21.11.2024
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Dokument-Nr. 8612

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Beschluss22.09.2009Bundesverfassungsgericht2 BvL 3/02
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Bundesverfassungsgericht Beschluss22.09.2009

Bundes­ver­fas­sungs­gericht erklärt Frage des BFH zur Besteuerung von Leibrenten für unzulässigVorlage wird verfas­sungs­recht­lichen Anforderungen nicht gerecht

Der Bundes­ver­fas­sungs­gericht lehnte die Frage des Bundes­fi­nanzhofs, ob eine Besteuerung von Leibrenten gegenüber der Besteuerung von Zinseinkünften mit dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) vereinbar sei, wegen nicht erfüllten verfas­sungs­recht­lichen Vorgaben als unzulässig ab.

Der Bundesfinanzhof sieht seit dem Jahr 1992 den Ertragsanteil einer Leibrente als Gegenleistung für eine - nicht existenz­si­chernde - Vermö­gen­s­um­schichtung als pauschalierten Zinsanteil an. Wegen des Abzugsverbots für private Schuldzinsen konnte nach dieser Rechtsprechung der Ertragsanteil bei demjenigen, der zur Zahlung der Leibrente verpflichtet ist, nicht als Sonderausgabe nach § 10 Abs. 1 Nr. 1a Satz 2 EStG abgezogen werden.

Sachverhalt

Die gemeinsam zur Einkommensteuer zusammen veranlagten Kläger der Ausgangs­ver­fahren sind seit dem Jahr 1992 miteinander verheiratet. Der Ehemann hatte im Jahr 1990 sein mit einem Einfamilienhaus bebautes Grundstück seiner späteren Ehefrau übertragen. Als Gegenleistung verpflichtete sie sich zur monatlichen Zahlung einer lebens­läng­lichen wertgesicherten Rente an den Ehemann. Das Finanzamt besteuerte den Ertragsanteil der Rente als Einkünfte des Ehemanns gemäß § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchstabe a EStG. Den von der Ehefrau im Gegenzug begehrten Sonder­aus­ga­be­nabzug nach § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG für den Anteil des Ertragsanteils lehnte das Finanzamt unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundes­fi­nanzhofs ab. Die eingelegten Einsprüche hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht Köln gab den dagegen gerichteten Klagen statt, da es der Auffassung war, dass der Klägerin der begehrte Sonder­aus­ga­be­nabzug entgegen der Rechtsprechung des Bundes­fi­nanzhofs nach § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG zu gewähren sei. Im Revisi­ons­ver­fahren legte der Bundesfinanzhof dem Bundes­ver­fas­sungs­gericht die Frage zur Prüfung vor, ob die Besteuerung der Ertragsanteile von Bezügen aus Leibrenten nach § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchstabe a EStG, die Gegenleistung für den Erwerb eines Wirtschaftsguts des Privatvermögens sind, mit ihrem vollen Nennbetrag - ohne Berück­sich­tigung eines Sparer-Freibetrags - ungeachtet dessen mit dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) vereinbar sei, dass es sich um pauschalierte Einkünfte aus Kapitalvermögen handele.

BVerfG erklärt Frage des BFH für unzulässig

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht entschied, dass diese Vorlage des Bundes­fi­nanzhofs unzulässig ist, denn sie wird den verfas­sungs­recht­lichen Anforderungen an die Darlegung der Entschei­dungs­er­heb­lichkeit der Vorlagefrage für das Ausgangs­ver­fahren nicht gerecht. Für die Beurteilung der Entschei­dungs­er­heb­lichkeit, die hier die Frage der Versagung des Sonder­aus­ga­be­n­abzugs betrifft, genügt es insbesondere nicht, wenn sich der Bundesfinanzhof lediglich auf seine eigene Rechtsprechung beruft. Die Zulässigkeit der Vorlage erfordert vielmehr, dass sich das Gericht eingehend mit der Rechtslage ausein­an­dersetzt, dabei die in Literatur und Rechtsprechung entwickelten Rechts­auf­fas­sungen berücksichtigt und auf unter­schiedliche Ausle­gungs­er­gebnisse eingeht.

