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03.12.2025 
Sie sehen das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.

Dokument-Nr. 35613

Sie sehen das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.
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Beschluss03.12.2025Bundesverfassungsgericht1 BvR 573/25
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Bundesverfassungsgericht Beschluss03.12.2025

"Der Spiegel" gewinnt im Streit um Verdachts­be­rich­t­er­stattung vor dem Bundes­ver­fas­sungs­gerichtErfolgreiche Verfas­sungs­be­schwerde des Nachrich­ten­ma­gazins DER SPIEGEL zur Verdachts­be­rich­t­er­stattung im „Wirecard-Skandal“

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat einer Verfas­sungs­be­schwerde stattgegeben, die ein zivil­ge­richt­liches Ausgangs­ver­fahren betrifft, in dem das Nachrich­ten­magazin DER SPIEGEL zur Unterlassung einer Wort- und Bildbe­rich­t­er­stattung im Zusammenhang mit dem sogenannten „Wirecard-Skandal“ verurteilt worden ist.

Die mit der Verfas­sungs­be­schwerde unter anderem angegriffene Entscheidung des Oberlan­des­ge­richts verletzt die Beschwer­de­führerin in ihren Grundrechten auf Meinungs- und Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und 2 Grundgesetz (GG). Soweit es die Wortbe­rich­t­er­stattung betrifft, hat das Oberlan­des­gericht teilweise die Anforderungen an die der Beschwer­de­führerin obliegenden Sorgfalts­pflichten überspannt und teilweise bereits eine den verfas­sungs­recht­lichen Anforderungen nicht genügende Sinnermittlung des Kontexts der Berich­t­er­stattung vorgenommen. Dieser Begrün­dungs­mangel hat sich in der Beurteilung der Bildbe­rich­t­er­stattung fortgesetzt.

Die Kammer hat die Entscheidung des Oberlan­des­ge­richts aufgehoben und zur erneuten Entscheidung an dieses zurückverwiesen.

Sachverhalt

Der Kläger des Ausgangs­ver­fahrens war nach den fachge­richt­lichen Feststellungen zunächst im Wirecard-Konzern tätig. Er schied im Jahr 2018 aus dem Konzern aus und wurde Geschäftsführer eines Startup-Unternehmens. Dieses Unternehmen erhielt bis Ende März 2020 durch ein Unternehmen des Wirecard-Konzerns einen Kredit in Höhe von 115 Millionen Euro. Dessen deklarierter Zweck war ein sogenanntes Mercant Cash Advance (MCA-Geschäft), bei dem es sich um ein Zusatzprodukt zur eigentlichen Zahlungs­ab­wicklung handelt, das höhere Margen verspricht. Der Insol­venz­ver­walter der Wirecard AG sowie die Staats­an­walt­schaft nehmen an, dass über das Vehikel der MCA-Geschäfte hunderte Millionen Euro veruntreut worden seien. Die Staats­an­walt­schaft leitete unter anderem gegen den Kläger im Zusammenhang mit dem „Wirecard-Skandal“ ein Ermitt­lungs­ver­fahren ein.

Die Beschwer­de­führerin veröffentlichte am 20./21. November 2020 und 5./6. Februar 2021 online sowie in der Printausgabe Artikel zum „Wirecard-Skandal“, in denen sie auch über den Kläger berichtete und die Artikel mit nicht verpixelten Bildern des Klägers versah. Der Kläger nahm die Beschwer­de­führerin vor dem Landgericht auf Unterlassung der ihn im Zusammenhang mit Strafvorwürfen gegen seine Person identi­fi­zie­renden Wort- und Bildbe­rich­t­er­stattung in Anspruch. Das Landgericht gab der Klage statt. Die hiergegen gerichtete Berufung der Beschwer­de­führerin wies das Oberlan­des­gericht zurück. Es führte unter anderem aus, da in beiden Artikeln zumindest der Verdacht geäußert werde, der Kläger sei in strafrechtlich relevanter Weise an der Begehung der geschilderten Taten beteiligt gewesen, seien die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung entsprechend anwendbar. Deren Voraussetzungen seien allerdings nicht erfüllt.

Mit ihrer Verfas­sungs­be­schwerde rügt die Beschwer­de­führerin die Verletzung ihrer Grundrechte auf Meinungs- und Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und 2 GG durch die gerichtlichen Entscheidungen.

Wesentliche Erwägungen der Kammer

I. Die Verfas­sungs­be­schwerde ist zulässig und begründet, soweit sie sich gegen die Entscheidung des Oberlan­des­ge­richts richtet. Der Eingriff in die Grundrechte der Beschwer­de­führerin ist verfas­sungs­rechtlich nicht gerechtfertigt.

