18.10.2024
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Bundesverfassungsgericht Beschluss04.11.2022

Erfolglose Verfassungs­beschwerde gegen die namentliche Kenn­zeichnungs­pflicht von Polizei­vollzugs­bedienstetenVerfassungs­beschwerde nicht hinreichend substantiiert und daher unzulässig

Das Bundes­verfassungs­gericht hat die Verfassungs­beschwerde einer Polizei­vollzugs­bediensteten nicht zur Entscheidung angenommen, die sich gegen behördliche und verwaltungs­gerichtliche Entscheidungen wendet, mit denen ihr Begehren abgelehnt wurde, kein Namensschild an ihrer Dienstkleidung tragen zu müssen.

In § 9 Abs. 2 Satz 1 des Branden­bur­gischen Polizeigesetzes (BbgPolG) ist geregelt, dass Polizei­voll­zugs­be­dienstete bei Amtshandlungen an ihrer Dienstkleidung ein Namensschild tragen. Das Namensschild wird nach § 9 Abs. 2 Satz 2 BbgPolG beim Einsatz geschlossener Einheiten durch eine zur nachträglichen Identi­täts­fest­stellung geeignete Kennzeichnung ersetzt. § 9 Abs. 3 BbgPolG sieht eine Ausnahme von der Legiti­ma­ti­o­ns­pflicht und der namentlichen Kennzeichnung vor, soweit der Zweck der Maßnahme oder Amtshandlung oder überwiegende schutzwürdige Belange des Polizei­voll­zugs­be­diensteten dadurch beeinträchtigt werden. Die auf Grundlage der Ermächtigung in § 9 Abs. 4 BbgPolG erlassene, die Kennzeichnungspflicht betreffende Verwal­tungs­vor­schrift (VV Kennzeich­nungs­pflicht) sieht die Befreiung einiger im Einzelnen aufgeführten Einheiten vor. Die Beschwer­de­führerin steht als Polizei­haupt­kom­missarin im Dienst des Landes Brandenburg. Ihr im Frühjahr 2013 gestellter Antrag auf Befreiung von der Kennzeich­nungs­pflicht wurde vom Polizei­prä­sidium abgelehnt und ein hiergegen eingelegter Widerspruch zurückgewiesen. Die gegen Ausgangs- und Wider­spruchs­be­scheid gerichtete Klage blieb vor dem Verwal­tungs­gericht Potsdam ebenso erfolglos wie ihre Berufung vor dem Oberver­wal­tungs­gericht Berlin-Brandenburg und ihre Revision vor dem Bundes­ver­wal­tungs­gericht. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwer­de­führerin eine Verletzung ihres Rechts auf informationelle Selbst­be­stimmung aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG). Zudem genüge die angegriffene Regelung insgesamt nicht dem Geset­zes­vor­behalt und dem Bestimmt­heitsgebot (Art. 20 Abs. 1 und Abs. 3 GG).

