23.11.2024
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Bundesverfassungsgericht Beschluss07.07.2010

Verlängerung der Speku­la­ti­o­nsfrist bei Grundstücks­veräußerungs­geschäften teilweise verfas­sungs­widrigVerstoß gegen das Gebot des Vertrau­ens­schutzes

§ 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG i. V. m. § 52 Abs. 39 Satz 1 EStG ist in der Fassung des Steuer­entlastungs­gesetzes 1999/ 2000/ 2002 wegen Verstoßes gegen die verfassungs­rechtlichen Grundsätze des Vertrau­ens­schutzes teilweise verfas­sungs­widrig. Dies hat das Bundes­verfassungs­gericht entschieden.

Die Gewinne aus privaten Grund­s­tü­ck­ver­äu­ße­rungs­ge­schäften unterlagen nach der bis zum 31.12.1998 geltenden Rechtslage der Einkommensteuer, wenn der Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung weniger als zwei Jahre betrug (sog. Speku­la­ti­o­ns­ge­schäfte). Nach dem Regie­rungs­wechsel im Jahr 1998 wurde die Veräußerungsfrist durch das am 31.03.1999 verkündete Steue­r­ent­las­tungs­gesetz 1999/ 2000/ 2002 auf zehn Jahre verlängert (§ 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG). Nach § 52 Abs. 39 Satz 1 EStG galt die neue Frist erstmals ab dem Veran­la­gungs­zeitraum 1999, bezog aber - rückwirkend - auch bereits erworbene Grundstücke ein, sofern der Vertrag über die Veräußerung erst im Jahr 1999 (oder später) geschlossen wurde.

Finanzamt wandte neue Veräu­ße­rungsfrist an

In den hiesigen drei Ausgangs­ver­fahren veräußerten die Kläger in den Jahren 1990 bzw. 1991 ihre erworbenen Grundstücke nach Ablauf der alten, aber innerhalb der neuen Veräu­ße­rungsfrist im Jahr 1999, wobei die zugrun­de­lie­genden Verträge teilweise bereits vor der Verkündung des neuen Rechts (am 26.02. bzw. 16.03.1999) geschlossen wurden, teilweise aber auch erst danach (am 22.04.1999). Das Finanzamt wandte in allen Fällen die neue Veräu­ße­rungsfrist an und rechnete die Veräußerungsgewinne dem zu versteuernden Einkommen zu. Die erhobenen Klagen führten jeweils zur Vorlage durch das Finanzgericht Köln und den Bundesfinanzhof.

Entscheidung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts

In den zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Normen­kon­troll­ver­fahren hat der Zweite Senat des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts entschieden, dass § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG i. V. m. § 52 Abs. 39 Satz 1 EStG in der Fassung des Steue­r­ent­las­tungs­ge­setzes 1999/ 2000/ 2002 wegen Verstoßes gegen die verfas­sungs­recht­lichen Grundsätze des Vertrau­ens­schutzes teilweise verfas­sungs­widrig ist. Die Verlängerung der Veräu­ße­rungsfrist auf zehn Jahre als solche ist dagegen verfas­sungs­rechtlich nicht zu beanstanden.

"Rückbewirkung von Rechtsfolgen" liegen nicht vor

Eine grundsätzliche unzulässige "echte" Rückwirkung, bei der die gesetzlichen Rechtsfolgen schon vor dem Zeitpunkt der Verkündung für bereits abgeschlossene Tatbestände eintreten sollen ("Rückbewirkung von Rechtsfolgen"), liegt nicht vor. Denn die verlängerte Veräu­ße­rungsfrist kommt erst ab dem im Zeitpunkt der Änderung noch laufenden Veran­la­gungs­zeitraum zur Anwendung, d. h. für Veräu­ße­rungs­erlöse, die ab dem 01.01.1999 zugeflossen sind. Es liegt aber eine "unechte" Rückwirkung vor, soweit das Grundstück im Zeitpunkt der Verkündung der Neuregelung am 31.03.1999 bereits erworben war, weil die Anwendung der verlängerten Veräu­ße­rungsfrist insoweit an einen zurückliegenden Sachverhalt anknüpft. Das ist zwar nicht grundsätzlich unzulässig, mit den grund­recht­lichen und rechts­s­taat­lichen Grundsätzen des Vertrau­ens­schutzes aber nur vereinbar, wenn die Rückanknüpfung zur Förderung des Gesetzeszwecks geeignet und erforderlich ist und bei einer Gesamtabwägung zwischen dem Gericht des enttäuschten Vertrauens und der Dringlichkeit der die Rechtsänderung recht­fer­ti­genden Gründe die Grenzen der Zumutbarkeit gewahrt bleibt. Damit ist die rückwirkende Verlängerung der Veräu­ße­rungsfrist nur teilweise vereinbar.

