Dokument-Nr. 30530
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Bundesverfassungsgericht Beschluss01.07.2021
Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde zur Besorgnis der Befangenheit in einem AsylverfahrenBefangenheitsantrag in Asylklageverfahren willkürlich abgelehnt
Das Bundesverfassungsgericht hat einer Verfassungsbeschwerde gegen eine fachgerichtliche Entscheidung stattgegeben, durch die ein Ablehnungsgesuch wegen Besorgnis der Befangenheit gegen den zuständigen Einzelrichter in einem Asylverfahren für unbegründet erklärt worden war.
Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger. Seinen gestellten Asylantrag lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) ab. Im hiergegen eingeleiteten Klageverfahren lehnte der Beschwerdeführer den zuständigen Einzelrichter wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Zur Begründung berief er sich auf ein Urteil des abgelehnten Richters, durch das dieser einer Klage der NPD gegen die Beseitigung eines Wahlplakats mit dem Slogan „Stoppt die Invasion: Migration tötet! Widerstand jetzt“ stattgegeben hatte. In der mit dem Ablehnungsgesuch in Bezug genommenen Entscheidung hatte das Verwaltungsgericht festgestellt, dass die angegriffene behördliche Beseitigungsanordnung schon wegen eines Verfahrensfehlers rechtswidrig sei. Im Anschluss daran heißt es in der Entscheidung unter anderem: „Nach vorstehenden Ausführungen ist der Wortlaut des inkriminierten Wahlplakats der Klägerin ‚Migration tötet‘ nicht als volksverhetzend zu qualifizieren, sondern als die Realität teilweise darstellend zu bewerten. In der Tat hat die Zuwanderungsbewegung nach Deutschland ab dem Jahr 2014/2015 zu einer Veränderung innerhalb der Gesellschaft geführt, die sowohl zum Tode von Menschen geführt hat als auch geeignet ist, auf lange Sicht zum Tod der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu führen. […] Allein dem erkennenden Gericht sind Fälle bekannt, in denen Asylbewerber zu Mördern wurden. Zu nennen ist hier […]“.
Verfassungsbeschwerde gegen Ablehnung des Befangenheitsantrags
Das Verwaltungsgericht wies durch eine Kammerentscheidung ohne Mitwirkung des abgelehnten Richters das Ablehnungsgesuch des Beschwerdeführers zurück. Mit anschließendem und durch den abgelehnten Richter als Einzelrichter gefasstem Urteil hob das Verwaltungsgericht den gegen den Beschwerdeführer ergangenen Bescheid des Bundesamts teilweise auf und verpflichtete das Bundesamt, dem Beschwerdeführer den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen; im Übrigen wies es die Klage ab. Im Umfang der Klageabweisung ist ein Berufungszulassungsverfahren bei dem zuständigen Verwaltungsgerichtshof anhängig. Der Beschwerdeführer rügt allein eine Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Das Verwaltungsgericht habe ihn in seinem Recht auf den gesetzlichen Richter verletzt, weil es sein Ablehnungsgesuch zu Unrecht zurückgewiesen habe.
BVerfG: Ablehnung des Befangenheitsantrags willkürlich
Die Verfassungsbeschwerde hatte Erfolg. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts verstößt gegen das Recht auf den gesetzlichen Richter aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Das Ablehnungsgesuch stellt sich nicht als Kritik an der Rechtsmeinung des abgelehnten Richters oder an der Beantwortung der Rechtsfrage, ob der von der NPD verwendete Slogan den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllt, dar, sondern nimmt die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zur Migration zum Anlass für die Richterablehnung. Die Ablehnung des Befangenheitsantrags erweist sich als willkürlich. Das Verwaltungsgericht hat in sachlich nicht haltbarer Weise verneint, dass der Beschwerdeführer aufgrund des mit seinem Ablehnungsgesuch in Bezug genommenen Urteils Zweifel an der Unvoreingenommenheit des abgelehnten Richters haben durfte. Dies ergibt sich schon aus der in diesem Urteil enthaltenen ausufernden historischen Begründung für die Behauptung, Einwanderung stelle „naturgemäß eine Gefahr für kulturelle Werte an dem Ort dar, an dem die Einwanderung“ stattfinde, und aus dem Verweis darauf, dass die bestehende „Gefahr für die deutsche Kultur und Rechtsordnung sowie menschliches Leben“ „nicht von der Hand zu weisen“ sei. In hervorgehobenem Maße ergibt es sich aus denjenigen Passagen der Urteilsbegründung, in denen das Verwaltungsgericht ausführt, es handele sich bei der Wendung „Migration tötet“ um eine empirisch zu beweisende Tatsache, und in denen der Einzelrichter ihm vermeintlich bekannte Einzelfälle von Asylsuchenden anführt, die im Nachhinein wegen Mordes, anderer Tötungsdelikte oder sonstiger schwerer Straftaten verurteilt wurden.
VG-Urteil: Migration gleich Straftäter
Diese Einzelfälle nimmt das Verwaltungsgericht als Beleg dafür, dass Migration etwas mit Tod und Menschenverachtung zu tun haben könne und dass Zuwanderer durchaus in der Lage seien, Tötungsdelikte und Kapitalverbrechen in Deutschland zu begehen. Mit dieser Deutung geschichtlicher Abläufe und der aktuellen politischen Situation verengt das Verwaltungsgericht den weitergreifenden Begriff der Migration auf die Gruppe der Asylsuchenden und stellt aus dieser Gruppe die später mit schweren Straftaten straffällig gewordenen Personen als prägend nicht nur für die Gruppe der Asylsuchenden, sondern für den gesamten Bereich der Migration dar. Damit steht es dem genannten Urteil gleichsam auf die Stirn geschrieben, dass der Richter, der es abgefasst hat, Migration für ein grundlegendes, die Zukunft unseres Gemeinwesens bedrohendes Übel hält. Die genannten und zahlreiche weitere Passagen waren offensichtlich geeignet, Misstrauen des Beschwerdeführers gegen die Unparteilichkeit des abgelehnten Richters zu begründen. Der Umstand, dass das Verwaltungsgericht durch den vom Beschwerdeführer abgelehnten Richter inzwischen der Klage des Beschwerdeführers teilweise stattgegeben hat, steht dem nicht entgegen.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 13.07.2021
Quelle: Bundesverfassungsgericht, ra-online (pm/ab)
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