21.11.2024
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Dokument-Nr. 26744

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Bundesverfassungsgericht Beschluss16.10.2018

Absenkung der Eingangs­be­soldung in Baden-Württemberg verfas­sungs­widrigNotwendiges Sparvolumen muss gleich­heits­gerecht erwirtschaftet werden

Eine baden-württem­ber­gische Besol­dungs­re­gelung, die eine Absenkung der Beamten- und Richtergehälter für die ersten drei Jahre des Dienst­ver­hält­nisses in bestimmten Besol­dungs­gruppen vorsah, ist nichtig. Dies hat das Bundes­ver­fas­sungs­gericht entschieden.

Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Durch § 23 Abs. 1 des Landes­be­sol­dungs­ge­setzes Baden-Württemberg (LBesGBW) vom 9. November 2010 in der Fassung des Art. 5 Nr. 1 des Haushalts­be­gleit­ge­setzes 2013/14 vom 18. Dezember 2012 wurden zwischen dem 1. Januar 2013 und dem 31. Dezember 2017 unter anderem bei Richtern mit Anspruch auf Dienstbezüge aus der Besoldungsgruppe R 1 das Grundgehalt und etwaige Amtszulagen für die Dauer von drei Jahren nach Entstehen des Anspruchs um acht Prozent abgesenkt, nachdem zuvor bereits eine Absenkung um vier Prozent vorgesehen war. Der Kläger des Ausgangs­ver­fahrens ist seit dem Jahr 2013 - zunächst als Staatsanwalt, später als Richter - im Dienst des Landes Baden-Württemberg tätig. Er erhielt für drei Jahre eine um acht Prozent reduzierte Besoldung nach der Besol­dungs­gruppe R 1. Hiergegen erhob er nach erfolgloser Durchführung des Wider­spruchs­ver­fahrens Klage beim Verwal­tungs­gericht Karlsruhe. Dieses hat das Ausgangs­ver­fahren ausgesetzt und dem Bundes­ver­fas­sungs­gericht die Frage vorgelegt, ob § 23 Abs. 1 LBesGBW in der entschei­dungs­er­heb­lichen Fassung mit Art. 33 Abs. 5 GG vereinbar ist.

Auch nach Baden-Württemberg wechselnde Richter und Beamte betroffen

Wesentliche Erwägungen des Senats: § 23 LBesGBW verstößt gegen Art. 33 Abs. 5 GG in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG.

1. Die Regelung weicht von der aus dem Alimen­ta­ti­o­ns­prinzip hergeleiteten Maßgabe ab, wonach die Besoldungshöhe nach inner­dienst­lichen, unmittelbar amtsbezogenen Kriterien zu bemessen ist. Maßgeblich für die Anwendbarkeit der Vorschrift ist allein der erstmalige Eintritt in den baden-württem­ber­gischen Landesdienst. Hiervon sind auch Beamte und Richter betroffen, die vom Bund oder einem anderen Land nach Baden-Württemberg wechseln. Diesen Personen lässt der Landesgesetzgeber für die Dauer von bis zu drei Jahren nicht die Besoldung zukommen, die er selbst durch die Festschreibung in der Besol­dung­s­tabelle als für das jeweilige Amt angemessen erachtet hat.

Ungleich­be­handlung: Unter­schiedliche Besoldung bei gleicher Ämterbewertung

2. Die vorgelegte Vorschrift wird auch den Anforderungen des Gebots der Besol­dungs­gleichheit aus Art. 33 Abs. 5 GG in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG nicht gerecht. Die Ungleichbehandlung liegt darin begründet, dass die Absen­kungs­maßnahme nur einen Teil der Beamten- und Richterschaft trifft. Von der Regelung ausgenommen sind die Besol­dungs­gruppen bis einschließlich A 8, die Beför­de­rung­sämter in den höheren Besol­dungs­gruppen und die Besol­dungs­gruppen ab R 2 beziehungsweise W 2. Der Gleichheitssatz ist darüber hinaus dadurch beeinträchtigt, dass die Maßnahme nicht alle Stelleninhaber derselben Besol­dungs­gruppe betrifft. Namentlich bei Normerlass bereits im Dienst befindliche Beamte und Richter werden von der Norm nicht oder nur mit einer geringeren Absenkung erfasst. Es kommt also bei gleicher Ämterbewertung zu einer unter­schied­lichen Besoldung der Stelleninhaber.

