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- NJW 2014, 613Zeitschrift: Neue Juristische Wochenschrift (NJW), Jahrgang: 2014, Seite: 613
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Bundesverfassungsgericht Beschluss14.01.2014
Ausschluss von Rechtsanwalts- und Patentanwalts-GmbHs mit Doppelzulassung verstößt gegen die BerufsfreiheitMaßgebliche Vorschriften der Bundesrechtsanwaltsordnung und der Patentanwaltsordnung
Dass einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung, zu der sich Rechts- und Patentanwälte zusammengeschlossen haben, die gleichzeitige Zulassung als Rechts- und Patentanwaltsgesellschaft faktisch verwehrt ist, verstößt gegen die Berufsfreiheit. Dies hat das Bundesverfassungsgericht entschieden. Die maßgeblichen Vorschriften der Bundesrechtsanwaltsordnung und der Patentanwaltsordnung sind verfassungswidrig und nichtig, soweit sie zugunsten der namensgebenden Berufsgruppe deren Anteils- und Stimmrechtsmehrheit sowie deren Leitungsmacht und Geschäftsführermehrheit vorschreiben. Aufgrund dessen hat der Senat berufsgerichtliche Entscheidungen aufgehoben und die Sachen zurückverwiesen.
Dem vorzuliegenden Fall liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Die Beschwerdeführerin in beiden Verfassungsbeschwerdeverfahren ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung in Gründung. Gründer und Gesellschafter sind zwei Patentanwälte und ein Rechtsanwalt, die jeweils zu gleichen Teilen am Stammkapital beteiligt und zudem einzelvertretungsberechtigte Geschäftsführer sind. Die Beschwerdeführerin strebt eine doppelte Zulassung als Rechtsanwaltsgesellschaft und als Patentanwaltsgesellschaft an. Entsprechende Zulassungsanträge blieben bei den zuständigen Berufskammern und auch in allen gerichtlichen Instanzen ohne Erfolg. Hiergegen richten sich die Verfassungsbeschwerden.
Beschwerdeführerin wird in ihrem Grundrecht auf Berufsfreiheit verletzt
Die angegriffenen Entscheidungen verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht auf Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG. Die mittelbar angegriffenen §§ 59 e Abs. 2 Satz 1 und 59f Abs. 1 Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) sind nichtig, soweit sie einer Berufsausübungsgesellschaft von Rechts- und Patentanwälten als Rechtsanwaltsgesellschaft entgegenstehen, wenn nicht die Mehrheit der Geschäftsanteile und Stimmrechte sowie die verantwortliche Führung und die Mehrheit der Geschäftsführer den Rechtsanwälten überlassen sind. Entsprechendes gilt für § 52 e Abs. 2 Satz 1 und § 52 f Abs. 1 Satz 1 Patentanwaltsordnung (PAO), die für eine Patentanwaltsgesellschaft in der gleichen Weise den Vorrang der Patentanwälte regeln.
Beschwerdeführerin erfüllt Voraussetzungen einer juristischen Person im verfassungsrechtlichen Sinne
Die Beschwerdeführerin kann sich auf das Grundrecht der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) berufen. Als Vorgesellschaft einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung erfüllt sie die Voraussetzungen einer juristischen Person im verfassungsrechtlichen Sinne des Art. 19 Abs. 3 GG. Die Beschwerdeführerin kann den Schutz der Berufsfreiheit jedenfalls insoweit in Anspruch nehmen, als ihre Funktion als notwendige Vorstufe für die erstrebte Rechtsanwalts- und Patentanwaltsgesellschaft dies erfordert.
Eingriff in Berufsfreiheit nicht gerechtfertigt
Die verfahrensgegenständlichen Entscheidungen und die ihnen zugrunde liegenden gesetzlichen Vorschriften greifen in die Berufsfreiheit der Beschwerdeführerin ein. Dieser Eingriff ist nicht gerechtfertigt.
Schutz vor Irreführung kommt als legitimer Zweck nicht in Betracht
Der Gesetzgeber verfolgt mit den angegriffenen Bestimmungen legitime Zwecke, soweit er die Unabhängigkeit der handelnden Berufsträger und der Gesellschaft schützen, die berufsrechtlichen Qualifikationsanforderungen sichern und den maßgeblichen Einfluss der gesellschaftsprägenden Berufsgruppe gewährleisten will. Hingegen kommt ein Schutz vor Irreführung in der vorliegenden Konstellation als legitimer Zweck nicht in Betracht.
Fehlende Erforderlichkeit zur Erreichung der legitimen Zwecke
Die Eignung der angegriffenen Vorschriften zur Erreichung der festgestellten legitimen Zwecke kann dahinstehen, denn sie sind jedenfalls nicht erforderlich, um diese zu erreichen. An der Erforderlichkeit fehlt es, wenn der Gesetzgeber - wie hier - ein anderes, gleich wirksames, aber das Grundrecht nicht oder weniger stark einschränkendes Mittel hätte wählen können.
