24.11.2024
24.11.2024  
Sie sehen einen Schreibtisch mit einem Tablet, einer Kaffeetasse und einem Urteil.

Dokument-Nr. 2749

Drucken
Beschluss14.06.2006Staatsgerichtshof des Landes HessenP.St. 1910, 1912, 1913
ergänzende Informationen

Staatsgerichtshof des Landes Hessen Beschluss14.06.2006

Wahlkrei­s­ein­teilung und Zwei-Stimmen-Verfahren verfas­sungsgemäß - Hessische Landtagswahl 2003 gültigWahlprü­fungs­be­schwerden zum großen Teil unzulässig

Die Wahl zum Hessischen Landtag vom 2. Februar 2003 ist gültig. Dies hat der Staats­ge­richtshof des Landes Hessen entschieden, indem er die Wahlprü­fungs­be­schwerden von drei Antragstellern zurückgewiesen hat.

Die Wahlprü­fungs­be­schwerden richteten sich gegen den Beschluss des Wahlprü­fungs­ge­richts beim Hessischen Landtag vom 16. Juli 2003. Dieses hatte die Landtagswahl 2003 für gültig erklärt.

Der Staats­ge­richtshof hat erstmals über Wahlprü­fungs­be­schwerden entschieden. Die Möglichkeit, Entscheidungen des Wahlprü­fungs­ge­richts beim Hessischen Landtag mit der Beschwerde anzugreifen, besteht erst seit der Reform des Gesetzes über den Staats­ge­richtshof vom 1. Oktober 2002.

In zwei der vom Staats­ge­richtshof nunmehr zurück­ge­wiesenen Wahlprü­fungs­be­schwerden wurde gerügt, die der Landtagswahl 2003 zugrunde liegende Wahlkrei­s­ein­teilung sei verfas­sungs­widrig und verstoße gegen den Grundsatz der gleichen Wahl. Teilweise sahen die Antragsteller einen Gleich­heits­verstoß unter anderem auch im Zwei-Stimmen-Verfahren (Wahlkreisstimme und Landesstimme), in der Nachrü­cker­re­gelung, der Fünfprozent-Klausel, im Wahlalter von mindestens 18 Jahren, im Verfahren der Listen­auf­stellung und im Verbot, Zusätze oder Vorbehalte auf den Stimmzetteln anzubringen.

Der Staats­ge­richtshof hat die Rügen zum überwiegenden Teil bereits für unzulässig gehalten. Eine Prüfung der materiellen Rechtslage findet insofern nicht mehr statt. Unzulässig seien die Wahlprü­fungs­be­schwerden, soweit sie von den Antragstellern nicht hinreichend begründet worden seien. Ein Antragsteller habe für die Zulässigkeit seiner Wahlprü­fungs­be­schwerde die tatsächlichen Umstände eines (möglichen) schwerwiegenden Wahlfehlers vorzubringen und dessen (mögliche) Erheblichkeit für den Ausgang der Wahl und damit die Zusammensetzung des Parlaments darzulegen. Diesen Anforderungen habe unter anderem das Vorbringen der Antragsteller zur Fünfprozent-Klausel, zum Wahlalter, zur Listen­auf­stellung und zum Verbot, Zusätze oder Vorbehalte auf den Stimmzetteln anzubringen, nicht genügt.

Die zulässigen Rügen, nämlich die im Jahr 2003 geltende Wahlkrei­s­ein­teilung, das Zwei-Stimmen-Verfahren und die Nachrü­cker­re­gelung seien verfas­sungs­widrig, verletzten Wahlrechts­grundsätze und hätten sich auf die Landtagswahl ausgewirkt, hat der Staats­ge­richtshof als offensichtlich unbegründet zurückgewiesen. Insoweit seien keine Wahlfehler im Sinne von Art. 78 Abs. 2 der Hessischen Verfassung ersichtlich, durch die schwerwiegend gegen die Freiheit oder die Gleichheit der Wahl verstoßen wurde, die für den Ausgang der Wahl erheblich waren und die wegen ihres Gewichts die beantragte Auflösung des demokratisch gewählten und deshalb in seinem Bestand grundsätzlich geschützten Landtags rechtfertigen würden.

