15.11.2024
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Dokument-Nr. 9311

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Beschluss27.01.2010Bundesverfassungsgericht2 BvR 2185/04 und 2 BvR 2189/04
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Bundesverfassungsgericht Beschluss27.01.2010

BVerfG: Mindesthebesatz von 200 % für Gewerbesteuer verfas­sungsgemäßRegelung zum Mindesthebesatz hat legitimes Ziel "Steueroasen" zu verhindern

Die Vorschrift für Gemeinden Gewerbesteuern zu einem Mindesthebesatz von 200 % zu erheben, ist verfas­sungs­konform. Dies entschied das Bundes­ver­fas­sungs­gericht und wies damit die gegen die Neuregelung gerichteten Kommu­na­l­ver­fas­sungs­be­schwerden zweier Gemeinden zurück.

Seit dem 1. Januar 2004 sind Gemeinden nach § 1, § 16 Abs. 4 Satz 2 GewStG verpflichtet, Gewerbesteuern zu einem Mindesthebesatz von 200 % zu erheben. Zuvor stand es den Gemeinden frei, jeden beliebigen Hebesatz festzusetzen und durch eine Festsetzung des Hebesatzes auf Null von der Erhebung der Gewerbesteuer gänzlich abzusehen.

Gemeinde bleibt trotz Neuregelung erheblicher Gestal­tung­s­pielraum erhalten

Die Beschwer­de­füh­re­rinnen, zwei Gemeinden in Brandenburg, wenden sich mit Kommu­na­l­ver­fas­sungs­be­schwerden gegen die Neuregelung. Sie wollen weiterhin die Möglichkeit haben, wie in der Vergangenheit niedrigere Hebesätze zu bestimmen oder keine Gewerbesteuer zu erheben. Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat die Verfas­sungs­be­schwerden zurückgewiesen. Der gesetzlich vorgeschriebene Mindesthebesatz von 200 % für die Gewerbesteuer ist verfas­sungs­konform. Die Neuregelung verstößt nicht gegen die grundgesetzlich gewährleistete kommunale Finanzhoheit und die von ihr umfasste Hebesatz­au­tonomie. Art. 28 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 106 Abs. 6 GG gewährleisten nicht, dass den Gemeinden das Recht zur Festsetzung des Hebesatzes der Gewerbesteuer ohne gesetzliche Einschränkungen eingeräumt wird. Die mit dem gesetzlichen Mindesthebesatz von 200 % verbundene Beschränkung des Hebesatzrechts berührt die Finanzautonomie der Gemeinde nicht in ihrem Kernbereich, weil den Gemeinden ein erheblicher Gestal­tung­s­pielraum erhalten bleibt.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde: Die Neuregelung ist durch die Gesetz­ge­bungs­kom­petenz des Bundes nach Art. 105 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 72 Abs. 2 GG gedeckt. Sie ist zur Wahrung der Rechts- und Wirtschaft­s­einheit im gesamt­s­taat­lichen Interesse erforderlich.

Die Vorschriften verstoßen nicht gegen die im Grundgesetz als Bestandteil der allgemeinen Selbst­ver­wal­tungs­ga­rantie (Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG) gewährleistete und konstitutiv durch Art. 106 Abs. 6 Satz 2 und Art. 28 Abs. 2 Satz 3 GG verstärkte kommunale Finanzhoheit.

Weder Aufkommenshöhe noch Gewerbesteuer als solche von Verfassungs wegen garantiert

Art. 28 Abs. 2 Satz 3 und Art. 106 Abs. 6 Satz 2 GG gewährleisten nicht, dass den Gemeinden das Recht zur Festsetzung des Hebesatzes der Gewerbesteuer ohne gesetzliche Einschränkungen eingeräumt wird. Die gemeindliche Hebesatz­au­tonomie verlangt insbesondere keine unentziehbare Befugnis der Gemeinden, auf die Erhebung der Gewerbesteuer ganz zu verzichten. Das Grundgesetz fußt weder in seiner ursprünglichen Fassung noch in seinen späteren Änderungen auf einer einfach­ge­setz­lichen Tradition unein­ge­schränkter Gestal­tungs­freiheit der Gemeinden bei den Hebesätzen. Mit der wettbe­werb­lichen Funktion der Gewährleistung eines Hebesatzrechts können auch gesetzliche Bestimmungen vereinbar sein, die die Freiheit des Wettbe­wer­bs­ver­haltens begrenzen, um den Wettbewerb in gemein­wohl­ver­träg­lichen Bahnen zu halten. Den Gemeinden ist weder eine bestimmte Aufkommenshöhe noch die Gewerbesteuer als solche von Verfassungs wegen garantiert.

Hebesatzrecht darf nicht unver­hält­nismäßig beschränkt werden

Die verfas­sungs­rechtliche Gewährleistung des gemeindlichen Hebesatzrechts lässt allerdings keine beliebigen Einschränkungen zu. Der „Rahmen der Gesetze“, an den Art. 106 Abs. 6 Satz 2 GG das Hebesatzrecht bindet, darf nicht beliebig eng gezogen werden. Die Finanzhoheit muss den Gemeinden im Kern erhalten bleiben. Das Hebesatzrecht darf nicht unver­hält­nismäßig beschränkt werden.

Mindesthebesatz macht Ausgleich von Stand­ort­nach­teilen und Teilnahme am interkommunalen Wettbewerb um Gewer­be­an­sied­lungen weiterhin möglich

Diesen Anforderungen wird der gesetzliche Mindesthebesatz von 200 % für die Gewerbesteuer gerecht. Die Regelung dient dem legitimen Ziel, die Bildung von „Steueroasen“ zu verhindern und die Streuung von Gewer­be­be­trieben über das ganze Land hinweg zu fördern sowie der Sicherung der verfas­sungs­rechtlich vorgesehenen Gewerbesteuer-Umlage. Da die Berechnung der Umlage vom Ist-Aufkommen der Gewerbesteuer abhängt, kann sich eine Gemeinde durch Festsetzung des Hebesatzes auf Null der Abführung der Umlage entziehen. Die Festlegung eines Mindest­he­be­satzes verhindert, dass Gemeinden einen Anteil an der Einkommensteuer erhalten, ohne sich an der Gegen­fi­nan­zierung durch die Gewer­be­steu­er­umlage zu beteiligen. Ein Mindesthebesatz von 200 % wahrt auch die Grenzen der Zumutbarkeit. Das Hebesatzrecht als solches bleibt den Gemeinden weiter erhalten. Bei dem maßvollen, weit unter dem Durchschnitt liegenden Mindesthebesatz von 200 % ist es ihnen weiterhin möglich, Stand­ort­nachteile auszugleichen und am interkommunalen Wettbewerb um Gewer­be­an­sied­lungen teilzunehmen. Ihnen bleibt ein erheblicher Gestal­tungs­spielraum erhalten.

Quelle: ra-online, BVerfG

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