Dokument-Nr. 2749
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Staatsgerichtshof des Landes Hessen Beschluss14.06.2006
Wahlkreiseinteilung und Zwei-Stimmen-Verfahren verfassungsgemäß - Hessische Landtagswahl 2003 gültigWahlprüfungsbeschwerden zum großen Teil unzulässig
Die Wahl zum Hessischen Landtag vom 2. Februar 2003 ist gültig. Dies hat der Staatsgerichtshof des Landes Hessen entschieden, indem er die Wahlprüfungsbeschwerden von drei Antragstellern zurückgewiesen hat.
Die Wahlprüfungsbeschwerden richteten sich gegen den Beschluss des Wahlprüfungsgerichts beim Hessischen Landtag vom 16. Juli 2003. Dieses hatte die Landtagswahl 2003 für gültig erklärt.
Der Staatsgerichtshof hat erstmals über Wahlprüfungsbeschwerden entschieden. Die Möglichkeit, Entscheidungen des Wahlprüfungsgerichts beim Hessischen Landtag mit der Beschwerde anzugreifen, besteht erst seit der Reform des Gesetzes über den Staatsgerichtshof vom 1. Oktober 2002.
In zwei der vom Staatsgerichtshof nunmehr zurückgewiesenen Wahlprüfungsbeschwerden wurde gerügt, die der Landtagswahl 2003 zugrunde liegende Wahlkreiseinteilung sei verfassungswidrig und verstoße gegen den Grundsatz der gleichen Wahl. Teilweise sahen die Antragsteller einen Gleichheitsverstoß unter anderem auch im Zwei-Stimmen-Verfahren (Wahlkreisstimme und Landesstimme), in der Nachrückerregelung, der Fünfprozent-Klausel, im Wahlalter von mindestens 18 Jahren, im Verfahren der Listenaufstellung und im Verbot, Zusätze oder Vorbehalte auf den Stimmzetteln anzubringen.
Der Staatsgerichtshof hat die Rügen zum überwiegenden Teil bereits für unzulässig gehalten. Eine Prüfung der materiellen Rechtslage findet insofern nicht mehr statt. Unzulässig seien die Wahlprüfungsbeschwerden, soweit sie von den Antragstellern nicht hinreichend begründet worden seien. Ein Antragsteller habe für die Zulässigkeit seiner Wahlprüfungsbeschwerde die tatsächlichen Umstände eines (möglichen) schwerwiegenden Wahlfehlers vorzubringen und dessen (mögliche) Erheblichkeit für den Ausgang der Wahl und damit die Zusammensetzung des Parlaments darzulegen. Diesen Anforderungen habe unter anderem das Vorbringen der Antragsteller zur Fünfprozent-Klausel, zum Wahlalter, zur Listenaufstellung und zum Verbot, Zusätze oder Vorbehalte auf den Stimmzetteln anzubringen, nicht genügt.
Die zulässigen Rügen, nämlich die im Jahr 2003 geltende Wahlkreiseinteilung, das Zwei-Stimmen-Verfahren und die Nachrückerregelung seien verfassungswidrig, verletzten Wahlrechtsgrundsätze und hätten sich auf die Landtagswahl ausgewirkt, hat der Staatsgerichtshof als offensichtlich unbegründet zurückgewiesen. Insoweit seien keine Wahlfehler im Sinne von Art. 78 Abs. 2 der Hessischen Verfassung ersichtlich, durch die schwerwiegend gegen die Freiheit oder die Gleichheit der Wahl verstoßen wurde, die für den Ausgang der Wahl erheblich waren und die wegen ihres Gewichts die beantragte Auflösung des demokratisch gewählten und deshalb in seinem Bestand grundsätzlich geschützten Landtags rechtfertigen würden.
Ob die damals gültige - inzwischen geänderte - Wahlkreiseinteilung in vollem Umfang den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügte, konnte der Staatsgerichtshof offenlassen. Zwar bewerteten das Bundesverfassungsgericht und verschiedene Landesverfassungsgerichte eine zu große Differenz in der Größe von Wahlkreisen als Verstoß gegen die Wahlgleichheit. Dabei ging es in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts allerdings darum, der Bildung von nicht ausgleichsfähigen Überhangmandaten entgegenzuwirken. Anders als das Wahlrecht des Bundes sehe aber das hessische Wahlrecht die Bildung von Ausgleichsmandaten vor (§ 10 Abs. 4 des Landtagswahlgesetzes). Dies bedeute, dass Überhangmandate durch ein Anwachsen der gesetzlichen Mitgliederzahl des Landtages ausgeglichen würden. Jedenfalls der Parteienproporz und somit die politische Mehrheit im Hessischen Landtag würden daher durch Überhangmandate nicht verändert. Nicht zuletzt deshalb sei die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Wahlkreiseinteilung des Bundes auf das hessische Wahlrecht nicht übertragbar.
Soweit es um die personelle Zusammensetzung des Parlaments gehe, stelle die beanstandete Wahlkreiseinteilung offensichtlich keinen erheblichen Wahlfehler dar. Die Ungültigerklärung einer gesamten Wahl setze einen erheblichen Wahlfehler von solchem Gewicht voraus, dass ein Fortbestand der in dieser Weise gewählten Volksvertretung unerträglich erscheine. Überdies sei die Wahlkreiseinteilung Aufgabe des Gesetzgebers. Diesem komme bei seiner Aufgabe, Wahlrechtsgleichheit herzustellen, ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Er müsse sich nicht nur an der Größe von Wahlkreisen orientieren, sondern dürfe auch regionalen und historischen Umständen Rechnung tragen. In Anbetracht dieser Erwägungen könne die gerügte Wahlkreiseinteilung kein so gewichtiger Wahlfehler sein, dass er die Auflösung des Parlaments mit all ihren weittragenden Folgen für alle Abgeordneten und die Kontinuität der Arbeit des Parlaments rechtfertige.
Ein erheblicher Wahlfehler liege offensichtlich auch nicht in der Ausgestaltung des Zwei-Stimmen-Verfahrens durch § 10 Landtagswahlgesetz. Insofern beanstandete ein Antragsteller, Wählern, die die Wahlkreis- und Landesstimme den Vorschlägen unterschiedlicher Parteien gäben (sog. Splitting-Wähler), komme in gleichheitswidriger Weise ein doppeltes Stimmgewicht zu, da sie sowohl dem Wahlkreissieger der einen wie auch dem Listenbewerber der anderen Partei zu einem Mandat verhälfen. Diese Ausgestaltung des Zwei-Stimmen-Systems verstoße nicht gegen den Grundsatz der Wahlgleichheit des Art. 73 Abs. 2 Satz 1 der Hessischen Verfassung. Sie schreibe kein bestimmtes Wahlsystem vor, sondern räume dem Gesetzgeber einen Gestaltungsspielraum ein (Art. 73 Abs. 3 und Art. 75 Abs. 3 Satz 1). Das Zwei- Stimmen-System und die damit verbundene Möglichkeit eines Stimmensplittings liege innerhalb dieses Gestaltungsspielraums. Davon abgesehen sei nicht ersichtlich, dass sich der behauptete Wahlfehler auf das Ergebnis der Landtagswahl 2003 in erheblicher Weise ausgewirkt habe.
Schließlich stelle auch die Nachrückerregelung des § 40 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1 Landtagswahlgesetz keinen erheblichen Wahlfehler dar, der die vorzeitige Auflösung des Parlaments rechtfertigen würde.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 02.08.2006
Quelle: ra-online, Pressemitteilung des Staatsgerichtshof Hessen vom 16.06.2006
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