18.10.2024
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Dokument-Nr. 33561

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Beschluss15.11.2023Bundesverfassungsgericht2 BvG 1/19 und 2 BvG 1/21
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Bundesverfassungsgericht Beschluss15.11.2023

Unzulässige Anträge Sachsens und Thüringens im Bund-Länder-Streit wegen zukünftiger Sanie­rungs­kosten für durch DDR-Staatsbetriebe verursachte UmweltschädenBund muss keine weiteren Kosten für die Sanierung ökologischer Altlasten aus DDR-Zeiten übernehmen

Das Bundes­verfassungs­gericht hat in zwei Bund-Länder-Streitigkeiten Anträge der Länder Sachsen und Thüringen als unzulässig verworfen. Diese waren im Kern darauf gerichtet, den Bund zu verpflichten, sich an der Finanzierung weiterer Sanie­rungs­kosten für ökologische Altlasten zu beteiligen, die durch ehemalige staatseigene Betriebe der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) verursacht wurden.

m Zuge der deutschen Wieder­ver­ei­nigung wurden die ehemaligen staatseigenen Betriebe der DDR in die bundeseigene Treuhandanstalt (Treuhand) überführt und von dieser privatisiert. In vielen Fällen vereinbarte die Treuhand mit Investoren Haftungs­frei­stel­lungen für durch die Betriebe verursachte Umweltschäden. Diese sollten allerdings nur greifen, wenn keine gesetzliche Haftungs­frei­stellung, insbesondere nach Art. 1 § 4 Abs. 3 des Umwelt­rah­men­ge­setzes (URaG), in Betracht kam. Im Jahr 1992 schlossen der Bund und die ostdeutschen Länder das Verwal­tungs­ab­kommen zur Regelung der Finanzierung der ökologischen Altlasten (Verwal­tungs­ab­kommen). Dieses sieht unter anderem eine Verteilung der Freistel­lungs­kosten für ökologische Altlasten zwischen der Treuhand (60 % oder 75 %) und dem jeweiligen Land (40 % oder 25 %) vor. Infolge praktischer Schwierigkeiten bei der Umsetzung des Verwal­tungs­ab­kommens schlossen einige Länder, darunter die Freistaaten Sachen und Thüringen, Generalverträge mit der Treuhand, zwischen­zeitlich umbenannt in Bundesanstalt für verei­ni­gungs­be­dingte Sonderaufgaben. Dem Generalvertrag mit dem Freistaat Sachsen liegt ein Gesamts­a­nie­rungs­aufwand von 350 Millionen Euro zugrunde. Für den Fall, dass bis 2018 feststeht, dass dieser Aufwand deutlich höher ausfällt als zunächst geschätzt, sollten die Parteien in Verhandlungen über die Mehrkosten treten. Im Oktober 2018 teilte der Freistaat Sachsen dem Bundes­mi­nis­terium der Finanzen und der Bundesanstalt für Immobi­lien­aufgaben (Rechts­nach­folgerin der Bundesanstalt für verei­ni­gungs­be­dingte Sonderaufgaben) mit, dass in 2027 die Kostenschwelle erreicht sein werde und Mehrkosten von etwa 234 Millionen Euro entstehen würden. Er begehrte die Aufnahme von Nachver­hand­lungen. Das Bundes­mi­nis­terium der Finanzen und die Bundesanstalt für Immobi­lien­aufgaben lehnten dies ab. Der Generalvertrag mit dem Freistaat Thüringen ging von einem Gesamts­a­nie­rungs­aufwand von etwa 1,3 Milliarden Deutsche Mark aus. Bei einer erheblichen Kosten­über­schreitung binnen zehn Jahren sollten die Parteien über die Mehrkosten verhandeln. Nach Berechnung des Freistaats Thüringen wurde die Kostengrenze im Jahr 2017 überschritten. Nach diversen Schriftwechseln forderte er das Bundes­mi­nis­terium der Finanzen und die Bundesanstalt für Immobi­lien­aufgaben abschließend zum Eintritt in Verhandlungen auf. Eine Reaktion erfolgte nicht.

