21.11.2024
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Dokument-Nr. 30279

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Bundesverfassungsgericht Beschluss31.03.2021

Erfolgreiche Verfassungs­beschwerde gegen fachge­richtliche Entscheidung zur Entlassung einer Mutter als BetreuerinUrteil des LG verletzt Beschwer­de­führer nicht in Grundrechten

Das Bundes­verfassungs­gericht hat eine fachge­richtliche Entscheidung in einem betreuungs­rechtlichen Verfahren aufgehoben und zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen. Die Beschwer­de­führerin und Mutter der Betreuten setzt sich gegen eine fachge­richtliche Entscheidung zur Wehr, mit der ihre Entlassung als Betreuerin bestätigt wurde. Die Entscheidung verletzt die Beschwer­de­führerin in ihrem Grundrecht aus Art. 6 Abs. 1 GG, weil das Landgericht Bedeutung und Tragweite der persönlichen Beziehung und familiären Bindung der Beschwer­de­führerin als Mutter zu ihrer Tochter und des Wunsches der Tochter, von ihrer Mutter betreut zu werden, für die Entscheidung über die Entlassung der Beschwer­de­führerin als Betreuerin ihrer Tochter verkannt hat.

Die 1992 geborene Tochter der Beschwer­de­führerin (im Folgenden: die Betroffene) leidet an einer paranoid-hallu­zi­na­to­rischen Schizophrenie. Für sie wurde 2014 eine Betreuung eingerichtet und ihre Mutter, die Beschwer­de­führerin, als Betreuerin für den Aufgabenkreis Gesund­heits­fürsorge einschließlich hiermit verbundener Aufent­halts­be­stimmung bestellt. In den Jahren 2018 und 2019 wurde die Betroffene mehrmals auf Antrag der Beschwer­de­führerin jeweils kurzzeitig in der geschlossenen Abteilung des örtlichen psychiatrischen Krankenhauses untergebracht. Ein vom Amtsgericht eingeholtes Gutachten kam zu dem Ergebnis, dass eine weitere Unterbringung zur Heilbehandlung und zur Abwendung einer akuten Eigengefährdung dringend erforderlich sei. Der Gutachter empfahl eine geschlossene Unterbringung für mindestens sechs Monate, wobei ein Orts- und Betreuerwechsel der Betroffenen möglichst nicht zugemutet werden solle. Dagegen empfahl die Betreu­ungs­behörde einen Betreuerwechsel hin zu einem unvorbelasteten, familienfremden Berufsbetreuer. Die behandelnden Ärzte sprachen sich in zwei schriftlichen Stellungnahmen ebenfalls für einen Betreuerwechsel aus. Es bestehe eine innerfamiliäre Dynamik, die für die Betroffene ausschließlich kontraproduktiv wirke. Das Amtsgericht entließ daraufhin entgegen des ausdrücklichen Wunsches der Betroffenen die Beschwer­de­führerin als Betreuerin ihrer Tochter und bestellte eine Berufs­be­treuerin.

Grundrecht aus Art. 6 Abs. 1 GG verletzt

Auf Antrag der Berufs­be­treuerin genehmigte das Amtsgericht die Unterbringung der Betroffenen in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses sowie nachfolgend in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Heimes. Aufgrund dieses Beschlusses befand sich die Betroffene von September 2019 bis April 2020 in einer von dem Wohnort der Beschwer­de­führerin circa 120 km entfernten psychiatrischen Einrichtung. Die gegen ihre Entlassung als Betreuerin gerichtete Beschwerde der Beschwer­de­führerin wies das Landgericht zurück. Hiergegen wendet sich die Beschwer­de­führerin mit ihrer Verfassungsbeschwerde. Der Schutz des Familienrecht aus Art. 6 Abs.1 GG erfasst auch das Verhältnis zwischen Eltern und ihren volljährigen Kindern. Zwar treten mit wachsender Handlungs- und Entschei­dungs­fä­higkeit des Kindes Verant­wort­lichkeit und Sorgerecht der Eltern zurück. Unabhängig hiervon sind familiäre Bindungen im Selbst­ver­ständnis des Individuums jedoch regelmäßig von hoher Bedeutung und haben im Lebensalltag der Famili­en­mit­glieder häufig besondere praktische Relevanz. Sie zeichnen sich durch schicksalhafte Gegebenheit aus und können von besonderer Nähe und Zuneigung, von Verant­wor­tungs­be­wusstsein und Beistands­be­reit­schaft geprägt sein.

