18.10.2024
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Sie sehen den Sitzungssaal des Bundestages in Berlin.

Dokument-Nr. 31154

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Bundesverfassungsgericht Beschluss06.12.2021

Verfassungs­beschwerde gegen Infektions­schutz­maßnahmen­verordnung des Landes Berlin im Zusammenhang mit der Wahl des Bundeskanzlers erfolglosVerfassungs­beschwerde gegen 2G-Regel in Berliner Hotels unzulässig

Das Bundes­verfassungs­gericht hat eine Verfassungs­beschwerde von elf Abgeordneten des 20. Deutschen Bundestages nicht zur Entscheidung angenommen, die sich gegen § 19 Abs. 2 Satz 2 der Dritten SARS-CoV-2- Infektions­schutz­maßnahmen­verordnung des Landes Berlin vom 23. November 2021 (3. InfSchMV des Landes Berlin) richtete. Die Vorschrift sieht vor, dass Übernachtungen in Hotels und ähnlichen Einrichtungen nur unter der 2G-Bedingung angeboten werden dürfen. Die nach eigenen Angaben ungeimpften und außerhalb Berlins lebenden Beschwer­de­führer sehen sich durch die Norm insbesondere in ihren Abgeord­ne­ten­rechten aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt, weil sie durch diese an der Teilnahme der Wahl des Bundeskanzlers durch den Deutschen Bundestag am 8. Dezember 2021 gehindert seien. Die Verfassungs­beschwerde ist jedoch unzulässig, weil sie weder bezüglich der Wahrung des Subsidiaritäts­grundsatzes noch bezüglich der geltend gemachten Verletzung von Grundrechten oder grund­rechts­gleichen Rechten den Begründungs­anforderungen genügt.

Gemäß der aktuell geltenden Vorschrift des § 19 Abs. 2 Sätze 1 und 2 der 3. InfSchMV des Landes Berlin dürfen Übernachtungen in Hotels, Beher­ber­gungs­be­trieben, Ferienwohnungen und ähnlichen Einrichtungen nur unter der 2G-Bedingung angeboten und grundsätzlich ausschließlich gegen Covid-19 geimpfte Personen oder genesenen Personen Einlass gewährt werden.

Beschwer­de­führer sehen sich in ihren Abgeord­ne­ten­rechte verletzt

Die Beschwer­de­führer sind Mitglieder des 20. Deutschen Bundestages. Nach eigenen Angaben erfüllen sie nicht die sogenannte 2G-Regel. Sie lebten „außerhalb Berlins weit entfernt vom Bundestag“ und hätten ihr Mandat bisher während der Sitzungswochen mittels Übernachtungen in Berliner Hotels wahrgenommen. Am Mittwoch, dem 8. Dezember 2021, findet voraussichtlich die Wahl des Bundeskanzlers durch den Deutschen Bundestag gemäß Art. 63 Abs. 1 GG statt. Am Folgetag, dem 9. Dezember 2021, beginne um 9.00 Uhr die nächste Plenarsitzung des Deutschen Bundestages. Ferner finde am 10. Dezember 2021 eine „äußerst wichtige“ Sitzung der Fraktion der Beschwer­de­führer statt, in der die Mitgliedschaft der Abgeordneten in den Ausschüssen festgelegt werde. Wegen der geltenden sogenannten 2G-Regel in Berliner Beher­ber­gungs­be­trieben könnten sie nicht an den vorgenannten parla­men­ta­rischen Veranstaltungen teilnehmen. Die Beschwer­de­führer sehen sich insbesondere in ihrem Recht aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt.

BVerfG verweist auf Subsi­dia­ri­täts­grundsatz

Die Verfassungsbeschwerde hat keinen Erfolg. Die Beschwer­de­führer haben nicht genügend dargelegt, dass die Verfas­sungs­be­schwerde den Subsi­dia­ri­täts­grundsatz wahrt. Sie haben nicht hinreichend dazu vorgetragen, dass die Verfas­sungs­be­schwerde von allgemeiner Bedeutung ist oder ihnen ein schwerer und unabwendbarer Nachteil entstünde, falls sie zunächst auf die fachge­richtliche Kontrolle verwiesen werden würden. Die Beschwer­de­führer machen vorrangig geltend, an der Wahrnehmung ihrer Abgeord­ne­ten­rechte gehindert zu sein. Dass insoweit überhaupt gleichgelagerte Fälle existieren, ist nicht dargelegt oder in sonstiger Weise ersichtlich.

