18.10.2024
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Bundesverfassungsgericht Beschluss21.07.2016

Steuer­fest­set­zungsfrist: Die Ausrichtung am Zeitpunkt der Schluss­be­sprechung ist verfas­sungs­rechtlich nicht zu beanstandenKeine Verletzung der Prinzipien der Rechts­si­cherheit und des Rechtsfriedens

Die vom Bundesfinanzhof vertretene Auslegung von § 171 Abs. 4 Satz 3 Abgabenordnung (nachfolgend „AO“), wonach sich bei Außenprüfungen der Lauf der Festset­zungsfrist nur bei definitivem Unterbleiben der Schluss­be­sprechung nach dem Zeitpunkt der letzten Ermitt­lungs­handlung richte, ist verfas­sungs­rechtlich nicht zu beanstanden. Dies hat das Bundes­ver­fas­sungs­gericht in seiner Entscheidung bekanntgeben und die Verfas­sungs­be­schwerde gegen ein Urteil des Bundes­fi­nanzhofs zum Lauf von Steuer­fest­set­zungs­fristen bei Außenprüfungen nicht zur Entscheidung angenommen.

Im hier zugrun­de­lie­genden Fall begann das Finanzamt bei der Beschwer­de­führerin im Jahr 1980 mit einer Außenprüfung für die Veran­la­gungs­zeiträume 1974 bis 1978. Nach Unterbrechung wurde die Außenprüfung im Jahr 1995 fortgesetzt. Die Schlussbesprechung fand Ende 1996 statt. Das Finanzamt erließ daraufhin im Jahr 1997 geänderte Steuerbescheide gegenüber der Beschwer­de­führerin. Hiergegen klagte die Beschwer­de­führerin erfolglos, wobei sie Verjährung einwandte. In letzter Instanz verneinte der Bundesfinanzhof den Eintritt der Festset­zungs­ver­jährung. Die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 4 Satz 3 AO richte sich nicht nach dem Zeitpunkt der letzten Ermitt­lungs­handlung im Jahr 1989, sondern nach dem Zeitpunkt der Schluss­be­sprechung im Jahr 1996. Die Beschwer­de­führerin rügt mit ihrer Verfassungsbeschwerde vor allem die Verletzung der Prinzipien der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens. Die Auslegung des Bundes­fi­nanzhofs führe zu einer ewigen Verjährung unter Kontrolle der Finanz­ver­waltung.

Kein Verstoß gegen Rechts­s­taats­prinzip

Die angegriffenen Entscheidungen verstoßen nicht gegen das Rechts­s­taats­prinzip in seiner Ausprägung als Gebot der Belas­tungs­klarheit und Belas­tungs­vor­her­seh­barkeit (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG).

1. Das Rechts­s­taats­prinzip schützt in seiner Ausprägung als Gebot der Belas­tungs­klarheit und -vorher­seh­barkeit davor, dass lange zurückliegende, abgeschlossene Vorgänge unbegrenzt zur Anknüpfung neuer Lasten herangezogen werden können. Ausdruck der Gewährleistung von Rechts­si­cherheit sind dabei auch Verjäh­rungs­re­ge­lungen. Sie sollen sicherstellen, dass Einzelne nach Ablauf einer bestimmten Frist nicht mehr mit Forderungen überzogen werden, wenn der berechtigte Hoheitsträger über einen längeren Zeitraum seine Befugnis nicht wahrgenommen hat. Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, die berechtigten Interessen der Allgemeinheit am Steueraufkommen und der Einzelnen an Rechts­si­cherheit durch entsprechende Gestaltung von Verjäh­rungs­be­stim­mungen zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen. Dabei steht ihm ein weiter Gestal­tungs­spielraum zu.

Festset­zungsfrist bei Unterbleiben der Schluss­be­sprechung ab letzter Ermitt­lungs­handlung nicht unvereinbar

2. Gemessen an diesen Grundsätzen sind die angegriffenen Entscheidungen verfas­sungs­rechtlich nicht zu beanstanden. Die Auslegung des § 171 Abs. 4 Satz 3 AO durch den Bundesfinanzhof, die bei Außenprüfungen den Lauf der Festset­zungsfrist nur bei definitivem Unterbleiben der Schluss­be­sprechung an die letzte Ermitt­lungs­handlung knüpft, führt zu keiner mit den Grundsätzen der Rechts­si­cherheit und des Vertrau­ens­schutzes unvereinbaren Handhabung der Regeln über die Festset­zungs­ver­jährung bei Außenprüfungen.

Keine Schluss­be­sprechung gegen Willen des Steuer­pflichtigen

Es wäre allerdings mit den beschriebenen Grundsätzen nicht vereinbar, wenn die Finanz­ver­waltung durch Hinauszögern der Schluss­be­sprechung den Ablauf der Festset­zungsfrist nach eigenem Gutdünken bestimmen und so letztlich beliebig verlängern könnte. Durch die dem Steuer­pflichtigen nach § 201 Abs. 1 Satz 1 AO eröffnete Möglichkeit, auf die Schluss­be­sprechung zu verzichten, hat er es jedoch selbst in der Hand, den Ablauf der Festset­zungsfrist aus § 169 AO herbeizuführen. Gegen den Willen des Steuer­pflichtigen darf die Finanzbehörde keine Schluss­be­sprechung durchführen und kann so auch nicht den Fristlauf ab der letzten Ermitt­lungs­handlung gegen den Willen des Steuer­pflichtigen verhindern.

Verzicht auf Schluss­be­sprechung führt zum Eintritt der Verjährung

Es ist im vorliegenden Fall auch nicht erkennbar, dass ein Verzicht auf die Schluss­be­sprechung mit unzumutbaren Nachteilen verbunden gewesen wäre. Im vorliegenden Beschwerdefall, in dem seit der letzten Ermitt­lungs­handlung die Festset­zungs­ver­jährung nach § 169 AO ohne Berück­sich­tigung dieser Ablaufhemmung bereits abgelaufen wäre, konnte der Steuer­pflichtige ohne erkennbaren Rechtsnachteil auf die Schluss­be­sprechung verzichten. Ein Verzicht hätte unmittelbar zum Eintritt der Verjährung und damit zum Erlöschen des Steueranspruchs geführt. Äußerungen des Steuer­pflichtigen zur Sach- und Rechtslage, die während des Außen­prü­fungs­ver­fahrens, aber außerhalb der Schluss­be­sprechung getätigt worden wären, müssten in gleicher Weise bei der Entschei­dungs­findung der Finanzbehörde berücksichtigt werden wie solche, die innerhalb der Schluss­be­sprechung erfolgen.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ ra-online

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