Schutz der Familie auch bei der Bestellung einer Betreuerin Rechnung zu tragen

Dem Schutz der Familie ist auch bei der Bestellung einer Betreuerin Rechnung zu tragen. Art. 6 Abs. 1 GG gebietet eine bevorzugte Berück­sich­tigung der (nahen) Familien­an­ge­hörigen jedenfalls dann, wenn eine tatsächlich von familiärer Verbundenheit geprägte engere Bindung besteht. Der angegriffene Beschluss des Landgerichts verletzt die Beschwer­de­führerin in ihrem Grundrecht aus Art. 6 Abs. 1 GG. Aus der angegriffenen Entscheidung geht indes nicht hervor, dass das Landgericht dem verfas­sungs­rechtlich gebotenen Schutz der Familie unter Berück­sich­tigung des Selbst­be­stim­mungs­rechts der Betroffenen hinreichend Rechnung getragen hat. Die Entlassung der Beschwer­de­führerin als Betreuerin ihrer Tochter wurde mit fehlender Eignung und dem entge­gen­ste­henden Wohl der Betroffenen begründet. Eine fördernde krank­heits­ge­rechte Behandlung der Betroffenen sei in der Vergangenheit nicht erkennbar gewesen. Den Grund hierfür sieht das Landgericht in erster Linie in dem Rollenkonflikt, in dem sich die Beschwer­de­führerin befinde. Die Beschwer­de­führerin könne die Betreuung „aus ihrer emotionalen Grundsituation heraus“ nicht zum Wohl der Betroffenen führen und sei daher als Betreuerin ihrer Tochter nicht geeignet.

Beurteilung der Mutter-Tochter-Beziehung nur einseitig erfolgt

Die Betrachtung der Mutter-Tochter-Beziehung erfolgt dabei jedoch einseitig im Hinblick auf den bisherigen Verlauf der Behandlung der Betroffenen. Es wird nicht deutlich, dass dem Wert der familiären Beziehungen, dem innerfamiliären Zusammenhalt und der Familie als Schutzraum der Betroffenen darüber hinaus Bedeutung beigemessen wurde. Das Landgericht durfte insbesondere das Gutachten des gerichtlich bestellten Sachver­ständigen nicht unberück­sichtigt lassen, der sich ausdrücklich gegen einen Betreuer- und Ortswechsel ausgesprochen hatte. Darüber hinaus hat das Landgericht dem Umstand nicht hinreichend Rechnung getragen, dass die Betroffene mehrfach ausdrücklich den Wunsch geäußert hatte, ihre Mutter als Betreuerin zu behalten. Der Vorrang des Willens der Betreuten bei der Auswahl der Betreuerin ist Ausdruck des grundrechtlich verbürgten und umfassenden Selbst­be­stim­mungs­rechts betreu­ungs­be­dürftiger Personen. § 1897 Abs. 4 Satz 1 BGB ermöglicht nur in Ausnahmefällen die Bestellung einer anderen als von der Betreuten gewünschten Person, wenn die Befolgung des Wunsches der Betreuten deren Wohl zuwiderläuft.

Sorgfältige Abwägung bei Beurteilung der Eignung als Betreuerin erforderlich

Dem Wunsch der Betreuten ist dann nicht zu folgen, wenn die von ihr gewünschte Person als Betreuerin nicht geeignet ist im Sinne des § 1897 Abs. 1 BGB. Die mangelnde Eignung darf jedoch nicht vorschnell angenommen werden, um eine andere, aus Sicht des Gerichts besser geeignete Person zur Betreuerin zu bestellen. Insbesondere, wenn die Gründe für die fehlende Eignung in der familiären und möglicherweise über einen langen Zeitraum gewachsenen Beziehung der Betreuten zu der als Betreuerin gewünschten Person wurzeln, ist unter Berück­sich­tigung von Art. 6 Abs. 1 GG eine sorgfältige Abwägung erforderlich. Daher muss die fehlende Eignung anhand der Umstände des Einzelfalls im Hinblick auf den konkret in Rede stehenden Aufgabenkreis dargelegt und mit dem Wunsch der Betreuten abgewogen werden. Dabei ist auch zu berücksichtigen, inwieweit die Zweifel an der Eignung durch andere Maßnahmen wie einem konkreten Hilfsangebot für die von der Betreuten gewünschte Person abgemildert und dem Wunsch der Betreuten dadurch zur Umsetzung verholfen werden kann. Die Bestellung einer anderen als der von der Betreuten gewünschten Person ist jedoch geboten, wenn die fehlende Eignung im konkreten Einzelfall dazu führt, dass eine Befolgung des Wunsches eine erhebliche Gefahr für die Betreute mit sich brächte und sie diese Gefahr aufgrund ihrer Krankheit oder Behinderung nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln kann.

LG muss nun über Betreuung neu entscheiden

Bei der erneuten Entscheidung über die Entlassung der Beschwer­de­führerin als Betreuerin ihrer Tochter wird einerseits der Wunsch der Betroffenen, ihre Mutter als Betreuerin zu behalten, ebenso zu beachten sein wie das enge Famili­en­ver­hältnis der Beschwer­de­führerin zu ihrer Tochter. Andererseits wird zu berücksichtigen sein, dass ein jüngeres Gutachten eine professionelle Betreuung - wenn auch in Kooperation mit dem familiären Umfeld der Betroffenen - für vorteilhaft erachtet.

Quelle: Bundesverfassungsgericht, ra-online (pm/ab)

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