15.11.2024
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Bundesverfassungsgericht Beschluss18.06.2008

Regelung über Versor­gungs­ab­schlag für teilzeit­be­schäftigte Beamte nichtigFrauen werden durch diese Regelung benachteiligt

Es stellt eine Frauen­dis­kri­mi­nierung dar, dass Beamte in Teilzeit­be­schäf­tigung geringere Pensi­ons­ansprüche geringere Pensionen erhalten. Dies hat das Bundes­ver­fas­sungs­gericht entschieden. Der Abschlag sei verfas­sungs­widrig und deshalb nichtig, erklärten die Richter. Vor allem Frauen würden aus familiären Gründen Teilzeitarbeit leisten, so dass sich der Abschlag als Schlech­ter­stellung von Frauen auswirke.

Die Höhe des Ruhegehalts eines Beamten bestimmt sich nach Prozentsätzen der ruhege­halt­fähigen Dienstbezüge, den Ruhege­halts­sätzen. Bis zum 31.Dezember 1991 galt für die Berechnung des Ruhge­halts­satzes eine degressive Tabelle. Das Ruhegehalt betrug bei Vollendung einer zehnjährigen ruhege­halt­fähigen Dienstzeit 35 %. Mit jedem weiteren Dienstjahr bis zum 25. Dienstjahr stieg es um 2 %, dann um 1 % der ruhege­halt­fähigen Dienstbezüge bis zu einem Höchstru­he­ge­haltssatz von 75 %. Den Höchstru­he­ge­haltssatz erreichte der Beamte nach 35 ruhege­halt­fähigen Dienstjahren.

Abschlag für teilzeit­be­schäftigte Beamte

Diese degressive Staffelung führte in vielen Fällen zu einer vergleichs­weisen Besserstellung von Teilzeitbeamten gegenüber vollzeit­be­schäf­tigten Beamten. Zum Ausgleich dieser Besserstellung sah das Beamten­ver­sor­gungsrecht seit dem Jahr 1984 bei Teilzeit­be­schäf­tigung eine zeitanteilige Verminderung des Ruhege­halts­satzes vor. Diese wurde nach § 14 Abs. 1 Beamten­ver­sor­gungs­gesetz in der bis zum 31. Dezember 1991 geltenden Fassung berechnet, indem zunächst der fiktive Ruhegehaltssatz ermittelt wurde, den der Beamte erreicht hätte, wenn er nicht Teilzeit, sondern Vollzeit gearbeitet hätte. Dieser fiktive Ruhegehaltssatz wurde sodann in dem Verhältnis vermindert, in dem die tatsächliche ruhege­halt­fähige Dienstzeit des Beamten zu der ruhege­halt­fähigen Dienstzeit stand, die er im Falle einer Vollzeit­be­schäf­tigung erreicht hätte (Versor­gungs­ab­schlag für teilzeit­be­schäftigte Beamte).

Seit 1. Januar 2002 gilt eine lineare Ruhege­halt­s­tabelle

Ab dem 1. Januar 1992 wurde die degressive Ruhege­halt­s­tabelle durch eine lineare Tabelle ersetzt. Eines Versor­gungs­ab­schlags der vorbe­schriebenen Art bedurfte es unter Geltung dieser neuen Ruhege­halt­s­tabelle nicht mehr. Die Vorschrift des § 14 Abs. 1 BeamtVG a.F. blieb indes kraft der Überg­angs­vor­schrift des § 85 BeamtVG für die Berechnung des Ruhegehalts derjenigen Teilzeitbeamten anwendbar, die bereits am 31. Dezember 1991 im Beamten­ver­hältnis standen.

