03.12.2024
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Dokument-Nr. 30530

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Bundesverfassungsgericht Beschluss01.07.2021

Erfolgreiche Verfassungs­beschwerde zur Besorgnis der Befangenheit in einem AsylverfahrenBefan­gen­heits­antrag in Asylkla­ge­ver­fahren willkürlich abgelehnt

Das Bundes­verfassungs­gericht hat einer Verfassungs­beschwerde gegen eine fachge­richtliche Entscheidung stattgegeben, durch die ein Ableh­nungs­gesuch wegen Besorgnis der Befangenheit gegen den zuständigen Einzelrichter in einem Asylverfahren für unbegründet erklärt worden war.

Der Beschwer­de­führer ist afghanischer Staats­an­ge­höriger. Seinen gestellten Asylantrag lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) ab. Im hiergegen eingeleiteten Klageverfahren lehnte der Beschwer­de­führer den zuständigen Einzelrichter wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Zur Begründung berief er sich auf ein Urteil des abgelehnten Richters, durch das dieser einer Klage der NPD gegen die Beseitigung eines Wahlplakats mit dem Slogan „Stoppt die Invasion: Migration tötet! Widerstand jetzt“ stattgegeben hatte. In der mit dem Ableh­nungs­gesuch in Bezug genommenen Entscheidung hatte das Verwal­tungs­gericht festgestellt, dass die angegriffene behördliche Besei­ti­gungs­a­n­ordnung schon wegen eines Verfah­rens­fehlers rechtswidrig sei. Im Anschluss daran heißt es in der Entscheidung unter anderem: „Nach vorstehenden Ausführungen ist der Wortlaut des inkriminierten Wahlplakats der Klägerin ‚Migration tötet‘ nicht als volksverhetzend zu qualifizieren, sondern als die Realität teilweise darstellend zu bewerten. In der Tat hat die Zuwan­de­rungs­be­wegung nach Deutschland ab dem Jahr 2014/2015 zu einer Veränderung innerhalb der Gesellschaft geführt, die sowohl zum Tode von Menschen geführt hat als auch geeignet ist, auf lange Sicht zum Tod der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu führen. […] Allein dem erkennenden Gericht sind Fälle bekannt, in denen Asylbewerber zu Mördern wurden. Zu nennen ist hier […]“.

Verfas­sungs­be­schwerde gegen Ablehnung des Befan­gen­heits­antrags

Das Verwal­tungs­gericht wies durch eine Kamme­rent­scheidung ohne Mitwirkung des abgelehnten Richters das Ableh­nungs­gesuch des Beschwer­de­führers zurück. Mit anschließendem und durch den abgelehnten Richter als Einzelrichter gefasstem Urteil hob das Verwal­tungs­gericht den gegen den Beschwer­de­führer ergangenen Bescheid des Bundesamts teilweise auf und verpflichtete das Bundesamt, dem Beschwer­de­führer den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen; im Übrigen wies es die Klage ab. Im Umfang der Klageabweisung ist ein Berufungs­zu­las­sungs­ver­fahren bei dem zuständigen Verwal­tungs­ge­richtshof anhängig. Der Beschwer­de­führer rügt allein eine Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Das Verwal­tungs­gericht habe ihn in seinem Recht auf den gesetzlichen Richter verletzt, weil es sein Ableh­nungs­gesuch zu Unrecht zurückgewiesen habe.

BVerfG: Ablehnung des Befan­gen­heits­antrags willkürlich

Die Verfassungsbeschwerde hatte Erfolg. Der Beschluss des Verwal­tungs­ge­richts verstößt gegen das Recht auf den gesetzlichen Richter aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Das Ableh­nungs­gesuch stellt sich nicht als Kritik an der Rechtsmeinung des abgelehnten Richters oder an der Beantwortung der Rechtsfrage, ob der von der NPD verwendete Slogan den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllt, dar, sondern nimmt die Ausführungen des Verwal­tungs­ge­richts zur Migration zum Anlass für die Richte­r­a­b­lehnung. Die Ablehnung des Befan­gen­heits­antrags erweist sich als willkürlich. Das Verwal­tungs­gericht hat in sachlich nicht haltbarer Weise verneint, dass der Beschwer­de­führer aufgrund des mit seinem Ableh­nungs­gesuch in Bezug genommenen Urteils Zweifel an der Unvor­ein­ge­nom­menheit des abgelehnten Richters haben durfte. Dies ergibt sich schon aus der in diesem Urteil enthaltenen ausufernden historischen Begründung für die Behauptung, Einwanderung stelle „naturgemäß eine Gefahr für kulturelle Werte an dem Ort dar, an dem die Einwanderung“ stattfinde, und aus dem Verweis darauf, dass die bestehende „Gefahr für die deutsche Kultur und Rechtsordnung sowie menschliches Leben“ „nicht von der Hand zu weisen“ sei. In hervorgehobenem Maße ergibt es sich aus denjenigen Passagen der Urteils­be­gründung, in denen das Verwal­tungs­gericht ausführt, es handele sich bei der Wendung „Migration tötet“ um eine empirisch zu beweisende Tatsache, und in denen der Einzelrichter ihm vermeintlich bekannte Einzelfälle von Asylsuchenden anführt, die im Nachhinein wegen Mordes, anderer Tötungsdelikte oder sonstiger schwerer Straftaten verurteilt wurden.

VG-Urteil: Migration gleich Straftäter

Diese Einzelfälle nimmt das Verwal­tungs­gericht als Beleg dafür, dass Migration etwas mit Tod und Menschen­ver­achtung zu tun haben könne und dass Zuwanderer durchaus in der Lage seien, Tötungsdelikte und Kapita­l­ver­brechen in Deutschland zu begehen. Mit dieser Deutung geschichtlicher Abläufe und der aktuellen politischen Situation verengt das Verwal­tungs­gericht den weiter­grei­fenden Begriff der Migration auf die Gruppe der Asylsuchenden und stellt aus dieser Gruppe die später mit schweren Straftaten straffällig gewordenen Personen als prägend nicht nur für die Gruppe der Asylsuchenden, sondern für den gesamten Bereich der Migration dar. Damit steht es dem genannten Urteil gleichsam auf die Stirn geschrieben, dass der Richter, der es abgefasst hat, Migration für ein grundlegendes, die Zukunft unseres Gemeinwesens bedrohendes Übel hält. Die genannten und zahlreiche weitere Passagen waren offensichtlich geeignet, Misstrauen des Beschwer­de­führers gegen die Unpar­tei­lichkeit des abgelehnten Richters zu begründen. Der Umstand, dass das Verwal­tungs­gericht durch den vom Beschwer­de­führer abgelehnten Richter inzwischen der Klage des Beschwer­de­führers teilweise stattgegeben hat, steht dem nicht entgegen.

Quelle: Bundesverfassungsgericht, ra-online (pm/ab)

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