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Dokument-Nr. 31653

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Bundesverfassungsgericht Beschluss23.03.2022

Wahlprüfungs­beschwerde der NPD wegen Nichtzulassung der Landesliste im Land Berlin für die Bundestagswahl im Jahr 2017 erfolgreichArt. 21 Abs. 1 Satz 1 und 2 GG sowie Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG verletzt

Mit heute veröf­fent­lichtem Beschluss hat der Zweite Senat des Bundes­verfassungs­gerichts entschieden, dass die Nichtzulassung der Landesliste der National­demokratischen Partei Deutschlands (NPD) für die Wahl des 19. Deutschen Bundestages im Land Berlin die Beschwer­de­führerin zu 1. in ihrer Partei­en­freiheit aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 und 2 GG und die weiteren Beschwerde­führerinnen und Beschwer­de­führer in ihrem Wahlrecht aus Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG verletzt. Soweit sich die Wahlprüfungs­beschwerde gegen die Gültigkeit der Wahl richtete, wurde sie als unzulässig verworfen.

Im Oktober 2016 fand in Berlin die besondere Vertre­ter­ver­sammlung der Beschwer­de­führerin zu 1. zur Aufstellung einer Landesliste für die Bundestagswahl 2017 statt. Die Vertreter eines Kreisverbandes waren bereits im Februar 2016 gewählt worden, nahmen an der besonderen Vertre­ter­ver­sammlung jedoch nicht teil. Weil die Wahlen der Delegierten zur Vertre­ter­ver­sammlung gemäß § 27 Abs. 5 in Verbindung mit § 21 Abs. 3 Satz 4 BWahlG erst frühestens 29 Monate nach dem Beginn der Wahlperiode des Deutschen Bundestages stattfinden dürfen, lehnte der Landes­wahl­aus­schuss die Zulassung der eingereichten Landesliste ab. Der Zweite Senat hat nun entschieden, dass eine Landesliste, die – wie im vorliegenden Fall – unter Nicht­be­tei­ligung verfrüht gewählter Delegierter aufgestellt wurde, wegen des damit verbundenen schwerwiegenden Eingriffs in die Partei­en­freiheit und die Wahlfreiheit regelmäßig nicht allein aus diesem Grund zurückgewiesen werden darf.

Zum Sachverhalt

Am 8. Oktober 2016 führte die Beschwer­de­führerin zu 1. einen Landesparteitag in Berlin durch. Im Anschluss fand die besondere Vertre­ter­ver­sammlung zur Aufstellung einer Landesliste für die Bundestagswahl 2017 im Land Berlin statt. Gemäß § 21 Abs. 3 Satz 4 BWahlG darf die Wahl der Delegierten zur Vertre­ter­ver­sammlung frühestens 29 Monate nach Beginn der Wahlperiode des Deutschen Bundestages stattfinden. Die Vertreter eines Kreisverbandes waren aber bereits im Februar 2016 gewählt worden. Sie versicherten gegenüber dem Landes­wahl­aus­schuss an Eides statt, an der besonderen Vertre­ter­ver­sammlung zur Aufstellung einer Landesliste für die Bundestagswahl im Land Berlin am 8. Oktober 2016 nicht teilgenommen zu haben. Der Landes­wahl­aus­schuss lehnte die Zulassung der eingereichten Landesliste gleichwohl ab, weil die Liste wegen der zu früh erfolgten Wahl von Vertretern für die Vertre­ter­ver­sammlung nicht den wahlrechtlichen Bestimmungen entspreche. Eine solche Wahl habe erst im März 2016 stattfinden dürfen. Einzelne Vertreter seien aber bereits im Februar 2016 und damit einen Monat zu früh gewählt worden. Nach erfolgloser Beschwerde wies auch der Deutsche Bundestag den erhobenen Wahleinspruch als unbegründet zurück, weil die Landesliste den gesetzlichen Bestimmungen nicht entsprochen habe.

Gerügte Rechts­ver­let­zungen

Die Beschwer­de­füh­re­rinnen und Beschwer­de­führer machen geltend, dass die Bundestagswahl 2017 im Land Berlin für ungültig zu erklären und eine Wiederholung der Wahl anzuordnen sei. Jedenfalls seien die Beschwer­de­führerin zu 1. in ihrem Recht der Partei­en­freiheit aus Art. 21 Abs. 1 GG, die Beschwer­de­führer zu 2. bis 7. in ihrem passiven Wahlrecht und die Beschwer­de­füh­re­rinnen und Beschwer­de­führer zu 8. bis 19. in ihrem aktiven Wahlrecht verletzt.

