18.10.2024
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Bundesverfassungsgericht Urteil05.02.2004

Streichung der zehnjährigen Höchstgrenze bei einer erstmalig angeordneten Siche­rungs­ver­wahrung

Der Zweite Senat des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts hat die Verfas­sungs­be­schwerde eines Straftäters zurückgewiesen, der über die früher gesetzlich geregelte Höchstgrenze von zehn Jahren hinaus in der Siche­rungs­ver­wahrung untergebracht ist. Ohne die von dem Beschwer­de­führer angegriffene Neuregelung wäre er im Jahr 2001 wegen Ablaufs der Zehnjahresfrist aus dem Maßregelvollzug zu entlassen gewesen.

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht stellt in dieser Entscheidung nicht nur fest, dass die Rechtsgrundlage zur Streichung der zehnjährigen Höchstgrenze mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Vielmehr enthält die Entscheidung grundlegende Aussagen zur Vereinbarkeit der Sicherungsverwahrung in ihrer gegenwärtigen Ausgestaltung mit der Garantie der Menschenwürde und dem Freiheits­grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 GG.

Sachverhalt

Der Straftäter ist über die frühere Höchstgrenze von zehn Jahren hinaus in der Siche­rungs­ver­wahrung untergebracht. Rechtsgrundlage ist das Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26. Januar 1998. Mit diesem Gesetz wurde die früher im Strafgesetzbuch vorgesehene Höchstgrenze von zehn Jahren bei einer erstmalig angeordneten Siche­rungs­ver­wahrung ersatzlos gestrichen. Diese Neuregelung ist uneingeschränkt auf alle angeordneten und noch nicht erledigten Fälle der Siche­rungs­ver­wahrung anzuwenden. Damit betrifft sie auch Straftäter, die bei ihrer Verurteilung noch mit einem sicheren Ende der angeordneten Maßregel nach zehn Jahren rechnen konnten.

Der Beschwer­de­führer (Bf) ist wegen schwerer Verbrechen vielfach vorbestraft und befand sich seit seinem 15. Lebensjahr nur wenige Monate in Freiheit. Zuletzt wurde er 1986 wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit Raub zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Zugleich wurde seine Unterbringung in der Siche­rungs­ver­wahrung angeordnet. Zum Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens der Neuregelung befand er sich im Vollzug der Siche­rungs­ver­wahrung und wäre ohne sie zwingend nach Ablauf einer zehnjährigen Unterbringung aus der Siche­rungs­ver­wahrung zu entlassen gewesen. Die Straf­voll­stre­ckungs­kammer lehnte es im Fall des Bf im Jahr 2001 ab, die angeordnete Siche­rungs­ver­wahrung für erledigt zu erklären. Der Bf blieb mit seinem Rechtsmittel erfolglos. Hiergegen richtet sich seine Vb. Er rügt insbesondere, die Neuregelung verstoße gegen das Rückwirkungsverbot aus Art. 103 Abs. 2 GG. Danach kann eine Tat nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. Die Neuregelung sei weiter mit dem allgemeinen Rückwir­kungs­verbot nicht vereinbar. Außerdem hält der Bf die langjährige, gesetzlich nicht befristete Siche­rungs­ver­wahrung für unver­hält­nismäßig und ungleich härter als die lebenslange Freiheitsstrafe.

Zu dem Verfahren haben bisher die Bundesregierung, der Bundes­ge­richtshof, der General­bun­des­anwalt, das Bayerische Staats­mi­nis­terium der Justiz, die Nieder­säch­sische Landesregierung sowie die Hessische Staatskanzlei Stellung genommen.

Entscheidungsgründe

1. Die Unterbringung in der Siche­rungs­ver­wahrung ohne gesetzlich geregelte Höchstgrenze verstößt nicht gegen die Garantie der Menschenwürde. Die Menschenwürde wird auch durch eine lang dauernde Unterbringung in der Siche­rungs­ver­wahrung nicht verletzt, wenn diese wegen fortdauernder Gefährlichkeit des Untergebrachten erforderlich ist. Die vom Grundgesetz vorgegebene Gemein­schafts­be­zo­genheit und Gemein­schafts­ge­bun­denheit des Individuums rechtfertigen es, unabdingbare Maßnahmen zu ergreifen, um wesentliche Gemein­schaftsgüter vor Schaden zu bewahren. Es ist der staatlichen Gemeinschaft nicht verwehrt, sich gegen gefährliche Straftäter durch Freiheitsentzug zu sichern. Erforderlich ist aber auch in diesen Fällen, die Eigen­stän­digkeit des Untergebrachten zu wahren, seine Würde zu achten und zu schützen. Daher muss die Siche­rungs­ver­wahrung ebenso wie der Freiheitsentzug darauf ausgerichtet sein, die Voraussetzungen für ein verant­wort­liches Leben in Freiheit zu schaffen.

