14.11.2024
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Dokument-Nr. 12292

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Beschluss19.08.2011Bundesverfassungsgericht2 BvG 1/10
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Bundesverfassungsgericht Beschluss19.08.2011

BVerfG: Antrag des Schleswig-Holsteinischen Landtags im Bund-Länder-Streit gegen "Schuldenbremse" unzulässigAntrags­be­rech­tigung besteht allein für Landesregierung

Der vom Schleswig-Holsteinischen Landtag und der Landtags­prä­sident für das Land Schleswig Holstein gestellte Antrag im Bund-Länder-Streit, der sich gegen die Verankerung der so genannten „Schuldenbremse“ im Grundgesetz richtet, ist unzulässig. Dies entschied das Bundes­ver­fas­sungs­gericht.

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht kann unter anderem gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG angerufen werden, wenn zwischen Bund und Ländern Meinungs­ver­schie­den­heiten über die gegenseitigen verfas­sungs­mäßigen Rechte und Pflichten bestehen (Bund-Länder-Streit). Nach dem Wortlaut des § 68 des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts­ge­setzes (BVerfGG) können für den Bund nur die Bundesregierung und für ein Land nur die Landesregierung Antragsteller in einem solchen Verfahren sein.

Schleswig-Holsteinischer Landtag sieht Land durch Verankerung der "Schuldenbremse" im Grundgesetz in Verfas­sungs­au­tonomie verletzt

Der Schleswig-Holsteinische Landtag und der Landtags­prä­sident haben für das Land Schleswig Holstein einen Antrag im Bund-Länder-Streit gestellt, der sich gegen die Verankerung der so genannten „Schuldenbremse“ im Grundgesetz (Neufassung des Art. 109 Abs. 3 Satz 1 und 5 GG) richtet. Diese beinhaltet im Wesentlichen das grundsätzliche Verbot für Bund und Länder, ihre Haushalte durch Kreditaufnahmen auszugleichen und ist von den Ländern ab dem Jahr 2020 einzuhalten. Der Schleswig-Holsteinische Landtag und dessen Präsident sehen das Land hierdurch in seiner Verfas­sungs­au­tonomie verletzt.

Land von Beschränkung der Antrags­be­rech­tigung nicht überzeugt

Sie sind ferner der Auffassung, für das Land antrags­be­rechtigt zu sein. Eine Beschränkung der Antrags­be­rech­tigung auf die Landesregierung allein aufgrund des Wortlauts des § 68 BVerfGG überzeuge nicht. Aus der Entste­hungs­ge­schichte sowohl des Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG als auch des § 68 BVerfGG ergebe sich, dass die Konstellation einer Streitigkeit zwischen Parlamenten von Bund und Ländern über ihre Gesetz­ge­bungs­kom­pe­tenzen - wie sie hier vorliege - übersehen worden sei. Diese Lücke müsse durch verfas­sungs­ge­richtliche Rechts­fort­bildung dahingehend geschlossen werden, dass bei einem solchem „Legis­la­tivstreit“ die Landes­pa­r­lamente unabhängig vom Rechts­ver­fol­gungs­willen ihrer Regierungen für das Land vertre­tungs­be­rechtigt seien. Zumindest verlange das Gebot effektiven Rechtsschutzes die Zulassung einer Vertre­tungs­be­fugnis des Landtags im Wege der Prozess­stand­schaft.

BVerfG erklärt Antrag für unzulässig

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat den Antrag verworfen, weil er mangels Antrags­be­rech­tigung des Landtags und dessen Präsidenten unzulässig ist.

Beschränkung der Antrags­be­rech­tigung im Bund-Länder Streit auf jeweilige Regierungen verfas­sungs­rechtlich unbedenklich

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde: Die Beschränkung der Antrags­be­rech­tigung im Bund-Länder Streit auf die jeweiligen Regierungen durch § 68 BVerfGG begegnet keinen verfas­sungs­recht­lichen Bedenken. Die Begrenzung der Antrags­be­rech­tigung ist durch sachliche Erwägungen begründet. Sie dient der Vermeidung eines ebenen­über­grei­fenden Organstreits und wider­sprüch­licher Prozess­hand­lungen. Auch bei Ausein­an­der­set­zungen um Gesetz­ge­bungs­kom­pe­tenzen führt diese Regelung nicht zu erkennbaren Defiziten. Die Landes­pa­r­lamente haben, sofern sie die Landesregierung nicht kraft ihrer Regie­rungs­bildungs- und Kontroll­funktion zur Führung eines Bund-Länder-Streits anhalten können, die Möglichkeit, mit Hilfe einer Organklage vor dem Landes­ver­fas­sungs­gericht deren Verpflichtung zur Antragstellung zu erstreiten. Das Bundesgesetz kann zudem im Verfahren der abstrakten Normenkontrolle angegriffen werden. Die Antragsteller können sich auch nicht auf eine Verletzung der Garantie effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) berufen, weil diese als „formelles Hauptgrundrecht“ der Durchsetzung von Rechten natürlicher und juristischer Personen des Privatrechts dient und auf Gebiets­kör­per­schaften und deren Organe grundsätzlich keine Anwendung findet. Das Rechts­s­taats­prinzip und der Grundsatz der Bundess­taat­lichkeit sind durch § 68 BVerfGG ebenfalls nicht verletzt.

BVerfG verneint erweiternde Auslegung der Regelung

Die Regelung ist auch keiner erweiternden Auslegung zugänglich. Der Gesetzgeber hat nicht übersehen, dass der Bund-Länder-Streit nicht nur Exeku­tivstrei­tig­keiten, sondern auch Streitigkeiten über den Umfang der Gesetz­ge­bungs­kom­pe­tenzen zum Gegenstand haben kann. Soweit der (verfas­sung­s­än­dernde) Gesetzgeber in der Folgezeit eigenständige Antrags­be­fugnisse der Landtage eingeführt hat, etwa in Art. 93 Abs. 1 Nr. 2a und Abs. 2 GG, handelt es sich um eng begrenzte Ausnahmefälle.

Prozess­stand­schaft für das Land ausgeschlossen

Die Annahme einer Prozess­stand­schaft des Landtags kommt nicht in Betracht. Deren Wesen ist es, dass fremde Rechte in eigenem Namen verfolgt werden. Eine Prozess­stand­schaft für die Landesregierung im Bund-Länder-Streit ist danach ausgeschlossen, weil es hier nicht um eine Verletzung von Zuständigkeiten der Landesregierung geht; eine Prozess­stand­schaft für das Land scheidet aus, weil sie auf eine Umgehung von § 68 BVerfGG hinausliefe.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

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