Ausführungen des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts

Die Wahlprü­fungs­be­schwerde ist laut Bundes­ver­fas­sungs­gericht nur teilweise zulässig. Die Beschwer­de­füh­re­rinnen und Beschwer­de­führer hätten unzureichend dargetan, dass die Nichtzulassung der Landesliste zur Wahl zum 19. Deutschen Bundestag im Land Berlin zur Ungül­ti­g­er­klärung der Wahl führen könnte. Eine Mandatsrelevanz des gerügten Wahlfehlers könne dem Beschwer­de­vor­bringen nicht entnommen werden. Die Beschwer­de­füh­re­rinnen und Beschwer­de­führer behaupten nicht, dass die Beschwer­de­führerin zu 1. im Falle einer Zulassung der Landesliste eigene Bundes­tags­mandate errungen hätte. Vielmehr beschränken sie ihr Vorbringen zur Mandatsrelevanz auf mittelbare Auswirkungen der Nichtzulassung der Landesliste auf die Sitzverteilung im 19. Deutschen Bundestag. Die Beschwer­de­führer legen aber laut Bundes­ver­fas­sungs­gericht schon nicht substantiiert dar, dass die Nichtzulassung der Landesliste zur Folge hatte, dass potentielle Wählerinnen und Wähler der Beschwer­de­führerin zu 1. an der Wahl teilgenommen und ihre Stimme für eine bestimmte Partei des gleichen politischen Spektrums abgegeben hätten. Daneben hätte nachvollziehbar dargelegt werden müssen, dass trotz der bei den vorangegangenen Bundes­tags­wahlen im Land Berlin erzielten Wahlergebnisse der Beschwer­de­führerin zu 1. in einer Größenordnung von nur 1,5 % durch die Zulassung ihrer Landesliste auch quantitativ Umschichtungen von Wählerstimmen in einem Umfang zu erwarten gewesen wären, die sich hätten mandatsrelevant auswirken können.

Im Übrigen sei die Wahlprü­fungs­be­schwerde zulässig.

In § 28 BWahlG vorgesehene Zulas­sungs­be­dürf­tigkeit von Landeslisten verfas­sungs­rechtlich unbedenklich

Die Nichtzulassung der Landesliste der Beschwer­de­führerin zu 1. im Land Berlin zur Wahl des 19. Deutschen Bundestages stellt einen Wahlfehler dar, der die Beschwer­de­füh­re­rinnen und Beschwer­de­führer in ihren Rechten auf Wahlfreiheit aus Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG und auf Partei­en­freiheit aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 und 2 GG verletzt. Die in § 28 BWahlG vorgesehene Zulas­sungs­be­dürf­tigkeit von Landeslisten steht mit der Partei­en­freiheit und der Wahlfreiheit grundsätzlich im Einklang. Die Vorschrift greift zwar sowohl in die Partei­en­freiheit als auch in die Wahlfreiheit ein. Die Regelung dient jedoch dem Schutz von Verfas­sungs­gütern, die den Grundsätzen der Wahl- und der Partei­en­freiheit die Waage halten können. Das Erfordernis der Zulassung der Landesliste einer Partei zur Wahl soll zunächst die ordnungsgemäße Durchführung der Wahl und die Sicherung ihres Charakters als eines Integra­ti­o­ns­vorgangs bei der politischen Willensbildung des Volkes gewährleisten. Es zielt darauf ab, den Wahlakt auf Wahlvorschläge zu beschränken, die in einem formellen und materiellen Anforderungen genügenden Verfahren beschlossen wurden und dadurch den Rückschluss auf die Ernsthaftigkeit der Wahlteilnahme rechtfertigen. Daneben soll durch das Zulas­sungs­er­for­dernis gewährleistet werden, dass bei der Aufstellung der Landesliste das aktive und passive Wahlrecht der Partei­mit­glieder beachtet wird.

