15.11.2024
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Bundesverfassungsgericht Beschluss11.07.2013

Therapie­unterbringungs­gesetz entspricht bei verfassungs­konformer Auslegung dem GrundgesetzTherapie­unterbringung darf nur angeordnet werden, wenn eine hochgradige Gefahr für die Allgemeinheit besteht

Das Therapie­unterbringungs­gesetz ist mit dem Grundgesetz vereinbar, muss jedoch verfas­sungs­konform ausgelegt werden. Die Unterbringung darf nur dann angeordnet werden, wenn eine hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexual­straftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Untergebrachten abzuleiten ist. Dies hat das Bundes­verfassungs­gericht entschieden. Der Richter Huber hat ein Sondervotum zur Gesetz­gebungs­zuständigkeit abgegeben.

In dem zugrunde liegenden Fall wendet sich der Beschwer­de­führer gegen seine gerichtlich angeordnete Unterbringung, mittelbar auch gegen das zum 1. Januar 2011 in Kraft getretene Thera­pie­un­ter­brin­gungs­gesetz. Vorwiegend unter Alkoholeinfluss hat er mehrfach Gewaltdelikte, meist mit Sexualbezug, begangen. Im Jahr 1989 ordnete das Landgericht seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, weil seine Schul­d­un­fä­higkeit nicht auszuschließen sei. Im November 2005 erklärte das Landgericht seine Unterbringung für erledigt, weil er zwar noch gefährlich, aber nicht mehr erheblich in seiner Schuldfähigkeit beeinträchtigt sei. Vor vollständiger Verbüßung der Freiheitsstrafe ordnete das Landgericht erstmals im April 2007 die nachträgliche Siche­rungs­ver­wahrung des Beschwer­de­führers an. Im Mai 2010 verfügte der Bundes­ge­richtshof vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) die sofortige Freilassung des Beschwer­de­führers. Die Stadt S. beantragte daraufhin seine Thera­pie­un­ter­bringung.

Gegenstand der Verfahren sind Beschlüsse des LG

Gegenstand des Verfahrens 2 BvR 2302/11 sind Beschlüsse des Landgerichts vom 2. September 2011 und des Oberlan­des­ge­richts vom 30. September 2011 über die vorläufige Thera­pie­un­ter­bringung des Beschwer­de­führers für die Dauer von drei Monaten. Gegenstand des Verfahrens 2 BvR 1279/12 sind die Beschlüsse des Landgerichts vom 17. Februar 2012 und des Oberlan­des­ge­richts vom 14. Mai 2012 über die bis zum 1. März 2013 befristete Unterbringung des Beschwer­de­führers im Haupt­sa­che­ver­fahren.

Primäre sowie nachträgliche Siche­rungs­ver­wahrung gehören zum Regelungs­bestand des Strafrechts

Die Verfas­sungs­be­schwerden sind unbegründet, soweit sie mittelbar gegen die Vorschriften des Thera­pie­un­ter­brin­gungs­ge­setzes gerichtet sind. Dem Bundes­ge­setzgeber steht die konkurrierende Gesetz­ge­bungs­kom­petenz zu. Der Kompetenztitel „Strafrecht“ (Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG) erfasst historisch betrachtet neben vergeltenden, schuld­aus­glei­chenden Sanktionen auch spezi­a­l­prä­ventive Reaktionen auf eine Straftat. Daher ließen sich sowohl die - durch vorkon­sti­tu­ti­onelle Gesetze eingeführte - primäre Siche­rungs­ver­wahrung als auch die nachträgliche Siche­rungs­ver­wahrung dem historisch vorgefundenen Regelungs­bestand des Strafrechts zuordnen. Diesem weiten kompe­tenz­recht­lichen Begriffs­ver­ständnis steht die engere Bedeutung des Begriffs der Strafe in Art. 103 Abs. 2 GG nicht entgegen.

