21.11.2024
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Dokument-Nr. 22210

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Bundesverfassungsgericht Beschluss12.01.2016

Ausschluss juristischer Personen vom Amt des Insol­venz­ver­walters verfas­sungsgemäßEingriff in grundgesetzlich geschützte Berufsfreiheit gerechtfertigt

Der in § 56 Abs. 1 Satz 1 Insol­ven­z­ordnung geregelte Ausschluss juristischer Personen von der Bestellung zum Insol­venz­ver­walter ist mit dem Grundgesetz vereinbar. Dies entschied das Bundes­verfassungs­gericht und wies damit die Verfassungs­beschwerde einer Rechtsanwalts-GmbH, die aufgrund ihrer Eigenschaft als juristische Person nicht in die Vorauswahlliste eines Insol­venz­ge­richts aufgenommen wurde, zurück. Der Eingriff in die nach Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit der Beschwer­de­führerin ist verfassungs­rechtlich gerechtfertigt.

Die Beschwer­de­führerin des zugrunde liegenden Rechtstreits ist eine Rechtsanwalts-GmbH. Sie ist ausschließlich auf dem Gebiet der Insolvenz- und Zwangs­ver­waltung tätig. Sie beantragte erfolglos, in die Vorauswahlliste für Insolvenzverwalter bei einem Amtsgericht aufgenommen zu werden. Mit ihrer Verfas­sungs­be­schwerde wandte sie sich unmittelbar gegen die Entscheidungen des Amtsgerichts, des Oberlan­des­ge­richts und des Bundes­ge­richtshofs sowie mittelbar gegen § 56 Abs. 1 Satz 1 Insol­ven­z­ordnung (InsO).

Verfas­sungs­be­schwerde grundsätzlich zulässig

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht erklärte die Verfas­sungs­be­schwerde für zulässig. Die Beschwer­de­führerin ist beschwer­de­befugt; insbesondere ist sie in ihren Grundrechten bereits gegenwärtig berührt. Mit den angegriffenen Entscheidungen wurde ihr zwar nicht die Bestellung zum Insol­venz­ver­walter für ein bestimmtes Verfahren, sondern lediglich die Aufnahme in die Vorauswahlliste verweigert, an die das Insol­venz­gericht bei einer Auswah­l­ent­scheidung nicht gebunden ist. Dennoch hat die Vorauswahlliste entscheidende Bedeutung für die Bestellung zum Insol­venz­ver­walter. Bewerberinnen und Bewerbern, denen aus generellen Gründen die Aufnahme verweigert wird, werden in der Praxis bei einer anstehenden Auswah­l­ent­scheidung von Anfang an kaum jemals Beachtung finden. Sie sind also faktisch vom Zugang zum Insol­venz­ver­wal­teramt bei diesem Gericht zumindest weitgehend ausgeschlossen.

Eingriff in Berufsfreiheit verfas­sungs­rechtlich gerechtfertigt

Die Verfas­sungs­be­schwerde ist jedoch nicht begründet. Die Berufsfreiheit der Beschwer­de­führerin wird durch die angegriffenen Entscheidungen zwar beeinträchtigt. Dieser Eingriff ist jedoch verfas­sungs­rechtlich gerechtfertigt.

Die Berufsfreiheit der Beschwer­de­führerin ist berührt, weil ihr Recht auf freie Berufswahl eingeschränkt wird. Bei der Tätigkeit als Insol­venz­ver­walter, wie sie die Beschwer­de­führerin anstrebt, handelt es sich um einen eigenständigen Beruf. Die Tätigkeit von Insol­venz­ver­waltern lässt sich nicht mehr als bloße Nebentätigkeit der Berufsausübung insbesondere von Rechtsanwälten, Steuerberatern, Betriebswirten und Wirtschafts­prüfern verstehen, sondern wird in immer größerem Umfang von spezialisierten Berufsträgern ausgeübt.

Anwalt wird nicht an jeder gewerblichen Tätigkeit im Zusammenhang mit Insol­venz­ver­fahren gehindert

Allerdings ist das Gewicht des Eingriffs dadurch gemindert, dass die Beschwer­de­führerin nicht an jeder gewerblichen Tätigkeit im Zusammenhang mit Insol­venz­ver­fahren gehindert ist. Sie kann insbesondere den Insol­venz­ver­waltern, die mit ihr zusam­me­n­a­r­beiten, auf vertraglicher Grundlage ihre personellen und sachlichen Ressourcen gegen Entgelt zur Verfügung stellen und Unterstützung in rechtlichen, steuerlichen, technischen und betrie­bs­wirt­schaft­lichen Fragen leisten. Dies entspricht wohl auch dem Geschäftsmodell, das die Beschwer­de­führerin seit Jahren betreibt. Gemessen an der Einschränkung ihrer Erwer­b­s­tä­tigkeit erscheint die Belastung der Beschwer­de­führerin hiernach kaum gewichtiger als im Fall einer Begrenzung ihrer freien Berufsausübung.