Begründung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts

Der Bundesfinanzhof hat diese verfas­sungs­recht­lichen Vorgaben nicht erfüllt. Die Frage, ob es der allgemeine Gleichheitsgrundsatz nach Art. 3 Abs. 1 GG verfas­sungs­rechtlich gebietet, den Sparer-Freibetrag nach § 20 Abs. 4 EStG auch auf die Besteuerung von Leibrenten nach § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchstabe a EStG zu erstrecken, kann, wie der Bundesfinanzhof zutreffend ausführt, nur dann entschei­dungs­er­heblich sein, wenn der von den Klägern geltend gemachte Anspruch auf Gewährung des Sonder­aus­ga­be­n­abzugs nach § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG abzuweisen ist. Wäre dagegen dem Klageantrag, an den der Bundesfinanzhof auch der Höhe nach gebunden ist, stattzugeben, käme eine Erstreckung des Spare­r­frei­betrags auf die Rentenbezüge des Klägers schon aus prozess­recht­lichen Gründen nicht in Betracht, denn eine weitere Herabsetzung der Steuer durch die Erstreckung des Sparer-Freibetrags nach § 20 Abs. 4 Satz 3 EStG wäre wegen Erschöpfung des Klageantrags ausgeschlossen. Bei dieser Ausgangslage reicht es nicht aus, wenn sich der Bundesfinanzhof zur Begründung seiner Auffassung, dass die Klage insoweit abzuweisen sei, lediglich auf seine eigene Rechtsprechung beruft und sich in diesem Zusammenhang nicht mit den Argumenten der Literatur und Rechtsprechung ausein­an­dersetzt, die gegen die Gesetz- und Verfas­sungs­mä­ßigkeit seiner eigenen Rechtsprechung hinsichtlich der Versagung des Sonder­aus­ga­be­n­abzugs für den Ertragsanteil von Leibrenten vorgebracht worden sind.

BFH setzet sich über Geset­zes­be­gründung zur Neuregelung der Leibren­ten­be­steuerung hinweg

Der Bundesfinanzhof hat auch nicht hinreichend die Möglichkeit einer verfas­sungs­kon­formen Auslegung der zur Überprüfung gestellten Norm erörtert, obwohl eine solche Lösung nahe liegt. Der Auffassung des Bundes­fi­nanzhofs, es liege eine Ungleich­be­handlung gleicher Sachverhalte vor, liegt die von ihm selbst aufgestellte Prämisse zugrunde, dass es sich bei dem Ertragsanteil der Leibrente materi­ell­rechtlich um einen Zinsanteil handele. Hiervon ist der Gesetzgeber jedoch, wie sich aus der Geset­zes­be­gründung zur Neuregelung der Leibren­ten­be­steuerung durch das Gesetz zur Neuordnung von Steuern ergibt, nicht ausgegangen. Diese Ausführungen hat der Bundesfinanzhof in seinem Vorla­ge­be­schluss zwar zur Kenntnis genommen, sich jedoch über sie hinweg gesetzt, da er sie für unzutreffend hält. Insoweit kann dahingestellt bleiben, wie weit das Gebot der verfas­sungs­kon­formen Auslegung es dem Richter allgemein erlaubt, den gesetz­ge­be­rischen Willen zu begrenzen oder zu ergänzen. Keinesfalls darf eine verfas­sungs­konforme Auslegung jedoch das gesetz­ge­be­rische Ziel in einem wesentlichen Punkt verfehlen oder verfälschen.

Die nicht dem gesetz­ge­be­rischen Willen folgende Auslegung der Norm entbindet den Bundesfinanzhof jedenfalls nicht davon, sich mit der Frage ausein­an­der­zu­setzen, ob der - nach seiner Rechtsprechung - materi­ell­rechtlich als Zinsanteil zu qualifizierende Ertragsanteil der Leibrente in verfas­sungs­kon­former Auslegung unter den Besteu­e­rung­s­tat­bestand des § 20 EStG subsumiert werden kann, mit der Folge, dass der Sparer-Freibetrag des § 20 Abs. 4 EStG von Gesetzes wegen zu gewähren und die Vorlagefrage hinfällig wäre. Nicht hinreichend ist insoweit der kurze Hinweis des Gerichts, dass eine verfas­sungs­konforme Auslegung, die den Erwägungen zum Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG Rechnung tragen würde, in Anbetracht der unmiss­ver­ständ­lichen Zuordnung solcher Erträge zu § 22 EStG einerseits und des klaren Wortlauts des § 20 Abs. 4 Satz 1 EStG anderseits nicht möglich sei.

BVerfG bemängelt nachlässige Ausein­an­der­setzung des BFH mit vorgelegter Frage

Schließlich fehlt es in dem Vorla­ge­be­schluss auch an einer ausreichenden Ausein­an­der­setzung mit der Frage, ob ein gleich­heits­rechtlich tragfähiger Grund für die nach Auffassung des Bundes­fi­nanzhofs bestehende Ungleich­be­handlung der Besteuerung von Leibrenten gegenüber der Besteuerung von Zinseinkünften vorliegt. Das vorlegende Gericht hat sich insbesondere nicht mit der Frage ausein­an­der­gesetzt, dass die Leibrente eine Vermö­gen­s­um­schichtung zum Gegenstand hat und bei dem aus der Leibrente Berechtigten die Phase der Vermö­gens­bildung bereits abgeschlossen ist, so dass die Anreizwirkung des Sparer-Freibetrags, der gerade in der Ansparphase einsetzen soll, nicht mehr zum Tragen kommen kann. Ebenso wurde nicht erörtert, ob die im Gesetz­ge­bungs­ver­fahren genannten Gründe für die unter­schiedliche Besteuerung von Leibrenten und Zinsen geeignet wären, eine Ungleich­be­handlung hinsichtlich des Sparer-Freibetrags zu rechtfertigen.

Quelle: ra-online, BVerfG

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