18.10.2024
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Bundesverfassungsgericht Beschluss04.05.2020

Besoldungs­vorschriften in Nordrhein-Westfalen zur Alimentation von kinderreichen Richtern teilweise verfas­sungs­widrigRichter haben Anspruch auf höhere Besoldung für drittes und die weiteren Kinder

Das Bundes­verfassungs­gerichts hat mit Beschluss vom 04.05.2020 entschieden, dass die Besoldungs­vorschriften des Landes Nordrhein-Westfalen, mit dem von Art. 33 Abs. 5 GG gewährleisteten Alimentations­prinzip unvereinbar sind, soweit sie die Besoldung kinderreicher Richter und Staatsanwälte der Besol­dungs­gruppe R 2 in den Jahren 2013 bis 2015 regeln. Die den Richtern und Beamten ab dem dritten Kind gewährten Zuschläge müssen ihr Nettoeinkommen so erhöhen, dass ihnen für jedes dieser Kinder mindestens 115 % des grundsicherungs­rechtlichen Gesamtbedarfs nach dem SGB II zur Verfügung steht. Der Gesetzgeber des Landes Nordrhein-Westfalen hat spätestens zum 31. Juli 2021 eine verfas­sungs­konforme Regelung zu treffen.

Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die Kläger der Ausgangs­ver­fahren stehen als Richter mit Dienstbezügen der Besol­dungs­gruppe R 2 im Dienst des Landes Nordrhein-Westfalen. Der Kläger eines Verfahrens ist verheiratet und erhielt im Jahr 2013 für drei Kinder Kindergeld. Die beiden anderen Verfahren betreffen einen Kläger, der ebenfalls verheiratet ist und in den Jahren 2014 und 2015 für vier Kinder Kindergeld erhielt. Die Kläger machen geltend, dass ihre Besoldung im Hinblick auf ihre Kinderzahl verfassungswidrig zu niedrig bemessen sei. Das Verwal­tungs­gericht Köln hat die Verfahren ausgesetzt und dem Bundes­ver­fas­sungs­gericht diese Frage zur Prüfung vorgelegt.

BVerfG: Anzahl der Kinder bei Besoldung zu berücksichtigen

Nach Auffassung des BVerfG sind die Besol­dungs­vor­schriften des Landes Nordrhein-Westfalen mit dem von Art. 33 Abs. 5 GG gewährleisteten Alimentationsprinzip insofern unvereinbar, als die durch sie geregelte Besoldung der Richter und Staatsanwälte der Besol­dungs­gruppe R 2 mit drei Kindern im Jahr 2013 und mit vier Kindern in den Jahren 2014 und 2015 hinter den Anforderungen an die Alimentation kinderreicher Richter und Beamter zurückblieb. Das zu den hergebrachten Grundsätzen des Berufs­be­am­tentums zählende Alimen­ta­ti­o­ns­prinzip verpflichtet den Dienstherrn, Richter und Beamte sowie ihre Familien lebenslang angemessen zu alimentieren. Er muss ihnen einen Lebensunterhalt gewähren, der ihrem Dienstrang und der mit ihrem Amt verbundenen Verantwortung angemessen ist und der Entwicklung des allgemeinen Lebensstandards entspricht. Der Besol­dungs­ge­setzgeber hat die Besoldung so zu regeln, dass Richter und Beamte nicht vor die Wahl gestellt werden, entweder eine ihrem Amt angemessene Lebensführung aufrecht­zu­er­halten oder, unter Verzicht darauf, eine Familie zu haben und diese entsprechend den damit übernommenen Verpflichtungen angemessen zu unterhalten. Deshalb kann bei der Beurteilung und Regelung dessen, was eine amtsangemessene Besoldung ausmacht, die Zahl der Kinder nicht ohne Bedeutung sein.

Minde­sta­li­men­tation in Höhe der Grundsicherung zuzüglich 15 Prozent

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht geht auf Grund der bisherigen Praxis des Besol­dungs­ge­setz­gebers davon aus, dass er die Grundbesoldung so bemisst, dass sie zusammen mit den Famili­en­zu­schlägen für den Ehepartner und die ersten beiden Kinder für eine Zwei-Kinder-Familie amtsangemessen ist. Der zusätzliche Bedarf, der für das dritte und die weiteren Kinder entsteht, ist vom Dienstherrn zu decken. Bei der Bemessung dieses Bedarfs kann der Gesetzgeber von den Leistungen der sozialen Grundsicherung ausgehen. Dabei muss er aber beachten, dass die Alimentation etwas qualitativ Anderes als die Befriedigung eines äußersten Mindestbedarfs ist. Ein um 15 % über dem reali­täts­gerecht ermittelten grund­si­che­rungs­recht­lichen Gesamtbedarf eines Kindes liegender Betrag lässt den verfas­sungs­ge­botenen Unterschied hinreichend deutlich werden. Das zur Bestimmung der Minde­sta­li­men­tation herangezogene Grund­si­che­rungs­niveau umfasst alle Elemente des Lebensstandards, der den Empfängern von Grund­si­che­rungs­leis­tungen staat­li­cherseits gewährt wird, also insbesondere den monatlichen Regelsatz, die anteiligen Kosten für die Unterkunft und Heizung sowie den Bedarf für Bildung und Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft.

Verfas­sungs­ge­botenen Mindestabstand von 15 % zur Grundsicherung nicht eingehalten

Ob die Dienstbezüge noch amtsangemessen sind, beurteilt sich nach dem Nettoeinkommen. Daher steht es dem Gesetzgeber frei, das von der Verfassung vorgegebene Ziel durch eine entsprechende Bemessung der Bruttobezüge etwa in Gestalt eines kinderbezogenen Famili­en­zu­schlags zu erreichen, die Richter und Beamten an einem allgemein gewährten Kindergeld teilhaben zu lassen, durch allgemeine steuer­rechtliche Vorschriften die durch den Kindesunterhalt verminderte Leistungs­fä­higkeit auszugleichen oder diese und weitere Möglichkeiten miteinander zu verbinden. Diesen Maßstäben werden die in Rede stehenden Besol­dungs­vor­schriften nicht gerecht. Vergleichs­be­rech­nungen zeigen, dass die Besoldung der Richter und Staatsanwälte der Besol­dungs­gruppe R 2 in Bezug auf das dritte Kind im Jahr 2013 und in Bezug auf das dritte und vierte Kind in den Jahren 2014 und 2015 den verfas­sungs­ge­botenen Mindestabstand von 15 % zur Grundsicherung nicht eingehalten hat. Es wurde nicht einmal der grund­si­che­rungs­rechtliche Gesamtbedarf für ein Kind durch die bei steigender Kinderzahl gewährten Netto­mehr­beträge ausgeglichen.

Allgemein rückwirkende Anpassung nicht erforderlich

Den Gesetzgeber trifft die Verpflichtung, die Rechtslage verfas­sungsgemäß umzugestalten. Eine allgemeine rückwirkende Behebung des Verfas­sungs­ver­stoßes ist mit Blick auf die Besonderheiten des Richter- und Beamten­ver­hält­nisses nicht geboten. Eine rückwirkende Behebung ist jedoch sowohl hinsichtlich der Kläger der Ausgangs­ver­fahren als auch hinsichtlich etwaiger weiterer Richter und Staatsanwälte erforderlich, über deren Anspruch noch nicht abschließend entschieden worden ist.

Quelle: Bundesverfassungsgericht, ra-online (pm/ab)

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