15.11.2024
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Dokument-Nr. 8147

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Beschluss10.06.2009Bundesverfassungsgericht1 BvR 825/08 und 1 BvR 831/08
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Bundesverfassungsgericht Beschluss10.06.2009

BVerfG: Kein Aufnahmezwang für kleinere private Versi­che­rungs­vereinePflicht zur Aufnahme von Personen in den Basistarif, die nicht zu der von der Versicherung üblicherweise versicherten speziellen Berufsgruppe gehören, stellt Verletzung der Verei­ni­gungs­freiheit dar

Ein kleinerer Versi­che­rungs­verein muss einen Antragsteller nur dann im Basistarif aufnehmen, wenn er zum satzungsmäßigen Mitgliederkreis des jeweiligen kleineren Versi­che­rungs­vereins zählt. Dies hat das Bundes­ver­fas­sun­gericht entschieden.

Der Erste Senat des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts hat im Urteil vom 10. Juni 2009 entschieden, dass die von den privaten Kranken­ver­si­che­rungen angegriffenen Vorschriften des GKV-WSG und des VVG-ReformG grundsätzlich mit der Verfassung im Einklang stehen. Daneben waren noch Verfas­sungs­be­schwerden von zwei kleineren Versi­che­rungs­vereinen auf Gegenseitigkeit anhängig, die ausschließlich eine bestimmte Berufsgruppe (Priester) versichern. Diese wurden vom Ersten Senat mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Kontra­hie­rungszwang für den Basistarif durch die Gesund­heits­reform 2007 bei diesen kleineren Versi­che­rungs­vereinen auf Gegenseitigkeit in die Verei­ni­gungs­freiheit (Art. 9 Abs. 1 GG) eingreift und ein solcher daher nur gegenüber Aufnah­me­be­werbern besteht, welche die satzungsmäßigen Voraussetzungen des Vereins für eine Mitgliedschaft erfüllen.

Sachverhalt

Bei den Beschwer­de­führern handelt es um kleinere Versi­che­rungs­vereine auf Gegenseitigkeit, die ihren Mitgliedern Kranken­kos­ten­voll­ver­si­che­rungen und bestimmte Zusatz­ver­si­che­rungen anbieten. Sie sind verpflichtet, die Versi­che­rungs­verträge stets im Rahmen eines Mitglied­s­chafts­ver­hält­nisses abzuschließen. Versi­che­rungs­ge­schäfte ohne Mitgliedschaft, die den größeren Versi­che­rungs­vereinen auf Gegenseitigkeit gestattet sind, sind ihnen gesetzlich untersagt. Die beiden Beschwer­de­führer wandten sich mit ihrer Verfas­sungs­be­schwerde gegen die neugeschaffenen Vorschriften des Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Kranken­ver­si­cherung (GKV-Wettbe­wer­bs­s­tär­kungs­gesetz - GKV-WSG) vom 26. März 2007 und des Gesetzes zur Reform des Versi­che­rungs­ver­trags­rechts (VVG-ReformG) vom 23. November 2007. Sie rügten vor allem, dass die Vorschriften über den Kontra­hie­rungszwang im Basistarif für sie ein faktisches Verbot der reinen Standes­ver­si­cherung darstellten. Auch in dem absoluten Kündi­gungs­verbot für alle Kranken­kos­ten­voll­ver­si­che­rungen sahen sie eine Verletzung ihrer Verei­ni­gungs­freiheit.

Die Entscheidung des Gerichts

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde: § 193 Abs. 5 Satz 1 VVG und § 12 Abs. 1b Satz 1 VAG sind verfas­sungs­konform so auszulegen, dass ein Antragsteller nur dann im Basistarif aufgenommen werden muss, soweit er zum satzungsmäßigen Mitgliederkreis des jeweiligen kleineren Versi­che­rungs­vereins zählt.

Eingriff in das Recht auf Verei­ni­gungs­freiheit?

