26.10.2024
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Dokument-Nr. 34488

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Bundesverfassungsgericht Beschluss30.09.2024

Bundes­verfassungs­gericht stärkt Eilrechtsschutz für HäftlingeGrundrecht auf effektiven Rechtsschutz verletzt

Das Bundes­verfassungs­gericht hat der Verfassungs­beschwerde eines inhaftierten Beschwer­de­führers stattgegeben. Der angegriffene Beschluss eines Landgerichts in einem Eil­rechts­schutz­verfahren, der die Verlegung des Beschwer­de­führers in eine andere Justiz­vollzugs­anstalt betrifft, verletzt diesen in seinem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG). Das Bundes­verfassungs­gericht verwies die Sache wird an das Landgericht zurück.

Der Beschwer­de­führer befand sich zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe in einer Justiz­voll­zugs­anstalt. Gegen seine Verlegung in eine andere Justiz­voll­zugs­anstalt begehrte er Eilrechtsschutz und strengte ein Haupt­sa­che­ver­fahren an. Mit dem angegriffenen Beschluss wies das Landgericht den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz zurück. Der Beschwer­de­führer vermöge mit seinem Antrag nicht durchzudringen, weil dies einer Vorwegnahme der Hauptsache gleichkäme, die grundsätzlich unzulässig sei. Dass der Beschwer­de­führer sein Fernstudium aufgrund der Verlegung nicht fortführen könne, erschließe sich der Kammer nicht.

Verfas­sungs­be­schwerde ist überwiegend zulässig

Die gegen die Entscheidung des LG erhobene Verfassungsbeschwerde ist überwiegend zulässig und insoweit offensichtlich begründet. Der Beschluss verletzt den Beschwer­de­führer in seinem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG. Die Verfas­sungs­be­schwerde ist zulässig, soweit der Beschwer­de­führer Verletzungen des Willkürverbots, der Rechts­schutz­ga­rantie und des Rechts auf rechtliches Gehör geltend macht. Sie ist unzulässig, soweit der Beschwer­de­führer eine Verletzung seines Rechts auf Resozi­a­li­sierung rügt. Die insoweit geltend gemachte Grund­rechts­ver­letzung kann grundsätzlich im fachge­richt­lichen Haupt­sa­che­ver­fahren ausgeräumt werden.

Die angegriffene Entscheidung des LG verletzt den Beschwer­de­führer in seinem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG. Aus dieser grund­ge­setz­lichen Garantie folgt das Verfas­sungsgebot, soweit wie möglich zu verhindern, dass durch die sofortige Vollziehung einer hoheitlichen Maßnahme Tatsachen geschaffen werden, die auch dann, wenn sich die Maßnahme bei richterlicher Prüfung als rechtswidrig erweist, nicht mehr rückgängig gemacht werden können. Die Entscheidung des Landgerichts wird diesen verfas­sungs­recht­lichen Anforderungen nicht gerecht.

Keine Vorwegnahme der Hauptsache

Der Gesetzgeber differenziert bei der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes im Strafvollzug nach dem Gegenstand der Hauptsache. Er stellt in § 114 Abs. 2 Straf­voll­zugs­gesetz unter­schiedliche Voraussetzungen auf, je nachdem ob der Antragsteller sich gegen eine ihn belastende Maßnahme wendet oder die Verpflichtung zum Erlass einer von der Anstalt abgelehnten oder unterlassenen Maßnahme begehrt. Beantragt ein Gefangener Eilrechtsschutz gegen eine Verlegung, so geht es um die vorläufige Aussetzung einer ihn belastenden Maßnahme. Dies gilt auch dann, wenn die Verlegung – wie hier – bereits vollzogen wurde und der Antragsteller im Eilverfahren zugleich die Rückgän­gig­machung des Vollzugs dieser Maßnahme begehrt.

Die Straf­voll­stre­ckungs­kammer hat nicht klar zwischen den unter­schied­lichen Voraussetzungen bei belastenden oder abgelehnten beziehungsweise unterlassenen Maßnahmen unterschieden. Die Annahme des Gerichts, dass eine stattgebende Entscheidung die Hauptsache in unzulässiger Weise vorwegnehmen würde, ist nicht haltbar. Eine Vorwegnahme der Hauptsache liegt nicht vor, wenn die einstweilige Aussetzung einer Maßnahme begehrt wird, die bei entsprechendem Ausgang des Haupt­sa­che­ver­fahrens wieder in Geltung gesetzt werden kann. Die bloße Tatsache, dass die vorübergehende Aussetzung als solche nicht wieder rückgängig gemacht werden kann, macht die vorläufige Regelung nicht zu einer faktisch endgültigen.

Die Straf­voll­stre­ckungs­kammer hätte vielmehr prüfen müssen, ob die Gefahr besteht, dass die Verwirklichung eines Rechts des Beschwer­de­führers vereitelt oder wesentlich erschwert wird, und ob der Aussetzung ein höher zu bewertendes Interesse an dem sofortigen Vollzug nicht entgegensteht. Dabei kann auch eine Rolle spielen, ob nach einer summarischen Prüfung der Antragsteller mit seinem Rechtsbehelf in der Hauptsache voraussichtlich Erfolg haben wird. Indem das Gericht die danach erforderliche Inter­es­se­n­ab­wägung unterlassen hat, ist es den verfas­sungs­recht­lichen Anforderungen an einen effektiven vorläufigen Rechtsschutz nicht gerecht geworden. Vor dem Hintergrund des festgestellten Verfas­sungs­ver­stoßes kann offenbleiben, ob die Straf­voll­stre­ckungs­kammer auch einen Gehörsverstoß begangen hat. Hierfür spricht, dass die Bevollmächtigte des Beschwer­de­führers ausdrücklich auf dessen Schriftsatz verwiesen hat, in dem er im Einzelnen dargelegt hat, aus welchen Gründen er sein Fernstudium gegenwärtig nicht fortsetzen könne. Hierzu hat sich das Gericht überhaupt nicht verhalten.

Quelle: Bundesverfassungsgericht, ra-online (pm/ab)

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