21.11.2024
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Dokument-Nr. 31278

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Bundesverfassungsgericht Beschluss08.12.2021

Für 2007 erfolgte steuerliche Privilegierung von Gewinn­ein­künften gegenüber Übe­rschuss­einkünften verfas­sungs­widrigGesetzgeber muss spätestens bis zum 31.Dezember 2020 verfas­sungs­gemäße Neuregelung treffen

Das Bundes­verfassungs­gericht hat entschieden, dass eine auf Gewinneinkünfte beschränkte Begrenzung des Ein­kommen­steuer­tarifs durch Regelungen im Steuer­änderungs­gesetz 2007 und im Jahressteu­er­gesetz 2007 mit dem allgemeinen Gleichheitssatz unvereinbar ist. Die Vorschriften bewirken eine nicht gerechtfertigte Begünstigung von Gewinn­ein­künften gegenüber den Übe­rschuss­einkünften. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, spätestens bis zum 31. Dezember 2022 rückwirkend für das Veran­la­gungsjahr 2007 eine Neuregelung zu treffen.

Durch das Steuer­än­de­rungs­gesetz 2007 wurde für Einkünfte über 250.000 Euro (Einzel­ver­an­lagung) beziehungsweise 500.000 Euro (Zusam­men­ver­an­lagung von Ehegatten) der Spitzen­steu­ersatz ab dem Jahr 2007 von 42 % auf 45 % erhöht (§ 32 a Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 des Einkom­men­steu­er­ge­setzes). Von der Erhöhung wurden Gewinneinkünfte (zum Beispiel Einkünfte aus Gewerbebetrieb) für das Jahr 2007 ausgenommen (§ 32 c des Einkom­men­steu­er­ge­setzes), sodass der Spitzen­steu­ersatz von 45 % nur Bezieher von Überschuss­e­in­künften (zum Beispiel Einkünfte aus nicht­selb­ständiger Arbeit) traf.

Gewinneinkünfte mit spezifisch unter­neh­me­rischen Risiko verbunden

Zur Begründung führte der Gesetzgeber zum einen an, Gewinneinkünfte seien mit einem spezifisch unter­neh­me­rischen Risiko verbunden. Zum anderen wollte er mit der Entlastung der Gewinneinkünfte dem Umstand Rechnung tragen, dass für 2008 eine umfassende Unternehmenssteuerreform geplant war. Er sah vor diesem Hintergrund eine Anhebung des Spitzen­steu­er­satzes auch für unter­neh­me­rische Einkünfte als das falsche Signal und zudem mit negativen ökonomischen Folgen verbunden an. Durch das Jahressteu­er­gesetz 2007 erfolgten weitere Anpassungen des Einkom­men­steu­er­ge­setzes zur Beschränkung des Steuersatzes für Gewinneinkünfte auf 42 %.

Gebot der Besteuerung nach der Leistungs­fä­higkeit verletzt?

Die Kläger des Ausgangs­ver­fahrens sind Ehegatten und wurden für den Veran­la­gungs­zeitraum 2007 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger erzielte als Geschäftsführer einer großen Wirtschafts­prü­fungs­ge­sell­schaft Einkünfte aus nicht­selb­ständiger Arbeit in Höhe von mehr als 1,5 Millionen Euro. Insoweit berücksichtigte das Finanzamt bei der Einkom­men­steu­er­fest­setzung den Spitzen­steu­ersatz von 45 %. Mit ihrer nach erfolglosem Einspruchs­ver­fahren erhobenen Klage vor dem Finanzgericht haben die Kläger geltend gemacht, die Benachteiligung der Überschuss­e­in­künfte gegenüber den Gewinn­ein­künften verstoße gegen das Gebot der Besteuerung nach der Leistungs­fä­higkeit. Das Finanzgericht Düsseldorf hat das Verfahren ausgesetzt und dem Bundes­ver­fas­sungs­gericht die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob eine auf Gewinneinkünfte beschränkte Begrenzung des Einkom­men­steu­er­tarifs für das Jahr 2007 mit dem Grundgesetz vereinbar ist.

Weit reichender Entschei­dungs­spielraum jedoch mit Bindung an Grundsatz der Steuer­ge­rech­tigkeit

Das BVerfG stellt fest, dass § 32 c EStG in der Fassung des Steuer­än­de­rungs­ge­setzes 2007 und des Jahressteu­er­ge­setzes 2007 in Verbindung mit § 32 a Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 EStG in der Fassung des Steuer­än­de­rungs­ge­setzes 2007 ist mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar. Der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) gebietet dem Gesetzgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Dem Steuer­ge­setzgeber belässt Art. 3 Abs. 1 GG insbesondere bei der Bestimmung des Steuersatzes einen weit reichenden Entschei­dungs­spielraum. Der Gleichheitssatz bindet ihn aber an den Grundsatz der Steuergerechtigkeit. Dieser gebietet, die Belastung mit Finanz­zweck­steuern an der wirtschaft­lichen Leistungs­fä­higkeit auszurichten.