Das Eingehen von Bindungen, durch die die berufliche Unabhängigkeit gefährdet wird, ist untersagt
Der Schutz der beruflichen Unabhängigkeit ist bereits durch gesetzlich geregelte Berufspflichten der beteiligten Rechts- und Patentanwälte sichergestellt, die die Berufsträger weniger belasten als die angegriffenen Beschränkungen des Gesellschaftsrechts. So ist es Rechts- und Patentanwälten sowie auch rechts- und patentanwaltlichen Berufsausübungsgesellschaften untersagt, Bindungen einzugehen, durch die ihre berufliche Unabhängigkeit gefährdet wird. Gesellschaftsstrukturen, die Gefahren für die vom Gesetz für beide Berufe vorausgesetzte Unabhängigkeit schaffen oder mit ihnen einhergehen, sind schon damit umfassend verboten. Das Berufsrecht untersagt zudem Einflussnahmen der Gesellschafter auf die berufliche Tätigkeit des einzelnen Rechtsanwalts oder Patentanwalts. Diesen Verboten widersprechende Weisungen sind nichtig und daher unbeachtlich. Unzulässige Einflussnahmen stellen außerdem sanktionsbewehrte Berufspflichtverletzungen dar.
Spezifische Gefährdungen der Unabhängigkeit nicht erkennbar
Die interprofessionelle Zusammenarbeit von Rechtsanwälten und Patentanwälten schafft keine spezifischen Gefährdungen, die weitergehende Eingriffe in die Berufsfreiheit rechtfertigen könnten. Insbesondere sind - schon aufgrund des weitgehend übereinstimmenden Berufsrechts - keine Übergriffe in die berufliche Unabhängigkeit durch Angehörige der jeweils anderen Berufsgruppe zu befürchten. Auch die kapitalgesellschaftliche Organisationsform lässt keine Anhaltspunkte für spezifische Gefährdungen der Unabhängigkeit erkennen.
Die Wirksamkeit dieser berufsrechtlichen Bestimmungen für die Wahrung der beruflichen Unabhängigkeit bleibt nicht hinter der zurück, die sich mit den angegriffenen Regelungen erreichen lässt. Anders als die Bestimmungen, die Einfluss und Entscheidungsgewalt einer Berufsgruppe sicherstellen wollen, erreichen die Verbote des Berufsrechts das gesetzgeberische Ziel unmittelbar, indem sie im konkreten Fall Bindungen untersagen, welche die Unabhängigkeit gefährden.
Sicherung der Qualifikationsanforderungen durch umfassenden Berufsträgervorbehalt
Auch soweit die angegriffenen Vorschriften auf die Sicherung der Qualifikationsanforderungen zielen, stehen im maßgeblichen Berufsrecht weniger belastende, aber gleichermaßen geeignete Mittel zur Verfügung. Hierfür genügt bereits der für beide Berufsausübungsgesellschaften geltende umfassende Berufsträgervorbehalt. Die Berufsausübungsgesellschaft ist zwar selbst Trägerin der Zulassung, kann selbst als Prozess- oder Verfahrensbevollmächtigte beauftragt werden und trägt bei dieser Tätigkeit selbst die Rechte und Pflichten eines Rechts- bzw. Patentanwalts. Ungeachtet dessen bleibt die tatsächliche rechtsbesorgende Tätigkeit natürlichen Personen vorbehalten, die ihrerseits zur Rechtsanwaltschaft beziehungsweise zur Patentanwaltschaft zugelassen sind und damit die Qualifikationserfordernisse in eigener Person erfüllen müssen. Auch bei gleichzeitiger Zulassung einer interprofessionellen Berufsausübungsgemeinschaft als Rechtsanwalts- und Patentanwaltsgesellschaft bedeutet dies, dass die Beratung und Vertretung in Rechtsangelegenheiten außerhalb von Patentangelegenheiten nur durch Berufsträger erbracht werden darf, die selbst die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft erlangt haben.
Angegriffene Vorschriften auch für Schutz vor berufsrechtswidrigem Handeln nicht erforderlich
Auch für den Schutz vor berufsrechtswidrigem Handeln sind die angegriffenen Vorschriften nicht erforderlich. Eine persönliche Bindung sämtlicher Berufsträger an das für die Gesellschaft maßgebliche Berufsrecht ist das mildere Mittel gegenüber den angegriffenen Regelungen. Diese setzt unmittelbar bei den maßgeblichen berufsrechtlichen Pflichten an und vermeidet weitergehende Eingriffe in die inneren Strukturen der Berufsausübungsgesellschaft, die das angestrebte Ziel nur indirekt erreichen könnten.
Keine Zweifel zu befürchten
Der unmittelbare Ansatz rechtfertigt zudem die Annahme einer zumindest gleichen, wenn nicht sogar gesteigerten Wirksamkeit. Das wird durch die Erfahrungen mit Wirtschaftsprüfungsgesellschaften oder Steuerberatungsgesellschaften belegt, bei denen der Gesetzgeber auch bei interprofessioneller Zusammenarbeit die Angehörigen der sozietätsfähigen Berufe als hinreichend qualifiziert ansieht, um auch den „fremden“ Berufspflichten Genüge zu tun. Aus der Praxis sind keine Hinweise bekannt geworden, die diese Einschätzung auch nur in Zweifel ziehen könnten.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 05.02.2014
Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online
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