1. Im Hinblick auf die Wortbe­rich­t­er­stattung vom 20./21. November 2020 genügt die Würdigung des Oberlan­des­ge­richts, dass die Verdachts­be­rich­t­er­stattung bereits deshalb unzulässig sei, weil es an einem hinreichenden Mindestbestand an Beweistatsachen fehle, nicht den verfas­sungs­recht­lichen Anforderungen.

a) Grundlegenden Bedenken begegnet hierbei insbesondere die Vorgehensweise des Oberlan­des­ge­richts, den erforderlichen Mindestbestand allein auf der Grundlage von Verdachtsstufen zu bestimmen. Die Zulässigkeit einer Verdachts­be­rich­t­er­stattung kann nicht allein davon abhängig gemacht werden, dass ein bestimmter Grad an Wahrschein­lichkeit für die Begründetheit des Verdachts spricht. Dürfte die Presse eine Verdachts­be­rich­t­er­stattung immer nur dann veröffentlichen, wenn sie eine über den Anfangsverdacht hinausgehende Verur­tei­lungs­wahr­schein­lichkeit zu belegen vermag, wäre dies mit Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG nicht vereinbar. Das gilt namentlich für eine Verdachts­be­rich­t­er­stattung über komplexe, auf Verschleierung angelegte Straftaten aus dem Bereich der Wirtschafts­kri­mi­nalität.

b) Zudem wird in der angegriffenen Entscheidung nicht hinreichend berücksichtigt, dass das Interesse der Öffentlichkeit am Gegenstand der Berich­t­er­stattung bereits bei Bemessung der Sorgfalts­an­for­de­rungen gegenüber dem allgemeinen Persön­lich­keitsrecht abwägend zu berücksichtigen ist und umso stärker ausfällt, je mehr sich die Straftat durch die Art der Begehung oder die Schwere der Folgen über die gewöhnliche Kriminalität heraushebt. Bei dem Verdacht allge­mein­schäd­licher Wirtschaftss­traftaten steht in besonderer Weise derjenige im Blickfeld der Öffentlichkeit, dessen (objektive) Nähe zu den in Frage stehenden Ereignissen sich gerade aus einer beruflich hervorgehobenen Position und der damit verbundenen wirtschaft­lichen Verantwortung ergibt. Mit Blick hierauf hätte das Oberlan­des­gericht bei der Würdigung der Beweistatsachen in die Betrachtung einbeziehen müssen, dass an der Person des Klägers und seinen damaligen geschäftlichen Handlungen aufgrund seiner hervorgehobenen Position als Geschäftsführer eines Unternehmens, auf die sich der Verdacht einer Verstrickung in erhebliche Wirtschaftss­traftaten im Zusammenhang mit dem „Wirecard-Skandal“ erstreckt, ein besonderes öffentliches Infor­ma­ti­o­ns­in­teresse besteht.

2. Soweit es die Wortbe­rich­t­er­stattung vom 5./6. Februar 2021 betrifft, hält bereits die in der angegriffenen Entscheidung erfolgte Sinnermittlung verfas­sungs­recht­licher Überprüfung nicht stand.

a) Der Artikel vom 5./6. Februar 2021 thematisiert die Rolle des Klägers allenfalls vage und ohne erkennbare Zuordnung zu konkreten Vorgängen. Das Oberlan­des­gericht hat gleichwohl eine Verdacht­s­äu­ßerung angenommen und sich unter anderem darauf gestützt, dass der Kläger als eine der „Schlüs­sel­personen des Skandals“ und Teil eines „Netzwerks treuer Helfer“ eines flüchtigen, ehemaligen Vorstands­mit­glieds bezeichnet worden sei. Insoweit hat das Oberlan­des­gericht aber keine hinreichende Einordnung in den Kontext des Artikels vorgenommen.

b) Zudem hält die Würdigung des Oberlan­des­ge­richts, bei den herangezogenen Formulierungen handele es sich jeweils um eine Tatsa­chen­be­hauptung, verfas­sungs­recht­licher Überprüfung nicht stand. Die Formulierungen enthalten zwar faktische Elemente. Das Oberlan­des­gericht hat aber nicht berücksichtigt, dass der Artikel durch die verwendeten Formulierungen zu diesen Vorgängen Stellung bezieht und die Nähe des Klägers zu den fraglichen Ereignissen kritisch bewertet. Die vorgenannten Passagen stellen sich damit insgesamt als Werturteil dar. Als solches ist es von dem Schutz von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG umfasst. Ob die zugrun­de­lie­genden tatsächlichen Annahmen zutreffen oder dieses zu tragen vermögen, ist nur für die dann erforderliche Abwägung zwischen dem Grundrecht des Beschwer­de­führers auf Meinungs­freiheit und dem Persön­lich­keitsrecht des Klägers von Bedeutung.

3. Das Oberlan­des­gericht hat auch in verfas­sungs­rechtlich nicht tragfähiger Weise angenommen, dass die identi­fi­zierende Bildbe­rich­t­er­stattung den Kläger in seinem allgemeinen Persön­lich­keitsrecht verletze. Zwar begegnet es im Ausgangspunkt keinen verfas­sungs­recht­lichen Bedenken, aus der Unzulässigkeit einer Wortbe­rich­t­er­stattung zu schließen, dass auch die diese flankierende Bildbe­rich­t­er­stattung unzulässig ist. Ist ein Fachgericht – wie hier – aber bereits in verfas­sungs­rechtlich nicht tragfähiger Weise von einer unzulässigen Verdachts­be­rich­t­er­stattung ausgegangen, so setzt sich dieser Begrün­dungs­fehler zwangsläufig in einer kongruent erfolgten Beurteilung der Bildbe­rich­t­er­stattung fort. Zudem hat das Oberlan­des­gericht außer Acht gelassen, dass der Kläger, selbst wenn er nicht als prominent wahrgenommen werden mag, zum maßgeblichen Zeitpunkt eine herausgehobene berufliche Position mit erheblicher wirtschaft­licher Verantwortung innehatte.

II. Die Kammer hat den Beschluss des Oberlan­des­ge­richts aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Oberlan­des­gericht zurückverwiesen.

Quelle: Bundesverfassungsgericht,

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