Ungleich­be­handlung muss gerechtfertigt sein

Das BVerfG stellt weiter klar, dass bei der Einkom­mens­steuer die konkrete Ausgestaltung eines für alle Einkünfte geltenden Tarifs grundsätzlich im Entschei­dungs­spielraum des Gesetzgebers liegt. Wählt der Gesetzgeber indes für verschiedene Arten von Einkünften unter­schiedliche Tarifverläufe, obwohl die Einkünfte nach der gesetz­ge­be­rischen Ausgangs­ent­scheidung die gleiche Leistungs­fä­higkeit repräsentieren, muss diese Ungleich­be­handlung gerechtfertigt sein. Ein Recht­fer­ti­gungsgrund kann in der Verfolgung von Förderungs- oder Lenkungszwecken liegen. Der Gesetzgeber ist grundsätzlich nicht gehindert, mit Hilfe des Steuerrechts aus Gründen des Gemeinwohls außer­fis­ka­lische Förder- und Lenkungsziele zu verfolgen.

Förderungs- oder Lenkungszwecke müssen hinreichend bestimmt sein

Förderungs- und Lenkungsziele sind allerdings nur dann geeignet, rechtfertigende Gründe für steuerliche Be- oder Entlastungen zu liefern, wenn entweder Ziel und Grenze der Lenkung mit hinreichender Bestimmtheit tatbestandlich vorgezeichnet sind oder das angestrebte Förderungs- oder Lenkungsziel jedenfalls von einer erkennbaren gesetz­ge­be­rischen Entscheidung getragen wird. Die gesetz­ge­be­rische Entscheidung für Förderungs- oder Lenkungszwecke muss hinreichend bestimmt sein. In den Geset­zes­ma­te­rialien genannte lediglich vage Zielsetzungen genügen für sich genommen nicht, um Abweichungen von einer leistungs­ge­rechten Besteuerung zu rechtfertigen.

Verfah­rens­ge­gen­ständliche Privilegierung der Gewinneinkünfte mit allgemeinen Gleichheitssatz unvereinbar

Nach diesen Maßstäben ist die verfah­rens­ge­gen­ständliche Privilegierung der Gewinneinkünfte mit dem allgemeinen Gleichheitssatz unvereinbar. Die Vorschriften bewirken eine Ungleich­be­handlung von Gewinn- und Überschuss­e­in­künften. Während die Bezieher von Überschuss­e­in­künften über 250.000 Euro (Einzel­ver­an­lagung) beziehungsweise über 500.000 Euro (Zusam­men­ver­an­lagung von Ehegatten) im Jahr 2007 einem Steuersatz von 45 % unterlagen, war für die Bezieher von Gewinn­ein­künften der Höchstsatz auf 42 % begrenzt. Diese Ungleich­be­handlung ist nicht gerechtfertigt.

Unter­neh­mer­risiko sowohl bei Gewinn- als auch bei Überschuss­e­in­künften

Das vom Gesetzgeber für die Ungleich­be­handlung herangezogene spezifische unter­neh­me­rische Risiko ist kein sachlich einleuchtender Grund für die erfolgte Differenzierung zwischen Gewinn- und Überschuss­e­in­künften. Zwar tragen die Bezieher von Gewinn­ein­künften ein Unternehmerrisiko. Das spezifische Unter­neh­mer­risiko des Gewer­be­trei­benden bietet aber ebenso wie das Unter­neh­mer­risiko eines selbständigen Land- und Forstwirts oder eines freiberuflich tätigen Selbständigen keine Anhaltspunkte für die Annahme, die Erwirtschaftung gleicher Zahlungs­fä­higkeit sei Ausdruck einer geringeren Leistungs­fä­higkeit. Risiken bei der Einkünf­teer­zielung können gleichermaßen bei den Überschuss­e­in­künften entstehen, etwa bei Kapital- oder Vermie­tungs­ein­künften und aufgrund unsicherer Arbeits­ma­rktlage selbst bei Lohneinkünften. Es kommt hinzu, dass ein Unter­neh­mer­risiko im Einkom­men­steu­errecht grundsätzlich erst, aber auch immer dann steuermindernd berücksichtigt wird, wenn es sich realisiert hat. Denn bei einem geringeren oder fehlenden Gewinn ist eine niedrigere oder gar keine Einkommensteuer zu entrichten. Hingegen bleibt im Einkom­men­steu­errecht das nur abstrakte unter­neh­me­rische Risiko ebenso wie nur abstrakte besondere unter­neh­me­rische Chancen außen vor. Entscheidend ist das tatsächlich aus einer Tätigkeit Erwirtschaftete.