EuGH weist auf Diskriminierung von Frauen hin

Mit Urteil vom 23. Oktober 2003 entschied der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, dass die Regelung des § 85 BeamtVG in Verbindung mit § 14 Abs. 1 BeamtVG a.F. im Widerspruch zu dem Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen aus Art. 141 EG steht. Die Anwendung der Bestimmungen könne dazu führen, dass Teilzeitdienst bei gleicher Zahl abgeleisteter Dienststunden zu einem niedrigeren Ruhegehalt führe als Vollzeitdienst. Hierin liege - wenn eine Mehrheit der Teilzeit­be­schäf­tigten weiblichen Geschlechts seien - eine mittelbare Diskriminierung weiblicher Arbeitnehmer. Die Wirkung seines Urteils beschränkte der Europäische Gerichtshof aus Gründen der Rechts­si­cherheit auf Leistungen, die für Beschäf­ti­gungs­zeiten nach dem 17. Mai 1990 geschuldet werden.

Vorlage des Bayerischen Verwal­tungs­ge­richtshofs an das Bundes­ver­fas­sungs­gericht

Die Klägerin des Ausgangs­ver­fahrens ist seit 1971 Beamtin. Bis zu ihrer Versetzung in den Ruhestand wegen Dienst­un­fä­higkeit mit Wirkung vom 1. August 1998 war sie überwiegend teilzeit­be­schäftigt. Ihr Ruhegehaltssatz wurde für die Zeit vor dem 17. Mai 1990 auf der Grundlage von § 14 Abs. 1 BeamtVG a.F. berechnet, so dass für diesen Zeitraum der Versorgungsabschlag voll wirksam wurde. Der Bayerische Verwal­tungs­ge­richtshof setzte im Berufungs­ver­fahren den Rechtsstreit aus und legte dem Bundes­ver­fas­sungs­gericht die Frage zur Entscheidung vor, ob die Regelung des § 14 Abs. 1 BeamtVG in der bis zum 31. Dezember 1991 geltenden Fassung über den Versor­gungs­ab­schlag mit dem Grundgesetz vereinbar ist.

BVerfG: Beanstandete Regelung hat geschlech­ter­dis­kri­mi­nierende Wirkung

Der Zweite Senat des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts kam zu dem Ergebnis, dass die beanstandete Regelung mittelbar eine geschlech­ter­dis­kri­mi­nierende Wirkung im Sinne von Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG hat und sie daher nichtig ist.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

Durch die Berechnung des Ruhege­halts­satzes nach § 85 Abs. 4 Satz 2 BeamtVG in Verbindung mit § 14 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 und 3 BeamtVG a.F. werden mittelbar Frauen benachteiligt, da von der Möglichkeit der Teilzeit­be­schäf­tigung in weitaus überwiegendem Maße Frauen Gebrauch machen. Infolge der vorgegebenen Berech­nungsweise erhalten teilzeit­be­schäftigte Beamte im Vergleich zu einem Vollzeitbeamten einen geringeren Ruhegehaltssatz, obwohl sie die gleichen ruhege­halt­fähigen Dienstzeiten erbracht haben. Diese Diskriminierung kann nicht durch sonstige Güter von Verfassungsrang gerechtfertigt werden.

Zur Erreichung der Kosten­neu­tralität dürfen nicht überwiegend weibliche Teilzeit­be­schäftigte herangezogen werden

1. Angesichts der mit der Ausweitung der Teilzeit­be­schäf­ti­gungs­mög­lich­keiten verbundenen Kostenlast für die öffentlichen Haushalte sollte der Versor­gungs­ab­schlag unter anderem der Kosten­neu­tralität dienen. Es ist jedoch nicht gerechtfertigt, zur Erreichung der Kosten­neu­tralität gerade die überwiegend weiblichen Teilzeit­be­schäf­tigten heranzuziehen. Bei arbeits­ma­rkt­po­li­tischer Teilzeit machen Frauen zudem von einer Möglichkeit der Beschäftigung Gebrauch, die ihnen auch im Interesse des Staates zur Schaffung von Arbeitsplätzen eingeräumt wurde. Es ist nicht zu rechtfertigen, von denen, die von der so geschaffenen Möglichkeit Gebrauch machen, einen besonderen Beitrag zur Finanzierung dieses Systems zu verlangen. Auch in den Fällen, in welchen die Teilzeit­be­schäf­ti­gungs­mög­lichkeit aus familiären Gründen in Anspruch genommen wird, ist es nicht gerechtfertigt, die in dieser Weise tätigen Beamten mit einem Sonderbeitrag zur (Mit-)Finanzierung der Versor­gungs­lasten des Gesamtsystems zu belasten.