Thera­pie­un­ter­brin­gungs­gesetz soll Lücke im Strafrecht schließen

Die Thera­pie­un­ter­bringung verfolgt - ebenso wie die Siche­rungs­ver­wahrung - den Zweck, Straftäter, deren Gefährlichkeit für hochrangige Rechtsgüter fortbesteht, im Anschluss an die verbüßte Strafhaft zum Schutz der Allgemeinheit sicher unterzubringen. Neben der spezifischen Anknüpfung an eine strafrechtlich sanktionierte Anlasstat stützt vor allem die Funktion des Thera­pie­un­ter­brin­gungs­ge­setzes, eine Lücke im Instrumentarium des Strafrechts zu schließen, die Zugehörigkeit zum selben Kompetenztitel. Das die Regelungslücke füllende Gesetz kann kompe­tenz­rechtlich nicht anders beurteilt werden als das lückenhafte Gesetz selbst. Auch das freiheit­s­o­ri­en­tierte Therapiekonzept und die verfah­rens­rechtliche Ausgestaltung stehen der kompe­tenz­recht­lichen Zuordnung zum Strafrecht nicht entgegen.

Bei verfas­sungs­kon­former Auslegung ist die Unterbringung nach dem Thera­pie­un­ter­brin­gungs­gesetz mit dem rechts­s­taat­lichen Vertrau­ens­schutzgebot aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG vereinbar.

Eingriff­sin­tensität der Thera­pie­un­ter­bringung entspricht der der Siche­rungs­ver­wahrung

Die Thera­pie­un­ter­bringung ist eine nachträglich angeordnete freiheits­ent­ziehende Maßnahme. Ihre Eingriff­sin­tensität entspricht der der Siche­rungs­ver­wahrung. Auch § 1 Abs. 1 ThUG ermöglicht eine potenziell unbefristete Freiheits­ent­ziehung. § 2 ThUG schreibt die Unterbringung in einer geeigneten Thera­pie­ein­richtung und ein freiheit­s­o­ri­en­tiertes Therapiekonzept vor; auch die Siche­rungs­ver­wahrung ist in deutlichem Abstand zum Strafvollzug - freiheit­s­o­ri­entiert mit klarer therapeutischer Ausrichtung auszugestalten.

Unterbringung nur bei hochgradiger Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexual­straftaten

Der Grundsatz der Verhält­nis­mä­ßigkeit gebietet es daher unter Berück­sich­tigung der Vorgaben aus der Europäischen Menschen­rechts­kon­vention, eine Unterbringung nur dann anzuordnen, wenn eine hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexual­straftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Untergebrachten abzuleiten ist. Zwar sieht der Wortlaut des § 1 Abs. 1 ThUG keine derart einzugrenzende Gefah­ren­prognose vor. Allerdings ist eine verfas­sungs­konforme - restriktive - Auslegung möglich. Wortlaut und Zweck der Vorschrift stehen einer solchen Auslegung nicht entgegen.

Maßgebliche Fragen in der Rechtsprechung des BGH waren noch nicht geklärt

Ebenso wenig entgegen steht der Einwand, dem Thera­pie­un­ter­brin­gungs­gesetz verbleibe bei einer Übertragung der strengen Maßstäbe des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts zur nachträglichen Siche­rungs­ver­wahrung kein Anwen­dungs­bereich. Denn die Thera­pie­un­ter­bringung ist subsidiär zur Siche­rungs­ver­wahrung ausgestaltet mit der Folge, dass ein Zurücktreten hinter die Siche­rungs­ver­wahrung im Gesetz selbst angelegt ist. Überdies darf nicht außer Betracht bleiben, dass das Thera­pie­un­ter­brin­gungs­gesetz zu einem Zeitpunkt erlassen wurde, zu dem die maßgeblichen Fragen in der Rechtsprechung des Bundes­ge­richtshofs noch nicht geklärt waren und auch eine Entscheidung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts noch ausstand. Seinerzeit ging es dem Gesetzgeber darum, eine eng begrenzte Überg­angs­re­gelung bis zum Wirksamwerden der neu geordneten Siche­rungs­ver­wahrung zu schaffen.