Diesem Maßstab genügt die Siche­rungs­ver­wahrung in ihrer gegenwärtigen Ausgestaltung. Die Garantie der Menschenwürde gebietet es nicht, schon bei der Anordnung der Siche­rungs­ver­wahrung wegen fortdauernder Gefährlichkeit oder zu einem späteren Überprü­fungs­zeitpunkt über den voraus­sicht­lichen Entlas­sungs­zeitpunkt im vorhinein verbindlich zu entscheiden. Denn die Prognose einer Gefahr ist immer nur in der Gegenwart für die Zukunft möglich. Wie lange diese Gefahr fortbestehen wird, hängt von zukünftigen, nicht sicher vorhersehbaren Entwicklungen ab. In jedem Vollzugsstadium der Maßregel wird überprüft, ob der Betroffene freigelassen werden kann. Die wiederkehrenden Überprüfungen von Aussetzungs- und Erledi­gungsreife der Siche­rungs­ver­wahrung gewährleisten dem Betroffenen die angemessene Rechts­si­cherheit auch in verfah­rens­mäßiger Hinsicht.

Die Siche­rungs­ver­wahrung ist in ihrer gesetzlichen und tatsächlichen Ausgestaltung auf Resozi­a­li­sierung ausgerichtet. Dieses Vollzugsziel sowie die Verpflichtung, möglichen Haftschäden entgegen zu wirken, gelten auch für die Verwahrten. So sollen etwa nach dem Straf­voll­zugs­gesetz neben den allgemeinen Hafter­leich­te­rungen privilegierte Haftbedingungen zu einer sinnvollen Lebens­ge­staltung des Verwahrten beitragen. In der Vollzugspraxis handelt es sich nach den Angaben der Landes­re­gie­rungen auch nicht um einen reinen Verwahrvollzug gefährlicher Straftäter.

2. Ein Verstoß gegen das Freiheits­grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG liegt ebenfalls nicht vor. Die Siche­rungs­ver­wahrung stellt unter Berück­sich­tigung der nachfolgenden Erwägungen eine verfas­sungs­konforme Grund­recht­s­ein­schränkung dar.

Mit der möglicherweise lebenslangen Siche­rungs­ver­wahrung verbindet sich zwar ein schwerwiegender Grund­recht­s­eingriff. Er verstößt jedoch nicht gegen die Wesens­ge­halts­ga­rantie, weil die Neuregelung die Fortdauer des Maßre­gel­vollzugs nach Ablauf von zehn Jahren nur erlaubt, wenn er dazu dient, schwere Schäden an der seelischen oder körperlichen Integrität potentieller Opfer zu verhindern.

Die Neuregelung genügt den Anforderungen des Grundsatzes der Verhält­nis­mä­ßigkeit. Der Beurtei­lungs­spielraum des Gesetzgebers hinsichtlich der Eignung und Erfor­der­lichkeit des von ihm gewählten Mittels sowie der dabei notwendigen Einschätzung und Prognose des Gefah­ren­po­tentials ist vom Bundes­ver­fas­sungs­gericht nur begrenzt überprüfbar. Die Progno­seun­si­cher­heiten im Zusammenhang mit der Unterbringung wirken sich auf die Minde­st­an­for­de­rungen an Progno­se­gut­achten und deren Bewertung im Zusammenhang mit dem Übermaßverbot aus, beseitigen aber weder die Eignung noch die Erfor­der­lichkeit des Freiheits­ein­griffs. Im übrigen hat sich in der Praxis der forensischen Psychiatrie das Wissen um die Risikofaktoren in den letzten Jahren erheblich verbessert. Gerade für die seltenen Fälle hochgradiger Gefährlichkeit bildet sie eine taugliche Entschei­dungs­grundlage. Der Freiheitsentzug muss zumutbar bleiben, um eine übermäßige Belastung zu vermeiden. Das Freiheits­grundrecht des Betroffenen ist sowohl auf der Ebene des Verfah­rens­rechts als auch materiell abzusichern.

