21.11.2024
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Dokument-Nr. 8452

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Bundesverfassungsgericht Beschluss02.09.2009

Verfas­sungs­be­schwerde wegen überlanger Dauer eines zivil­ge­richt­lichen Verfahrens zulässigBundes­ver­fas­sungs­gericht erklärt 14 Jahre Verhand­lungsdauer für zu lang

Auch wenn ein Verfahren durch Gutachten und andere Umstände, die einem Gericht nicht angelastet werden können, verzögert wird, muss ein Gericht sämtliche ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten nutzen, um das Verfahren zu beschleunigen. Dies entschied das Bundes­ver­fas­sungs­gericht.

Die Verfassungsbeschwerde betrifft ein zivil­ge­richt­liches Verfahren über Abfin­dungs­ansprüche nach der Kündigung des Sozie­täts­ver­trages einer Steuer­be­ra­ter­praxis. Die klagende Beschwer­de­führerin hatte die Kündigung erklärt, weil der Beklagte Mandate auf eigene Rechnung bearbeitet hatte. Beim Landgericht Hannover ist das Verfahren seit dem Jahr 1995, also seit 14 Jahren, anhängig. Zwei Teilurteile des Landgerichts hat das Oberlan­des­gericht in den Jahren 2004 und 2008 aufgehoben und den Rechtsstreit jeweils an das Landgericht zurückverwiesen. Umstritten ist neben dem Wert der Praxis vor allem, ob und inwieweit die Beschwer­de­führerin Mandate nach Kündigung des Sozie­täts­ver­trages weiter betreut und dadurch Umsätze erwirtschaftet hat, die ihren Abfin­dungs­an­spruch mindern würden. Der Verfah­rens­ausgang ist für die Beschwer­de­führerin von besonderer Bedeutung, weil der geltend gemachte Anspruch ihrer Schilderung nach den Haupt­be­standteil ihres Vermögens ausmacht und sie durch Schulden, die sie im Zusammenhang mit dem Erwerb der gekündigten Beteiligung an der Steuer­be­ra­ter­praxis aufgenommen hatte, noch belastet ist.

Gründe für verzögerte Verfahrensdauer

Die außergewöhnlich lange Dauer des komplizierten Verfahrens, in dem bislang ein Gutachten und fünf Ergän­zungs­gut­achten angefordert wurden, beruht auf einigen dem Gericht nicht anzulastenden Umständen: Neben der Komplexität des Rechtsstreits ist insbesondere zu berücksichtigen, dass erhebliche Zeit durch die Einholung der Gutachten verstrichen ist. Deren Erstellung wurde dadurch verzögert, dass erforderliche Unterlagen zeitweise durch die Staats­an­walt­schaft beschlagnahmt waren, überdies das Ergebnis der staats­an­walt­lichen Ermittlungen für den Praxiswert von Bedeutung war und deshalb aus arbeits-ökonomischen Gründen abgewartet wurde, so dass das erste Gutachten erst im Jahr 2000 vorgelegt werden konnte. Eine im Jahr 2001 erhobene Widerklage und im Jahr 2002 geltend gemachte Aufrechnungen haben zu einer weiteren Erschwerung und Verzögerung des Verfahrens geführt.

Landgericht hätte Verfahren beschleunigen können

Gleichwohl hat das Bundes­ver­fas­sungs­gericht die Verfas­sungs­be­schwerde angenommen und eine Verletzung des Rechts auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG festgestellt. Dem Landgericht ist zwar nicht vorzuwerfen, dass es das Verfahren durch schlichte Nicht­be­a­r­beitung verzögert hätte. Die Feststellung des Verfas­sungs­ver­stoßes beruht vielmehr darauf, dass sich das Landgericht angesichts der zunehmenden und schließlich außergewöhnlich langen Verfahrensdauer nicht darauf hätte beschränken dürfen, das Verfahren wie einen gewöhnlichen, wenn auch komplizierten Rechtsstreit zu behandeln. Vielmehr hätte es jedenfalls nach wenigen Jahren sämtliche ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten der Verfah­rens­be­schleu­nigung nutzen müssen. Auch ein Bemühen um gerichtsinterne Entlas­tungs­maß­nahmen wäre in Betracht zu ziehen gewesen. Dabei hätte das Landgericht einige Verzögerungen vermeiden können. So wurden unter anderem bei einem Wechsel der Kammerbesetzung verfah­rens­leitende Anordnungen wie die Terminierung einer mündlichen Verhandlung und die Anforderung eines der Ergän­zungs­gut­achten erst in der neuen Kammerbesetzung vorgenommen, obwohl dies bereits in der alten Besetzung möglich gewesen wäre. Neben vermeidbaren kleineren Verzögerungen fällt besonders ins Gewicht, dass das Landgericht jedenfalls bis April 2009 nicht in die Beweiserhebung über die Frage einer Minderung des Anspruchs der Beschwer­de­führerin wegen der möglichen Weiterbetreuung von Sozie­täts­mandaten eingetreten ist, obwohl die Parteien eine Vielzahl von Zeugen benannt hatten und die Relevanz dieses Punktes bereits im Jahr 2004 vom Oberlan­des­gericht bindend festgestellt worden war. Das Landgericht hätte die Zeugen parallel zur Einholung der Ergän­zungs­gut­achten vernehmen können. Der mit dem dafür erforderlichen Anlegen einer Zweitakte verbundene Aufwand war angesichts der Verfahrensdauer in Kauf zu nehmen. Auch waren die Ergän­zungs­gut­achten nicht vorgreiflich für die Zeugen­ver­neh­mungen und deshalb auch nicht zwingend vorab einzuholen. Ebenso wenig ist nachvollziehbar, weshalb das Landgericht das vierte Ergän­zungs­gut­achten nicht parallel zum Berufungs­ver­fahren über das zweite Teilurteil im Jahr 2007 in Auftrag gegeben hat. Das Verfahren hätte dadurch in diesem fortge­schrittenen Stadium erheblich beschleunigt werden können.

Gericht muss sich nachhaltig um Verfah­rens­be­schleu­nigung bemühen

Der Beschluss bestätigt, dass bei der verfas­sungs­recht­lichen Beurteilung der Frage, ab wann ein Verfahren unver­hält­nismäßig lange dauert, sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind, vor allem: die Natur des Verfahrens und die Bedeutung der Sache für die Parteien; die Auswirkungen einer langen Verfahrensdauer für die Beteiligten; die Schwierigkeit der Sachmaterie; das den Beteiligten zuzurechnende Verhalten, insbesondere Verfah­rens­ver­zö­ge­rungen durch sie sowie die gerichtlich nicht zu beeinflussende Tätigkeit Dritter, vor allem der Sachver­ständigen. Ferner haben die Gerichte auch die Gesamtdauer des Verfahrens zu berücksichtigen und sich mit zunehmender Dauer nachhaltig um eine Beschleunigung des Verfahrens zu bemühen.

Quelle: ra-online, BVerfG

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