12.12.2024
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Dokument-Nr. 33542

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Bundesverfassungsgericht Beschluss07.11.2023

Unzulässige Richtervorlage zur sogenannten Gutscheinlösung während der Corona-PandemieRichtervorlage unzureichend begründet

Das Bundes­verfassungs­gericht hat die Unzulässigkeit einer Richtervorlage zu Art. 240 § 5 Abs. 1 Satz 1 des Einfüh­rungs­ge­setzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch (EGBGB) festgestellt. Diese Vorschrift erlaubte es Veranstaltern von Freizeit­veranstaltungen, anstelle einer Erstattung des Eintritts­preises einen Gutschein auszugeben, wenn Veranstaltungen aufgrund der Corona-Pandemie ausfielen (sogenannte Gutscheinlösung).

Der Kläger des Ausgangs­ver­fahrens macht gegenüber der beklagten Veranstalterin Rückzah­lungs­ansprüche für zwei von ihm im Januar 2020 zu einem Preis von 510 Euro erworbene Eintrittskarten für ein im Juni 2020 geplantes Konzert geltend, das wegen der Corona-Pandemie nicht stattfinden konnte. Die Veranstalterin hatte dem Kläger vorgerichtlich – während des laufenden Gesetz­ge­bungs­ver­fahrens, aber vor Inkrafttreten des Art. 240 EGBGB – statt einer Kaufpreis­rü­ck­er­stattung lediglich einen Ersatztermin oder einen Gutschein angeboten. Der Gesetzentwurf zu Art. 240 EGBGB datiert vom 21. April 2020 und trat im Wesentlichen unverändert am 20. Mai 2020 in Kraft. Im September 2022 trat die Vorschrift wieder außer Kraft.

Vorlage unzureichend begründet

Die Richtervorlage ist unzulässig. Das Amtsgericht begründet nicht ausreichend, dass Art. 240 § 5 Abs. 1 Satz 1 EGBGB unver­hält­nismäßig in die von Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützte Eigen­tums­ga­rantie eingreift. Auch legt es nicht hinreichend dar, dass die Vorschrift gegen den Vertrau­ens­schutz­grundsatz verstößt. Dementsprechend geht es auch nicht darauf ein, wo die Grenze dieses Spielraums bei der vorliegend einschlägigen Regelungs­materie verläuft und ob und gegebenenfalls warum die Einschätzung des Gesetzgebers, die Gutscheinlösung sei zur Vermeidung von Insolvenzen der Veranstalter und zur Verhinderung der nachteiligen Folgen für die Gesamt­wirt­schaft, das kulturelle Angebot sowie die Ticketinhaber erforderlich, den dem Gesetzgeber zustehenden Spielraum überschreitet. Auch die Ausführungen des Vorla­ge­be­schlusses zu den angeblich milderen, gleich wirksamen Mitteln, nämlich einer finanziellen Absicherung durch den Staat, sind unzureichend. Insbesondere setzt sich der Vorla­ge­be­schluss insoweit nicht mit der Rechtsprechung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts auseinander, wonach die Erfor­der­lichkeit einer Regelung nicht schon deshalb entfällt, weil eine Finanzierung der Aufgabe aus Steuermitteln für den Betroffenen ein milderes Mittel wäre. Mildere Mittel sind nicht solche, die eine Kostenlast lediglich verschieben. Der Vorla­ge­be­schluss genügt auch insoweit nicht den Begrün­dungs­er­for­der­nissen, als er die Verhält­nis­mä­ßigkeit im engeren Sinne verneint. Er identifiziert die einander gegen­über­ste­henden, miteinander abzuwägenden Interessen nicht vollständig. Insbesondere nimmt der Vorla­ge­be­schluss nicht hinreichend in den Blick, dass die Gutscheinlösung nach dem Willen des Gesetzgebers gerade auch den Interessen der Ticketinhaber selbst dienen soll. Ein Rücker­stat­tungs­an­spruch wäre ohne die Gutscheinlösung im Falle finanzieller Probleme der Veranstalter häufig nur schwer oder infolge einer Insolvenz des Veranstalters gar nicht durchsetzbar.

Kern der vom Gesetzgeber vorgenommenen Abwägung außer Acht gelassen

Auch die Ausführungen zu Intensität, Schwere und Tragweite der Beein­träch­ti­gungen der betroffenen Interessen sind unzureichend. Hinsichtlich der mit der Regelung für Ticketinhaber einhergehenden Belastungen wird im Vorla­ge­be­schluss nicht in den Blick genommen, dass der vom betroffenen Ticketinhaber im Einzelfall vorausgezahlte und von Art. 240 § 5 EGBGB erfasste Betrag der Höhe nach typischerweise überschaubar ist. Im Vorla­ge­be­schluss bleibt die gesetz­ge­be­rische Prognose unberück­sichtigt, ohne die vom Vorlagegericht für verfas­sungs­widrig erachtete Regelung würde eine Vielzahl von Ticketinhabern eine (sofortige) Rückerstattung verlangen. Gerade die Stundung vieler kleinerer Forderungen zum Zwecke der Verhinderung von auf der Seite der Veranstalter durch die Kumulation einer Vielzahl solcher Forderungen drohenden schwerwiegenden, potentiell existenz­ge­fähr­denden wirtschaft­lichen Beein­träch­ti­gungen macht aber den Kern der vom Gesetzgeber vorgenommenen Abwägung aus. Weiter setzt sich das vorlegende Gericht nicht hinreichend mit dem Gestal­tungs­spielraum, der dem Gesetzgeber auch bei der Abwägung der schutzwürdigen Interessen des Eigentümers und der Belange des Gemeinwohls zukommt, und dessen Weite beziehungsweise Grenzen auseinander. Unerörtert bleibt, dass der Gesetzgeber insofern die durch die Corona-Pandemie und die hiermit verbundenen Maßnahmen wie etwa Veran­stal­tungs­verbote hervorgerufenen negativen wirtschaft­lichen Folgen für die Veranstalter samt Folgeproblemen für die Gesamt­wirt­schaft, das kulturelle Angebot in Deutschland sowie die Ticketinhaber berücksichtigt hat. Hinsichtlich eines Verstoßes gegen den Vertrau­ens­schutz­grundsatz hat das vorlegende Gericht seine Überzeugung von der Verfas­sungs­wid­rigkeit des Art. 240 § 5 Abs. 1 Satz 1 EGBGB ebenfalls nicht hinreichend dargelegt. Hierbei hätte sich insbesondere eine Ausein­an­der­setzung mit der in der Literatur vertretenen Ansicht aufgedrängt, wonach eine – im Vorla­ge­be­schluss angenommene – echte Rückwirkung etwa dann in Betracht kommt, wenn der Gesetzgeber nicht früh genug auf eine sich schnell entwickelnde Sachlage reagieren kann und vielmehr „nachziehen“ muss.

Quelle: Bundesverfassungsgericht, ra-online (pm/ab)

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