Antrag wegen fehlender Antragsbefugnis unzulässig

Die Anträge sind unzulässig. Den antrag­stel­lenden Freistaaten Sachsen und Thüringen fehlt die Antragsbefugnis. Das Schreiben des Bundes­mi­nis­teriums der Finanzen vom 9. November 2018 bringt zwar die (endgültige) Weigerung des Bundes zum Ausdruck, weitere Kosten für die Altlastensanierung in Sachsen zu übernehmen oder darüber zu verhandeln. Eine Verletzung oder unmittelbare Gefährdung durch das Grundgesetz übertragener Rechte und Pflichten bedeutet dies indes nicht. Der Freistaat Sachsen zeigt kein materielles Verfas­sungs­rechts­ver­hältnis und damit auch keine verfas­sungs­rechtlich abzuleitende Pflicht des Bundes zur begehrten Kostentragung auf. Eine solche Pflicht ist weder im Hinblick auf Art. 104a Abs. 1 GG noch auf ungeschriebene Verfas­sungs­grundsätze hinreichend dargelegt. Nach Art. 104a Abs. 1 GG tragen der Bund und die Länder – soweit im Grundgesetz nichts anderes bestimmt ist – gesondert die Ausgaben, die sich aus der Wahrnehmung ihrer jeweiligen Aufgaben ergeben. Für die Zuordnung der Finan­zie­rungs­ver­ant­wortung ist an die Verwal­tungs­ver­ant­wortung anzuknüpfen. Der Freistaat Sachsen hat nicht hinreichend dargelegt, dass nach dem Grundgesetz die Verwal­tungs­kom­petenz und damit auch die Finan­zie­rungs­ver­ant­wortung hinsichtlich Art. 1 § 4 Abs. 3 URaG vollumfänglich dem Bund zugewiesen ist. Für die Bestimmung der Verwal­tungs­kom­petenz für das Umwelt­rah­men­gesetz ist nicht entscheidend, dass die Treuhand bei der Veräußerung von Betrieben in vielen Fällen mit dem jeweiligen Investor vertragliche Freistel­lungs­ver­pflich­tungen für ökologische Altlasten vereinbart hatte. Diese Freistellung auf privat­recht­licher Grundlage begründet keine Annex­zu­stän­digkeit für die öffentlich-rechtliche Freistellung nach dem Umwelt­rah­men­gesetz, dessen Vollzug durch die Landesbehörden erfolgt. Gleiches gilt, soweit er eine Verwal­tungs­zu­stän­digkeit des Bundes kraft Natur der Sache ableiten will. Es ist nicht dargetan, weshalb der Zweck des Gesetzes durch ein einzelnes Land nicht erreicht werden kann.

Anspruch auf Kostentragung wird nicht begründet

Auch unter der Annahme einer überschnei­denden Aufga­ben­zu­stän­digkeit von Bund und Ländern für „Altlas­ten­frei­stel­lungen“ zeigt der Freistaat Sachsen keinen verfas­sungs­recht­lichen Anspruch auf vollständige oder teilweise Koste­n­er­stattung aus Art. 104a Abs. 1 GG auf. Die Bestimmung nimmt lediglich die Primärzuordnung der aufga­ben­be­zogenen Ausgabenlast zwischen Bund und Ländern vor, ohne aber einen Anspruch auf Kostentragung zu begründen. Mit dem Verwal­tungs­ab­kommen und dem Generalvertrag bleibt die grundsätzliche Zuordnung der Finanzlasten unberührt. Gegenstand der Verträge ist die Konkretisierung der Aufgaben- und Lasten­ver­teilung entsprechend dem jeweiligen Anteil an der Wahrnehmung der Aufgabe „Altlas­ten­frei­stellung“. Hierdurch wird kein materielles Verfas­sungs­rechts­ver­hältnis zwischen dem Freistaat Sachsen und dem Bund begründet. Die Verträge gehen nach ihrem Inhalt und der Materie, die sie regeln, nicht über verwal­tungs­rechtliche Gegenstände hinaus.

Kein materielles Verfas­sungs­rechts­ver­hältnis dargelegt

Soweit der Freistaat Sachsen eine Verletzung des Gebots der Bundestreue und der föderativen Gleich­be­handlung der Länder aus Art. 20 Abs. 1 GG rügt, weil die Bundesanstalt für verei­ni­gungs­be­dingte Sonderaufgaben mit den einzelnen Ländern unter­schiedliche Vereinbarungen über die Kostenübernahme zur Beseitigung der Altlasten geschlossen habe, legt er ebenfalls kein materielles Verfas­sungs­rechts­ver­hältnis dar. Denn insoweit kann lediglich der anzulegende Prüfungsmaßstab dem Verfas­sungsrecht entnommen werden. Der von dem Freistaat Sachsen begehrte Anspruch auf Vertrags­an­passung gründet hingegen nicht in einer verfas­sungs­recht­lichen Pflicht, sondern leitet sich aus nicht­ver­fas­sungs­recht­lichen Verträgen ab. In einem Bund-Länder-Streit kann sich der Antragsteller nur dann auf die akzessorischen Verfas­sungs­grundsätze der föderativen Gleich­be­handlung und der Bundestreue berufen, wenn das anderweitig begründete Rechts­ver­hältnis unmittelbar der Verfassung entstammt. Daran fehlt es hier. Dem Bund-Länder-Streit mit dem Freistaat Thüringen liegen die gleichen Rechtsfragen zugrunde. Dem Freistaat Thüringen fehlt ebenfalls die Antragsbefugnis. Auch er legt nicht hinreichend dar, dass sich aus Art. 104a Abs. 1 GG oder aus dem Gebot der Bundestreue und der föderativen Gleich­be­handlung der Länder eine Pflicht des Bundes zur Kostentragung ergibt.

Quelle: Bundesverfassungsgericht, ra-online (pm/ab)

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