21.11.2024
21.11.2024  
Sie sehen das Schild des Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.

Dokument-Nr. 10650

Drucken
Beschluss09.11.2010Bundesverfassungsgericht2 BvR 2101/09
passende Fundstellen in der Fachliteratur:
  • CR 2011, 30Zeitschrift: Computer und Recht (CR), Jahrgang: 2011, Seite: 30
  • DÖV 2011, 162Zeitschrift: Die Öffentliche Verwaltung (DÖV), Jahrgang: 2011, Seite: 162
  • DStRE 2011, 60Zeitschrift: Deutsches Steuerrecht (DStRE), Jahrgang: 2011, Seite: 60
  • NJW 2011, 2417Zeitschrift: Neue Juristische Wochenschrift (NJW), Jahrgang: 2011, Seite: 2417
  • NStZ 2011, 103Neue Zeitschrift für Strafrecht (NStZ), Jahrgang: 2011, Seite: 103
Für Details Fundstelle bitte Anklicken!
ergänzende Informationen

Bundesverfassungsgericht Beschluss09.11.2010

BVerfG: Auf Liechtensteiner "Steuer-CD" gestützte Wohnungs­durchsuchung nicht verfas­sungs­widrigVerwendung der Daten berührt nicht absoluten Kernbereich privater Lebens­ge­staltung und verletzt somit nicht das Grundrecht auf Unver­letz­lichkeit der Wohnung

Der für eine Wohnungs­durchsuchung erforderliche Anfangsverdacht kann ohne Verfas­sungs­verstoß auf Daten gestützt werden, die ein Informant aus Liechtenstein auf einem Datenträger an die Bundesrepublik Deutschland verkauft hat. Dies entschied das Bundes­verfassungs­gericht.

Gegen die Beschwer­de­führer wird wegen des Verdachts der Einkom­men­steu­er­hin­ter­ziehung in den Veran­la­gungs­zeit­räumen 2002 bis 2006 ermittelt. Das Amtsgericht ordnete die Durchsuchung der Wohnung der Beschwer­de­führer an. Den erforderlichen Anfangsverdacht stützte es darauf, dass im Rahmen der Ermittlungen gegen einen Liechtensteiner Treuhänder bekannt geworden sei, dass die Beschwer­de­führer über Vermö­gens­anlagen in Liechtenstein verfügten. Aus diesem Vermögen seien Kapitalerträge nicht erklärt und dadurch voraussichtlich Steuern in den Jahren 2002 bis 2006 zwischen 16.390 Euro und 24.270 Euro verkürzt worden.

Daten aus Liechtenstein wurden Steuerfahndung im Wege der Amtshilfe durch BND zur Verfügung gestellt

Auf Antrag der Beschwer­de­führer gewährte die Staats­an­walt­schaft ihnen Akteneinsicht in die bei ihr vorhandenen Ermitt­lungsakten und teilte mit, dass die Daten aus Liechtenstein der Steuerfahndung im Wege der Amtshilfe durch den Bundes­nach­rich­ten­dienst zur Verfügung gestellt worden seien. Eine Einsichtnahme in das Sicher­stel­lungs­ver­zeichnis bezüglich des Datenträgers und in Protokolle über die Vernehmung des Informanten könne nicht gewährt werden, da diese Unterlagen bei den Ermitt­lungs­be­hörden nicht vorhanden seien.

Beschwer­de­führer halten Daten für unverwertbar

Die Beschwer­de­führer legten gegen die Durch­su­chungs­a­n­ordnung Beschwerde ein, die sie damit begründeten, dass die der Durchsuchung zugrunde liegenden Erkenntnisse unverwertbar seien, da die Erhebung der verfah­rens­ge­gen­ständ­lichen Daten gegen das Völkerrecht und deren Verwendung gegen inner­staat­liches Recht verstoße.

Aus möglicher Verletzung eines völker­recht­lichen Vertrages ergibt sich kein Verwer­tungs­verbot

Das Landgericht verwarf die Beschwerden als unbegründet. Der für die Durchsuchung erforderliche Tatverdacht dürfe auf die strittigen Daten gestützt werden. Ein Beweisverwertungsverbot bestehe selbst dann nicht, wenn bei der Daten­be­schaffung nach inner­staat­lichem Recht rechtswidrig oder gar strafbar gehandelt worden sein sollte. Auch wenn völker­rechtliche Übereinkommen umgangen worden sein sollten, sei dies unschädlich, weil sich aus der Verletzung eines völker­recht­lichen Vertrages, der keine persönlichen Rechte gewähre, kein Verwer­tungs­verbot ergebe.

Beschwer­de­führer fühlen sich in Grundrechten verletzt

Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügen die Beschwer­de­führer die Verletzung ihrer Rechte auf ein faires, rechts­s­taat­liches Verfahren, ihres Grundrechts auf Unver­letz­lichkeit der Wohnung in Verbindung mit dem Rechts­s­taats­prinzip und der Rechts­schutz­ga­rantie sowie ihres verfas­sungs­recht­lichen Anspruchs auf rechtliches Gehör.