Rechts­ver­ordnung kann auch von Fachgerichten verworfen werden

Soweit von den Beschwer­de­führern die Erwartung geäußert wird, dass grundsätzliche verfas­sungs­rechtliche Fragen (über den Kreis der Abgeordneten hinaus) geklärt werden könnten, ist darauf hinzuweisen, dass sie sich gegen eine Rechts­ver­ord­nungsnorm wenden, die auch von den Fachgerichten verworfen werden kann. Unabhängig davon hängt die verfas­sungs­rechtliche Beurteilung der angegriffenen Norm nicht allein von spezifisch verfas­sungs­recht­lichen Fragen ab. Für sie sind vielmehr auch tatsächliche Bewertungen der Entwicklung der Pandemie, der von verschiedenen Personengruppen ausgehenden Infek­ti­o­ns­risiken und der ergriffenen und möglichen Schutzmaßnahmen von wesentlicher Bedeutung. Daher ist die fachge­richtliche Aufbereitung der Entschei­dungs­grundlagen vor einer Anrufung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts geboten.

Konkreten Angaben zu schweren und unabwendbaren Nachteilen fehlen

Überdies fehlt es dem Vortrag der Beschwer­de­führer an konkreten Angaben zu schweren und unabwendbaren Nachteilen, die ihnen bei einer Erschöpfung des Rechtsweges erwachsen sollen. Zum einen ist schon nicht ersichtlich, weshalb die Beschwer­de­führer nicht bis zum 8. Dezember 2021 fachge­richt­lichen Eilrechtsschutz erlangen können sollten. Zum anderen haben sie nicht substantiiert dargelegt, dass sie auch bei Ausschöpfung zumutbarer eigener Bemühungen gehindert wären, die von ihnen benannten parla­men­ta­rischen Verpflichtungen wahrzunehmen. Die Beschwer­de­führer haben zum Teil nicht angegeben, wo sich ihr Wohnsitz befindet und welcher Zeitaufwand erforderlich wäre, um bei einer Anreise von ihrem Wohnsitz an den Sitzungen des Deutschen Bundestages teilnehmen zu können. Ferner haben sie nicht dazu vorgetragen, inwieweit sie auf die Nutzung von Unter­kunfts­mög­lich­keiten in Berlin angewiesen sind, um ihr Mandat im fraglichen Zeitraum wahrnehmen zu können.

Ausnahme von der 2G-Regel als Möglichkeit

Gemäß § 16 Abs. 2 Nr. 1 der Zweiten Verordnung über befristete Eindäm­mungs­maß­nahmen aufgrund des SARS-CoV-2-Virus und COVID-19 im Land Brandenburg vom 23. November 2021 gilt dort für Beherbergungen zu geschäftlichen oder dienstlichen Zwecken eine Ausnahme von der 2G-Regel. Vor diesem Hintergrund kann nicht davon ausgegangen werden, dass den Beschwer­de­führern keine Möglichkeiten zur Verfügung standen, den geltend gemachten Nachteil auf zumutbare Weise abzuwenden.

Auch Verletzung von Grundrechten nicht hinreichend dargelegt

Die Beschwer­de­füh­renden haben auch eine Verletzung von Grundrechten oder grund­rechts­gleichen Rechten nicht hinreichend dargelegt. Das in Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG verbürgte freie Mandat gewährleistet den Abgeordneten zwar alle für die Ausübung ihres Mandats wesentlichen Befugnisse. Dazu gehören umfangreiche Statusrechte der Abgeordneten, insbesondere Rede-, Stimm-, Initiativ-, Frage- und Infor­ma­ti­o­ns­rechte, sowie das Recht auf gleiche Teilhabe an der parla­men­ta­rischen Willensbildung. Die Beschwer­de­führer setzen sich allerdings nicht damit auseinander, inwieweit die angegriffene Rechts­ver­ord­nungsnorm des Landes Berlin in ihre Indivi­du­a­l­rechte eingreift. Die Regelung ist nicht auf eine Beschränkung der durch das freie Mandat des Abgeordneten gewährleisteten Rechte gerichtet. Insoweit liegt kein unmittelbarer Eingriff in den Schutzgehalt der Norm vor.

Sachvortrag zu Grund­recht­s­eingriff unzureichend

Zwar schützt Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG als Teil der Ausübung des freien Mandates auch die tatsächliche Möglichkeit, an den Sitzungen des Deutschen Bundestages teilzunehmen. Gemäß Art. 48 Abs. 2 Satz 1 GG darf niemand gehindert werden, das Amt eines Angeordneten auszuüben. Der Anwen­dungs­bereich des Art. 48 Abs. 2 GG wird aber nur durch ein Verhalten berührt, das die Übernahme oder Ausübung des Abgeord­ne­ten­mandats erschweren oder unmöglich machen soll, nicht aber durch eine Regelung, die in eine andere Richtung zielt und nur unver­meid­li­cherweise die tatsächliche Folge oder Wirkung einer Beein­träch­tigung der Freiheit der Mandats­übernahme und -ausübung hat. Vor diesem Hintergrund hätten die Beschwer­de­führer sich dazu verhalten müssen, inwieweit die angegriffene Norm überhaupt einen mit der Verfas­sungs­be­schwerde rügefähigen Eingriff in den Schutzgehalt von Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG darstellt. Dem trägt ihr Sachvortrag unzureichend Rechnung.

Quelle: Bundesverfassungsgericht, ra-online (pm/ab)

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