Bloße Möglichkeit Gewinn steuerfrei zu vereinnahmen, keine (vertrauens-)rechtlich geschützte Position

Soweit die früher geltende zweijährige Spekulationsfrist im Zeitpunkt der Verkündung noch nicht abgelaufen war, begegnet ihre Verlängerung keinen verfas­sungs­recht­lichen Bedenken. Das gleiche gilt, soweit die alte Frist zwar bereits abgelaufen war, sich der Zugriff aber auf die erst nach der Verkündung der Neuregelung eintretenden Wertstei­ge­rungen beschränkt. Zwar kann die Entscheidung für den Erwerb eines Grundstücks im einzelnen Fall maßgeblich von der Erwartung bestimmt sein, einen etwaigen Veräu­ße­rungs­gewinn nach Ablauf von zwei Jahren steuerfrei realisieren zu können. Die bloße Möglichkeit, Gewinne später steuerfrei vereinnahmen zu können, begründet aber keine (vertrauens-) rechtlich geschützte Position. Mit Wertstei­ge­rungen kann im Zeitpunkt des Erwerbs nicht sicher gerechnet werden, so dass auch die Enttäuschung der Hoffnung auf künftige steuerfreie Vermö­gens­zu­wächse nicht als Beein­träch­tigung greifbarer Vermögenswerte zu werten ist.

Verlängerte Speku­la­ti­o­nsfrist verstößt gegen Grundsätze des Vertrau­ens­schutzes

Die Anwendung der verlängerten Speku­la­ti­o­nsfrist verstößt aber gegen die verfas­sungs­recht­lichen Grundsätze des Vertrau­ens­schutzes und ist nichtig, soweit ein im Zeitpunkt der Verkündung bereits eingetretener Wertzuwachs der Besteuerung unterworfen wird, der nach der zuvor geltenden Rechtslage bereits steuerfrei realisiert worden ist oder zumindest bis zur Verkündung steuerfrei hätte realisiert werden können, weil die alte Speku­la­ti­o­nsfrist bereits abgelaufen war. Insoweit war bereits eine konkret verfestigte Vermö­gen­s­po­sition entstanden, die durch die rückwirkende Verlängerung der Speku­la­ti­o­nsfrist nachträglich entwertet wird. Diese führt zudem zu einer Ungleich­be­handlung, die unter dem Gesichtspunkt der Lasten­gleichheit einer erhöhten Rechtfertigung bedarf, wenn die alte Frist - wie in den Ausgangs­ver­fahren - bereits bis zum Ende des Jahres 1998 abgelaufen war. Denn bei denjenigen Steuer­pflichtigen, die ihr Grundstück noch im Jahr 1998 veräußerten, bleiben die bis dahin erzielten Wertstei­ge­rungen steuerfrei.