Hinweis auf geplante Unter­neh­mens­steu­er­reform nicht ausreichend

Soweit der Gesetzgeber mit der Privilegierung der Gewinneinkünfte dem Umstand Rechnung tragen wollte, dass für das Jahr 2008 eine umfassende Unter­neh­mens­steu­er­reform geplant war, fehlt es an einer erkennbaren gesetz­ge­be­rischen Entscheidung für einen hinreichend bestimmten Förderungs- oder Lenkungszweck. Das vom Gesetzgeber genannte Ziel hat keinen Niederschlag im Tatbestand von § 32 c EStG in der Fassung des Steuer­än­de­rungs­ge­setzes 2007 gefunden. Warum Gewinneinkünfte privilegiert werden sollen, ergibt sich aus der Norm nicht. Die Geset­zes­ma­te­rialien verweisen zwar auf die geplante Unter­neh­mens­steu­er­reform, lassen aber ebenfalls offen, welches Ziel der Gesetzgeber damit verfolgen wollte. Aus ihnen lässt sich nur entnehmen, dass eine Entlastung unter­neh­me­rischer Einkünfte beabsichtigt war. Sie lassen weder erkennen, aus welchem Grund der Gesetzgeber eine Entlastung anstrebte, noch, welcher Art diese sein und welches Ausmaß sie haben sollte. Details einer im Rahmen der Unter­neh­mens­steu­er­reform geplanten Entlas­tungs­re­gelung waren zum damaligen Zeitpunkt noch nicht ausgearbeitet. Es gab weder einen Gesetzentwurf, der in den Bundestag eingebracht worden wäre, noch auch nur einen Regie­rungs­entwurf, der vom Bundestag mit der Geset­zes­be­gründung stillschweigend hätte in Bezug genommen werden können.

Lediglich Koali­ti­o­ns­ver­ein­barung aus 2005 zeigte Grundtendenz geplanten Unter­neh­mens­steu­er­reform auf

Lediglich die Koali­ti­o­ns­ver­ein­barung aus dem Jahr 2005 zeigte bei Erlass des Steuer­än­de­rungs­ge­setzes 2007 die Grundtendenz der geplanten Unter­neh­mens­steu­er­reform auf. Dort hatten die Regie­rungs­parteien ihre Absicht zum Ausdruck gebracht, durch eine Reform des Unter­neh­mens­steu­er­rechts das Steuerrecht zu vereinfachen und international wettbe­wer­bsfähig zu gestalten, um die Steuerbasis in Deutschland zu sichern, Inves­ti­ti­o­ns­anreize zu setzen und so neue Arbeitsplätze zu schaffen sowie das wirtschaftliche Wachstum insgesamt zu beleben. Die Reform sollte neben den Körperschaften auch die Perso­nen­un­ter­nehmen erfassen, da deutsche Unternehmen zu mehr als 80 % in dieser Rechtsform organisiert seien.

Förderungs- und Lenkungszweck nicht hinreichend konkretisiert

Die Koali­ti­o­ns­ver­ein­barung erläutert damit zwar, warum der Gesetzgeber eine Entlastung unter­neh­me­rischer Einkünfte anstrebte. Sie lässt jedoch offen, welcher Art diese Entlastung sein und welches Ausmaß sie haben sollte. Schon deshalb scheidet sie zur näheren Konkretisierung eines mit dem Steuer­än­de­rungs­gesetz 2007 erkennbar verfolgten Förderungs- und Lenkungszwecks aus. Der Senat hat vor diesem Hintergrund offengelassen, ob Koali­ti­o­ns­ver­ein­ba­rungen zwischen politischen Parteien für sich genommen überhaupt geeignet sind, die hinreichende Bestimmtheit einer gesetz­ge­be­rischen Entscheidung für Förderungs- oder Lenkungszwecke einer steuerlichen Maßnahme zu gewährleisten.

Auch Eckpunktepapier des Bundeskabinetts ließ zentrale Fragen der Unter­neh­mens­steu­er­reform offen

Eine erkennbare gesetz­ge­be­rische Entscheidung folgt auch nicht aus dem sogenannten Eckpunktepapier des Bundeskabinetts für eine Reform der Unter­neh­mens­be­steuerung vom 12. Juli 2006. Der Beschluss des Bundeskabinetts zu den Eckpunkten der geplanten Unter­neh­mens­steu­er­reform ist erst nach der Verabschiedung des Steuer­än­de­rungs­ge­setzes 2007 durch den Beschluss des Bundestages vom 29. Juni 2006 und die Zustimmung des Bundesrates am 7. Juli 2006 gefasst worden. Im Übrigen ließ auch das Eckpunktepapier zentrale Fragen der Unter­neh­mens­steu­er­reform offen.

Quelle: Bundesverfassungsgericht, ra-online (pm/ab)

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