BVerfG: Beschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat die Verfas­sungs­be­schwerde nicht zur Entscheidung angenommen, weil sie teilweise unzulässig ist und im Übrigen keine Aussicht auf Erfolg hat.

Aufklärung des Sachverhalts hinsichtlich der Beschaffung der Datenträger wurde von Beschwer­de­führern nicht verlangt

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde: Soweit die Beschwer­de­führer beanstanden, das Gericht hätte aufklären müssen, wie die Straf­ver­fol­gungs­be­hörden in den Besitz der Daten gelangt seien und welche Rolle der Bundes­nach­rich­ten­dienst dabei gespielt habe, ist ihre Verfas­sungs­be­schwerde unzulässig. Die Beschwer­de­führer haben im fachge­richt­lichen Verfahren weder ausdrücklich noch konkludent von den Straf­ver­fol­gungs­be­hörden verlangt, den Sachverhalt in Bezug auf die Beschaffung der Datenträger aufzuklären, sondern lediglich die Einsicht in die bei den Straf­ver­fol­gungs­be­hörden befindlichen Unterlagen begehrt. Damit haben sie den Fachgerichten die Möglichkeit genommen, dazu Stellung zu nehmen oder die entsprechenden Ermittlungen anzustellen, so dass sie mit dieser Rüge im Verfas­sungs­be­schwer­de­ver­fahren nicht gehört werden können.

Grundrecht auf Unver­letz­lichkeit der Wohnung nicht verletzt

Im Übrigen ist die Verfas­sungs­be­schwerde unbegründet. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen die Beschwer­de­führer nicht in ihrem Grundrecht auf Unver­letz­lichkeit der Wohnung aus Art. 13 Abs. 1 GG. Es ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, dass die Fachgerichte den für die Durchsuchung erforderlichen Anfangsverdacht auch auf die Erkenntnisse der Daten aus Liechtenstein gestützt haben.

Zulässigkeit der Verwertung der aus Liechtenstein stammenden Daten

Bei der Frage, ob die aus Liechtenstein stammenden Daten für die Annahme eines hinreichenden Tatverdachts für eine straf­pro­zessuale Durchsuchung zugrunde gelegt werden dürfen, geht es nicht um die unmittelbare Geltung eines Beweis­ver­wer­tungs­verbotes, denn dieses betrifft grundsätzlich lediglich die unmittelbare Verwertung von rechtswidrig erlangten Beweismitteln im Strafverfahren zur Feststellung der Schuldfrage. Ob und inwieweit Tatsachen, die einem Beweis­ver­wer­tungs­verbot unterliegen, zur Begründung eines Anfangs­ver­dachts einer Durchsuchung herangezogen werden dürfen, betrifft vielmehr die Vorauswirkung von Verwer­tungs­verboten und gehört in den größeren Zusammenhang der Fernwirkung von Beweis­ver­wer­tungs­verboten. Insoweit ist anerkannt, dass Verfah­rens­fehlern, die ein Verwer­tungs­verbot für ein Beweismittel zur Folge haben, nicht ohne weiteres Fernwirkung für das gesamte Strafverfahren zukommt.

Im Fall einer rechts­feh­ler­haften Beweiserhebung muss Verwertung gewonnener Beweise dennoch nicht unzulässig sein

Unabhängig davon besteht von Verfassungs wegen kein Rechtssatz des Inhalts, dass im Fall einer rechts­feh­ler­haften Beweiserhebung die Verwertung der gewonnen Beweise stets unzulässig wäre. Die Beurteilung der Frage, welche Folgen ein möglicher Verstoß gegen straf­pro­zessuale Verfah­rens­vor­schriften hat und ob hierzu insbesondere ein Beweis­ver­wer­tungs­verbot zählt, obliegt in erster Linie den zuständigen Fachgerichten und ist nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Art des Verbots und dem Gewicht des Verstoßes unter Abwägung der wider­strei­tenden Interessen zu entscheiden.

Unzulässigkeit einer Beweiserhebung führt nicht ohne weiteres zu Beweis­ver­wer­tungs­verbot

Die Unzulässigkeit oder Rechts­wid­rigkeit einer Beweiserhebung führt nach Auffassung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts nicht ohne weiteres zu einem Beweis­ver­wer­tungs­verbot. Dies gilt auch für Fälle einer fehlerhaften Durchsuchung. Ein Beweis­ver­wer­tungs­verbot ist von Verfassungs wegen aber zumindest bei schwerwiegenden, bewussten oder willkürlichen Verfah­rens­ver­stößen, bei denen die grund­recht­lichen Sicherungen planmäßig oder systematisch außer acht gelassen worden sind, geboten. Ein absolutes Beweis­ver­wer­tungs­verbot unmittelbar aus den Grundrechten hat das Bundes­ver­fas­sungs­gericht nur in den Fällen anerkannt, in denen der absolute Kernbereich privater Lebens­ge­staltung berührt ist.

