21.11.2024
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ergänzende Informationen

Bundesverfassungsgericht Beschluss14.01.2015

Thüringisches Laden­öff­nungs­gesetz: Zwei arbeitsfreie Samstage im Monat für Verkäufer verfas­sungsgemäßEingriff in Berufs­aus­übungs­freiheit der Ladeninhaber verhältnismäßig

Die Regelung des thüringischen Laden­öffnungs­gesetzes, nach der Arbeit­neh­me­rinnen und Arbeitnehmer in Verkaufsstellen im Regelfall an mindestens zwei Samstagen im Monat nicht beschäftigt werden dürfen, ist mit dem Grundgesetz vereinbar. Dies entschied das Bundes­verfassungs­gericht. Eine Gesetz­gebungs­kompetenz des Landes ergibt sich aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG, denn der Bund hat von seiner konkurrierenden Gesetz­gebungs­kompetenz nicht abschließend Gebrauch gemacht. Die Vorschrift ist auch materiell mit der Verfassung vereinbar; insbesondere ist der Eingriff in die Berufs­aus­übungs­freiheit der Beschwer­de­führerin verhältnismäßig.

Die Beschwer­de­führerin des zugrunde liegenden Verfahrens betreibt eine Verkaufsstelle der Möbelbranche. Sie wendet sich gegen § 12 Abs. 3 des Thüringer Laden­öff­nungs­ge­setzes (ThürLadÖffG). Nach Satz 1 dieser Vorschrift sind für im Verkauf Beschäftigte zwingend zwei Samstage im Monat arbeitsfrei, wovon nach Satz 2 im Verordnungswege Ausnahmen zugelassen werden können. Nach Satz 3 müssen Belange der Beschäftigten, insbesondere die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, beachtet werden.

Arbeit­neh­mer­schutz­vor­schriften seit 1956 bundesrechtlich im Laden­schluss­gesetz geregelt

Die Öffnungszeiten von Verkaufsstellen sowie diese flankierende Arbeit­neh­mer­schutz­vor­schriften waren seit 1956 bundesrechtlich im Ladenschlussgesetz (LadSchlG) geregelt. In der Födera­lis­mus­reform 2006 wurde die Kompetenz für das „Recht des Ladenschlusses“ aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG (a. F.) herausgenommen und auf die Länder übertragen. Das Thüringer Ladenöffnungsgesetz hat der Landes­ge­setzgeber im Jahr 2006 erlassen und 2011 den vorliegend angegriffenen § 12 Abs. 3 ThürLadÖffG eingefügt.

Angegriffene Vorschrift wurde vom Landes­ge­setzgeber kompetenzgemäß erlassen

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht entschied, dass die angegriffene Vorschrift vom Landes­ge­setzgeber kompetenzgemäß erlassen worden ist. Die Länder haben gemäß Art. 70 Abs. 1 GG das Recht der Gesetzgebung, soweit sie das Grundgesetz nicht dem Bund verleiht. Für die Gesetz­ge­bungs­materie des Ladenschlusses sind nach Art. 70 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG die Länder zur Gesetzgebung befugt. Das Arbeitsrecht einschließlich des Arbeits­schutz­rechts ist demgegenüber gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG Gegenstand der konkurrierenden Gesetz­ge­bungs­kom­petenz des Bundes.

Die angegriffene Regelung fällt nicht als Regelung des „Ladenschlusses“ unter die Bereichs­ausnahme des Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG zugunsten der Länder.