Eingriff in Berufsfreiheit dient Sicherstellung effektiver gerichtlicher Aufsicht über den Insol­venz­ver­walter

Der Eingriff in die Berufsfreiheit der Beschwer­de­führerin ist gerechtfertigt. § 56 Abs. 1 Satz 1 InsO dient dem Ziel der Sicherstellung einer effektiven gerichtlichen Aufsicht über den Insol­venz­ver­walter und damit einem hinreichenden legitimen Zweck. Das Insol­venz­ver­fahren ist Teil des Zwangs­voll­stre­ckungs­rechts. Sein Zweck ist - neben der Erhaltung von Arbeitsplätzen in Unternehmen - die bestmögliche Befriedigung der Forderungen der Gläubiger, die als private vermögenswerte Rechte von Art. 14 Abs. 1 GG geschützt sind. Das Insol­venz­ver­fahren dient darüber hinaus der Verwirklichung des Justi­z­ge­wäh­rungs­an­spruchs und ist in die Garantie effektiven Rechtsschutzes einbezogen. Eine funktionierende Rechtspflege umfasst auch ein wirkungsvolles Verfahren zur zwangsweisen Durchsetzung festgestellter Ansprüche. Daher liegt ein funkti­o­nie­rendes Insol­venz­ver­fahren nicht nur im subjektiven Interesse der einzelnen Gläubiger, sondern auch im öffentlichen Interesse.

Zulassung juristischer Personen zum Insol­venz­ver­wal­teramt wäre mit Aufsichts­pro­blemen verbunden

Um einen gesetzmäßigen Ablauf des Insol­venz­ver­fahrens zu sichern, hat das Insol­venz­gericht nach § 58 Abs. 1 InsO das Recht, aber auch die Pflicht, den Insol­venz­ver­walter bei seiner Amtsführung zu überwachen. Ausweislich der Begründung zu § 56 Abs. 1 Satz 1 InsO ging der Gesetzgeber davon aus, dass mit der Zulassung juristischer Personen zum Insol­venz­ver­wal­teramt insbesondere Aufsichts­probleme verbunden wären. Diese Einschätzung, die auch von Fachgerichten und insbesondere vom Bundes­ge­richtshof bestätigt wird, erscheint plausibel. Eine sachdienliche Durchführung und Erledigung des Insol­venz­ver­fahrens hängt maßgeblich von der Befähigung und Zuverlässigkeit der konkreten natürlichen Person ab, die das Insol­venz­gericht als vertrau­ens­würdig erachtet und gemessen an dieser persönlichen Reputation wie nach der fachlichen Qualifikation laufend beaufsichtigt. Vergleichbares persönliches und fachliches Vertrauen kann juristischen Personen nicht ohne Weiteres entge­gen­ge­bracht werden. Aus den Besonderheiten der intensiven insol­venz­ge­richt­lichen Aufsicht über den Insol­venz­ver­walter konnte der Gesetzgeber deshalb in zulässiger Weise die Notwendigkeit ableiten, dass nur eine natürliche Person mit diesem Amt betraut werden soll.

Bei nicht ordnungsgemäßer Amtsführung durch Insol­venz­ver­walter drohen Vermö­gens­schäden in beträchtlicher Höhe

Die Bedeutung der Aufsicht hat Vorwirkungen auch schon für das Bestel­lungs­ver­fahren. Die Geeignetheit der konkreten Person des Verwalters ist deshalb so wichtig, weil seine Entscheidungen und deren Folgen nur begrenzt korrigiert und gegebenenfalls kompensiert werden können. Zudem drohen bei nicht ordnungsgemäßer Amtsführung durch den Insol­venz­ver­walter nicht selten Vermö­gens­schäden in beträchtlicher Höhe, die bisweilen sogar zur einer Gefährdung der wirtschaft­lichen Existenz des Schuldners oder einzelner Gläubiger führen können. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang auch, dass sich im deutschen Recht keine berufs­recht­lichen Mechanismen finden, die im Vorfeld der Verwal­ter­be­stellung gewährleisten, dass potenzielle Bewerber ein ihnen übertragenes Verwalteramt auf der Grundlage festgelegter Kriterien zur Sicherung der Qualität ihrer Tätigkeit wahrnehmen.