Möglichst wenige Belastung durch Unterbringung für Betroffene

Den verfas­sungs­rechtlich gebotenen Abstand zur Vollstreckung der Strafhaft formuliert § 2 ThUG. Das Gesetz legt qualitative Maßstäbe für die Einrichtungen fest und schreibt die räumliche sowie organi­sa­to­rische Trennung von Einrichtungen des Strafvollzuges vor. Zudem sollen die Betroffenen durch die Unterbringung unter Berück­sich­tigung therapeutischer Gesichtspunkte und der Sicher­heits­in­teressen der Allgemeinheit möglichst wenig belastet werden. Mit diesen Vorgaben sichert das Gesetz die Wahrung des Abstandsgebots und schafft eine notwendige Voraussetzung dafür, dass die Thera­pie­un­ter­bringung nicht als Strafe im Sinne des Art. 7 Abs. 1 EMRK einzuordnen ist.

Das Tatbe­stands­merkmal „psychische Störung“ im Sinne des § 1 Abs. 1 ThUG steht nicht im Widerspruch zu den Wertungen der Europäischen Menschen­rechts­kon­vention (EMRK).

Begriff der "psychischen Störung" geht aus Wortbedeutung und Entste­hungs­ge­schichte hervor

Das Thera­pie­un­ter­brin­gungs­gesetz definiert den Begriff der psychischen Störung nicht näher. Wie er zu verstehen ist, geht jedoch aus Wortbedeutung und Entste­hungs­ge­schichte hinreichend deutlich hervor. Gemäß der Geset­zes­be­gründung soll an die Rechtsprechung des EGMR zu Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe e EMRK, der eine Freiheits­ent­ziehung bei „psychisch Kranken“ erlaubt, und an die Diagno­se­klas­si­fi­ka­ti­o­ns­systeme ICD-10 und DSM-IV angeknüpft werden. Die Störung muss nicht von solcher Art sein, dass sie die strafrechtliche Verantwortung des Täters ausschließt oder in der psychiatrisch-forensischen Begut­ach­tung­s­praxis als psychische Erkrankung gewertet wird; wohl aber muss sich ein klinisch erkennbarer Komplex von solchen Symptomen oder Verhal­tens­auf­fäl­lig­keiten zeigen, die mit Belastungen und Beein­träch­ti­gungen - auf der individuellen und oft auch der kollektiven oder sozialen Ebene - verbunden sind.

Thera­pie­un­ter­bringung löst sich vom zweigliedrigen System

Unter systematischen Gesichtspunkten löst sich die Thera­pie­un­ter­bringung vom bisherigen zweigliedrigen System der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus einerseits und der Siche­rungs­ver­wahrung andererseits. Der Gesetzgeber installiert einen nicht anhand der straf­recht­lichen Verant­wort­lichkeit abzugrenzenden „dritten Weg“. Dem Verzicht auf ein Defizit straf­recht­licher Verant­wort­lichkeit stehen die Wertungen des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe e EMRK und die hierzu ergangene Rechtsprechung des EGMR nicht entgegen. Soweit der EGMR auch qualitative Anforderungen an das nationale Recht stellt, genügt das Thera­pie­un­ter­brin­gungs­gesetz diesen, insbesondere in Bezug auf die Vorher­seh­barkeit.

Auslegung des unbestimmten Begriffs "psychische Störung" durch den EGMR relevant

Die Anforderungen des Bestimmt­heits­gebots sind gewahrt. Die Geset­zes­be­gründung knüpft an die restriktive Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs „psychische Störung“ durch den EGMR an. Darüber hinaus lehnt sie sich an die in der Psychiatrie anerkannten Klassi­fi­ka­ti­o­ns­systeme ICD-10 und DSM-IV an. Weitere Eingriffs­schwellen entstehen durch das Erfordernis eines Kausa­l­zu­sam­menhangs zwischen der psychischen Störung und der Gefahr sowie durch die sonstigen Tatbe­stands­merkmale des § 1 ThUG.

Ziel des Gesetzgebers ist der Schutz der Allgemeinheit

Auch Meinungs­ver­schie­den­heiten zu der Frage, ob ein subjektiver Leidensdruck des Betroffenen erforderlich ist, führen nicht zu einer unzureichenden Bestimmtheit. Mit dem Ziel des Gesetzgebers, einen möglichst nachhaltigen Schutz der Allgemeinheit zu erreichen, wäre ein solches Erfordernis nicht vereinbar; auch der Wortlaut der Vorschrift legt eine solche Auslegung nicht nahe.

