21.11.2024
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Dokument-Nr. 30588

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Bundesverfassungsgericht Beschluss20.07.2021

AfD unterliegt mit Befan­gen­heits­gesuch gegen Verfas­sungs­richterTeilnahme an einem Abendessen mit den Bundesregierung macht Verfas­sungs­richter nicht befangen

Das Bundes­verfassungs­gericht hat ein Ableh­nungs­gesuch der Partei Alternative für Deutschland (AfD) gegen die Richterinnen und Richter des Zweiten Senats in zwei von der AfD gegen die Bundesregierung beziehungsweise die Bundeskanzlerin gerichteten Organ­streit­verfahren verworfen.

Mit Schriftsatz vom 9. Juli 2021 hat die Antragstellerin sämtliche Mitglieder des Zweiten Senats wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Zur Begründung ihres Ableh­nungs­gesuchs trägt sie im Wesentlichen vor, dass ausweislich der Presse­mit­teilung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts eine Delegation des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts unter Leitung des Präsidenten und der Vizepräsidentin am 30. Juni 2021 zu einem Treffen mit den Mitgliedern der Bundesregierung nach Berlin gereist sei. Auf Einladung der Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel habe ein gemeinsames Abendessen mit der Bundesregierung stattgefunden. Die Teilnahme an einem Abendessen mit den Antrags­geg­ne­rinnen der von ihr angestrengten Organ­streit­ver­fahren nur wenige Wochen vor der mündlichen Verhandlung begründe die Besorgnis der Befangenheit gegen alle teilnehmenden Richterinnen und Richter des Zweiten Senats. Zudem hat die Antragstellerin auch die Mitglieder des Ersten Senats, die an dem Abendessen teilgenommen haben, wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt, sofern diese gemäß § 19 Abs. 1 BVerfGG über die Ablehnung der Mitglieder des Zweiten Senats oder gemäß § 19 Abs. 4 Satz 1 BVerfGG in den Organ­streit­ver­fahren entscheiden sollten.

BVerfG: Ableh­nungs­gesuch offensichtlich unzulässig

Das Ableh­nungs­gesuch gegen die Richterinnen und Richter des Zweiten Senats ist laut BVerfG offensichtlich unzulässig. Offensichtlich unzulässig ist ein Ableh­nungs­gesuch vor allem dann, wenn es nicht begründet wird oder sich auf eine gänzlich ungeeignete Begründung stützt. Die Besorgnis der Befangenheit eines Richters oder einer Richterin des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts nach § 19 BVerfGG setzt einen Grund voraus, der geeignet ist, Zweifel an der Unpar­tei­lichkeit des Richters oder der Richterin zu rechtfertigen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Richter oder die Richterin tatsächlich parteilich oder befangen ist oder sich selbst für befangen hält. Entscheidend ist allein, ob bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass besteht, an der Unvor­ein­ge­nom­menheit des Richters oder der Richterin zu zweifeln.

Regelmäßige Treffen mit der Bundesregierung Austausch des insti­tu­ti­o­na­li­sierten Inter­or­g­an­re­spekts

Der Vortrag der Antragstellerin ist offensichtlich ungeeignet, die Besorgnis der Befangenheit der abgelehnten Richterinnen und Richter zu begründen. Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht ist Teil der recht­spre­chenden Gewalt und zugleich oberstes Verfas­sungsorgan. Als solches ist es in das grund­ge­setzliche Gewal­ten­tei­lungs­gefüge eingebunden und nimmt an der Ausübung der Staatsgewalt teil. Das Verhältnis der obersten Verfas­sungs­organe ist – auch jenseits der eigentlichen Ausübung ihrer jeweiligen Kompetenzen – auf gegenseitige Achtung, Rücksichtnahme und Kooperation angelegt. Die regelmäßigen Treffen des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts mit der Bundesregierung zum Gedanken- und Erfah­rungs­aus­tausch sind im Sinne eines „Dialogs der Staatsorgane“ Ausdruck dieses Inter­or­g­an­re­spekts. Gleiches gilt für die regelmäßig stattfindenden Besuche des Bundes­prä­si­denten beim Bundes­ver­fas­sungs­gericht sowie die Treffen des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts mit Mitgliedern des Deutschen Bundestages. Die Treffen im Rahmen dieses Dialogs oberster Verfas­sungs­organe sind gänzlich ungeeignet, Zweifel an der Unvor­ein­ge­nom­menheit der Richterinnen und Richter des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts zu begründen.

Austausch wäre wegen ständiger Befassung mit Handeln von Verfas­sungs­organen unmöglich

Etwas Anderes folgt nicht daraus, dass zum Zeitpunkt des streit­ge­gen­ständ­lichen Treffens die vorliegenden Organ­streit­ver­fahren gegen die Bundeskanzlerin beziehungsweise die Bundesregierung anhängig waren. Dagegen spricht bereits, dass das Gericht permanent mit Verfahren befasst ist, welche das Handeln der Bundesregierung oder anderer oberster Verfas­sungs­organe betreffen. Führte allein dies dazu, dass von Zusammenkünften im Rahmen des insti­tu­ti­o­na­li­sierten Inter­or­ga­naus­tauschs abgesehen werden müsste, würde dieser Austausch unmöglich. Zudem käme darin ein Misstrauen gegenüber den Mitgliedern des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts zum Ausdruck, das dem grundgesetzlich und einfach­rechtlich vorausgesetzten Bild des Verfas­sungs­richters widerspricht.

Zeitliche Nähe des Treffens zur mündlichen Verhandlung begründet keine Zweifel

Es ist auch nicht nachvollziehbar, dass allein die zeitliche Nähe des Treffens ohne irgendeinen inhaltlichen Bezug zur mündlichen Verhandlung dazu führen könnte, dass die Richterinnen und Richter des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts nicht mehr über die innere Unabhängigkeit und Distanz verfügen, die sie befähigt, über die Gegenstände der vorliegenden Organ­streit­ver­fahren unvor­ein­ge­nommen und objektiv zu entscheiden. Soweit die Antragstellerin anzudeuten scheint, dass die Einladung der Bundeskanzlerin gerade aus Anlass der vorliegenden Organ­streit­ver­fahren ausgesprochen worden sei, handelt es sich schließlich um eine Mutmaßung ohne sachlichen Hintergrund. Bei offen­sicht­licher Unzulässigkeit sind die abgelehnten Richterinnen und Richter zur Abgabe einer dienstlichen Erklärung nicht verpflichtet und von der Entscheidung über das offensichtlich unzulässige Ableh­nungs­gesuch nicht ausgeschlossen. Einer Entscheidung über das Ableh­nungs­gesuch gegen die Richterinnen und Richter des Ersten Senats bedurfte es vor diesem Hintergrund nicht.

Quelle: Bundesverfassungsgericht, ra-online (pm/ab)

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