15.11.2024
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Dokument-Nr. 24417

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Bundesverfassungsgericht Beschluss14.06.2017

Eilantrag der Grünen zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für gleich­geschlechtliche Paare erfolglosVerletzung des Gesetzes­initiativ­rechts nicht feststellbar

Das Bundes­verfassungs­gericht hat die Eilanträge der Bundes­tags­fraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN betreffend die Einführung des Rechts auf Eheschließung für gleich­geschlechtliche Paare abgelehnt. Die Anträge richten sich gegen die unterbliebene Beschluss­fassung über die entsprechenden Gesetzentwürfe durch den zuständigen Ausschuss des Deutschen Bundestages. Dem Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung steht nach der Entscheidung des Bundes­verfassungs­gerichts entgegen, dass die Hauptsache jedenfalls offensichtlich unbegründet wäre. Dem Vorbringen der Bundes­tags­fraktion ist eine missbräuchliche Handhabung des Gesetzes­initiativ­rechts und damit eine Verletzung des Befas­sungs­an­spruchs des Geset­ze­s­i­n­i­tianten nicht zu entnehmen.

Die Bundes­tags­fraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN (Antragstellerin) begehrt, den Ausschuss für Recht und Verbrau­cher­schutz des Deutschen Bundestages (Antragsgegner) im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, über drei weitgehend inhaltsgleiche Gesetzentwürfe der Antragstellerin, der Bundes­tags­fraktion DIE LINKE und des Bundesrates zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für gleichgeschlechtliche Paare so zeitnah, spätestens aber am 28. Juni 2017, zu beschließen, dass eine Beschluss­fassung des 18. Deutschen Bundestages hierüber in seiner letzten planmäßigen Sitzung am 30. Juni 2017 möglich ist.

Die Gesetzentwürfe liegen dem Antragsgegner als federführendem Ausschuss seit Dezember 2013, Juni 2015 beziehungsweise November 2016 vor. Danach wurde die Behandlung der Gesetzentwürfe in den Sitzungen des Antragsgegners bis Mai 2017 in einer Vielzahl von Fällen vertagt.

BVerfG verneint Erlass einstweiliger Anordnung

Die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hatten keinen Erfolg. Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht kann einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist (§ 32 Abs. 1 BVerfGG). Dabei müssen die Gründe, welche für die Verfas­sungs­wid­rigkeit der angegriffenen Maßnahme sprechen, außer Betracht bleiben, es sei denn, die Hauptsache erwiese sich als von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 BVerfGG ist grundsätzlich ein strenger Maßstab anzulegen. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung kann allein der vorläufigen Sicherung des streitigen organ­schaft­lichen Rechts der Antragsteller dienen, damit es nicht im Zeitraum bis zur Entscheidung der Hauptsache durch Schaffung vollendeter Tatsachen überspielt wird.

Anträge offensichtlich unbegründet

Nach diesen Grundsätzen sind die Anträge der Antragstellerin abzulehnen. Dabei kann dahinstehen, ob ein noch einzuleitendes Haupt­sa­che­ver­fahren überhaupt zulässig wäre. Die Anträge wären jedenfalls offensichtlich unbegründet. Nach dem derzeitigen Verfahrensstand kann weder eine willkürliche Verschleppung der Beschluss­fassung über die streit­ge­gen­ständ­lichen Geset­zes­vorlagen noch eine Entleerung des Geset­ze­s­i­n­i­tia­ti­v­rechts der Antragstellerin festgestellt werden.

Aus dem Geset­ze­s­i­n­i­tia­ti­vrecht (Art. 76 Abs. 1 GG) folgt das Recht des Initianten, dass das Gesetz­ge­bungsorgan sich mit seinem Vorschlag beschäftigt. Es muss darüber beraten und Beschluss fassen. Von einer Verletzung des Befas­sungs­an­spruchs ist auszugehen, wenn die Beratung und Beschluss­fassung eines Gesetzentwurfs ohne sachlichen Grund gänzlich oder auf unbestimmte Zeit verweigert wird.

Prioritäten bei Bearbeitung vorliegender Angelegenheiten darf Parlament selbst bestimmen