BVerfG: Grund­rechts­ver­letzung nicht substantiiert begründet

Die Verfas­sungs­be­schwerde ist unzulässig, denn sie ist nicht hinreichend substantiiert begründet. Soweit die Beschwer­de­führerin darauf abstellt, dass sich das durch die Kennzeich­nungs­pflicht verursachte Gefah­ren­po­tential für Polizei­voll­zugs­be­dienstete erst im Nachhinein (zum Beispiel durch eine Inter­net­re­cherche) realisiere und die Ausnah­me­re­gelung in Ziffer 4.3 VV Kennzeich­nungs­pflicht deshalb unzureichend sei, ist ihr zwar zuzugestehen, dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Namen betroffener Polizei­voll­zugs­be­diensteter erst einige Zeit nach der Vornahme der Amtshandlung „gegoogelt“ oder anderweitig recherchiert werden. Die Beschwer­de­führerin lässt allerdings offen, inwieweit die Kenntnis des Nachnamens Zugang zu Daten liefern kann, die es erlauben, ein viel weitergehendes Persön­lich­keitsbild von Polizei­be­diensteten und/oder dritten Personen zu ermitteln. Sie bleibt in der Beschreibung des Risikos, welchem sie sich durch die namentliche Kennzeich­nungs­pflicht ausgesetzt sieht, pauschal. Hinsichtlich der Folgen eines späteren Datenabrufs setzt sie sich insbesondere nicht mit der Frage auseinander, inwieweit sich hier eine Gefahr realisiert, die über das Risiko hinausgeht, dem sämtliche Beamtinnen und Beamte ausgesetzt sind, die unter Nennung ihres Namens Amtshandlungen vornehmen. Soweit die Beschwer­de­führerin Zweifel an den tatsächlichen Feststellungen des Bundes­ver­wal­tungs­ge­richts zur Zunahme von Angriffen auf Polizei­voll­zugs­be­dienstete nach Einführung der Kennzeich­nungs­pflicht äußert, übergeht sie die Bindung des Bundes­ver­wal­tungs­ge­richts an die tatsächlichen Feststellungen des Oberver­wal­tungs­ge­richts (§ 137 Abs. 2 VwGO). Ihr weiterer Vortrag zur zunehmenden Gewalt gegen Polizistinnen und Polizisten bleibt unsubstantiiert, weil sie sich nicht mit vorhandenen Statistiken und Erkenntnissen zur Kennzeich­nungs­pflicht befasst. Soweit die Beschwer­de­führerin die namentliche Kennzeich­nungs­pflicht als unver­hält­nismäßig im engeren Sinne rügt, weil damit nur unzureichende Vorkehrungen zum Schutz der Polizei­voll­zugs­be­diensteten seitens des Dienstherrn getroffen worden seien, hätte sie sich näher mit den Möglichkeiten auseinander müssen, ihre Daten durch eine Auskunftssperre im Melderegister oder durch Nutzung der Privat­sphä­re­ein­stel­lungen in sozialen Netzwerken selbst wirksam zu schützen.

Verweis auf Dienst­num­mern­schild als milderes Mittel lässt bezweckte Bürgernähe der Polizei unberück­sichtigt

Soweit sie rügt, dass mit der Verpflichtung zum Tragen eines Dienst­num­mern­schildes ein milderes Mittel im Vergleich zum Tragen eines Namensschildes zur Verfügung stehe, blendet sie aus, dass durch die namentliche Kennzeich­nungs­pflicht auch die Bürgernähe der Polizei gefördert werden soll. Sie setzt sich nicht damit auseinander, dass mit einer bloßen Nummer oder anderweitigen Kennzeichnung dieses weitere Ziel der Regelung ersichtlich nicht in gleicher Weise erreicht werden kann. Auch soweit die Beschwer­de­führerin einen Verstoß gegen den Grundsatz der Rechts­s­taat­lichkeit, insbesondere der Normenklarheit und Bestimmtheit rügt, macht sie die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung nicht deutlich. Sie trägt vor, die Regelung sei unbestimmt, weil die Ausnahmen von der Kennzeich­nungs­pflicht weder durch den parla­men­ta­rischen Gesetzgeber noch sonst mittels gesetzlicher Regelung, sondern durch eine Verwal­tungs­vor­schrift bestimmt worden seien. Soweit sie meint, dass § 9 Abs. 4 BbgPolG bei der Annahme des Bundes­ver­wal­tungs­ge­richts, wonach Ziffer 4.3 VV Kennzeich­nungs­pflicht nur den Wortlaut von § 9 Abs. 3 BbgPolG wiederhole und die Ausnah­me­re­gelung erläutere, materiell-rechtlich ins Leere laufe, setzt sie sich nicht damit auseinander, dass die Norm unter anderem bezogen auf die Ausgestaltung der Ausnahmen einen Regelungsgehalt aufweist. Auch befasst sie sich nicht mit der Frage, ob sich jegliche Konkretisierung der Kennzeich­nungs­pflicht etwa in Bezug auf spezielle Polizei­ein­heiten auf der Ebene des Gesetzes überhaupt sinnvoll vornehmen ließe. Die Verfas­sungs­be­schwerde ist auch unzulässig, soweit sie sich mittelbar gegen § 9 Abs. 2 bis 4 BbgPolG und die VV Kennzeich­nungs­pflicht wendet, da sie keinen gesonderten Vortrag zur mittelbaren Rechts­satz­ver­fas­sungs­be­schwerde enthält.

Quelle: Bundesverfassungsgericht, ra-online (pm/ab)

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