Beschäf­ti­gungs­be­din­gungen vom Begriff "Ladenschluss" nicht umfasst

Das Grundgesetz selbst bestimmt den Begriff „Ladenschluss“ in Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG nicht näher. Nach dem gängigen Wortsinn wird hiermit die tägliche Verkaufszeit in Einzel­han­dels­ge­schäften umschrieben; Beschäf­ti­gungs­be­din­gungen sind nicht umfasst. Hierfür spricht auch die Entste­hungs­ge­schichte des Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG. Der verfas­sung­s­än­dernde Gesetzgeber hat in Ansehung des damaligen Laden­schluss­ge­setzes lediglich eine Kompetenznorm zugunsten des Bundes (Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG) verändert, obwohl das Gesetz stets auf zwei Kompetenztitel (Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG und Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG) gestützt wurde. Das Laden­schluss­gesetz war sowohl dem Arbeitsschutz als auch dem Handel zugeordnet; es sollte zum einen einer übermäßigen Konkurrenz durch beliebige Laden­öff­nungs­zeiten entgegensteuern sowie zum anderen dem Arbeitsschutz dienen. Es ist nicht ersichtlich, dass die Zuständigkeit für alle bislang im Laden­schluss­gesetz des Bundes getroffenen Regelungen mit der Verfas­sung­s­än­derung auf die Landes­ge­setzgeber übergehen sollte. Der verfas­sung­s­än­dernde Gesetzgeber hatte ausschließlich die handels­be­zogenen Aspekte des Laden­schluss­rechts im Blick.

Arbeits­zeitliche Regelungen sind nicht laden­schluss­s­pe­zifisch

Eine Regelung der samstäglichen Arbeitszeit im Wege eines Freistel­lungs­an­spruchs ist mit dem Laden­schlussrecht nicht derart zwingend verzahnt, dass sie von dieser geschriebenen Gesetz­ge­bungs­kom­petenz der Länder mit erfasst wäre. Eine Landeskompetenz ergibt sich nicht kraft Sachzu­sam­menhangs. Arbeits­zeitliche Regelungen erfassen weite Teile des Arbeitslebens und sind nicht laden­schluss­s­pe­zifisch. Für die angegriffenen Regelungen besteht eine Gesetz­ge­bungs­kom­petenz des Landes Thüringen aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG. Im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung haben die Länder nach Art. 72 Abs. 1 GG allerdings die Befugnis zur Gesetzgebung, solange und soweit der Bund von seiner Zuständigkeit nicht Gebrauch gemacht hat. Dies ist hier der Fall.

Beschäftigung an Samstagen in Laden­schluss­gesetz nicht abschließend geregelt

Ein Gebrauchmachen in diesem Sinne liegt vor, wenn ein Bundesgesetz eine bestimmte Frage erschöpfend regelt. Maßgeblich für die Bestimmung seiner Reichweite sind der Wortlaut, der Regelungszweck und die Gesetz­ge­bungs­ge­schichte. Entscheidend ist, dass ein bestimmter Sachbereich umfassend und lückenlos geregelt ist oder nach dem objektiv erkennbaren Willen des Gesetzgebers abschließend geregelt werden sollte. Hiernach ergibt sich aus § 17 Abs. 4 LadSchlG des Bundes gegenüber den Ländern keine Sperrwirkung, soweit sie über den dort vorgesehenen Freistel­lungs­an­spruch von nur einem Samstag im Monat hinausgehen und eine zusätzliche Freistellung vorschreiben. Zwar hatte die bundes­rechtliche Regelung zum Zeitpunkt ihrer Verabschiedung insofern faktisch abschließende Wirkung, als die Länder damals keine Regelungs­kom­petenz für den Ladenschluss hatten. Doch liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass § 17 Abs. 4 LadSchlG nach der Verlagerung der Gesetz­ge­bungs­kom­pe­tenzen für den Ladenschluss auf die Länder für eine Beschäftigung an Samstagen abschließend gelten soll. Der Bundes­ge­setzgeber musste sich darüber zum damaligen Zeitpunkt schlicht keine Gedanken machen; weder war die Regelung damals aus der Sicht des Gesetzgebers bewusst abschließend konzipiert noch ist sie heute objektiv eindeutig als abschließend zu verstehen.

