21.11.2024
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Bundesverfassungsgericht Beschluss22.01.2012

Wahlkrei­s­ein­teilung für Bundestagswahl 2009 genügt Anforderungen des Grundsatzes der Wahlrechts­gleichheitEinteilung der Wahlkreise auf Grundlage der deutschen Wohnbevölkerung begründet keinen Wahlfehler

Die Einteilung der Wahlkreise auf Grundlage der deutschen Wohnbevölkerung begründet keinen Wahlfehler bei der Bundestagswahl 2009. Dies entschied das Bundes­ver­fas­sungs­gericht und wies damit die Wahlprü­fungs­be­schwerde zurück, die sich gegen die Gültigkeit der Wahl zum 17. Deutschen Bundestag richtete.

Die Rüge des Beschwer­de­führers betrifft die Einteilung des Wahlgebiets in Wahlkreise bei der Wahl zum 17. Deutschen Bundestag.

Hintergrund zur Einteilung der Wahlkreise

Die Grundsätze hierfür sind in § 3 des Bundes­wahl­ge­setzes (BWG) geregelt. Danach erfolgt die Einteilung der insgesamt 299 Wahlkreise auf der Grundlage der deutschen Wohnbevölkerung. Die Zahl der Wahlkreise in den Ländern muss deren Bevöl­ke­rungs­anteil soweit wie möglich entsprechen. Die Bevöl­ke­rungszahl eines Wahlkreises orientiert sich an der durch­schnitt­lichen Bevöl­ke­rungszahl aller Wahlkreise und soll von dieser nicht um mehr als 15 % nach oben oder unten abweichen; bei einer Abweichung von mehr als 25 % ist eine Neuabgrenzung vorzunehmen. Bei der Ermittlung der Bevöl­ke­rungs­zahlen bleiben zwar Ausländer unberück­sichtigt, die nicht wahlbe­rech­tigten Deutschen, darunter Minderjährige, gehen dagegen in die Bevöl­ke­rungszahl ein.

Beschwer­de­führer beanstandet Verletzung des Grundsatzes der Wahlrechts­gleichheit

Der Beschwer­de­führer macht im Wesentlichen geltend, der Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit (Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG) werde dadurch verletzt, dass bei der Einteilung der Wahlkreise auf die deutsche Wohnbevölkerung und nicht auf die Zahl der Wahlbe­rech­tigten abgestellt werde. Damit seien annähernd gleiche Erfolgschancen der Erststimmen nicht gewährleistet, da der Anteil der Wahlbe­rech­tigten in den einzelnen Wahlkreisen unterschiedlich hoch sei.

Gesetzgeber muss künftig Anteil der Minderjährigen bei Einteilung der Wahlkreise berücksichtigen

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht stellte fest, dass die Wahlkrei­s­ein­teilung für die Bundestagswahl 2009 den Anforderungen des Grundsatzes der Wahlrechts­gleichheit genügt. Der Gesetzgeber hat jedoch künftig bei der Einteilung der Wahlkreise den Anteil der Minderjährigen an der Bevölkerung zu berücksichtigen.

Gesetzgeber zur regelmäßigen Überprüfung und Korrektur der Wahlkrei­s­ein­teilung verpflichtet

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde: Der Grundsatz der Wahlrechts­gleichheit (Art. 38 Abs. 1 GG) besagt, dass die Stimme jedes Wahlbe­rech­tigten den gleichen Zählwert und die gleiche rechtliche Erfolgschance haben muss. Für die hier in den Blick zu nehmende Wahl der Abgeordneten in den Wahlkreisen nach dem Mehrheits­wahl­system fordert die Wahlrechts­gleichheit, dass alle Wähler auf der Grundlage möglichst gleich großer Wahlkreise an der Wahl teilnehmen können. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, die Wahlkrei­s­ein­teilung regelmäßig zu überprüfen und erfor­der­li­chenfalls zu korrigieren. Dies gilt sowohl für den konkreten Zuschnitt der Wahlkreise als auch für die rechtlichen und tatsächlichen Grundlagen ihrer Einteilung.

Gesetzgeber steht bei Einteilung des Wahlgebiets Gestaltungs- und Beurtei­lungs­spielraum zu

Die Wahlrechts­gleichheit unterliegt allerdings keinem absoluten Diffe­ren­zie­rungs­verbot. Dem Gesetzgeber steht bei der Einteilung des Wahlgebiets in Wahlkreise vielmehr ein gewisser Gestaltungs- und Beurtei­lungs­spielraum zu. Schwankungen bei der Wahlkreisgröße sind dabei innerhalb des von Art. 38 Abs. 1 GG abgesteckten Rahmens insbesondere im Hinblick auf die angestrebte Verankerung der Abgeordneten in ihren Wahlkreisen sowie auf den steten Wandel der Bevöl­ke­rungs­zahlen hinnehmbar.