Auslegung muss jedoch Parteien- und Wahlfreiheit ausreichend berücksichtigen

Ungeachtet der grundsätzlichen verfas­sungs­recht­lichen Unbedenk­lichkeit hat die Auslegung und Anwendung von § 28 BWahlG jedoch im Lichte der Gewähr­leis­tungen der Partei­en­freiheit und der Wahlfreiheit zu erfolgen. Es ist dem Umstand Rechnung zu tragen, dass die Nichtzulassung einer Landesliste einen schwerwiegenden Eingriff in die Wahl- und die Partei­en­freiheit darstellt. Unter mehreren möglichen Ausle­gungs­va­rianten ist daher derjenigen der Vorzug zu geben, die die Grundsätze der Parteien- und der Wahlfreiheit einerseits und die das Zulas­sungs­er­for­dernis recht­fer­ti­genden Verfas­sungsgüter andererseits zu einem bestmöglichen Ausgleich bringt. Insoweit ist § 28 BWahlG verfas­sungs­konform auszulegen. Deshalb darf eine Landesliste, die – wie im vorliegenden Fall – unter Nicht­be­tei­ligung verfrüht gewählter Delegierter aufgestellt wurde, regelmäßig nicht allein aus diesem Grund zurückgewiesen werden.

Zur Zulas­sungs­fä­higkeit von Landeslisten

Gemäß § 27 Abs. 5 in Verbindung mit § 21 Abs. 3 Satz 4 BWahlG dürfen die Wahlen der Delegierten für die Vertre­ter­ver­sammlung zur Aufstellung der Landeslisten zwar frühestens 29 Monate nach dem Beginn der Wahlperiode des Deutschen Bundestages stattfinden. Von einem Verstoß gegen die Fristbestimmung zu unterscheiden ist jedoch die Frage, welche Rückwirkungen sich hieraus für die Zulas­sungs­fä­higkeit einer Landesliste ergeben. Dabei kann nicht davon ausgegangen werden, dass jegliche Verletzung einer Bestimmung des Bundes­tags­wahl­rechts ohne Weiteres dazu führt, dass eine Landesliste den „Anforderungen“ im Sinne von § 28 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BWahlG nicht entspricht, die an eine zulas­sungs­fähige Landesliste zu stellen sind. Zwar führt die Wahl einzelner Vertreter unter Verstoß gegen § 21 Abs. 3 Satz 4 BWahlG dazu, dass diese bei der Vertre­ter­ver­sammlung weder stimm- noch vorschlags­be­rechtigt sind. Nehmen diese Delegierten an der Vertre­ter­ver­sammlung aber gar nicht teil, hat dies nicht zur Folge, dass die aufgestellte Landesliste zurückgewiesen werden muss.Das gesetzliche Gebot, die Wahl der Vertreter für die Vertre­ter­ver­sammlung zur Aufstellung der Landesliste frühestens 29 Monate nach Beginn der Wahlperiode des Deutschen Bundestages stattfinden zu lassen, bezweckt, dass die gewählten Kandidatinnen und Kandidaten den aktuellen mehrheitlichen Willen der Partei­mit­glieder repräsentieren. Nehmen die vorzeitig gewählten Vertreter an der Listen­auf­stellung aber gar nicht teil, besteht kein Risiko, dass diese Vertreter zu einer Listen­auf­stellung beitragen, die den gegenwärtigen mehrheitlichen Willen der Partei­mit­glieder nicht abbildet.

Schutz neuer Mitglieder

Daneben soll § 21 Abs. 3 Satz 4 BWahlG das Wahlvor­schlagsrecht relativ kurz vor der Listen­auf­stellung eingetretener Neumitglieder der jeweiligen Partei schützen. Zwar mag bei einer vorzeitigen Vertreterwahl neuen Partei­mit­gliedern zunächst die Möglichkeit genommen sein, sich selbst um eine Benennung als Delegierter zu bemühen und von ihrem Wahl- beziehungsweise Wahlvor­schlagsrecht Gebrauch zu machen. Nehmen die stattdessen bestimmten Delegierten ihr Mandat aber nicht wahr, besteht zumindest nicht das Risiko, dass die Listen­auf­stellung nur durch angestammte Partei­mit­glieder erfolgt und die gewählten Wahlbe­wer­be­rinnen und -bewerber nicht den aktuellen Parteiwillen repräsentieren. Außerdem bleibt es den neuen Mitgliedern unbenommen, die erneute – fristgemäße – Benennung von Delegierten für die Vertre­ter­ver­sammlung zur Aufstellung der Landesliste einzufordern und sich dabei als Delegierte zu bewerben.

Jedenfalls tritt die potentielle Beein­träch­tigung des Wahlvor­schlags­rechts einzelner Partei­mit­glieder aufgrund einer vorzeitigen Delegiertenwahl hinter dem schwerwiegenden Eingriff in die Wahl- und die Partei­en­freiheit, die mit der Nichtzulassung einer Landesliste verbunden ist, zurück.

Quelle: Bundesverfassungsgericht, ra-online (pm/cc)

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