grund­recht­s­ein­griffs

Das Bundes­ver­wal­tungs­gericht hat das Urteil des Sächsischen Oberver­wal­tungs­ge­richts geändert und festgestellt, dass § 3 Abs. 1 Satz 1 Sächs­Co­ro­naSchVO unwirksam war, soweit er Versammlungen untersagt hat. Das Oberver­wal­tungs­gericht hat ohne Verstoß gegen Bundesrecht angenommen, dass Untersagungen von Versammlungen auf § 28 Abs. 1 i. V. m. § 32 des Infek­ti­o­ns­schutz­ge­setzes in der Fassung des Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 27. März 2020 (IfSG)* gestützt werden konnten. Auch durfte der Verord­nungsgeber davon ausgehen, dass Schutzauflagen - z. B. Abstandsgebote - das Ziel, physische Kontakte zu vermeiden, um die Ausbreitung von COVID-19 zu verlangsamen, nicht ebenso wirksam erreicht hätten wie ein generelles Versammlungsverbot. Dieser Zweck und die zu erwartende Zweckerreichung standen jedoch außer Verhältnis zur Schwere des Grund­recht­s­ein­griffs.

Ausnahmen hätten klar geregelt werden müssen

Die Untersagung aller Versammlungen durch § 3 Abs. 1 Sächs­Co­ro­naSchVO war ein schwerer Eingriff in die Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG*), die für eine freiheitlich-demokratische Grundordnung konstituierend ist. Der Ausnah­me­vor­behalt in § 3 Abs. 3 Sächs­Co­ro­naSchVO minderte das Gewicht des Eingriffs nur unwesentlich. Die Vorschrift ließ nicht erkennen, unter welchen Voraussetzungen Versammlungen infektiologisch vertretbar sein könnten, und selbst für infektiologisch vertretbare Versammlungen stellte sie die Erteilung der Genehmigung in das Ermessen der Behörde. Eine nachträgliche Konkretisierung der Geneh­mi­gungs­vor­aus­set­zungen durch die Rechtsprechung könnte daran für die auf zwei Wochen begrenzte Geltungsdauer der Verordnung nichts mehr ändern.

Regelung wird Bedeutung der Versamm­lungs­freiheit nicht gerecht

Auf der anderen Seite durfte der Verord­nungsgeber das Risiko für Leben und Gesundheit im Zusammenhang mit COVID-19 weiterhin als hoch einschätzen. Er sah angesichts der Verlangsamung der Infek­ti­o­ns­ge­schwin­digkeit in Sachsen aber Spielraum für schrittweise Lockerungen gegenüber den Beschränkungen durch die Verordnung vom 31. März 2020. In dieser Situation wurde ein generelles Versamm­lungs­verbot, das lediglich durch einen nicht konkretisierten Ausnah­me­vor­behalt geöffnet war, der Bedeutung der Versamm­lungs­freiheit für ein freiheitliches Staatswesen nicht gerecht. Der Verord­nungsgeber hätte selbst regeln müssen, unter welchen Voraussetzungen Versammlungen infektiologisch vertretbar sein können, um zumindest Versammlungen unter freiem Himmel mit begrenzter Teilnehmerzahl unter Beachtung von Schutzauflagen wieder möglich zu machen. Nur so hätte er die erforderliche Rechts­si­cherheit für Bürger und Behörden schaffen können.

Mindestabstand von 1,5 m nicht zu beanstanden

Den Antrag festzustellen, dass das Gebot, im öffentlichen Raum einen Mindestabstand von 1,5 m außer zu bestimmten Personen einzuhalten (§ 2 Abs. 2 Sächs­Co­ro­naSchVO*), unwirksam war, hat das Oberver­wal­tungs­gericht hingegen ohne Bundes­rechts­verstoß abgelehnt. Insoweit hatte die Revision des Antragstellers keinen Erfolg.

Quelle: Bundesverwaltungsgericht, ra-online (pm/ab)

Nicht gefunden, was Sie gesucht haben?

Urteile sind im Originaltext meist sehr umfangreich und kompliziert formuliert. Damit sie auch für Nichtjuristen verständlich werden, fasst urteile.news alle Entscheidungen auf die wesentlichen Kernaussagen zusammen. Wenn Sie den vollständigen Urteilstext benötigen, können Sie diesen beim jeweiligen Gericht anfordern.

Wenn Sie einen Link auf diese Entscheidung setzen möchten, empfehlen wir Ihnen folgende Adresse zu verwenden: https://urteile.news/Urteil33018

Bitte beachten Sie, dass im Gegensatz zum Verlinken für das Kopieren einzelner Inhalte eine explizite Genehmigung der ra-online GmbH erforderlich ist.

Die Redaktion von urteile.news arbeitet mit größter Sorgfalt bei der Zusammenstellung von interessanten Urteilsmeldungen. Dennoch kann keine Gewähr für Richtigkeit und Vollständigkeit der über uns verbreiteten Inhalte gegeben werden. Insbesondere kann urteile.news nicht die Rechtsberatung durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt in einem konkreten Fall ersetzen.

Bei technischen Problemen kontaktieren Sie uns bitte über dieses Formular.

VILI