Begrenzung des Berufszugangs auf natürliche Personen legitim

Angesichts dessen ist der Ausschluss juristischer Personen vom Verwalteramt geeignet, um das legitime Ziel eines effektiven Vollstre­ckungs­ver­fahrens zu erreichen. Die Begrenzung des Berufszugangs auf natürliche Personen ist hierzu aber auch erforderlich. Unter Beachtung der Einschät­zungs­prä­ro­gative, die ihm mit Blick auf die Erfor­der­lichkeit der gesetzlichen Regelung zukommt, durfte der Gesetzgeber davon ausgehen, dass es gegenüber dem Ausschluss juristischer Personen vom Insol­venz­ver­wal­teramt keine Alternative gibt, die gleiche Wirkungen verspricht, die Betroffenen aber weniger belastet.

Benennung einer natürlichen Person als "ausübenden Verwalter" nicht ausreichend

Hieran vermag die Möglichkeit nichts zu ändern, bei der Bestellung einer juristischen Person gleichzeitig eine natürliche Person als - persönlich verant­wort­lichen - "ausübenden Verwalter" zu benennen. Praktisch alleiniger Effekt dieser Konstruktion wäre es, die Insol­venz­ver­wal­ter­ge­sell­schaft auf einen Mechanismus zur Beschränkung der Haftung des "ausübenden Verwalters" zu reduzieren. Zudem lässt sich nicht feststellen, dass diese Alternative weniger belastend wirkte. Denn der "ausübende Verwalter" träfe sämtliche Entscheidungen allein, während die juristische Person das unein­ge­schränkte Haftungsrisiko übernähme.

Desgleichen ist es kein milderes Mittel, die Vorauswahl durch eine ständige engmaschige Überwachung zu ersetzen. Diese kann schon aus Kapazi­täts­gründen durch die Insol­venz­ge­richte nicht geleistet werden.

Eingriff in Berufsfreiheit ist angemessen

Schließlich ist der Ausschluss juristischer Personen von der Bestellung zum Insol­venz­ver­walter in § 56 Abs. 1 Satz 1 InsO auch angemessen. Das Maß der die Beschwer­de­führerin treffenden Belastung durch den Eingriff in ihre Berufsfreiheit steht in einem vernünftigen Verhältnis zu den der Allgemeinheit erwachsenden Vorteilen. Es handelt sich zwar um einen erheblichen Eingriff in die Berufsfreiheit der Beschwer­de­führerin. Bei der Bewertung der Angemessenheit des Eingriffs erlangt aber der Umstand Bedeutung, dass juristische Personen, die wie die Beschwer­de­führerin mit qualifiziertem Personal und Sachmitteln ausgestattet sind, wirtschaftlich - wie oben dargestellt - weitgehend die gleichen Ergebnisse erzielen können wie bei einer eigenen Tätigkeit als Insol­venz­ver­walter.

Ausschluss juristischer Personen steht nicht außer Verhältnis zum Zweck der Sicherung eines effektiven Insol­venz­ver­fahrens

Demgegenüber dient der Ausschluss juristischer Personen von der Insol­venz­ver­waltung zur Gewährleistung einer geordneten Durchführung des Insol­venz­ver­fahrens einem Rechtsgut von hohem Rang. Angesichts dessen steht der Ausschluss juristischer Personen nicht außer Verhältnis zum Zweck der Sicherung eines effektiven Insol­venz­ver­fahrens. Das gilt zumal, weil eine Zulassung juristischer Personen zur Insol­venz­ver­waltung flankierende gesetzliche Regelungen und weitreichende Beschränkungen nach sich ziehen müsste, um das fehlende persönliche Vertrauen zu kompensieren. Der Gesetzgeber kann das Insolvenzrecht derart umgestalten. Verfas­sungs­rechtlich geboten ist dies jedoch nicht.

Kein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz

Der Ausschluss juristischer Personen von der Bestellung zum Insol­venz­ver­walter und die damit einhergehende Ungleich­be­handlung gegenüber natürlichen Personen verstößt nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG). Die Gründe, die den Eingriff in die Berufsfreiheit der Beschwer­de­führerin ermöglichen, rechtfertigen auch ihre Ungleich­be­handlung gegenüber natürlichen Personen.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

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