24.11.2024
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Bundesverfassungsgericht Beschluss29.07.2022

Erfolgreiche Verfassungs­beschwerde gegen die Anordnung mehrerer erkennungs­dienstlicher Maßnahmen nach § 81 b Alt. 1 StPOErken­nungs­dienstliche Maßnahmen unzulässig

Das Bundes­verfassungs­gericht hat entschieden, dass die erkennungs­dienstliche Behandlung des Beschwer­de­führers durch die Anordnung der Abnahme eines Zehnfinger- und Handflä­che­n­ab­drucks sowie die Anfertigung eines Fünfseiten- und Ganzkör­per­bildes diesen in seinem Recht auf informationelle Selbst­be­stimmung aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) verletzt. Soweit sich die Verfassungs­beschwerde darüber hinaus gegen die Anordnung weiterer erkennungs­dienstlicher Maßnahmen richtet, ist sie unzulässig.

Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Anfang Juni 2021 brachte ein zunächst unbekannter Täter an einem Gasver­teil­er­gebäude zwei großflächige, mit silberner Sprühfarbe ausgeführte Übermalungen der dort bereits in weißer und schwarzer Farbe angebrachten Schriftzüge „Toni F. Du Jude“ und „Antifa Boxen“ an. Der Täter wurde dabei von einem Zeugen angesprochen, gefilmt und fotografiert. Dieser Zeuge gab bei seiner späteren Vernehmung an, er sei in der Lage, die Person wieder­zu­er­kennen. Die Eigentümerin des betroffenen Gebäudes stellte Strafantrag. Ausgehend von einem anonymen Hinweis erkannten zwei Polizeibeamte den Beschwer­de­führer auf den vom Zeugen gefertigten Lichtbildern wieder. Gegen den Beschwer­de­führer wurde daraufhin ein Ermitt­lungs­ver­fahren wegen Sachbe­schä­digung eingeleitet.

Polizei: Erken­nungs­dienstliche Behandlung zur Sachver­halts­auf­klärung erforderlich

Anfang Juli 2021 ordnete die Polizei an, den Beschwer­de­führer gemäß § 81 b Alt. 1 und 2 der Straf­pro­zess­ordnung (StPO) erken­nungs­dienstlich zu behandeln und hierzu ein Fünfseitenbild, ein Ganzkörperbild, eine Perso­nen­be­schreibung, ein Spezialbild sowie einen Zehnfinger- und Handflä­che­n­abdruck anzufertigen. Zur Begründung führte die Anordnung unter anderem unter Bezugnahme auf § 81 b Alt. 1 StPO aus, eine erken­nungs­dienstliche Behandlung sei notwendig, weil die „aufgeführten Maßnahmen“ zur Sachver­halts­auf­klärung erforderlich seien. Der Beschwer­de­führer sei von einem Zeugen gesehen, gefilmt und auf diesen Bildern von mehreren Polizeibeamten erkannt worden. Um den Beschwer­de­führer der Tat beweiskräftig vor Gericht zu überführen, müsse dem Zeugen eine Wahllicht­bild­vorlage vorgelegt werden. Dies diene dazu, den Beschwer­de­führer zu identifizieren oder ihn vom Tatvorwurf zu entlasten. Die Wiedererkennung durch Polizeibeamte allein sei bei fehlendem Geständnis, Inanspruchnahme des ihm zustehenden Aussa­ge­ver­wei­ge­rungs­rechts oder dem Abstreiten der Tat vor Gericht als Beweis nicht geeignet, zumal das Bildmaterial von schlechter Qualität sei. Soweit sich die Anordnung auf § 81 b Alt. 1 StPO stützt, stellte der Beschwer­de­führer beim Amtsgericht einen Antrag auf gerichtliche Feststellung, dass diese aufzuheben sei. Das Amtsgericht bestätigte die Anordnung. Zur Begründung nahm es auf die Gründe der Anordnung Bezug. Die Anordnung sei – auch ihrem Umfang nach – für die Aufklärung der Straftat erforderlich. Gegen den Beschluss legte die Verteidigerin des Beschwer­de­führers im Oktober 2021 Beschwerde zum Landgericht ein und führte in der Begründung aus, dass ihr Mandant nicht bestreite, die Person zu sein, mit der der Zeuge gesprochen habe. Weiterhin räume der Mandant ein, die Person auf den von dem Zeugen gefertigten Aufnahmen zu sein. Einer Anfertigung von Lichtbildern bedürfe es aus diesem Grund nicht. Eine Anfertigung von Finger- sowie Handflä­che­n­ab­drücken sei dagegen nicht zulässig, da es kein Vergleichs­ma­terial gebe. Nachdem das Amtsgericht der Beschwerde nicht abgeholfen hatte, verwarf das Landgericht diese mit angegriffenem Beschluss vom 6. Dezember 2021 als unbegründet und nahm zur Begründung vollinhaltlich Bezug auf die polizeiliche Anordnung der erken­nungs­dienst­lichen Behandlung, der nichts hinzuzufügen sei. Mit seiner Verfas­sungs­be­schwerde rügt der Beschwer­de­führer die Verletzung seines Rechts auf informationelle Selbst­be­stimmung aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG durch die landge­richtliche Entscheidung.

