15.11.2024
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Dokument-Nr. 2092

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Bundesverfassungsgericht Beschluss16.03.2006

Erfolgreiche Verfas­sungs­be­schwerde gegen die Aufrecht­er­haltung von Unter­su­chungshaft

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat Beschlüsse, die die Fortdauer der Unter­su­chungshaft eines wegen Vergewaltigung an seiner Ehefrau angeklagten Türken angeordnet hatten, aufgehoben, weil sie das Freiheits­grundrecht des Angeklagten verletzen.

Der Beschwer­de­führer befindet sich seit einem Jahr und neun Monaten wegen des Verdachts der Vergewaltigung seiner Ehefrau in Untersuchungshaft. Nachdem das Landgericht Mannheim sechs Sitzungstage verhandelt hatte, verurteilte es den Beschwer­de­führer im Dezember 2004 wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körper­ver­letzung in fünf Fällen zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren. Zugleich beschloss es die weitere Fortdauer der Unter­su­chungshaft.

Auf die Revision des Beschwer­de­führers hin hob der Bundes­ge­richtshof im Oktober 2005 das Urteil des Landgerichts wegen eines Verfah­rens­fehlers auf und verwies die Sache an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurück. Termine zur Durchführung der erneuten Haupt­ver­handlung sind für März und April 2006 bestimmt.

Die Verfassungsbeschwerde des Beschwer­de­führers, mit der er sich gegen die Aufrecht­er­haltung der Unter­su­chungshaft wandte, war erfolgreich. Die 3. Kammer des Zweiten Senats hob die angegriffenen Haftfort­dau­e­r­be­schlüsse des Landgerichts und des Oberlan­des­ge­richts auf, da sie den Beschwer­de­führer in seinem Freiheits­grundrecht verletzten. Die Gerichte hätten sich bei der Entscheidung über die Fortdauer der Unter­su­chungshaft nicht hinreichend mit dem Umstand ausein­an­der­gesetzt, dass durch eine unzureichende Arbeits­er­le­digung im nicht­rich­ter­lichen Bereich, der vor allem Schreib- und Routinearbeiten betraf, erhebliche Verfah­rens­ver­zö­ge­rungen eingetreten sind. Dies sei wegen des Beschleu­ni­gungs­gebots in Haftsachen nicht hinnehmbar. Die Sache wurde zu erneuter Entscheidung an das Oberlan­des­gericht zurückverwiesen.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

Der wertsetzenden Bedeutung des Grundrechts der persönlichen Freiheit ist durch erhöhte Anforderungen an die Begrün­dungstiefe von Haftfort­dau­e­rent­schei­dungen Rechnung zu tragen. Die mit Haftsachen betrauten Gerichte haben sich bei der Entscheidung über die Fortdauer der Unter­su­chungshaft mit deren Voraussetzungen eingehend ausein­an­der­zu­setzen und diese entsprechend zu begründen. Diesen Anforderungen werden die angegriffenen Entscheidungen nicht gerecht. Folgende Faktoren hätten in die Abwägung einbezogen werden müssen:

Das Protokoll der Haupt­ver­handlung wurde erst mehr als zwei Wochen nach der schriftlichen Abfassung des Urteils fertig gestellt. Diese Verfah­rens­ver­zö­gerung ist von Belang, da das Urteil zuvor nicht zugestellt werden darf und sie sich daher auf die zügige Durchführung des Revisi­ons­ver­fahrens auswirkt. Hinzu tritt, dass die Zustellung des Urteils auch nach dem Vorliegen des fertig gestellten Protokolls erst drei Wochen später verfügt und diese Verfügung schließlich erst knapp zwei Wochen später ausgeführt wurde. Dass für Schreib- und Routinearbeiten in diesem Bereich mehr als sechs Wochen vergingen, ist kaum zu rechtfertigen. Die Organisation des Schreibdienstes und der Geschäfts­stellen sowie des Aktentransports hat dem Beschleu­ni­gungsgebot ebenfalls Rechnung zu tragen. Es kann nicht hingenommen werden, dass die von Verfassungs wegen gebotene zügige richterliche Bearbeitung durch eine unzureichende Arbeits­er­le­digung im nicht­rich­ter­lichen Bereich konterkariert wird.

Von Belang ist dieser Gesichtspunkt auch für den weiteren Verlauf des Revisi­ons­ver­fahrens. Die Verfügung, nach deren Inhalt die Akten nebst der Revisi­ons­be­gründung an die Staats­an­walt­schaft versandt werden sollten, wurde erst mehr als fünf Wochen später ausgeführt. Auch dies ist unter der Geltung des Beschleu­ni­gungs­gebots in Haftsachen nicht hinnehmbar.

Eine weitere Verfah­rens­ver­zö­gerung liegt darin, dass die dienstlichen Erklärungen der erkennenden Richter zu der schriftsätzlich erhobenen Verfahrensrüge erst über einen Monat später abgegeben wurden.

Schließlich hätten auch die Arbeitsabläufe im Rahmen der Zustellung des Beschlusses des Bundes­ge­richtshofes Anlass zur Prüfung geben müssen. Obwohl die Kanzlei­tä­tigkeit bereits abgeschlossen war, wurde der Beschluss erst neun Tage später versandt.

Allein diese Ursachen haben zu Verzögerungen von mehr als drei Monaten geführt, bei deren Vermeidung auch die erneute Durchführung der Haupt­ver­handlung hätte beschleunigt werden können. Das Oberlan­des­gericht hat unverzüglich unter Berück­sich­tigung der angeführten Gesichtspunkte erneut eine Entscheidung herbeizuführen. Dabei hat es zu berücksichtigen, dass das Bundes­ver­fas­sungs­gericht etwa bei einer Dauer der bisher vollzogenen Unter­su­chungshaft von fast 18 Monaten auch einer Verzögerung von fast sechs Wochen besonderes Gewicht beigemessen hat. Bezogen auf den vorliegenden Fall wiegen die dargestellten Verfah­rens­ver­zö­ge­rungen sogar noch schwerer.

Quelle: Pressemitteilung Nr. 21/06 des BVerfG vom 17.03.2006

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