Verwendung der Daten betreffen nur geschäftliche Kontakte mit Kredi­t­in­stituten und berühren nicht Kernbereich privater Lebens­ge­staltung

Vor diesem Hintergrund sind die angegriffenen Entscheidungen nicht zu beanstanden. Es bedarf keiner abschließenden Entscheidung, ob und inwieweit Amtsträger bei der Beschaffung der Daten nach inner­staat­lichem Recht rechtswidrig oder gar strafbar gehandelt oder gegen völker­rechtliche Übereinkommen verstoßen haben. Denn die Gerichte haben für ihre Bewertung, ob die Daten einem für die Durchsuchung erforderlichen Anfangsverdacht nicht zugrunde gelegt werden dürfen, solche Verstöße unterstellt. Soweit die angegriffenen Entscheidungen nach Abwägung der verschiedenen Interessen zu dem Ergebnis gelangen, dass die Daten aus Liechtenstein verwendet werden dürfen, um den Anfangsverdacht für die Durchsuchung zu begründen, ist dies nachvollziehbar und lässt eine verfas­sungs­rechtlich relevante Fehlgewichtung nicht erkennen. Die Verwendung der Daten berührt nicht den absoluten Kernbereich privater Lebens­ge­staltung. Diese betreffen lediglich geschäftliche Kontakte der Beschwer­de­führer mit Kredi­t­in­stituten. Des weiteren sind Beweismittel, die von Privaten erlangt wurden, selbst wenn dies in strafbewehrter Weise erfolgte, grundsätzlich verwertbar, so dass allein von dem Informanten begangene Straftaten bei der Beurteilung eines möglichen Verwer­tungs­verbotes von vornherein nicht berücksichtigt werden müssen.

BND hat Daten im Wege der Amtshilfe lediglich entge­gen­ge­nommen und weitergeleitet, jedoch nicht Herstellung, Beschaffung oder Erfassung veranlasst

Auch die tatsächliche und rechtliche Beurteilung der Gerichte, dass eine von den Beschwer­de­führern gerügte Verletzung des Trennungsgebots ausscheide, ist nicht zu beanstanden. Dieses Gebot besagt, dass Geheimdienste keine polizeilichen Zwangs­be­fugnisse besitzen, also keine Vernehmungen, Durchsuchungen, Beschlagnahmen durchführen und somit nicht zur gezielten Erlangung von Zufallsfunden für nicht­nach­rich­ten­dienstliche Zwecke eingesetzt werden dürfen. Die Gerichte sind davon ausgegangen, dass der Bundes­nach­rich­ten­dienst die Daten im Wege der Amtshilfe lediglich entge­gen­ge­nommen und weitergeleitet, nicht aber ihre Herstellung, Beschaffung oder Erfassung veranlasst habe, sondern sich der Informant von sich aus an den Bundes­nach­rich­ten­dienst gewandt habe. Die entge­gen­stehende Behauptung der Beschwer­de­führer, der Bundes­nach­rich­ten­dienst sei nur eingeschaltet worden, um dessen besondere Möglichkeiten auszunutzen, ist durch nichts belegt. Schließlich ist nicht erkennbar, dass es sich bei den unterstellten Rechts­ver­let­zungen um schwerwiegende, bewusste oder willkürliche Verfah­rens­verstöße handelt, bei denen die grund­recht­lichen Sicherungen planmäßig oder systematisch außer acht gelassen worden sind.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

Nicht gefunden, was Sie gesucht haben?

Urteile sind im Originaltext meist sehr umfangreich und kompliziert formuliert. Damit sie auch für Nichtjuristen verständlich werden, fasst urteile.news alle Entscheidungen auf die wesentlichen Kernaussagen zusammen. Wenn Sie den vollständigen Urteilstext benötigen, können Sie diesen beim jeweiligen Gericht anfordern.

Wenn Sie einen Link auf diese Entscheidung setzen möchten, empfehlen wir Ihnen folgende Adresse zu verwenden: https://urteile.news/Beschluss10650

Bitte beachten Sie, dass im Gegensatz zum Verlinken für das Kopieren einzelner Inhalte eine explizite Genehmigung der ra-online GmbH erforderlich ist.

Die Redaktion von urteile.news arbeitet mit größter Sorgfalt bei der Zusammenstellung von interessanten Urteilsmeldungen. Dennoch kann keine Gewähr für Richtigkeit und Vollständigkeit der über uns verbreiteten Inhalte gegeben werden. Insbesondere kann urteile.news nicht die Rechtsberatung durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt in einem konkreten Fall ersetzen.

Bei technischen Problemen kontaktieren Sie uns bitte über dieses Formular.

VILI