Änderung der Wahlkrei­s­ein­teilung nur bei erhebliche Abweichungen zwischen Bevölkerung und Zahl der Wahlbe­rech­tigten geboten

Die Wahlrechts­gleichheit gebietet grundsätzlich eine Einteilung der Wahlkreise auf der Grundlage der Zahl nur der Wahlbe­rech­tigten. Denn der Gleich­heits­grundsatz des Art. 38 Abs. 1 GG knüpft an die Trägerschaft des Wahlrechts an und beansprucht daher Geltung im Verhältnis der Wahlbe­rech­tigten untereinander. Die Wahlrechts­gleichheit wird allerdings auch bei Heranziehung der deutschen Wohnbevölkerung als Bemes­sungs­grundlage nicht beeinträchtigt, solange sich der Anteil der Minderjährigen an der deutschen Bevölkerung regional nur unerheblich unterscheidet: Bei einer annähernd gleichen Verteilung der Minderjährigen auf die Wahlkreise ist in allen Wahlkreisen eine hinreichend vergleichbare Stimmenzahl erforderlich, um ein Mandat zu erringen. Erst wenn sich nicht nur unerhebliche Abweichungen zwischen der Bevölkerung und der Zahl der Wahlbe­rech­tigten ergeben, kann eine Änderung der Wahlkrei­s­ein­teilung geboten sein.

Der Wahlgesetzgeber hat eine Wahlkrei­s­ein­teilung auf der Grundlage der deutschen Wohnbevölkerung bislang im Hinblick darauf für zulässig erachtet, dass sich der Anteil der Minderjährigen an der deutschen Bevölkerung regional nicht in zu berück­sich­ti­gender Weise unterscheidet. Ausweislich des herangezogenen statistischen Materials hat sich der Anteil Minderjähriger an der deutschen Bevölkerung jedoch nicht als so gleichmäßig erwiesen, dass Unterschiede in der regionalen Verteilung ohne weiteres zu vernachlässigen sind.

Bundes­ver­fas­sungs­gericht verneint Verstoß gegen Grundsatz der Wahlrechts­gleichheit bei Wahl zum 17. Deutschen Bundestag

Dieser Befund ist zwar geeignet, die Annahme des Gesetzgebers einer annähernd gleichmäßigen Verteilung der Minderjährigen über das Wahlgebiet in Frage zu stellen, begründet jedoch auch unabhängig von der Frage einer Rechtfertigung durch das Reprä­sen­ta­ti­o­ns­prinzip nach Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG für die Wahl zum 17. Deutschen Bundestag noch keinen Verstoß gegen den Grundsatz der Wahlrechts­gleichheit. Der Gesetzgeber hat sich bei der Wahlkrei­s­ein­teilung an die in § 3 Abs. 1 BWG selbst gesetzten Vorgaben gehalten und damit die mit diesen Vorgaben zur Wahrung der Wahlrechts­gleichheit verfolgten Ziele einer transparenten und folgerichtigen Gesetzgebung beachtet. Seine Annahme einer im Wesentlichen gleichmäßigen Verteilung der minderjährigen Deutschen im Wahlgebiet ist für die Verteilung der Wahlkreise auf die Länder nach wie vor berechtigt. Dass diese Annahme nicht ohne weiteres für den Zuschnitt der einzelnen Wahlkreise gilt, begründet zumindest für die Wahl des 17. Deutschen Bundestags noch keinen Wahlfehler. Die Annahme einer annähernd gleichen regionalen Verteilung der minderjährigen Deutschen war bis dahin nicht in Frage gestellt worden. Auch fällt eine Beein­träch­tigung der Wahlrechts­gleichheit durch die Anknüpfung an die Wohnbevölkerung allenfalls marginal aus. Bei der Wahl zum 17. Deutschen Bundestag waren von erheblichen Abweichungen lediglich 15 der insgesamt 299 Wahlkreise und damit vergleichsweise wenige Fälle betroffen.

Gesetzgeber muss bei Wahlkrei­s­ein­teilung künftig Anteil Minderjähriger an der Bevölkerung beachten

Allerdings wird der Gesetzgeber bei der Wahlkrei­s­ein­teilung künftig den Anteil Minderjähriger an der Bevölkerung sowohl bezogen auf die Länder als auch im Vergleich zwischen den einzelnen Wahlkreisen in den Blick zu nehmen haben.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

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