21.11.2024
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Dokument-Nr. 23662

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Beschluss06.07.2016Bundesverfassungsgericht2 BvR 548/16
passende Fundstellen in der Fachliteratur:
  • NJW 2016, 3090Zeitschrift: Neue Juristische Wochenschrift (NJW), Jahrgang: 2016, Seite: 3090
  • NZM 2016, 807Neue Zeitschrift für Miet- und Wohnungsrecht (NZM), Jahrgang: 2016, Seite: 807
  • WuM 2016, 729Zeitschrift: Wohnungswirtschaft und Mietrecht (WuM), Jahrgang: 2016, Seite: 729
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Vorinstanzen:
  • Amtsgericht Aachen, Beschluss13.11.2015, 018 K 266/12, 018 K 267/12, 018 K 268/12, 018 K 269/12, 018 K 270/12, 018 K 271/12
  • Landgericht Aachen, Beschluss09.03.2016, 3 T 362/15, 3 T 363/15, 3 T 364/15, 3 T 365/15, 3 T 366/15, 3 T 367/15
ergänzende Informationen

Bundesverfassungsgericht Beschluss06.07.2016

BVerfG: Erhebliche Suizidgefahr ohne Aussicht auf Besserung kann dauerhaften Voll­streckungs­schutz rechtfertigenBeachtung des Gesundheits- und Lebensschutzes des Art. 2 Abs. 2 GG

Besteht im Falle der Zwangs­ver­stei­gerung eine erhebliche Suizidgefahr beim Grund­stücks­eigentümer, kann die dauerhafte Einstellung der Zwangs­voll­streckung gerechtfertigt sein, wenn eine Besserung des Zustands nicht zu erwarten ist. In diesem Fall wiegt der Gesundheits- und Lebensschutz aus Art. 2 Abs. 2 GG schwerer als die Vermö­gen­s­in­teressen des Gläubigers. Dies geht aus einer Entscheidung des Bundes­verfassungs­gerichts hervor.

In dem zugrunde liegenden Fall sollten sechs Grundstücke, darunter das Wohnanwesen, einer 70-jährigen Frau zwangs­ver­steigert werden. Das Amtsgericht Aachen stellte die Zwangsversteigerung aber im Mai 2014 auf Antrag der Grund­s­tücks­ei­gen­tümerin für einen Zeitraum von sechs Monaten ein, da sie erheblich suizidgefährdet war. Ihr wurde aber aufgegeben, sich regelmäßig psychiatrisch und psycho­the­ra­peutisch behandeln zu lassen. Da sich ihr Zustand im Zeitraum des Vollstre­ckungs­schutzes trotz der Therapie nicht verbesserte, beantragte sie nach Anordnung der Fortsetzung des Zwangs­ver­stei­ge­rungs­ver­fahrens im Mai 2015 erneut Vollstreckungsschutz. Dies gewährte das Amtsgericht im November 2015 für weitere acht Monate. Der Grund­s­tücks­ei­gen­tümerin sollte Zeit gegeben werden, ohne Auflagen ihre Therapie zu beenden und somit eine Stabilisierung ihres Gesund­heits­zu­standes zu erreichen. Damit war weder die Gläubigerin noch die Grund­s­tücks­ei­gen­tümerin einverstanden. Während die Gläubigerin sofort vollstrecken wollte, beabsichtigte die Grund­s­tücks­ei­gen­tümerin die dauerhafte Einstellung der Zwangs­ver­stei­gerung. Beides lehnte das Landgericht Aachen jedoch ab. Die Grund­s­tücks­ei­gen­tümerin legte daraufhin Verfas­sungs­be­schwerde ein.

Verletzung des Grundrechts auf Leben und Gesundheit

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht entschied zu Gunsten der Grund­s­tücks­ei­gen­tümerin. Das Landgericht habe bei seiner Entscheidung nicht ausreichend das Grundrecht auf Leben und Gesundheit gemäß Art. 2 Abs. 2 GG beachtet. Zwar werde bei erheblichen Gefahren für Leben und Gesundheit regelmäßig die Einstellung der Vollstreckung für einen längeren Zeitraum ausreichen, weil solche Gefahren meist mit zunehmendem Zeitablauf ausgeräumt werden können. Sei eine Besserung des Zustands aber nicht möglich, könne als enger Ausnahmefall die Gewährung von dauerhaften Vollstre­ckungs­schutz geboten sein. Mit dieser Möglichkeit habe sich das Landgericht nicht ausreichend ausein­an­der­gesetzt.

Notwendigkeit weiterer Feststellung zum Gesund­heits­zustand

Laut den ärztlichen Attesten sei es für die Grund­s­tücks­ei­gen­tümerin am Besten gewesen, so das Bundes­ver­fas­sungs­gericht, wenn das Zwangs­ver­stei­ge­rungs­ver­fahren ihres Wohnhauses endgültig eingestellt würde. Solange der Verlust des Wohnanwesens gedroht habe, sei sie weiter als schwer suizidgefährdet einzustufen gewesen. Auf dieser Grundlage sei es nach Ansicht des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts nicht nachvollziehbar gewesen, wie Leben und Gesundheit der Grund­s­tücks­ei­gen­tümerin durch eine bloße vorübergehende Vollstre­ckungs­ein­stellung habe geschützt werden können. Es hätte vielmehr weiterer Feststellungen zu dem Gesund­heits­zustand der Grund­s­tücks­ei­gen­tümerin und den langfristig bestehenden Lösungs­mög­lich­keiten für den Konflikt zwischen der Gesund­heits­gefahr und den Vermö­gen­s­in­teressen der Gläubigerin bedurft.

Fehlende Angaben zum Wert des Grundstücks

Es sei darüber hinaus nach Auffassung des Bundes­ge­richtshofs zu beanstanden, dass Angaben zu Art und Umfang der gegenläufigen Interessen der Gläubigerin gefehlt haben. So habe das Landgericht weder die Höhe der Ansprüche, noch den Wert des Grundstücks beziffert oder zumindest geschätzt.

Vorläufige Aussetzung der Verfahren

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht setzte die Verfahren vorläufig aus, bis das Landgericht eine neue Entscheidung erlassen hat.

Quelle: Bundesverfassungsgericht, ra-online (vt/rb)

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