Kein schlüssiges und umfassendes Konzept der Haushalts­kon­so­li­dierung

3. Diese Beein­träch­ti­gungen lassen sich nicht durch sachliche Gründe rechtfertigen.

a) Das im Gesetz­ge­bungs­ver­fahren angeführte Ziel der Haushalts­kon­so­li­dierung trägt die Vorschrift nicht. Ein schlüssiges und umfassendes Konzept der Haushalts­kon­so­li­dierung, welches nach der Rechtsprechung des Senats notwendige Voraussetzung für die Belastung der Beamten- und Richterschaft mit Sparmaßnahmen ist und das anhand einer aussa­ge­kräftigen Begründung in den Gesetz­ge­bungs­ma­te­rialien erkennbar werden muss, fehlt. Ein solches Konzept setzt wenigstens die Definition eines angestrebten Sparziels sowie die nachvoll­ziehbare Auswahl der zu dessen Erreichung erforderlichen Maßnahmen voraus. Diesen Anforderungen wird das Gesetz nicht gerecht.

Keine Aussage über Schlüssigkeit der vorgesehenen Sparmaßnahmen bei fehlender Angabe über Größenordnung der Einsparungen

Unklar ist zunächst, welches Einsparvolumen zur Konsolidierung des Haushalts für erforderlich gehalten wird. Zwar bleibt es der politischen Entscheidung des Gesetzgebers überlassen, in welcher Größenordnung Einsparungen erfolgen sollen. Ohne eine Angabe hierzu lässt sich eine Aussage insbesondere zur Schlüssigkeit der vorgesehenen Maßnahmen aber nicht treffen. Vorliegend wird beispielweise nicht klar, ob bei Erlass des Gesetzes überhaupt ein klar beziffertes Sparziel formuliert war und welchen Anteil die Absenkung der Besoldung an den insgesamt notwendigen Kürzungs­maß­nahmen letztlich hat; die Begründung des Gesetzentwurfs lässt lediglich erkennen, welches Sparvolumen voraussichtlich erreichbar sein werde. Auch wenn sich die Absenkung mit den anderen vorgesehenen Regelungen ins Verhältnis setzen lässt, schweigen die Gesetz­ge­bungs­ma­te­rialien darüber, ob die Haushalts­kon­so­li­dierung noch weitere Maßnahmen erfordert oder ob die vorgesehenen Maßnahmen das eigentliche Sparziel bereits überschreiten.

Weitere Sparmaßnahmen in Landes­haus­halts­ordnung vorgesehen

Darüber hinaus lässt sich die Auswahl der zur Einsparung ergriffenen Mittel nicht nachvollziehen. Das Haushalts­be­gleit­gesetz 2013/14 sieht neben der Einführung einer "Schuldenbremse" in die Landes­haus­halts­ordnung eine Reihe weiterer Sparmaßnahmen vor. Diese stehen aber auch unter Heranziehung der Gesetz­ge­bungs­ma­te­rialien lediglich unverbunden nebeneinander. Die nur formelhaften Erwägungen im Gesetzentwurf sind zur Rechtfertigung des gesetz­ge­be­rischen Konzepts unzureichend. Es hätte wenigstens der konkreten Benennung der alternativ in Betracht gezogenen Mittel und der Gründe bedurft, die gegen deren Anwendung sprachen. Hinsichtlich der Sozia­l­ver­träg­lichkeit und unter Gleich­heits­ge­sichts­punkten wären nachvoll­ziehbare Erläuterungen etwa zur Auswahl des von der Absen­kungs­re­gelung betroffenen Personenkreises und dazu erforderlich gewesen, warum in Bezug auf die bereits von der Norm erfassten Beamten und Richter gerade eine Verdoppelung des Absen­kungs­be­trages von vier auf acht Prozent erfolgte.

Geringere Berufserfahrung der Betroffenen keine Rechtfertigung für Regelung

b) Auch die geringe Berufserfahrung der von der Norm Betroffenen rechtfertigt die Regelung nicht. Die Berufserfahrung der Beamten und Richter hat der Landes­ge­setzgeber durch die Einführung der Besol­dungs­be­messung nach Erfah­rungs­stufen bereits berücksichtigt. Die verfah­rens­ge­gen­ständliche Absenkung der Besoldung führt nicht zu einer zulässigen Präzisierung dieses Besol­dungs­systems. Sie kommt der Einführung einer individuellen Wartefrist gleich. Zu einer solchen hat das Gericht bereits in einer früheren Entscheidung ausgeführt, dass die Besoldung kein Entgelt für bestimmte Dienst­leis­tungen des Beamten darstellt, sondern vielmehr ein "Korrelat" des Dienstherrn für die mit der Berufung in das Beamten­ver­hältnis verbundene Pflicht des Beamten, unter Einsatz seiner ganzen Persönlichkeit diesem - grundsätzlich auf Lebenszeit - seine volle Arbeitskraft zur Verfügung zu stellen. Das wahrgenommene Amt - und nicht die konkrete und möglicherweise noch zu verbessernde Tätigkeit - muss nach dem Alimen­ta­ti­o­ns­prinzip Maßstab für die Besoldung sein.

