18.10.2024
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Sie sehen die Außenfassade einer Niederlassung des Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) mit dem Bundesadler und passendem Schriftzug der Behörde.

Dokument-Nr. 30098

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Bundesverwaltungsgericht Beschluss30.03.2021

Rechtsfolgen einer unterlassenen persönlichen Anhörung im AsylverfahrenBundesamt für Migration und Flüchtlinge muss nach nunmehr unionsrechts­konformer Anhörung über Asylanträge entscheide

Hat es das Bundesamt im behördlichen Asylverfahren unterlassen, den Antragsteller persönlich anzuhören, darf das Gericht im Klageverfahren die Anhörung selbst unter Wahrung u.a. der gebotenen Vertraulichkeit nachholen, dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Gelegenheit belassen, die unterlassene Anhörung nachzuholen, oder den angefochtenen Unzulässigkeits­bescheid aufheben, damit das Bundesamt nach fehlerfreiem Verfahren eine neuerliche Entscheidung über den Asylantrag trifft. Bei der Betätigung seines weiten Verfah­ren­s­er­messens hat das Gericht die konkreten Umstände des Einzelfalles, insbesondere die bisherige Verfahrensdauer und das Ausmaß der erforderlichen Sachverhalts­aufklärung zu berücksichtigen. Dies hat das Bundes­verwaltungs­gericht entschieden.

Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der Kläger, dem unter anderen Personalien in Italien die Flücht­lings­ei­gen­schaft zuerkannt und ein bis Februar 2015 gültiger Reiseausweis für Flüchtlinge ausgestellt worden war, wendet sich gegen die ohne vorherige persönliche Anhörung getroffene Feststellung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt), dass ihm aufgrund der Einreise aus einem sicheren Drittstaat kein Asylrecht zusteht. Klage und Berufung sind insoweit ohne Erfolg geblieben.

EuGH zur fehlenden Anhörung

Auf Vorlage des Bundes­ver­wal­tungs­ge­richts hat der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) im Juni 2020 entschieden, dass ein behördlicher Verstoß gegen das unions­rechtliche Gebot, den Flüchtling vor einer Unzuläs­sig­keits­ent­scheidung persönlich anzuhören, nicht allein deshalb nach § 46 VwVfG als unbeachtlich erachtet werden darf, weil es sich um eine gebundene Entscheidung handelt und Äußerungs­mög­lich­keiten im gerichtlichen Verfahren bestehen. Der Verfahrensfehler führt vielmehr zur Aufhebung dieser Entscheidung und zur Zurück­ver­weisung der Sache an die Asylbehörde, soweit der Flüchtling nicht im Rahmen des Rechts­be­helfs­ver­fahrens in einer die gemäß Art. 15 RL 2013/32/EU geltenden grundlegenden Bedingungen und Garantien, u.a. angemessene Vertraulichkeit, gewähr­leis­tenden Anhörung persönlich alle gegen die Entscheidung sprechenden Umstände hat vortragen können.

BVerwG hebt Bescheid des BAMF auf

In Umsetzung dieser Grundsätze hat das Bundes­ver­wal­tungs­ge­richts auf die Revision des Klägers den Bescheid des Bundesamts aufgehoben. Die Feststel­lungs­ent­scheidung kann nicht in eine - nach der anzuwendenden Rechtslage allein in Betracht kommende - Unzuläs­sig­keits­ent­scheidung wegen anderweitiger Flücht­lings­a­n­er­kennung (§ 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG) umgedeutet werden. Denn der Kläger, der im behördlichen Verfahren nicht zu der Unzuläs­sig­keits­ent­scheidung angehört worden war, ist in den Vorinstanzen hier allein durch die Möglichkeit, sich im gerichtlichen Verfahren zu äußern, und die bloße Erörterung der Sach- und Rechtslage in öffentlicher Verhandlung nicht unter Bedingungen persönlich angehört worden, die nach der Rechtsprechung des EuGH den Anforderungen des Unionsrechts genügen.

Gericht muss angemessene Vertraulichkeit wahren

Mit Blick auf den Regelungs­ge­danken des § 46 VwVfG kann in den Tatsa­chen­in­stanzen das Gericht zwar den Antragsteller unter Wahrung der gemäß Art. 15 RL 2013/32/EU geltenden grundlegenden Bedingungen und Garantien selbst zu den Gründen anhören, die aus seiner Sicht einer Unzulässigkeit des Asylantrages entgegenstehen. Das Gericht muss dann aber auch die nach Art. 15 Abs. 2 RL 2013/32/EU zu gewährleistende angemessene Vertraulichkeit wahren (etwa im Rahmen eines Erörterungs- oder Beweistermins oder bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 171 b GVG durch einen Ausschluss der Öffentlichkeit für die Dauer der Anhörung), sofern der Antragsteller nicht freiwillig, ausdrücklich und eindeutig auf die Vertraulichkeit verzichtet. Die Tatsache einer gesonderten persönlichen Anhörung und der Umstand, dass diese unter Beachtung der grundlegenden Bedingungen und Garantien des Art. 15 RL 2013/32/EU durchgeführt worden ist, müssen sich dann auch aus der Sitzungs- bzw. Termin­nie­der­schrift ergeben.

Unzuläs­sig­keits­be­scheid wegen fehlender Anhörung aufzuheben

Das Gericht ist zu dieser Verfahrensweise prozess­rechtlich nicht verpflichtet, sondern nur mit Blick auf seine allgemeine Prozess­för­de­rungs­pflicht und den aus § 46 VwVfG folgenden Rechtsgedanken berechtigt. Soweit - wie hier - auch die Beklagte eine persönliche Anhörung während des gerichtlichen Verfahrens nicht aus eigenem Entschluss oder auf Hinweis des Gerichts nachgeholt und nach erkennbarer Überprüfung des angegriffenen Unzuläs­sig­keits­be­scheides an diesem festgehalten hat, ist der Unzuläs­sig­keits­be­scheid mit der Folge aufzuheben, dass das Bundesamt - nach nunmehr unions­rechts­kon­former Anhörung - erneut über den Asylantrag zu entscheiden hat.

Geltend gemachtes Rechts­schutz­be­dürfnis nicht entfallen

Der von dem Kläger geltend gemachte, von der Beklagten bestrittene Übergang der Verantwortung für die Ausstellung des Reiseausweises für Flüchtlinge auf die Bundesrepublik Deutschland nach völker­recht­lichen Abkommen lässt das Rechts­schutz­be­dürfnis für die Anfech­tungsklage gegen die Unzuläs­sig­keits­ent­scheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG nicht entfallen und berührt auch bei unterstelltem Verant­wor­tungs­übergang nicht deren Rechtmäßigkeit. Denn im Falle eines solchen Verant­wor­tungs­übergangs gilt der in dem Erststaat anerkannte Flüchtling allein kraft der Geltung der ausländischen Statu­s­ent­scheidung im Bundesgebiet als Flüchtling. Er hat daher keinen Anspruch auf neuerliche Zuerkennung des Flücht­lings­status durch das Bundesamt.

Quelle: Bundesverwaltungsgericht, ra-online (pm/ab)

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