18.10.2024
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Bundesverfassungsgericht Beschluss09.04.2024

NRW durfte Kölner Polizei­prä­si­denten nicht verfrüht in den Ruhestand schickenBVerfG sieht Verstoß gegen Lebens­zeit­prinzip

Das Bundes­verfassungs­gericht hat entschieden, dass § 37 Abs. 1 Nr. 5 des Beamtengesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (LBG NRW) in den Fassungen vom 21. April 2009 und vom 14. Juni 2016 mit Art. 33 Abs. 5 des Grundgesetzes (GG) unvereinbar und nichtig ist. Die Vorschrift stuft die Polizei­prä­si­denten in Nordrhein-Westfalen als politische Beamte ein und ermöglicht damit ungeachtet ihres Status als Beamte auf Lebenszeit ihre jederzeitige Versetzung in den einstweiligen Ruhestand.

Der Kläger des Ausgangs­ver­fahrens war Polizeipräsident von Köln. Nach den Ereignissen in der „Kölner Silvesternacht“ 2015/2016, als es im Bereich des Kölner Doms und des Bahnhofs­vor­platzes unter anderem zu zahlreichen Straftaten gegen die sexuelle Selbst­be­stimmung kam, wurde der Kläger im Januar 2016 in den einstweiligen Ruhestand versetzt. Hiergegen wandte er sich an das Verwal­tungs­gericht, das seine Klage abwies. In der Berufungs­instanz hat das Oberver­wal­tungs­gericht das Verfahren ausgesetzt und dem Bundes­ver­fas­sungs­gericht die Frage vorgelegt, ob § 37 Abs. 1 Nr. 5 LBG NRW gegen Art. 33 Abs. 5 GG verstößt.§ 37 Abs. 1 Nr. 5 LBG NRW ist verfas­sungs­widrig, weil die Regelung gegen Art. 33 Abs. 5 GG verstößt.

Verstoß gegen Lebens­zeit­prinzip

Das BVerfG hat die Regelung nun wegen Verstoßes gegen das in Art. 33 Abs. 5 GG verankerte Lebenszeitprinzip für verfas­sungs­widrig und nichtig erklärt. Eine anerkannte Ausnahme vom Lebens­zeit­prinzip stellen die politischen Beamten dar. Ihnen wird ihr status­recht­liches Amt auf Lebenszeit übertragen. Dieses Amt ist jedoch einer weitgehend unbeschränkten Möglichkeit der Versetzung in den einstweiligen Ruhestand unterworfen. Dem Status des politischen Beamten kommt gegenüber dem Regelfall des Beamten­ver­hält­nisses auf Lebenszeit ein eng zu bestimmender Ausnah­me­cha­rakter zu. Der mit dieser Ausnahme verbundene Eingriff in das Lebens­zeit­prinzip kann nur durch die Besonderheiten der betroffenen Stellung und der damit verbundenen Aufga­ben­wahr­nehmung gerechtfertigt werden. Ihre sachliche Rechtfertigung findet die Ausnah­me­ka­tegorie der politischen Beamten darin, dass diese nach der Art ihrer Aufgaben in besonderer Weise des politischen Vertrauens der Staatsführung bedürfen und in fortwährender Übereinstimmung mit den grundsätzlichen politischen Ansichten und Zielen der Regierung stehen müssen. Es handelt sich regelmäßig um „Trans­for­ma­ti­o­nsämter“, zu deren Aufgaben es zählt, politische Vorgaben über den bloßen – gegebenenfalls ermes­sens­ge­steuerten – Vollzug bereits vorhandenen Gesetzesrechts hinaus in geset­zes­kon­formes und rechts­s­taat­liches Verwal­tungs­handeln umzusetzen.

Polizei­prä­si­denten ohne politischen Gestal­tungs­spielraum

Die bloße Einstufung eines Amtes als sogenanntes Reprä­sen­ta­ti­onsamt rechtfertigt die Besetzung des Amtes mit einem politischen Beamten grundsätzlich nicht. Die in § 37 Abs. 1 Nr. 5 LBG NRW verankerte Möglichkeit, Polizei­prä­si­denten, sofern sie Beamte auf Lebenszeit sind, jederzeit in den einstweiligen Ruhestand zu versetzen, ist mit Art. 33 Abs. 5 GG unvereinbar. Es liegt ein Eingriff in das Lebens­zeit­prinzip vor, der nicht durch besondere Sacher­for­dernisse des betroffenen Amtes gerechtfertigt ist. Das Amt eines Polizei­prä­si­denten in Nordrhein-Westfalen und die damit verbundenen Aufgaben weisen keine besonderen Sachge­setz­lich­keiten auf, die nach einer Gesamtwürdigung aller in Betracht zu ziehenden Indizien die Möglichkeit der jederzeitigen Versetzung in den einstweiligen Ruhestand und den damit verbundenen Eingriff in das Lebens­zeit­prinzip erforderlich machen könnten. Die Ausübung dieses Amtes bedarf nicht in besonderer Weise des politischen Vertrauens der Landesregierung und muss nicht in fortwährender Übereinstimmung mit ihren grundsätzlichen politischen Ansichten und Zielen stehen. Bereits das Aufga­ben­spektrum eines Polizei­prä­si­denten in Nordrhein-Westfalen sowie die konkrete Art der Aufga­ben­wahr­nehmung sprechen gegen ein derartiges Überein­stim­mungs­er­for­dernis. Der geringe Umfang der bestehenden Entschei­dungs­spielräume eines Polizei­prä­si­denten in Nordrhein-Westfalen indiziert nicht, dass es sich um eine politische Schlüsselstelle für die wirksame Umsetzung der politischen Ziele der Regierung handelt, die eine spezielle Vertrauensbasis von Seiten der Landesregierung erforderte. Deutlich gegen einen Status als politische Beamte sprächen auch ihre Meldepflichten unter anderem gegenüber dem Innen­mi­nis­terium. Es gehe nicht darum, das Ministerium zu beraten, sondern um eine Verlagerung der Entschei­dungs­zu­stän­digkeit auf eine höhere Ebene.