Honorierung einer mehrjährigen Zugehörigkeit ebenfalls keine überzeugende Rechtfertigung

c) Soweit sich die Landesregierung zur Rechtfertigung der Vorschrift sinngemäß darauf beruft, diese honoriere eine mehrjährige Zugehörigkeit des Beamten oder Richters zum Dienstherrn, überzeugt dies ebenfalls nicht. Das Treueprinzip verlangt von den Beamten und Richtern von Beginn ihrer Tätigkeit an eine unbedingte Loyalität zu ihrem Dienstherrn. Für Diffe­ren­zie­rungen auf Ebene der Besoldung ist daher kein Raum.

Belas­tungs­be­gründung aufgrund sozialer Gesichtspunkte scheidet aus

d) Die Belastung nur eines Teils der Beamten- und Richterschaft kann auch nicht mit sozialen Gesichtspunkten gerechtfertigt werden. Dies scheidet bereits deshalb aus, weil mit den Besol­dungs­gruppen ab R 2 und W 2 gerade solche Besol­dungs­emp­fänger von der Regelung ausgeschlossen sind, denen ein höheres Gehalt als den Normbetroffenen zusteht. Soweit Besol­dungs­gruppen mit niedrigerem Einkommen aus dem Anwen­dungs­bereich der Norm herausgenommen werden, ist die Grenzziehung zwischen dem mittleren Dienst auf der einen und dem gehobenen Dienst ab der Besol­dungs­gruppe A 9 auf der anderen Seite nicht nachvollziehbar. Zwar kann eine höhere Belastung von Beziehern höherer Bezüge grundsätzlich gerechtfertigt sein, jedenfalls aber handelt es sich bei den der Besol­dungs­gruppe A 9 zugehörigen Beamten offensichtlich nicht um Empfänger höherer Bezüge.

Landes­ge­setzgeber genügt nicht Proze­du­ra­li­sie­rungs­vorgaben

4. Des Weiteren ergibt sich die Verfassungswidrigkeit der zur Prüfung gestellten Norm daraus, dass der Landes­ge­setzgeber den aus der Verfassung abgeleiteten Proze­du­ra­li­sie­rungs­vorgaben nicht genügt hat. Der Gesetzgeber schuldet vorliegend ausnahmsweise mehr als das Gesetz als solches. Während er bei der Haushalts­kon­so­li­dierung verpflichtet sein kann, mit der auch aus den Gesetz­ge­bungs­ma­te­rialien ersichtlichen Aufstellung eines schlüssigen und umfassenden Sparkonzepts die Kosten­sen­kungs­maß­nahmen aller betroffenen Verwal­tungs­be­reiche nachvollziehbar zu koordinieren, beziehen sich die Anforderungen der Proze­du­ra­li­sierung unabhängig vom Regelungszweck allein auf Gesetz­ge­bungs­maß­nahmen im Besol­dungs­bereich. Sie sind also auch dann zu beachten, wenn die Neuregelung nicht dem Zweck der Kosten­re­du­zierung dient. Ist dies aber - wie hier - der Fall, ergänzen sich die Vorgaben gegenseitig. Vorliegend lassen sich den Gesetz­ge­bungs­ma­te­rialien keinerlei konkrete Erwägungen insbesondere zur Ausgestaltung des § 23 LBesGBW sowie dazu entnehmen, welche wirtschaftliche Bedeutung die Norm für sich genommen und im Zusammenspiel mit weiteren Vorschriften für die betroffenen Beamten und Richter hat. Es findet sich etwa keine Angabe dazu, warum der Absen­kungs­betrag für die schon vor der Änderung von der Norm erfassten Besol­dungs­gruppen gerade auf acht Prozent erhöht und somit verdoppelt wurde. Zu den Wechsel­wir­kungen mit den weiteren im Gesetz vorgesehenen Sparmaßnahmen schweigt die Begründung vollständig. Dabei wäre der Landes­ge­setzgeber aber vor allem angesichts deutlich spürbarer Maßnahmen im Beihilfebereich verpflichtet gewesen, sich nachvollziehbar mit der Frage zu befassen, ob die (weitere) Besol­dungs­ab­senkung vor diesem Hintergrund überhaupt oder in ihrer Höhe gerechtfertigt erscheint.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ ra-online

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