BVerfG: Recht auf informationelle Selbst­be­stimmung verletzt

Das BVerfG hat nun entschieden, dass der Beschluss des Landgerichts den Beschwer­de­führer in seinem Recht auf informationelle Selbst­be­stimmung aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG verletzt. Das Grundrecht auf informationelle Selbst­be­stimmung gewährleistet die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen. Es gewährt seinen Trägern Schutz gegen eine unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung oder Weitergabe der auf sie bezogenen, indivi­du­a­li­sierten oder indivi­du­a­li­sierbaren Daten. Davon werden alle Informationen, die über die Bezugsperson etwas aussagen können, umfasst. Diese Verbürgung darf nur aufgrund eines Gesetzes im überwiegenden Interesse der Allgemeinheit und unter Beachtung des Grundsatzes der Verhält­nis­mä­ßigkeit eingeschränkt werden; die Einschränkung darf nicht weitergehen, als es zum Schutz des öffentlichen Interesses unerlässlich ist. Dem Schran­ken­vor­behalt für Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbst­be­stimmung trägt die gesetzliche Regelung des § 81 b Alt. 1 StPO ausreichend Rechnung.

Anfertigung von Fingerabdrücken für die Strafverfolgung ungeeignet

Bei der Auslegung und Anwendung des § 81 b Alt. 1 StPO sind die Gerichte jedoch gehalten, die Bedeutung und Tragweite des Grundrechts auf informationelle Selbst­be­stimmung angemessen zu berücksichtigen. Voraussetzung des § 81 b Alt. 1 StPO ist, dass gegen den Betroffenen ein Strafverfahren geführt wird und gegen ihn ein Anfangsverdacht besteht. Zudem müssen die einzelnen Maßnahmen jeweils für den Zweck der Durchführung des Strafverfahrens konkret notwendig sein. Dabei orientiert sich die Notwendigkeit der Maßnahme an der Sachauf­klä­rungs­pflicht der Gerichte nach § 244 Abs. 2 StPO. Das Tatbe­stands­merkmal der Notwendigkeit ist allerdings zugleich eine Ausprägung des Grundsatzes der Verhält­nis­mä­ßigkeit. Dies bedeutet, dass die Gerichte zur konkreten Notwendigkeit jeder einzelnen angeordneten erken­nungs­dienst­lichen Maßnahme ausführen und eine Abwägung zwischen dem Interesse einer wirksamen Strafverfolgung und dem Grundrecht des Betroffenen auf informationelle Selbst­be­stimmung vornehmen müssen. Der Beschluss des Landgerichts wird diesen Anforderungen nicht gerecht. Soweit er die Anfertigung eines Zehnfinger- und Handflä­che­n­ab­drucks betrifft, war die Anfertigung dieser Abdrücke für die Strafverfolgung bereits nicht geeignet. Die Identifizierung des Täters konnte nicht über die Abnahme eines Zehnfinger- und Handflä­che­n­ab­drucks erfolgen, weil Finger- oder Handflä­che­n­ab­drücke ausweislich der Ermittlungsakte am Tatort nicht sichergestellt wurden. Ausführungen zur konkreten Notwendigkeit dieser erken­nungs­dienst­lichen Maßnahmen sind weder dem landge­richt­lichen Beschluss noch der in Bezug genommenen Begründung der polizeilichen Verfügung zu entnehmen.

Notwendigkeit der Anfertigung eines Fünfseiten- und Ganzkör­per­bildes nicht begründet

Hinsichtlich der Anfertigung eines Fünfseiten- und Ganzkör­per­bildes hat das Landgericht die Bedeutung und Tragweite des Grundrechts des Beschwer­de­führers auf informationelle Selbst­be­stimmung mangels Ausein­an­der­setzung mit deren konkreter Notwendigkeit ebenfalls verkannt. In der vollin­halt­lichen Bezugnahme auf die polizeiliche Anordnung ist eine umfassende Abwägung zwischen den Interessen einer wirksamen Strafverfolgung und dem Interesse des Beschwer­de­führers im Rahmen der Prüfung der Notwendigkeit der Maßnahme nicht erkennbar. Es fehlt bereits eine Ausein­an­der­setzung mit der Tatsache, dass der Zeuge der Sachbe­schä­digung angegeben hatte, in der Lage zu sein, den Täter wieder­zu­er­kennen. Dies hätte auch im Rahmen einer Beweisaufnahme in der - zeitnah zu erwartenden - Haupt­ver­handlung erfolgen können. Ebenso wenig erörtert die polizeiliche Anordnung, dass es auch dem Tatrichter im Rahmen der Haupt­ver­handlung grundsätzlich möglich gewesen wäre, einen Abgleich zwischen den in der Akte befindlichen Lichtbildern sowie dem Erschei­nungsbild des Beschwer­de­führers vorzunehmen. Es ergibt sich auch nicht aus der Akte, dass die von dem Zeugen gefertigten Lichtbilder für einen solchen Abgleich ungeeignet gewesen wären. Vielmehr erkannten die Polizeibeamten den Beschwer­de­führer spontan auf diesen Lichtbildern wieder. Soweit der angegriffene Beschluss des Landgerichts die Anfertigung eines Zehnfinger- und Handflä­che­n­ab­drucks und eines Fünfseiten- und Ganzkör­per­bildes betrifft, wird er aufgehoben und die Sache an das Landgericht zurückverwiesen. Im Übrigen wird die Verfas­sungs­be­schwerde nicht zur Entscheidung angenommen, weil sie wegen Verletzung des Grundsatzes der materiellen Subsidiarität unzulässig ist.

Quelle: Bundesverfassungsgericht, ra-online (pm/ab)

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