Polizei­prä­si­denten mit Landräten vergleichbar

Die organi­sa­to­rische Stellung eines Polizei­prä­si­denten in Nordrhein-Westfalen lässt es ebenfalls fernliegend erscheinen, dass die Ausübung des Amts eines Polizei­prä­si­denten der fortdauernden Übereinstimmung mit den grundsätzlichen politischen Ansichten und Zielen der Regierung bedarf. Hiergegen spricht insbesondere der Umstand, dass die Landräte als Leiter einer Kreis­po­li­zei­behörde den Polizei­prä­si­denten im Wesentlichen gleichgestellt sind, obwohl bei ihnen im Hinblick auf ihre Eigenschaft als Wahlbeamte gerade nicht gewährleistet ist, dass eine fortdauernde Übereinstimmung mit den grundsätzlichen politischen Ansichten und Zielen der Regierung besteht. Die Tatsache, dass der Landes­ge­setzgeber ihnen – nicht anders als den Polizei­prä­si­denten – die Aufgaben des Leiters der Kreis­po­li­zei­behörde übertragen hat, macht vielmehr deutlich, dass es für die Amtsführung der Leiter einer Kreis­po­li­zei­behörde gerade nicht eines besonderen politischen Vertrau­ens­ver­hält­nisses zur Regierung bedarf. Unterschiede bei den tatsächlich wahrgenommenen Aufgaben von Landräten als Kreis­po­li­zei­be­hörden und Polizei­prä­si­denten, die eine Übereinstimmung in den politischen Ansichten bei den Polizei­prä­si­denten erfordern würden, bei den Landräten als Kreis­po­li­zei­be­hör­den­leitern hingegen nicht, sind nicht erkennbar. Auch die Anzahl der in Nordrhein-Westfalen bestehenden 47 Kreis­po­li­zei­be­hörden – von denen bei jedenfalls im Kern gleichem Aufga­ben­zu­schnitt 29 durch Landräte und 18 durch Polizei­prä­si­denten geleitet werden – lässt keine Sachge­setz­lich­keiten erkennen, die für die Einstufung der Polizei­prä­si­denten als politische Beamte sprechen könnten.

NWR-Polizei­prä­si­denten kein politischer Beamter

Zwar mag die bloße Anzahl der von einem bestimmten Aufga­ben­zu­schnitt geprägten Planstellen einer bestimmten Gruppe von Ämtern für sich genommen kein entscheidendes Indiz für oder gegen das Erfordernis einer Möglichkeit jederzeitiger Versetzung in den einstweiligen Ruhestand sein. Im Falle der Polizei­prä­si­denten in Nordrhein-Westfalen kommen jedoch weitere Umstände hinzu. Zum einen haben alle Polizei­prä­si­denten des Landes auf der Grundlage des für alle gleichlautenden Gesetzesrechts im Wesentlichen vergleichbare Gefah­ren­si­tua­tionen zu bewältigen. Zum anderen stehen sie alle auf derselben Hierarchiestufe und sind in ihrer örtlichen Zuständigkeit jeweils auf einen kleinen Teil des Landes beschränkt. In einer solchen Organi­sa­ti­o­nss­truktur wäre die Etablierung eines besonders engen Vertrau­ens­ver­hält­nisses zu jedem einzelnen Polizei­prä­si­denten mit dem Ziel, landesweit relevante politische Vorgaben zu erörtern und durchzusetzen, kaum effektiv und daher fernliegend. Dass die Landesregierung bei der Umsetzung ihrer politischen Ziele zwingend auf die aktive Unterstützung der Polizei­prä­si­denten angewiesen wäre, ist ebenfalls nicht festzustellen. Das Ministerium des Innern ist über die Dienst- und Fachaufsicht jederzeit in der Lage, auf das Handeln der Polizei­prä­si­denten Einfluss zu nehmen. Ein Indiz für eine gerechtfertigte Zuordnung der nordrhein-westfälischen Polizei­prä­si­denten zum Kreis der politischen Beamten ergibt sich auch nicht aus einer etwaigen Beratungs­funktion gegenüber der Landesregierung. Eine Zugehörigkeit der Polizei­prä­si­denten zum engsten Beraterkreis der Landesregierung ist nicht erkennbar. Auch sonst ist nichts dafür ersichtlich, weshalb die Einstufung des Polizei­prä­si­denten in Nordrhein-Westfalen als politischer Beamter vor Art. 33 Abs. 5 GG Bestand haben könnte.

Quelle: Bundesverfassungsgericht, ra-online (pm/ab)

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