Diesen materiellen Anforderungen des Übermaßverbots kommt der Gesetzgeber nach, indem er für die Fortdauer der Siche­rungs­ver­wahrung nach Ablauf von zehn Jahren deutlich engere Voraussetzungen vorsieht als die vorangegangenen Entscheidungen über Anordnung, Vollstreckung und Aussetzung der Maßregel. Zum einen stellt die Neuregelung erhöhte Anforderungen an das bedrohte Rechtsgut und die drohenden Straftaten. Sie bleibt im Ergebnis auf schwere Sexual- und Gewalttäter beschränkt. Zum anderen begründet sie ein Regel-Ausnahme-Verhältnis. Nach der gesetzlichen Neuregelung hat sich die Gefährlichkeit nach Ablauf von zehn Jahren regelmäßig erledigt. Eine Fortsetzung der Maßregel jenseits dieser Grenze kommt nur als ultima ratio bei demjenigen in Betracht, dessen nunmehr vermutete Ungefähr­lichkeit positiv widerlegt ist. Verfah­rens­rechtlich ist den Anforderungen des Übermaßverbots ebenfalls Genüge getan. Der Gesetzgeber hat ein System regelmäßiger Überprüfung von Aussetzungs- und Erledi­gungsreife sowie die Voraussetzungen für eine sorgfältige Aufklärung der Progno­se­grundlagen geschaffen. Bei Anwendung dieser Vorschriften muss der Richter jedoch bestimmten Sorgfalts­an­for­de­rungen genügen, um dem Übermaßverbot zu entsprechen. Insbesondere hat sich die Entscheidung über die Fortdauer der Siche­rungs­ver­wahrung auf ein Sachver­stän­di­gen­gut­achten zu stützen, das dem Ausnah­me­cha­rakter dieser Entscheidung gerecht wird. Wiederholende Routi­ne­be­ur­tei­lungen sind zu vermeiden. Deshalb muss der Richter den Gutachter sorgfältig auswählen und kontrollieren. Diese Kontrolle muss das Progno­se­er­gebnis und die Qualität der gesamten Progno­se­stellung umfassen. Neben dem Gebot der Transparenz gilt für das psychiatrische Progno­se­gut­achten das Gebot hinreichend breiter Prognosebasis. Für die Prognosebasis besitzen Vollzugs­lo­cke­rungen besondere Bedeutung. Deshalb darf sich das Vollstre­ckungs­gericht nicht damit abfinden, dass die Vollzugsbehörde ohne hinreichenden Grund Vollzugs­lo­cke­rungen versagt hat, welche die Erledigung der Maßregel vorbereiten können. Schließlich ist der besondere Charakter der Siche­rungs­ver­wahrung auch im Rahmen der Maßre­gel­voll­streckung zu berücksichtigen. Zwar rechtfertigen stichhaltige Gründe eine partielle Übereinstimmung des Vollzugs der Siche­rungs­ver­wahrung mit dem der Strafe. Jedoch haben die Landes­jus­tiz­ver­wal­tungen die gesetzlichen Möglichkeiten der Besserstellung im Vollzug soweit auszuschöpfen, wie sich dies mit den Belangen der Justiz­voll­zugs­an­stalten verträgt.

3. Das absolute Rückwir­kungs­verbot des Art.103 Abs.2 GG ist nicht verletzt. Dieses umfasst die Maßregeln der Besserung und Sicherung des Straf­ge­setzbuchs nicht.