Thera­pie­un­ter­brin­gungs­gesetz verstößt nicht gegen Verbot des Einzel­fa­ll­ge­setzes

Das Thera­pie­un­ter­brin­gungs­gesetz verstößt in der hier maßgeblichen Fassung nicht gegen das Verbot des Einzel­fa­ll­ge­setzes aus Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG.

Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG verbietet grund­recht­s­ein­schränkende Gesetze

Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG verbietet grund­recht­s­ein­schränkende Gesetze, die nicht allgemein sind, sondern nur für den Einzelfall gelten. Ein Gesetz ist allgemein, wenn sich wegen der abstrakten Fassung des Tatbestandes nicht absehen lässt, auf wie viele und welche Fälle es Anwendung findet. Das schließt die Regelung eines Einzelfalls allerdings nicht aus, wenn der Sachverhalt so beschaffen ist, dass es nur einen Fall dieser Art gibt und die Regelung dieses singulären Sachverhalts von sachlichen Gründen getragen wird.

Dem Wortlaut nach ist § 1 Abs. 1 ThUG abstrakt gefasst und wird insoweit dem Allge­mein­heitsgebot gerecht. Der Anwen­dungs­bereich des Gesetzes betrifft zwar einen eng begrenzten Personenkreis; eine Indivi­du­a­li­sierung der Betroffenen liegt in dieser abstrakten Begrenzung jedoch nicht.

Fachgerichte haben bei ihren Entscheidungen nicht den Verhält­nis­mä­ßig­keits­maßstab zugrunde gelegt

Die mit den Verfas­sungs­be­schwerden angefochtenen fachge­richt­lichen Entscheidungen sind mit den Vorgaben des Grundgesetzes für die Anwendung des Thera­pie­un­ter­brin­gungs­ge­setzes nicht zu vereinbaren. Sie verletzen den Beschwer­de­führer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG, weil die Fachgerichte bei ihren Entscheidungen nicht den verfas­sungs­rechtlich gebotenen Verhält­nis­mä­ßig­keits­maßstab zugrunde gelegt haben. Es kommt allein auf die objektive Verfas­sungs­wid­rigkeit an; unerheblich ist hingegen, ob die Grund­rechts­ver­letzung den Fachgerichten vorwerfbar ist. Verfas­sungs­rechtlich nicht zu beanstanden ist allerdings der Ansatz des Oberlan­des­ge­richts, demzufolge der erforderliche Wahrschein­lich­keitsgrad nicht an einer festen Prozentgrenze festgemacht werden könne, das Gewicht der prognos­ti­zierten Delikte in die Betrachtung mit einzubeziehen sei.

Sondervotum des Richters Huber

Erläuterungen
Soweit die Senatsmehrheit eine Gesetz­ge­bungs­kom­petenz des Bundes für den Erlass des Thera­pie­un­ter­brin­gungs­ge­setzes bejaht, stimme ich dem zwar im Ergebnis zu. Eine Zuständigkeit des Bundes lässt sich jedoch nicht direkt aus dem Kompetenztitel „Strafrecht“ (Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG), sondern lediglich aus dem Sachzu­sam­menhang mit dem Strafrecht herleiten.

Im Zeitpunkt des Inkrafttretens bestanden deutliche Unterschiede zum Recht der Siche­rungs­ver­wahrung

Die Auffassung der Senatsmehrheit überdehnt den Begriff des Strafrechts im Sinne von Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG.