In zeitlicher Hinsicht beinhaltet das Befassungsrecht des Geset­ze­s­i­n­i­tianten die Pflicht des Gesetz­ge­bungs­organs, über Vorlagen "in angemessener Frist" zu beraten und Beschluss zu fassen. Allerdings enthalten weder das Grundgesetz noch die Geschäfts­ordnung des Bundestages konkrete Vorgaben zur Bestimmung der Angemessenheit der Dauer einer Geset­zes­be­ratung. Dies ist Konsequenz des Umstandes, dass letztlich eine abstrakte Bestimmung der Angemessenheit der Dauer einer konkreten Geset­zes­be­ratung nicht möglich ist. Stattdessen bedarf es einer Berück­sich­tigung sämtlicher Umstände des jeweiligen Einzelfalles sowohl hinsichtlich des konkreten Gesetzentwurfs als auch hinsichtlich weiterer die Arbeitsabläufe des Parlaments beeinflussender Faktoren. Dabei ist es grundsätzlich dem Parlament vorbehalten, die Prioritäten bei der Bearbeitung der ihm vorliegenden Angelegenheiten selbst zu bestimmen. Insbesondere folgt aus dem Befas­sungs­an­spruch des Geset­ze­s­i­n­i­tianten keine Pflicht des Ausschusses oder des Bundestages, über sämtliche vorliegenden Geset­zes­vorhaben innerhalb einer Legis­la­tur­periode abschließend zu entscheiden. Vielmehr ist hinzunehmen, dass vorliegende Gesetzentwürfe mit dem Ende der Legis­la­tur­periode der Diskontinuität anheimfallen können.

Gesetzentwurf darf nicht erkennbar ohne jeden sachlichen Grund verschleppt werden

Daher wird eine Verletzung des Anspruchs des Initianten auf Beratung und Beschluss­fassung über seinen Gesetzentwurf allenfalls in Ausnahmefällen in Betracht kommen. Denkbar ist dies, wenn die Behandlung eines Gesetzentwurfs erkennbar ohne jeden sachlichen Grund verschleppt und auf diese Weise versucht wird, das Geset­ze­s­i­n­i­tia­ti­vrecht zu entleeren. Wann über ein Geset­zes­vorhaben abzustimmen ist, bestimmt sich allerdings - wie der vorliegende Fall zeigt - gerade in politisch und gesell­schaftlich umstrittenen Zusammenhängen auch nach Gesichtspunkten, die in stärkerem Maße das Ergebnis einer politischen Mehrheits­bildung als dasjenige einer rechtlich strukturierten und gerichtlich überprüfbaren Entscheidung sind.

Willkürlichen Verschleppung der Beschluss­fassung unwahr­scheinlich

Davon ausgehend kann eine Verletzung des Geset­ze­s­i­n­i­tia­ti­v­rechts nicht festgestellt werden. Gegen die Annahme einer willkürlichen Verschleppung der Beschluss­fassung über die streit­ge­gen­ständ­lichen Gesetzentwürfe ohne jeden sachlichen Grund spricht, dass auch nach der Darstellung der Antragstellerin die regelmäßige Vertagung der Beratung und Beschluss­fassung der vorgelegten Gesetzentwürfe durch den Antragsgegner Teil eines nicht abgeschlossenen politischen Meinungs­bildungs- und Abstim­mungs­pro­zesses gewesen sein könnte. So trägt die Antragstellerin selbst vor, sie habe bis März 2017 nicht von einer Blockade ihrer Gesetzesvorlage ausgehen können, zumal auch in der mehrheitlich ablehnenden Unionsfraktion unter­schiedliche Positionen erkennbar gewesen seien. Vor diesem Hintergrund erscheint es denkbar, dass der Verzicht auf die Beschluss­fassung über die streit­ge­gen­ständ­lichen Gesetzentwürfe mit dem Ziel der Herstellung oder Verbreiterung einer mehrheitlichen Unterstützung für das Projekt der gleich­ge­schlecht­lichen Ehe und damit nicht ohne sachlichen Grund erfolgte.

Bundestag hat sich mehrfach intensiv mit Gesetzentwürfen befasst

Einer Verletzung des Geset­ze­s­i­n­i­tia­ti­v­rechts steht ferner entgegen, dass die streit­ge­gen­ständ­lichen Gesetzentwürfe Gegenstand mehrfacher und ausführlicher Beratungen im Plenum des Deutschen Bundestages waren. Selbst nach Einschätzung der Antragstellerin ist der Inhalt der Gesetzentwürfe damit "bis zum Überdruss aller Beteiligten" erörtert worden. Angesichts dieser Abläufe ist aber für die Annahme eines "Leerlaufens" des Geset­ze­s­i­n­i­tia­ti­v­rechts im vorliegenden Fall kein Raum. Der Bundestag hat sich mit den Gesetzentwürfen mehrfach intensiv befasst; die Geset­ze­s­i­n­i­tianten hatten die Möglichkeit, öffentlich die Inhalte der von ihnen vorgelegten Gesetzentwürfe vorzutragen und zu begründen und dadurch auf die politische Willensbildung Einfluss zu nehmen. Zugleich waren die übrigen im Bundestag vertretenen Parteien gezwungen, sich zu den vorgelegten Gesetzentwürfen zu positionieren. Allein der Umstand, dass es bisher nicht zu einer abschließenden Beschluss­fassung über die Gesetzentwürfe gekommen ist, vermag die Annahme einer Entleerung des Geset­ze­s­i­n­i­tia­ti­v­rechts nicht zu rechtfertigen.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

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