Anders als bei den großen Privaten Kranken­ver­si­cherern, stellt die Pflicht zur Gewährung von Versi­che­rungs­schutz im Basistarif für kleinere Versi­che­rungs­vereine, die im Gegensatz zu den großen Versi­che­rungs­vereinen auf Gegenseitigkeit nur Mitglieder-, aber keine Vertrags­ge­schäfte führen dürfen, einen (Art. 9 Abs. 1 GG) dar. Eine von diesem Grundrecht angeleitete verfas­sungs­konforme Auslegung ergibt jedoch, dass der Kontra­hie­rungszwang im Basistarif nicht in vollem Umfang für kleinere Versi­che­rungs­vereine auf Gegenseitigkeit gilt, so dass ein Verstoß gegen die Verei­ni­gungs­freiheit im Ergebnis nicht vorliegt.

Die kleineren Versi­che­rungs­vereine haben bestim­mungsgemäß einen sachlich, örtlich oder personal eng begrenzten Wirkungskreis. Die personale Komponente des kleineren Versi­che­rungs­vereins wird insbesondere bei den Beschwer­de­führern deutlich, die ausschließlich eine bestimmte, in Beruf und Glauben verbundene Berufsgruppe versichern. In diesem Fall wird häufig nicht allein der wirtschaftliche Aspekt, sondern auch der spezielle Solidargedanke eines bestimmten Kollektivs für die Entscheidung über die Mitgliedschaft maßgeblich sein.

Durch Kontra­hie­rungszwang werden Mitglieder aufgezwungen, die in keiner Verbindung zum restlichen Personenkreis der Versicherung stehen

Die Vorschriften über den Kontra­hie­rungszwang greifen in die Verei­ni­gungs­freiheit deshalb ein, weil die kleineren Versi­che­rungs­vereine auf Gegenseitigkeit nicht mehr frei darin sind, nur nach Maßgabe ihrer Satzung über die Aufnahme neuer Mitglieder zu entscheiden, sondern auch Personen als Mitglieder aufnehmen müssen, welche die Voraussetzungen des § 193 Abs. 5 Satz 1 VVG erfüllen. Durch den Kontra­hie­rungszwang im Basistarif würden den Beschwer­de­führern trotz ihrer personal ausgestalteten Struktur Personen als Mitglieder aufgezwungen, die mit dem bisher versicherten Personenkreis in keiner Beziehung mehr stehen. Das gesetz­ge­be­rische Ziel des GKV-Wettbe­wer­bs­s­tär­kungs­ge­setzes, einen ausreichenden Versi­che­rungs­schutz für alle der privaten Kranken­ver­si­cherung zugewiesenen Personen sicherzustellen, wird aber bereits durch die großen Versi­che­rungs­vereine auf Gegenseitigkeit und Aktien­ge­sell­schaften gewährleistet, die den Markt fast vollständig abdecken. Eine andere Betrach­tungsweise ist auch nicht deshalb geboten, weil die Beschwer­de­führer einen ungerecht­fer­tigten Wettbe­wer­bs­vorteil erlangen würden. Denn sie nehmen am Risikoausgleich im Basistarif nach § 12 g VAG in gleicher Weise wie die großen Unternehmen teil. Da ein kleiner Versi­che­rungs­verein nur unter engen Voraussetzungen zugelassen werden kann, wird auch kein Anreiz zur Gründung kleiner Versi­che­rungs­vereine geschaffen, um dem Kontra­hie­rungszwang im Basistarif zu entgehen.

Kündi­gungs­verbot des Versicherers

Soweit das für alle substitutiven Kranken­voll­ver­si­che­rungen geltende absolute Kündi­gungs­verbot des § 206 Abs. 1 Satz 1 VVG angegriffen wird, berührt die Vorschrift zwar den Schutzbereich der Verei­ni­gungs­freiheit (Art. 9 Abs. 1 GG), dieser Eingriff ist aber aus Gründen des gemeinen Wohls gerechtfertigt. Das Kündi­gungs­verbot erfüllt den legitimen Zweck, den Verlust des Versi­che­rungs­schutzes zu verhindern und damit die Vollfunk­ti­o­nalität der privaten Kranken­ver­si­che­rungen für den ihnen zugewiesenen Personenkreis sicherzustellen und den mit der Kündigung des Versi­che­rungs­vertrags verbundenen Verlust der Alters­rück­stellung zu verhindern. Ob in Ausnahmefällen aus verfas­sungs­recht­lichen Gründen eine Durchbrechung des absoluten Kündi­gungs­verbots geboten sein kann, konnte der Senat hier dahinstehen lassen.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 78/09 des BVerfG vom 14.07.2009

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