Das Thera­pie­un­ter­brin­gungs­gesetz soll ausschließlich der Abwehr von hochgradigen Gefahren schwerster Gewalt- oder Sexual­straftaten dienen, soweit sie ihre Grundlage in psychischen Störungen der Unter­zu­brin­genden haben. Im Zeitpunkt des Inkrafttretens bestanden deutliche Unterschiede zum Recht der Siche­rungs­ver­wahrung. Dies ergibt sich aus den Anord­nungs­vor­aus­set­zungen und aus den gesetzlichen Vorgaben für die Ausgestaltung des Vollzuges. Zudem lehnt sich das Verfahrensrecht an die Vorschriften des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit an und begründet eine ausschließliche Zuständigkeit der Zivilkammern der Landgerichte. Sieht der Gesetzgeber ausdrücklich keinen Gleichlauf mit dem Straf­pro­zessrecht vor, so kann die verfas­sungs­rechtliche Beurteilung darüber nicht hinweggehen. Allein der Umstand, dass auch die Thera­pie­un­ter­bringung an eine Anlasstat anknüpft, qualifiziert diese noch nicht zu einer Reaktion auf straf­recht­liches Unrecht. Vielmehr stellt die Anknüpfung an eine Anlasstat sicher, dass dieses tief eingreifende Instrument auf das unbedingt Erforderliche beschränkt bleibt.

Der Kompetenztitel "Strafrecht" begründet keine Gesetz­ge­bungs­kom­petenz des Bundes

Zwar ist anerkannt, dass die Maßregeln der Besserung und Sicherung dem Bereich des „Strafrechts“ zuzuordnen sind. Dieses weite Verständnis des Kompetenztitels „Strafrecht“ ist - wie die Senatsmehrheit hervorhebt - zum einen historisch kontingent und liegt zum anderen auch sachlich nahe. Nicht zuletzt ermöglicht die (teilweise) Verzahnung von Strafen und Maßregeln im zweispurigen deutschen Sankti­o­nen­system freiheits­schonende Wirkungen. Genese und Leistungs­fä­higkeit des zweispurigen Sankti­o­nen­systems rechtfertigen es freilich nicht, dem Bund unter dem Titel „Strafrecht“ auch die Kompetenz zur Errichtung weiterer Säulen zuzusprechen. Bereits bei der nachträglichen Siche­rungs­ver­wahrung war die Anknüpfung an die Anlasstat so stark relativiert, dass eine ausufernde Interpretation des Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG zu Lasten der Länder befürchtet wurde. Für die Thera­pie­un­ter­bringung gilt dies erst recht.

Kompetenz kraft Sachzu­sam­menhangs stützt und ergänzt eine zugewiesene Zuständigkeit

Dem Bund steht gleichwohl eine Gesetz­ge­bungs­kom­petenz kraft Sachzu­sam­menhangs zu. Die Kompetenz kraft Sachzu­sam­menhangs stützt und ergänzt eine zugewiesene Zuständigkeit, wenn die entsprechende Materie verstän­di­gerweise nicht geregelt werden kann, ohne dass zugleich eine nicht ausdrücklich zugewiesene andere Materie mitgeregelt wird, wenn also das Übergreifen in einen an sich den Ländern übertragenen Kompe­tenz­bereich unerlässliche Voraussetzung für die Regelung der zugewiesenen Materie ist.

Regelung der Thera­pie­un­ter­bringung für Schutzkonzept unerlässlich

Das Thera­pie­un­ter­brin­gungs­gesetz weist starke Bezüge zu den Unter­brin­gungs­ge­setzen der Länder auf. Jedoch richtet es sich - wegen der Anknüpfung an eine Anlasstat - nur an Straftäter. Dies vermag einen Sachzu­sam­menhang mit dem Strafrecht zu begründen. Die Regelung der Thera­pie­un­ter­bringung ist für das vom Bundes­ge­setzgeber verfolgte Schutzkonzept unerlässlich. Sie ähnelt in ihrem Regelungsgehalt den Maßregeln der Besserung und Sicherung und besitzt darüber hinaus eine lückenfüllende Funktion. Daher besteht für den Bund eine Gesetz­ge­bungs­kom­petenz kraft Sachzu­sam­menhangs.

Diese kompetenzielle Zuordnung wird der Grundkonzeption der Art. 70 ff. GG besser gerecht als die Auffassung der Senatsmehrheit und trägt prospektiv auch zum Schutz der Gesetz­ge­bungs­kom­pe­tenzen der Länder bei.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

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