21.11.2024
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Dokument-Nr. 18284

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Beschluss07.05.2014Bundesverfassungsgericht1 BvR 3571/13 und 1 BvR 3572/13
passende Fundstellen in der Fachliteratur:
  • NJW 2014, 2340Zeitschrift: Neue Juristische Wochenschrift (NJW), Jahrgang: 2014, Seite: 2340
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Bundesverfassungsgericht Beschluss07.05.2014

Apotheker haben keinen Anspruch auf Vergütung bei Nichtabgabe eines Arzneimittels mit RabattvertragVerfassungs­beschwerden gegen den Ausschluss des Vergü­tungs­an­spruchs der Apotheker bei Nichtbeachtung von Rabattverträgen erfolglos

Das Bundes­verfassungs­gericht hat zwei Verfassungs­beschwerden von Apothekern gegen die so genannte Retaxation auf Null nicht zur Entscheidung angenommen. Die Apotheker wenden sich gegen Urteile des Bundes­sozial­gerichts, nach denen Vergü­tungs­ansprüche gegen die gesetzlichen Krankenkassen vollständig ausgeschlossen sind, falls Arzneimittel ohne Beachtung von Rabattverträgen abgegeben werden. Für die Verletzung von Grundrechten der Beschwer­de­führer, insbesondere ihrer durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Berufsfreiheit, sind auf Grundlage des Vorbringens der Verfassungs­beschwerden keine Hinweise ersichtlich.

§ 129 des Sozial­ge­setzbuchs Fünftes Buch (SGB V) regelt unter anderem die Verpflichtung von Apotheken zur Abgabe preisgünstiger Arzneimittel in den Fällen, in denen ein Arzt ein Arzneimittel nur unter seiner Wirkstoff­be­zeichnung verordnet oder die Ersetzung des Arzneimittels durch ein wirkstoff­gleiches Arzneimittel nicht ausgeschlossen hat („aut-idem-Regelung“). Bei der Abgabe eines wirkstoff­gleichen Arzneimittels ist die Ersetzung grundsätzlich durch ein Arzneimittel vorzunehmen, für das eine Rabatt­ver­ein­barung mit Wirkung für die betroffene (gesetzliche) Krankenkasse besteht. Das Nähere regelt auf der Grundlage des § 129 SGB V ein Rahmenvertrag über die Arznei­mit­tel­ver­sorgung zwischen den Spitzen­ver­bänden der Krankenkassen und dem Deutschen Apothe­ker­verband.

Sachverhalt

Die Beschwer­de­führer sind Apotheker. Im Oktober 2007 gaben sie an Versicherte der im Ausgangs­ver­fahren beklagten Krankenkasse jeweils ein Arzneimittel ab, das in der ärztlichen Verordnung mit der Maßgabe „aut idem“ bezeichnet war. Die Krankenkasse hatte für das jeweilige Arzneimittel mit dessen Hersteller keinen Rabattvertrag geschlossen, jedoch für andere, hiermit austauschbare Arzneimittel. Aus diesem Grund vergütete die Krankenkasse den jeweils abgerechneten Betrag in Höhe von 17,49 Euro beziehungsweise 47,08 Euro im Ergebnis nicht. Die hiergegen gerichteten Klagen blieben vor dem Bundes­so­zi­al­gericht ohne Erfolg. Mit dem abgegebenen Arzneimittel habe die Apotheke ihre öffentlich-rechtliche Leistungs­pflicht nicht erfüllt, sondern das Substi­tu­ti­o­nsgebot für das jeweils „aut idem“ verordnete Rabat­ta­rz­nei­mittel missachtet. Der Verstoß gegen das Substi­tu­ti­o­nsgebot schließe jegliche Vergütung für die Abgabe des Arzneimittels aus.

Bundes­ver­fas­sungs­gericht nimmt Verfas­sungs­be­schwerden mangels Aussicht auf Erfolg nicht zur Entscheidung an

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht entschied, dass die Verfas­sungs­be­schwerden nicht zur Entscheidung anzunehmen sind. Sie haben keine Aussicht auf Erfolg, weil für eine Verletzung der gerügten Grundrechte nichts ersichtlich ist. Insbesondere ist nicht erkennbar, dass die Beschwer­de­führer durch die angegriffenen Entscheidungen in ihrer Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) verletzt sein könnten.

Auslegung des Bundes­so­zi­al­ge­richts nicht zu beanstanden

Zunächst ist nicht aufgezeigt, dass die formalen Anforderungen in Bezug auf den berufsbezogenen Geset­zes­vor­behalt nicht erfüllt sind. Die vom Bundes­so­zi­al­gericht vorgenommene Auslegung des SGB V und des Rahmenvertrags bewegt sich im Rahmen herkömmlicher Rechtsfindung. Es ist Aufgabe und Befugnis der Fachgerichte, die Zweifelsfragen, die sich - wie hier - mangels einer ausdrücklichen Regelung bei der Geset­ze­s­an­wendung stellen, mit Hilfe der anerkannten Ausle­gungs­me­thoden zu beantworten.