Versor­gungs­ab­schlag ist auch nicht zur Vermeidung einer Besserstellung teilzeit­be­schäf­tigter Beamter gerechtfertigt

2. Die Ungleichbehandlung kann auch nicht damit gerechtfertigt werden, dass der Versor­gungs­ab­schlag der Vermeidung einer Besserstellung teilzeit­be­schäf­tigter Beamter diene. Zwar führt die Anwendung allein der degressiven Ruhege­halt­s­tabelle im Einzelfall dazu, dass Teilzeit­be­schäftigte trotz im Vergleich zu einem Vollzeit­be­schäftigen geringerer ruhege­halt­fähiger Dienstzeit den gleichen Ruhegehaltssatz erreichen. Dies betrifft jedoch allein Fälle, in denen es um die Mindest­si­cherung des Beamten bei nur kurzer Dienstzeit geht. Die Mindest­si­cherung knüpft aber nicht an den Umstand der Teilzeit­be­schäf­tigung an. Im Vordergrund steht vielmehr die Grund­ab­si­cherung, welche die amtsangemessene Alimentierung des Beamten und seiner Familie auch in Fällen nur kurzer Dienstleistung zum Ziel hat.

Das Leitbild des Vollzeitbeamten stellt keine Rechtfertigung dar

3. Auch das Leitbild des Vollzeitbeamten kann die Belastung der weit überwiegend weiblichen teilzeit­be­schäf­tigten Beamten in der Versorgung sachlich nicht rechtfertigen. Den Umstand, dass der Teilzeitbeamte vom Leitbild des Vollzeitbeamten abweicht, kann der Gesetzgeber zwar grundsätzlich zum Anknüp­fungspunkt besol­dungs­recht­licher Regelungen machen. Jedoch endet die Gestal­tungs­freiheit des Gesetzgebers dort, wo sich die Regelungen in unver­hält­nis­mäßiger Weise benachteiligend für Beamte eines Geschlechts auswirken. Diese Grenze ist vorliegend überschritten. Dem stehen sowohl der weit reichende Schutzzweck des Diskri­mi­nie­rungs­verbots des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG als auch die Ziele, welche der Einführung von Teilzeit­mög­lich­keiten zu Grunde lagen, entgegen. Die Einführung der Teilzeit lag zum einen im arbeits­ma­rkt­po­li­tischen Interesse des Staates. Aufgrund eines Überangebotes vor allem an Lehrern sollten durch eine Erweiterung der Teilzeit­mög­lich­keiten zusätzliche Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst geschaffen werden. Dann ist es jedoch widersprüchlich, diejenigen Beamten, die sich der Zielvorgabe entsprechend verhalten, mittelbar in einer an das Geschlecht anknüpfenden Weise dadurch zu diskriminieren, dass teilzeit­be­schäftigte Frauen im Ergebnis eine schlechtere Versorgung erhalten. Die Zulassung der Teilzeit vollzog sich zum anderen aus famili­en­po­li­tischen Gründen vor dem Hintergrund des Schutzes von Ehe und Familie. Sie dient der Vereinbarkeit von Familie und Beruf und damit der effektiven Wahlfreiheit in der Entscheidung über Rollenwahl und Rollen­ver­teilung in Ehe, Familie und Beruf. Vor diesem Hintergrund ist es nicht gerechtfertigt, den intendierten Schutz von Ehe und Familie durch finanzielle Nachteile im Bereich der Versorgung von Beamten teilweise wieder auszuhöhlen.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 72/08 des BVerfG vom 11.07.2008

der Leitsatz

Die Berechnung des Ruhege­halts­satzes von Teilzeitbeamten nach § 85 Abs. 4 Satz 2 BeamtVG in Verbindung mit § 14 Abs. 1 Satz 1 Halbsätze 2 und 3 BeamtVG a. F. (sog. Versor­gungs­ab­schlag) verstößt gegen Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG.

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