Der Anwen­dungs­bereich des absoluten Rückwir­kungs­verbots ist auf staatliche Maßnahmen beschränkt, die rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten hoheitlich missbilligen und wegen dieses Verhaltens ein schuld­aus­glei­chendes Übel verhängen. Neben der Entste­hungs­ge­schichte der Verfassungsnorm bestätigen dies systematische sowie am Gesetzeszweck orientierte Überlegungen: Das absolute Rückwir­kungs­verbot des Art. 103 Abs. 2 GG ist in der Menschen­wür­de­ga­rantie und im Schuldprinzip verankert. Der strafrechtliche Schuldvorwurf setzt voraus, dass der Maßstab der Entscheidung von vornherein gesetzlich festgelegt ist. Nur wer diesen Maßstab kennen und sich auf die Rechtsfolgen seines Tuns einstellen kann, ist verant­wort­liches Subjekt. Der Bürger soll die Grenzen des straffreien Raumes klar erkennen, um sein Verhalten daran auszurichten. Der Staat darf die Bewertung des Unrechtsgehalts einer Tat nicht nachträglich zum Nachteil des Täters ändern. Diesem Normzweck dient die Siche­rungs­ver­wahrung nicht. Sie ist im Gegensatz zur Freiheitsstrafe weder mit der Missbilligung vorwerfbaren Verhaltens verknüpft noch bezweckt sie den Ausgleich straf­recht­licher Schuld. Sie zielt vielmehr ausschließlich auf die Verhütung künftiger Rechtsbrüche. Auch Gemeinsamkeiten von Strafe und Siche­rungs­ver­wahrung in der gesetzlichen Ausgestaltung führen nicht dazu, die Siche­rungs­ver­wahrung als Bestrafen einer Tat im Sinne des absoluten Rückwir­kungs­verbots einzuordnen. Die Parallelen zwischen Strafe und Siche­rungs­ver­wahrung beruhen insbesondere darauf, dass im modernen Strafrecht auch die Strafe im Rahmen angemessenen Schuld­aus­gleichs auf Spezi­a­l­prä­vention zielt. Dieser Umstand wirkt sich jedoch nicht auf die Qualität der Siche­rungs­ver­wahrung als eines reinen Siche­rungs­in­stru­mentes aus. Ebenso wenig kommt der Maßregel repressive Funktion wegen Ähnlichkeiten in der Ausgestaltung des Vollzugs von Siche­rungs­ver­wahrung und Freiheitsstrafe zu.

4. Die Neuregelung ist auch mit dem rechts­s­taat­lichen Vertrau­ens­schutzgebot nach Art. 2 Abs. 2 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG vereinbar. Es handelt sich um eine zulässige tatbestandliche Rückanknüpfung.

Die Verlässlichkeit der Rechtsordnung ist eine Grundbedingung freiheitlicher Verfassungen. Es bedarf deshalb einer besonderen Rechtfertigung, wenn der Gesetzgeber die Rechtsfolgen eines der Vergangenheit zugehörigen Verhaltens nachträglich belastend ändert. Der Vergan­gen­heitsbezug der Neuregelung ergibt sich daraus, dass sie auch Fälle betrifft, in denen die Siche­rungs­ver­wahrung vor Verkündung der Neuregelung erstmalig angeordnet worden ist. Der Wegfall der Höchstfrist wirkt aber nicht auf einen Zeitpunkt vor Inkrafttreten der Neuregelung zurück und ändert keinen abgeschlossenen Sachverhalt. Denn die Anordnung der Siche­rungs­ver­wahrung hing schon nach altem Recht nicht von den Umständen zum Zeitpunkt der Anlasstat, sondern von den Gegebenheiten zum Urteils­zeitpunkt ab. Ebenso wenig ändert die Neuregelung die im Strafurteil rechtskräftig festgesetzten Rechtsfolgen zum Nachteil des Betroffenen. Die Zehnjahresfrist war nicht Bestandteil des unter alter Rechtslage ergangenen Strafurteils, wurde also nicht rechtskräftig. Die Neuregelung erfasst ausschließlich Personen, gegen die die Maßregel bei In-Kraft-Treten der Norm noch vollstreckt wurde. Bei diesen Personen hängt der Eintritt der neu geregelten Rechtsfolge auch von Umständen ab, die erst später eingetreten sind, so insbesondere dem Vollzugs­ver­halten. Die Entscheidung über die Erledigung beruht mithin auf einem Sachverhalt, der weder zum Zeitpunkt der Tat noch zu dem des Urteils oder des In-Kraft-Tretens der Neuregelung abgeschlossen war.

Die Schutz­wür­digkeit des Vertrauens auf den Fortbestand der bisherigen Zehnjah­res­grenze stand nach den Regelungen zur zeitlichen Geltung des Straf­ge­setzbuchs (§ 2 Abs. 6 StGB) von Anfang an unter dem Vorbehalt einer gesetzlichen Änderung.

