23.11.2024
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Bundesverfassungsgericht Beschluss29.08.2007

Antraglose Teilzeit­be­schäf­tigung von Beamten ist verfas­sungs­widrig

§ 80c des Nieder­säch­sischen Beamtengesetzes, der die antragslose Einstellung von Beamten in Teilzeit vorsieht, verstößt gegen Art. 33 Abs. 5 GG (amtsangemessene Alimentation und Grundsatz der Haupt­be­ruf­lichkeit). Dies hat des Bundes­ver­fas­sungs­gericht entschieden.

Gegenstand des Normen­kon­trol­lantrags ist § 80 c Nieder­säch­sisches Beamtengesetz (NBG). Nach dieser Vorschrift können Bewerber für die Laufbahnen des gehobenen und des höheren Dienstes in ein Teilzeit-Beamten­ver­hältnis von drei Vierteln der regelmäßigen Arbeitszeit eingestellt werden. Die Einstel­lungs­teilzeit war im Jahr 1997 aus arbeits­ma­rkt­po­li­tischen Gründen eingeführt worden, um auf diese Weise möglichst vielen Bewerbern, insbesondere ehramts­be­werbern, eine Einstellung in den öffentlichen Dienst zu ermöglichen.

Auf der Grundlage des § 80 c NBG sind in Niedersachsen rund 6.400 Bewerber als beamtete Lehrkräfte nur in Teilzeitbeschäftigung eingestellt worden. Hiergegen gerichtete Klagen waren vor dem Nieder­säch­sischen Oberver­wal­tungs­gericht erfolgreich. Nach Auffassung des Oberver­wal­tungs­ge­richts ist § 80 c NBG nur dann verfas­sungsgemäß, wenn die Regelung verfas­sungs­konform dahingehend ausgelegt werde, dass die Begründung einer Teilzeit­be­schäf­tigung einen entsprechenden Wunsch des Bewerbers voraussetze. Fehle ein solcher Wille, sei die Anordnung der Teilzeit­be­schäf­tigung rechtswidrig. Das Bundes­ver­wal­tungs­gericht bestätigte die Entscheidung.

Die Nieder­säch­sische Landesregierung hält die Regelung, unabhängig von einer beschränkenden Auslegung, für gültig und hat deshalb das Bundes­ver­fas­sungs­gericht angerufen. Der Zweite Senat des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts kam zu dem Ergebnis, dass die antragslose Teilzeit­be­schäf­tigung von Beamten ohne die Möglichkeit zur Wahl der vollen Beschäftigung gegen die gemäß Art. 33 Abs. 5 GG zu beachtenden Grundsätze der Haupt­be­ruf­lichkeit und der amtsan­ge­messenen Alimentation verstößt. Eine verfas­sungs­konforme Auslegung der Bestimmung ist nicht möglich, insbesondere lässt § 80 c NBG eine Deutung nicht zu, nach der die Begründung einer Teilzeit­be­schäf­tigung von der Wahlmöglichkeit des betroffenen Beamten abhängig ist. Die Norm ist daher nichtig. Der Richter Gerhardt hat der Entscheidung eine abweichende Meinung angefügt.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

I. Die in § 80 c NBG vorgesehene Möglichkeit der antragslosen Einstel­lungs­teilzeit von Beamten verstößt gegen die durch Art. 33 Abs. 5 GG gewährleisteten hergebrachten Grundsätze der Haupt­be­ruf­lichkeit und der amtsan­ge­messenen Alimentation.

1. Das Grundgesetz sieht im Berufs­be­am­tentum eine Institution, die, gegründet auf Sachwissen, fachliche Leistung und loyale Pflich­t­er­füllung, eine stabile Verwaltung sichern und damit einen ausgleichenden Faktor gegenüber den das Staatswesen gestaltenden politischen Kräften bilden soll. Das Berufs­be­am­tentum stellt ein Instrument zur Sicherung von Rechtsstaat und Gesetzmäßigkeit der Verwaltung dar. Prägende Struk­tur­merkmale des Berufs­be­am­tentums sind die hauptberufliche Beschäftigung auf Lebenszeit und das hiermit korre­spon­dierende Alimen­ta­ti­o­ns­prinzip. Mit dem Eintritt in das Beamten­ver­hältnis wird der Beamte verpflichtet, sich voll für den Dienstherrn einzusetzen und diesem seine gesamte Arbeitskraft zur Verfügung zustellen. Als Korrelat hat der Dienstherr dem Beamten und seiner Familie in Form von Dienstbezügen sowie einer Alters- und Hinter­blie­be­nen­ver­sorgung einen angemessenen Lebensunterhalt zu gewähren. Die Gewährleistung einer rechtlich und wirtschaftlich gesicherten Position soll den Beamten in die Lage versetzen, unsachlichen oder parteilichen Einflussnahmen zu widerstehen und seine Bereitschaft zu einer ausschließlich an Gesetz und Recht orientierten Amtsführung zu fördern.