Freistel­lungs­an­spruch auf einen Samstag im Kalendermonat ist nicht als zwingende Arbeits­zeit­re­gelung zu verstehen

Die bundes­ge­setzliche Norm beschränkt nach ihrem Wortlaut den Freistel­lungs­an­spruch auf einen Samstag im Kalendermonat, legt aber objektiv nicht fest, dass dies als abschließende, zwingende Arbeits­zeit­re­gelung zu verstehen ist. Ein Anhaltspunkt, dass der Freistel­lungs­an­spruch auf genau einen Samstag begrenzt sein soll, ist der Regelung nicht zu entnehmen. Insofern lässt sich die Regelung auch als bloße Minimalgarantie verstehen. Ausweislich der Beschluss­emp­fehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit im Deutschen Bundestag sollte lediglich ein gesetzlicher Anspruch eingeführt werden, der „zumindest“ einen arbeitsfreien Samstag im Monat ermöglichen soll.

Dem Bundes­ge­setzgeber ist es im Rahmen der grund­ge­setz­lichen Kompe­ten­z­ordnung allerdings unbenommen, einheitliche oder abschließende arbeits­zeit­rechtliche Vorgaben zum Ladenschluss zu machen. Werden solche Bundes­re­ge­lungen verabschiedet, träte gemäß Art. 72 Abs. 1 GG eine Sperrwirkung ein, die zur Nichtigkeit des bereits erlassenen Landesrechts führen würde.

Eingriff in Berufs­aus­übungs­freiheit verfas­sungs­rechtlich gerechtfertigt

Die Vorschrift des § 12 Abs. 3 Satz 1 und 2 ThürLadÖffG ist materiell mit dem Grundgesetz vereinbar. Sie greift zwar in die nach Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufs­aus­übungs­freiheit der Beschwer­de­führerin ein, indem sie den gewünschten Einsatz der von ihr beschäftigten Arbeit­neh­me­rinnen und Arbeitnehmer in Verkaufsstellen für den Samstag beschränkt. Der Eingriff ist jedoch verfas­sungs­rechtlich gerechtfertigt.

Gesetz soll Vereinbarkeit von Erwer­b­s­tä­tigkeit und Familie dienen

Das Gesetz zielt auf den Arbeitsschutz und den Schutz der Vereinbarkeit von Erwer­b­s­tä­tigkeit und Familie und damit auf Gemein­wohl­belange, die Einschränkungen der Berufs­aus­übungs­freiheit zu rechtfertigen vermögen. Der Gesetzgeber will so auf die mit den Ausweitungen der Laden­öff­nungs­zeiten verbundene Verschlech­terung der Arbeits­be­din­gungen der Beschäftigten im Einzelhandel reagieren, die sowohl die Gesundheit wie das Familienleben beeinträchtigen können.

Beschränkung der Berufs­aus­übungs­freiheit erfolgt nur geringfügig

Die Regelung ist verhältnismäßig und insbesondere angemessen. Die Berufs­aus­übungs­freiheit wird durch § 12 Abs. 3 Satz 1 und 2 ThürLadÖffG nur geringfügig beschränkt. Sie hindert die betroffenen Unternehmen nicht etwa daran, ihre Geschäfte an umsatzstarken Samstagen zu öffnen. Allerdings erzwingt sie organi­sa­to­rische Vorkehrungen in personeller Hinsicht. Damit entstehen für die Unternehmen voraussichtlich zusätzliche Kosten; auch können sich Umsatzeinbußen ergeben, wenn nicht alle erfahrenen Fachkräfte an allen besonders frequentierten Samstagen zur Verfügung stehen. Doch kann der Gesetzgeber die Belange des Schutzes der Arbeit­neh­me­rinnen und Arbeitnehmer als überwiegend erachten. Zwar ist nicht ausgeschlossen, dass die angegriffene Regelung nicht nur die erwünschten positiven Wirkungen auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf hat, sondern auch negative Effekte, da sie einer flexiblen Aufteilung von Betreu­ungs­aufgaben im Wege stehen kann. Vorliegend überschreitet der Gesetzgeber seinen Ausge­stal­tungs­spielraum jedoch nicht, wenn er zur Arbeitszeit im Handel an Wochenenden normativ begrenzte Vorgaben macht.

