21.11.2024
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Dokument-Nr. 32386

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Bundesverwaltungsgericht Urteil22.11.2022

Kontakt­beschränkungen nach der Sächsischen Corona-Schutz-Verordnung vom April 2020 waren rechtmäßigVoraussetzungen für den Erlass der Ge- und Verbote zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten erfüllt

Die Regelungen der Sächsischen Corona-Schutz-Verordnung vom 17. April 2020 (Sächs­Co­ro­naSchVO) über die Kontakt­be­schränkung für den Aufenthalt im öffentlichen Raum, die Untersagung von Gastronomie­betrieben und die Schließung von Sportstätten einschließlich Golfplätzen hatten im Infektions­schutz­gesetz eine verfas­sungs­gemäße Rechtsgrundlage und waren verhältnismäßig. Das hat das Bundes­verwaltungs­gericht entschieden.

Der Antragsteller wandte sich im Wege der Normenkontrolle gegen die vom 20. April bis 3. Mai 2020 geltende Verordnung. Sein Antrag festzustellen, dass § 2 Abs. 1, § 4 Abs. 1 Nr. 1 und § 5 Satz 1 Sächs­Co­ro­naSchVO unwirksam waren, blieb vor dem Sächsischen Oberver­wal­tungs­gericht ohne Erfolg.

Rechtsgrundlage im IfSG alter Fassung

Das Bundes­ver­wal­tungs­gericht hat die Revision des Antragstellers zurückgewiesen. Rechtsgrundlage für die angegriffenen Verord­nungs­re­ge­lungen war § 32 in Verbindung mit § 28 Abs. 1 des Infek­ti­o­ns­schutz­ge­setzes in der Fassung des Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 27. März 2020 (IfSG a. F.).* Die Voraussetzungen, unter denen nach diesen Vorschriften Ge- und Verbote zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten erlassen werden konnten, lagen vor. Bei Erlass der Verordnung waren Menschen an COVID-19 und damit an einer übertragbaren Krankheit im Sinne des Infek­ti­o­ns­schutz­ge­setzes erkrankt. Auch Ge- und Verbote, die - wie hier - unabhängig von einem Krankheits- oder Anste­ckungs­verdacht an die Allgemeinheit gerichtet sind, konnten notwendige Schutzmaßnahmen im Sinne der genannten Vorschriften sein.

IfSG a. F. war auch verfas­sungsgemäß

§ 32 i. V. m. § 28 Abs. 1 IfSG a. F. war in dieser Auslegung verfas­sungsgemäß. Der Grad der verfas­sungs­rechtlich erforderlichen Bestimmtheit hängt u.a. von den Besonderheiten des jeweiligen Sachbereichs ab. Im Infek­ti­o­ns­schutzrecht ist eine Generalklausel, wie sie § 28 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 IfSG a. F. enthält, sachgerecht. Der Gesetzgeber kann nicht voraussehen, welche übertragbaren Krankheiten neu auftreten und welche Schutzmaßnahmen zu ihrer Bekämpfung erforderlich sein werden. Hat sich der Erkenntnisstand in Bezug auf einen neuen Krank­heits­erreger verbessert und haben sich geeignete Parameter herausgebildet, um die Gefahrenlage zu beschreiben und zu bewerten, kann der Gesetzgeber allerdings gehalten sein, für die jeweilige Krankheit zu konkretisieren, unter welchen Voraussetzungen welche Schutzmaßnahmen ergriffen werden können. Eine solche Kodifi­ka­ti­o­nsreife lag für COVID-19 im hier maßgebenden Zeitraum von Mitte April bis Anfang Mai 2020 nicht vor.