Ob die damals gültige - inzwischen geänderte - Wahlkrei­s­ein­teilung in vollem Umfang den verfas­sungs­recht­lichen Anforderungen genügte, konnte der Staats­ge­richtshof offenlassen. Zwar bewerteten das Bundes­ver­fas­sungs­gericht und verschiedene Landes­ver­fas­sungs­ge­richte eine zu große Differenz in der Größe von Wahlkreisen als Verstoß gegen die Wahlgleichheit. Dabei ging es in der Rechtsprechung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts allerdings darum, der Bildung von nicht ausgleichs­fähigen Überhang­mandaten entge­gen­zu­wirken. Anders als das Wahlrecht des Bundes sehe aber das hessische Wahlrecht die Bildung von Ausgleichs­mandaten vor (§ 10 Abs. 4 des Landtags­wahl­ge­setzes). Dies bedeute, dass Überhangmandate durch ein Anwachsen der gesetzlichen Mitgliederzahl des Landtages ausgeglichen würden. Jedenfalls der Parteienproporz und somit die politische Mehrheit im Hessischen Landtag würden daher durch Überhangmandate nicht verändert. Nicht zuletzt deshalb sei die Rechtsprechung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts zur Wahlkrei­s­ein­teilung des Bundes auf das hessische Wahlrecht nicht übertragbar.

Soweit es um die personelle Zusammensetzung des Parlaments gehe, stelle die beanstandete Wahlkrei­s­ein­teilung offensichtlich keinen erheblichen Wahlfehler dar. Die Ungül­ti­g­er­klärung einer gesamten Wahl setze einen erheblichen Wahlfehler von solchem Gewicht voraus, dass ein Fortbestand der in dieser Weise gewählten Volksvertretung unerträglich erscheine. Überdies sei die Wahlkrei­s­ein­teilung Aufgabe des Gesetzgebers. Diesem komme bei seiner Aufgabe, Wahlrechts­gleichheit herzustellen, ein weiter Gestal­tungs­spielraum zu. Er müsse sich nicht nur an der Größe von Wahlkreisen orientieren, sondern dürfe auch regionalen und historischen Umständen Rechnung tragen. In Anbetracht dieser Erwägungen könne die gerügte Wahlkrei­s­ein­teilung kein so gewichtiger Wahlfehler sein, dass er die Auflösung des Parlaments mit all ihren weittragenden Folgen für alle Abgeordneten und die Kontinuität der Arbeit des Parlaments rechtfertige.

Ein erheblicher Wahlfehler liege offensichtlich auch nicht in der Ausgestaltung des Zwei-Stimmen-Verfahrens durch § 10 Landtags­wahl­gesetz. Insofern beanstandete ein Antragsteller, Wählern, die die Wahlkreis- und Landesstimme den Vorschlägen unter­schied­licher Parteien gäben (sog. Splitting-Wähler), komme in gleich­heits­widriger Weise ein doppeltes Stimmgewicht zu, da sie sowohl dem Wahlkreissieger der einen wie auch dem Listenbewerber der anderen Partei zu einem Mandat verhälfen. Diese Ausgestaltung des Zwei-Stimmen-Systems verstoße nicht gegen den Grundsatz der Wahlgleichheit des Art. 73 Abs. 2 Satz 1 der Hessischen Verfassung. Sie schreibe kein bestimmtes Wahlsystem vor, sondern räume dem Gesetzgeber einen Gestal­tungs­spielraum ein (Art. 73 Abs. 3 und Art. 75 Abs. 3 Satz 1). Das Zwei- Stimmen-System und die damit verbundene Möglichkeit eines Stimmen­splittings liege innerhalb dieses Gestal­tungs­spielraums. Davon abgesehen sei nicht ersichtlich, dass sich der behauptete Wahlfehler auf das Ergebnis der Landtagswahl 2003 in erheblicher Weise ausgewirkt habe.

Schließlich stelle auch die Nachrü­cker­re­gelung des § 40 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1 Landtags­wahl­gesetz keinen erheblichen Wahlfehler dar, der die vorzeitige Auflösung des Parlaments rechtfertigen würde.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung des Staatsgerichtshof Hessen vom 16.06.2006

Nicht gefunden, was Sie gesucht haben?

Urteile sind im Originaltext meist sehr umfangreich und kompliziert formuliert. Damit sie auch für Nichtjuristen verständlich werden, fasst urteile.news alle Entscheidungen auf die wesentlichen Kernaussagen zusammen. Wenn Sie den vollständigen Urteilstext benötigen, können Sie diesen beim jeweiligen Gericht anfordern.

Wenn Sie einen Link auf diese Entscheidung setzen möchten, empfehlen wir Ihnen folgende Adresse zu verwenden: https://urteile.news/Beschluss2749

Bitte beachten Sie, dass im Gegensatz zum Verlinken für das Kopieren einzelner Inhalte eine explizite Genehmigung der ra-online GmbH erforderlich ist.

Die Redaktion von urteile.news arbeitet mit größter Sorgfalt bei der Zusammenstellung von interessanten Urteilsmeldungen. Dennoch kann keine Gewähr für Richtigkeit und Vollständigkeit der über uns verbreiteten Inhalte gegeben werden. Insbesondere kann urteile.news nicht die Rechtsberatung durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt in einem konkreten Fall ersetzen.

Bei technischen Problemen kontaktieren Sie uns bitte über dieses Formular.

VILI