Die Beschwer­de­führer stellen lediglich ihre eigene Auslegung dem Normverständnis des Bundes­so­zi­al­ge­richts gegenüber, ohne hinreichend substantiiert aufzuzeigen, dass sich die Auslegung in den angegriffenen Entscheidungen nicht mehr im Rahmen anerkannter Methoden der Rechtsfindung bewegt. Insbesondere ist nicht ersichtlich, weshalb die Regelung von Sanktionen, die im Rahmenvertrag nach § 129 Abs. 4 SGB V zu erfolgen hat und in § 11 des Rahmenvertrags auch tatsächlich erfolgt ist, unter systematischen Gesichtspunkten gegen die vom Bundes­so­zi­al­gericht angenommene Rechtsfolge sprechen sollte, zumal auch im einschlägigen Rahmenvertrag das Nebeneinander von Vertrags­maß­nahmen und Retaxationen vorausgesetzt wird.

Unver­hält­nis­mäßiger Eingriff in Berufsfreiheit der Beschwer­de­führer nicht ersichtlich

Zudem gibt es keine Hinweise darauf, dass das Bundes­so­zi­al­gericht bei seinen Entscheidungen durch den vollständigen Vergü­tungs­aus­schluss unver­hält­nismäßig in die durch Art. 12 Abs. 1 GG gewährleistete Berufsfreiheit der Beschwer­de­führer eingegriffen hätte.

Gründe für nicht erforderliche pauschale „Retaxation auf Null“ nicht plausibel dargelegt

Auch auf der Grundlage der Ausführungen der Beschwer­de­führer ist nicht erkennbar, dass die vom Bundes­so­zi­al­gericht gewählte Auslegung nicht geeignet ist, um dem genannten Gemein­wohl­belang, das heißt der Sicherung der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Kranken­ver­si­cherung, zu dienen. Ebenso wenig überzeugt die Auffassung der Beschwer­de­führer, wonach die pauschale „Retaxation auf Null“ nicht erforderlich sei, weil es mildere und insbesondere diffe­ren­ziertere Mittel gebe, um den Abgabe­vor­schriften Wirksamkeit zu verleihen.

Milderes Mittel statt vollständigem Vergü­tungs­aus­schluss als Sanktion nicht im gleichen Maße geeignet

Insbesondere legen die Beschwer­de­führer nicht plausibel dar, dass die nach § 129 Abs. 4 SGB V in Verbindung mit § 11 des Rahmenvertrags vorgesehene Möglichkeit einer Vertrags­maßnahme ein gleich wirksames, aber die Berufsfreiheit weniger fühlbar einschränkendes Mittel ist, um die Sicherung der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Kranken­ver­si­cherung zu erreichen. Entscheidend ist, dass die Vertrags­maß­nahmen nicht bereits im konkreten Fall auf die Verletzung des Substi­tu­ti­o­ns­gebots reagieren können. Ein auf die „Sowiesokosten“ im Falle der Abgabe eines Rabatt­ver­trags­a­rz­nei­mittels beschränkter Vergütungs- beziehungsweise Berei­che­rungs­an­spruch stellt zwar ein milderes Mittel als der vollständige Vergü­tungs­aus­schluss dar, ist aber nicht in gleicher Weise geeignet. Es liegt im Gegenteil auf der Hand, dass der Ausschluss jeglicher Vergütung wegen der weitergehenden Nachteile für die Apotheken stärkere Wirkungen für die Einhaltung des Wirtschaft­lich­keits­gebots zeigt.

Vollständiger Vergü­tungs­aus­schlusses bei Verstoß gegen das Substi­tu­ti­o­nsgebot stellt keine Unzumutbarkeit für Beschwer­de­führer dar

Schließlich ergibt sich auf der Grundlage des Vorbringens der Beschwer­de­führer keine Unzumutbarkeit des vollständigen Vergü­tungs­aus­schlusses bei einem Verstoß gegen das Substi­tu­ti­o­nsgebot. Das Ausmaß einer wirtschaft­lichen Betroffenheit haben die Beschwer­de­führer weder in Hinblick auf ihre eigenen Betriebe noch in genereller Hinsicht hinreichend konkret dargelegt. Gegen eine Annahme der Unzumutbarkeit spricht zudem entscheidend, dass es die Beschwer­de­führer selbst in der Hand haben, ihre Vergü­tungs­ansprüche durch ein pflichtgemäßes, dem Substi­tu­ti­o­nsgebot entsprechendes Ausga­be­ver­halten zu verdienen und für sich zu sichern.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

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