Verord­nungsgeber durfte sich auf die Risikobewertung des RKI stützen

Die angegriffenen Verord­nungs­re­ge­lungen waren auch verhältnismäßig und damit notwendige Schutzmaßnahmen im Sinne von § 32 Satz 1 i. V. m. § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG a. F. Das Ziel der Verordnung, physische Kontakte zu vermeiden, um die Ausbreitung des Virus und der Krankheit COVID-19 zu verlangsamen, stand im Einklang mit dem Zweck der Verord­nungs­er­mäch­tigung. Die Annahme des Verord­nungs­gebers, dass dieses Ziel ohne die erlassenen Ge- und Verbote gefährdet und die Gefahr wegen einer möglichen Überlastung des Gesund­heits­systems dringlich war, beruhte nach den Feststellungen des Oberver­wal­tungs­ge­richts auf einer tragfähigen tatsächlichen Grundlage. Der Verord­nungsgeber durfte sich für seine tatsächliche Einschätzung der Gefährdungslage insbesondere auf die Risikobewertung des Robert Koch-Institutes (RKI) stützen, das nach § 4 IfSG a.F.* als nationale Behörde zur frühzeitigen Erkennung und Verhinderung der Weiter­ver­breitung von Infektionen u.a. zur Auswertung und Veröf­fent­lichung von Daten zum Infek­ti­o­ns­ge­schehen berufen ist. Der Antragsteller hat nichts vorgetragen, was die Bewertung des RKI nach der maßgebenden ex-ante-Sicht erschüttern könnte. Dafür ist auch nichts ersichtlich.

Ge- und Verbote zu Eindämmung der Gefährdung geeignet und auch erforderlich

Die angegriffenen Ge- und Verbote waren für die Zielerreichung geeignet und auch erforderlich. Es ist nicht ersichtlich, dass dem Verord­nungsgeber eine gleich wirksame, weniger in die Grundrechte der Betroffenen eingreifende Maßnahme zur Verfügung stand. Angesichts der seinerzeit fehlenden Erfahrungen mit dem SARS-CoV-2-Virus hatte er einen tatsächlichen Einschät­zungs­spielraum, der sich darauf bezog, die Wirkung der von ihm gewählten Maßnahmen im Vergleich zu anderen, weniger belastenden Maßnahmen zu prognostizieren. Dass er diesen Spielraum überschritten habe, hat das Oberver­wal­tungs­gericht ohne Rechtsfehler verneint. Die Prognose des Verord­nungs­gebers war ausgehend von den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz plausibel.

Gleich wirksames, aber weniger belastendes Mittel nicht ersichtlich

Hinsichtlich der Kontaktbeschränkungen war ein gleich wirksames, aber weniger belastendes Mittel nicht ersichtlich. In Bezug auf gastronomische Einrichtungen hat das Gericht festgestellt, dass aufgrund der besonderen Nähe und fehlender Ausweich­mög­lich­keiten von Gästen und Personal ein besonders hohes Anste­ckungs­risiko für eine Tröpf­che­n­in­fektion bestand. Zudem habe gerade in Szene-Vierteln die Gefahr von größeren Mensche­n­an­samm­lungen bestanden. Danach war plausibel, dass selbst ein anspruchsvolles Hygienekonzept nicht so wirksam gewesen wäre wie die Schließung der Gastro­no­mie­be­triebe. In Bezug auf Golfplätze hat das Oberver­wal­tungs­gericht festgestellt, dass es auch dort Bereiche gebe, die von einer Vielzahl von Spielern zusammen aufgesucht würden und wo damit die Gefahr einer Ansteckung bestehe.

Kontakt­be­schrän­kungen sowie die Schließung von gastronomischen Einrichtungen verhältnismäßig im engeren Sinne

Schließlich hat das Oberver­wal­tungs­gericht ohne Verstoß gegen Bundesrecht angenommen, dass der mit den Maßnahmen verfolgte Zweck und die zu erwartende Zweckerreichung weder bezogen auf die einzelnen Maßnahmen noch insgesamt außer Verhältnis zu der Schwere des Eingriffs stehen. Dass Kontakt­be­schrän­kungen im öffentlichen Raum sowie die Schließung von gastronomischen Einrichtungen verhältnismäßig im engeren Sinne sein können, ist in der Rechtsprechung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts für die Regelungen in § 28 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 7 IfSG i. d. F. des Gesetzes vom 22. April 2021 ("Bundesnotbremse") geklärt. Für die hier in Rede stehenden Schutzmaßnahmen aus der Anfangsphase der COVID-19-Pandemie ("1. Welle") ergibt sich nichts Anderes.

Quelle: Bundesverwaltungsgericht, ra-online (pm/ab)

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