Die Bedeutung des gesetz­ge­be­rischen Anliegens für das Wohl der Allgemeinheit überwiegt das Vertrauen der Betroffenen auf den Fortbestand der alten Zehnjah­res­grenze. Der Staat hat die Aufgabe, die Grundrechte potentieller Opfer vor Verletzungen durch potentielle Straftäter zu schützen. Diese Schutzpflicht des Staates ist umso intensiver, je mehr die Gefährdung sich konkretisiert und indivi­du­a­lisiert und je stärker sie elementare Lebensbereiche betrifft. Es ist daher trotz des hohen Werts des Freiheits­grund­rechts verfas­sungs­rechtlich unbedenklich, die Neuregelung auch auf diejenigen Untergebrachten anzuwenden, bei denen die Siche­rungs­ver­wahrung vor der Geset­ze­s­än­derung angeordnet worden war. Die Entscheidung ist hinsichtlich der Vereinbarkeit mit dem rechts­s­taat­lichen Vertrau­ens­schutzgebot mit 6 zu 2 Stimmen ergangen.

Quelle: ra-online, Bundesverfassungsgericht

der Leitsatz

1. a) Die Menschenwürde wird auch durch eine langdauernde Unterbringung in der Siche­rungs­ver­wahrung nicht verletzt, wenn diese wegen fortdauernder Gefährlichkeit des Untergebrachten notwendig ist. Erforderlich ist aber auch in diesen Fällen, die Eigen­stän­digkeit des Untergebrachten zu wahren, seine Würde zu achten und zu schützen. Daher muss die Siche­rungs­ver­wahrung ebenso wie der Strafvollzug darauf ausgerichtet sein, die Voraussetzungen für ein verant­wort­liches Leben in Freiheit zu schaffen.

b) Für das Institut der Siche­rungs­ver­wahrung folgt aus Art. 1 Abs. 1 GG kein verfas­sungs­recht­liches Gebot, schon bei der Anordnung der Siche­rungs­ver­wahrung oder in einem späteren Überprü­fungs­zeitpunkt eine Höchstfrist des Vollzugs festzusetzen. Es ist nicht zu beanstanden, wenn der Gesetzgeber vorsieht, dass eine verbindliche Entscheidung über den voraus­sicht­lichen Entlas­sungs­zeitpunkt beim Siche­rungs­ver­wahrten nicht im Vorhinein getroffen wird.

2. a) Je länger die Unterbringung in der Siche­rungs­ver­wahrung andauert, umso strenger sind die Voraussetzungen für ihre Fortdauer.

b) Die Vorschrift des § 67 d Abs. 3 StGB trägt der verstärkten Geltung des Freiheits­an­spruchs nach zehnjähriger Verwahrdauer Rechnung, indem sie erhöhte Anforderungen an das bedrohte Rechtsgut und den Nachweis der Gefährlichkeit des Verwahrten stellt und nur ausnahmsweise die Fortsetzung der Vollstreckung gestattet.

c) Wegen der besonderen Bedeutung der Vollzugs­lo­cke­rungen für die Prognosebasis darf sich das Vollstre­ckungs­gericht nicht damit abfinden, dass die Vollzugsbehörde ohne hinreichenden Grund Vollzugs­lo­cke­rungen versagt, welche die Erledigung der Maßregel vorbereiten können.

d) Die Landes­jus­tiz­ver­wal­tungen haben dafür Sorge zu tragen, dass Möglichkeiten der Besserstellung im Vollzug der Siche­rungs­ver­wahrung soweit ausgeschöpft werden, wie sich dies mit den Belangen der Justiz­voll­zugs­an­stalten verträgt.

3. Der Anwen­dungs­bereich von Art. 103 Abs. 2 GG ist auf staatliche Maßnahmen beschränkt, die eine missbilligende hoheitliche Reaktion auf ein rechtswidriges, schuldhaftes Verhalten darstellen und wegen dieses Verhaltens ein Übel verhängen, das dem Schuldausgleich dient.

4. Der Wegfall der Höchstfrist für eine erstmalig angeordnete Siche­rungs­ver­wahrung und die Anwendbarkeit auf Straftäter, bei denen die Siche­rungs­ver­wahrung vor Verkündung und Inkrafttreten der Novelle angeordnet und noch nicht erledigt war, steht im Einklang mit dem rechts­s­taat­lichen Vertrau­ens­schutzgebot (Art. 2 Abs. 2 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG).

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