Mit diesen grundlegenden Struk­tur­prin­zipien des hergebrachten Berufs­be­am­tentums ist eine unfreiwillige Teilzeit­be­schäf­tigung von Beamten mit gleichzeitiger Erhöhung des Neben­tä­tig­keit­s­umfangs nicht in Einklang zu bringen. Der Dienstherr bietet dem Teilzeitbeamten nicht das Maß an beruflicher Auslastung und, damit korre­spon­dierend, an Einkünften, das er einem Vollzeitbeamten gewähren und schulden würde. Im Falle der antragslosen Einstel­lungs­teilzeit wird der betroffenen Beamte schon zum Zwecke der gewünschten Einnah­me­er­zielung - und damit um ein dem Amt wenigstens annähernd angemessenes Einkünfteniveau zu erreichen - typischerweise auf die Ausübung von Neben­tä­tig­keiten ausweichen müssen. In dieser Konstellation, die die Gefahr begründet, dass der Beamte zum "Diener zweier Herren" wird, sind Inter­es­sen­kon­flikte angelegt, die Einsatz­be­reit­schaft, Loyalität und Unpar­tei­lichkeit des Beamten gefährden können.

2. Eine ausreichend gewichtige Rechtfertigung für diesen Einbruch in die Grundstrukturen des Berufs­be­am­tentums liegt nicht vor. Dem sozialstaatlich legitimen Anliegen, die Arbeits­lo­sigkeit zu steuern, kann auch dadurch Rechnung getragen werden, dass der Dienstherr Lehrer im Angestell­ten­ver­hältnis einstellt. Entscheidet er sich indes für eine Verbeamtung der Lehrer, so ist das - für den Dienstherrn mit vielen Vorteilen verbundene - Beamten­ver­hältnis auch den Bindungen des Art. 33 Abs. 5 GG, insbesondere den Anforderungen des Haupt­be­ruf­lich­keits­grund­satzes und des Alimen­ta­ti­o­ns­prinzips, unterworfen. Ein "Rosinenpicken" erlaubt die Verschiedenheit der Beschäf­ti­gungs­systeme dem Gesetzgeber nicht.

3. Eine andere Bewertung ergibt sich auch nicht daraus, dass Art. 33 Abs. 5 GG im Jahr 2006 neu gefasst und der Vorschrift die so genannte "Fortent­wick­lungs­klausel" angefügt wurde. Fortzu­ent­wickeln ist nach der eindeutigen Gesetzesfassung allein das Recht des öffentlichen Dienstes, nicht aber der hierfür geltende Maßstab, die hergebrachten Grundsätze des Berufs­be­am­tentums.

II. Eine verfas­sungs­konforme Auslegung des § 80 c NBG ist nicht möglich. Die Systematik des Gesamt­re­ge­lungs­systems der Teilzeit­be­schäf­tigung lässt die Annahme eines ungeschriebenen Tatbe­stands­merkmals der Wahlmöglichkeit zwischen Teilzeit­be­schäf­tigung und einer Vollzeitstelle nicht zu. Bei Annahme eines Freiwil­lig­keits­er­for­der­nisses ist kein Anwendungsfall der Regelung denkbar, der nicht bereits auf die bestehenden Vorschriften gestützt werden könnte. Der Norm käme damit ein eigenständiger Sinngehalt nicht mehr zu.

Sondervotum des Richters Gerhardt

Nach Auffassung des Richters Gerhardt ist die zur Überprüfung stehende Norm nur deshalb für nichtig zu erklären, weil der Gesetzgeber die ihm bei der Regelung der Beamten­be­soldung gesetzte Grenze des Gebots amtsan­ge­messener Alimentation nicht eingehalten hat. Ein Verstoß gegen die hergebrachten Grundsätze der haupt­be­ruf­lichen Beschäftigung auf Lebenszeit und der vollen beruflichen Hingabe liege hingegen nicht vor; die Senatsmehrheit argumentiere insoweit allein abstrakt sowie ohne hinreichende Tatsachenbasis. Sie verkenne zudem, dass Art. 33 Abs. 5 GG dem Gesetzgeber erlaube, das Beamtenrecht in seinen einzelnen Ausprägungen den veränderten Umständen anzupassen, ohne dass es dazu eines zusätzlichen "Titels" aus dem Grundgesetz - etwa des Sozial­staats­prinzips - bedürfe.

Mit ihren - nicht entschei­dungs­er­heb­lichen - Ausführungen zum Bedeu­tungs­gehalt der seit 1. September 2006 gültigen Neufassung des Art. 33 Abs. 5 GG habe die Senatsmehrheit sich nicht nur über den geänderten Wortlaut der Norm hinweg gesetzt, sondern vor allem in unzulässiger Weise dem vorrangig zur Konkretisierung des Art. 33 Abs. 5 GG berufenen Gesetzgeber vorgegriffen. Die Einfügung der Worte "und fortzu­ent­wickeln" in Art. 33 Abs. 5 GG könne kaum etwas anderes als eine Relativierung der Verbindlichkeit der hergebrachten Grundsätze des Berufs­be­am­tentums bedeuten.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 95/07 des BVerfG vom 28.09.2007

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