Ziel "verbesserte Rechtslage" kein Grund rückwirkenden Zugriff zu legitimieren

Hinreichend gewichtige Gründe, die geeignet sind, die nachträgliche einkom­mens­steu­er­rechtliche Belastung bereits entstandener, steuerfrei erworbener Wertzuwächse zu rechtfertigen, bestehen nicht. Soweit die Neuregelung allgemein damit begründet wird, dass sie dem Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaft­lichen Leistungs­fä­higkeit und damit auch dem gebot der Steuer­ge­rech­tigkeit besser entspreche, hat dies nur Bedeutung für die Grund­sat­z­ent­scheidung, private Veräu­ße­rungs­gewinne und damit Wertstei­ge­rungen des Privatvermögens stärker als zuvor bei der Bemessung der finanziellen Leistungs­fä­higkeit heranzuziehen. Dieses Ziel, die Rechtslage zu "verbessern", bezeichnet nur das allgemeine Änderungs­in­teresse, ist aber kein spezifischer Grund, der geeignet ist, gerade auch den rückwirkenden Zugriff auf bereits steuerfrei erworbene Wertstei­ge­rungen zu legitimieren.

Gleiches gilt für das vom Gesetzgeber benannte Ziel einer Verbreitung der Bemes­sungs­grundlage zur Gegen­fi­nan­zierung. Die bloße Absicht, staatliche Mehreinkünfte zu erzielen, ist für sich genommen grundsätzlich kein den Vertrauensschutz betroffener Steuer­pflichtiger überwindendes Gemein­wohl­in­teresse. Denn dies würde bedeuten, dass der Vertrau­ens­schutz gegenüber rückwirkenden Verschärfungen des Steuerrechts praktisch leerliefe. Auch das Bedürfnis, mit Mehreinnahmen an anderer Stelle gewährte Steue­r­er­leich­te­rungen zu finanzieren, bezeichnet nur einen allgemeinen Änderungsbedarf, der es rechtfertigt, Wertstei­ge­rungen ab der Verkündung steuerlich zu erfassen, aber nicht gerade auch die rückwirkende Einbeziehung bereits steuerfrei erworbener Vermö­gens­zu­wächse legitimiert. Eine solche Legitimation ergibt sich auch nicht aus der Schwierigkeit und Strei­t­an­fäl­ligkeit einer Feststellung des Marktpreises zum Zeitpunkt der Verkündung, denn damit können allenfalls grobe Schät­zungs­lö­sungen bei der Wertermittlung, nicht aber ein vollständiges Absehen davon gerechtfertigt werden.

Veräu­ße­rungsfrist folgerichtige Konsequenz aus historisch gewachsenen Dualismus der Einkunftsarten

Die zehnjährige Veräu­ße­rungsfrist als solche ist dagegen verfas­sungs­rechtlich nicht zu beanstanden. Die unter­schiedliche einkom­mens­steu­er­rechtliche Erfassung von Wertstei­ge­rungen im Vermögen des Steuer­pflichtigen ist mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar. Sie ist die systematische und insofern folgerichtige Konsequenz aus dem historisch gewachsenen Dualismus der Einkunftsarten und liegt innerhalb des Gestal­tungs­spielraums, der dem Gesetzgeber bei der Erschließung von Steuerquellen zukommt. Es verstößt ferner nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz, dass Gewinne aus Grund­s­tücks­ver­äu­ße­rungen nicht dem für außer­or­dentliche Einkünfte geltenden ermäßigten Tarif nach § 34 EStG unterliegen. Der Tarifermäßigung für Gewinne aus der Veräußerung eines Betriebs, Teilbetriebs oder Mitun­ter­neh­me­ranteils liegt zugrunde, dass die Erwer­b­s­tä­tigkeit beendet ist und die in einem gesamten Wirtschaftsleben angesammelten stillen Reserven einmalig realisiert werden. Die Grundstücksveräußerung betrifft dagegen nur einen einzelnen Vermö­gens­ge­genstand und erfasst nach der Neuregelung nur solche stille Reserven, die über einen Zeitraum von maximal zehn Jahren angefallen sind. Schließlich ist es aus Gründen der Klarheit und Handhabbarkeit des Rechts sowie aus währungs­po­li­tischen Erwägungen verfas­sungs­rechtlich nicht zu beanstanden, wie das Einkom­mens­steu­errecht vom Nominal­wert­prinzip ausgeht, bei der Berechnung des Veräu­ße­rungs­gewinns also die zwischen­zeitliche Geldentwertung unberück­sichtigt bleibt.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ ra-online

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