Abweichende Meinung des Richters Paulus:

Der Beschluss ist weder mit der Kompe­ten­z­ordnung des Grundgesetzes noch mit der dazu bisher ergangenen Rechtsprechung beider Senate vereinbar.

Der Bund hat von seiner Kompetenz aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG zur Arbeits­zeit­re­gelung gemäß Art. 72 Abs. 1 GG abschließend Gebrauch gemacht. Er hat den Sachbereich der Samstagsarbeit in § 17 Abs. 4 LadSchlG vollständig geregelt, indem er Beschäftigten im Einzelhandel einen individuellen Anspruch auf einen freien Samstag im Monat eingeräumt hat. Das zeigt schon der abschließende Wortlaut der Vorschrift, die eine spezi­a­l­rechtliche Regelung für den Werktag Samstag enthält. Für einen bundes­recht­lichen Regelungs­vor­behalt zugunsten der Länder ist nichts ersichtlich. Die Vorschrift wurde im Jahre 2003 auf Vorschlag des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit im Deutschen Bundestag aufgenommen, um den Beschäftigten des Einzelhandels „zumindest“ einen arbeitsfreien Samstag im Monat zu ermöglichen. Das „zumindest“ sollte keinen Spielraum für die Länder eröffnen, sondern Tarifparteien eine andere, auch weitergehende Regelung erlauben. Dies wurde in den Ausschuss­be­ra­tungen dadurch deutlich, dass eine der damaligen Mehrheits­frak­tionen den Ausschluss der Länderkompetenz hervorhob und die andere den Charakter der Regelung als (abschließende) Gesamtabwägung betonte.

Die spätere Änderung des Grundgesetzes kann schwerlich rückwirkend aus der abschließenden Wahrnehmung einer Bundeskompetenz eine nicht abschließende machen. Hierfür wäre nach der Rechtsprechung des Zweiten Senats eine ausdrückliche Geset­ze­s­än­derung durch Einfügung einer Abwei­chungs­klausel erforderlich, um dem rechts­s­taat­lichen Prinzip der Geset­zes­klarheit gerecht zu werden.

Darüber hinaus weicht das Gesetz durch die Ersetzung des subjektiven Rechts auf einen arbeitsfreien Samstag im Monat durch ein absolutes Verbot der Arbeit an zwei Samstagen von der bundes­recht­lichen Regelung ab, ohne dass die dafür erforderliche Abwei­chungs­kom­petenz gemäß Art. 72 Abs. 3 GG gegeben ist. Konzeptionelle Entscheidungen des Bundes­ge­setz­gebers dürfen auch durch auf Spezi­a­l­zu­stän­dig­keiten gründende Einze­l­ent­schei­dungen eines Landes­ge­setz­gebers nicht verfälscht werden.

Angesichts des Verstoßes gegen die grund­ge­setz­lichen Gesetz­ge­bungs­kom­pe­tenzen kann im Ergebnis offen bleiben, ob die pater­na­lis­tische Landesregelung materiell die Grundrechte verletzt. Jedenfalls ist die Grund­rechts­ab­wägung unvollständig, weil sie den Wechsel von dem bundes­recht­lichen subjektiven Recht auf das landes­ge­setzliche objektive Arbeitsverbot im Einzelhandel an zwei Samstagen im Hinblick auf die Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG nicht reflektiert. Durch das Arbeitsverbot wird das Gewicht, das der thüringische Gesetzgeber der Berufs­aus­übungs­freiheit der Beschwer­de­führerin entgegensetzen kann, erheblich vermindert. So ist es eben keineswegs notwen­di­gerweise im Interesse vieler Arbeit­neh­me­rinnen und Arbeitnehmer, wenn sie jeden zweiten Samstag nicht arbeiten dürfen. Viele Familien verfügen nicht über eine Möglichkeit der externen Kinderbetreuung, so dass sich die Eltern abstimmen müssen, wenn sie auf den Doppelverdienst angewiesen sind. Andere hätten lieber am Montag als am Samstag frei, um selbst in Ruhe einkaufen zu können.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

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