15.11.2024
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Dokument-Nr. 17635

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Beschluss14.01.2014Bundesverfassungsgericht1 BvR 2998/11 u. 1 BvR 236/12
passende Fundstellen in der Fachliteratur:
  • AnwBl 2014, 270Zeitschrift: Anwaltsblatt (AnwBl), Jahrgang: 2014, Seite: 270
  • EWiR 2014, 203Zeitschrift: Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht (EWiR), Jahrgang: 2014, Seite: 203
  • NJW 2014, 613Zeitschrift: Neue Juristische Wochenschrift (NJW), Jahrgang: 2014, Seite: 613
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ergänzende Informationen

Bundesverfassungsgericht Beschluss14.01.2014

Ausschluss von Rechtsanwalts- und Patentanwalts-GmbHs mit Doppelzulassung verstößt gegen die BerufsfreiheitMaßgebliche Vorschriften der Bundes­rechts­anwalts­ordnung und der Patentanwalts­ordnung

Dass einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung, zu der sich Rechts- und Patentanwälte zusam­men­ge­schlossen haben, die gleichzeitige Zulassung als Rechts- und Patentanwalts­gesellschaft faktisch verwehrt ist, verstößt gegen die Berufsfreiheit. Dies hat das Bundes­ver­fassungs­gericht entschieden. Die maßgeblichen Vorschriften der Bundes­rechts­anwalts­ordnung und der Patentanwalts­ordnung sind verfas­sungs­widrig und nichtig, soweit sie zugunsten der namensgebenden Berufsgruppe deren Anteils- und Stimm­rechts­mehrheit sowie deren Leitungsmacht und Geschäftsführer­mehrheit vorschreiben. Aufgrund dessen hat der Senat berufs­ge­richtliche Entscheidungen aufgehoben und die Sachen zurückverwiesen.

Dem vorzuliegenden Fall liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Die Beschwer­de­führerin in beiden Verfas­sungs­be­schwer­de­ver­fahren ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung in Gründung. Gründer und Gesellschafter sind zwei Patentanwälte und ein Rechtsanwalt, die jeweils zu gleichen Teilen am Stammkapital beteiligt und zudem einzel­ver­tre­tungs­be­rechtigte Geschäftsführer sind. Die Beschwer­de­führerin strebt eine doppelte Zulassung als Rechts­an­walts­ge­sell­schaft und als Paten­t­an­walts­ge­sell­schaft an. Entsprechende Zulas­sungs­anträge blieben bei den zuständigen Berufskammern und auch in allen gerichtlichen Instanzen ohne Erfolg. Hiergegen richten sich die Verfas­sungs­be­schwerden.

Beschwer­de­führerin wird in ihrem Grundrecht auf Berufsfreiheit verletzt

Die angegriffenen Entscheidungen verletzen die Beschwer­de­führerin in ihrem Grundrecht auf Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG. Die mittelbar angegriffenen §§ 59 e Abs. 2 Satz 1 und 59f Abs. 1 Bundes­rechts­an­walts­ordnung (BRAO) sind nichtig, soweit sie einer Berufsausübungsgesellschaft von Rechts- und Patentanwälten als Rechts­an­walts­ge­sell­schaft entgegenstehen, wenn nicht die Mehrheit der Geschäfts­anteile und Stimmrechte sowie die verantwortliche Führung und die Mehrheit der Geschäftsführer den Rechtsanwälten überlassen sind. Entsprechendes gilt für § 52 e Abs. 2 Satz 1 und § 52 f Abs. 1 Satz 1 Paten­t­an­walts­ordnung (PAO), die für eine Paten­t­an­walts­ge­sell­schaft in der gleichen Weise den Vorrang der Patentanwälte regeln.

Beschwer­de­führerin erfüllt Voraussetzungen einer juristischen Person im verfas­sungs­recht­lichen Sinne

Die Beschwer­de­führerin kann sich auf das Grundrecht der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) berufen. Als Vorgesellschaft einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung erfüllt sie die Voraussetzungen einer juristischen Person im verfas­sungs­recht­lichen Sinne des Art. 19 Abs. 3 GG. Die Beschwer­de­führerin kann den Schutz der Berufsfreiheit jedenfalls insoweit in Anspruch nehmen, als ihre Funktion als notwendige Vorstufe für die erstrebte Rechtsanwalts- und Paten­t­an­walts­ge­sell­schaft dies erfordert.

Eingriff in Berufsfreiheit nicht gerechtfertigt

Die verfah­rens­ge­gen­ständ­lichen Entscheidungen und die ihnen zugrunde liegenden gesetzlichen Vorschriften greifen in die Berufsfreiheit der Beschwer­de­führerin ein. Dieser Eingriff ist nicht gerechtfertigt.

Schutz vor Irreführung kommt als legitimer Zweck nicht in Betracht

Der Gesetzgeber verfolgt mit den angegriffenen Bestimmungen legitime Zwecke, soweit er die Unabhängigkeit der handelnden Berufsträger und der Gesellschaft schützen, die berufs­recht­lichen Quali­fi­ka­ti­o­ns­an­for­de­rungen sichern und den maßgeblichen Einfluss der gesell­schafts­prä­genden Berufsgruppe gewährleisten will. Hingegen kommt ein Schutz vor Irreführung in der vorliegenden Konstellation als legitimer Zweck nicht in Betracht.

Fehlende Erfor­der­lichkeit zur Erreichung der legitimen Zwecke

Die Eignung der angegriffenen Vorschriften zur Erreichung der festgestellten legitimen Zwecke kann dahinstehen, denn sie sind jedenfalls nicht erforderlich, um diese zu erreichen. An der Erfor­der­lichkeit fehlt es, wenn der Gesetzgeber - wie hier - ein anderes, gleich wirksames, aber das Grundrecht nicht oder weniger stark einschränkendes Mittel hätte wählen können.

Das Eingehen von Bindungen, durch die die berufliche Unabhängigkeit gefährdet wird, ist untersagt

Der Schutz der beruflichen Unabhängigkeit ist bereits durch gesetzlich geregelte Berufspflichten der beteiligten Rechts- und Patentanwälte sichergestellt, die die Berufsträger weniger belasten als die angegriffenen Beschränkungen des Gesell­schafts­rechts. So ist es Rechts- und Patentanwälten sowie auch rechts- und paten­t­an­walt­lichen Berufs­aus­übungs­ge­sell­schaften untersagt, Bindungen einzugehen, durch die ihre berufliche Unabhängigkeit gefährdet wird. Gesell­schaftss­trukturen, die Gefahren für die vom Gesetz für beide Berufe vorausgesetzte Unabhängigkeit schaffen oder mit ihnen einhergehen, sind schon damit umfassend verboten. Das Berufsrecht untersagt zudem Einflussnahmen der Gesellschafter auf die berufliche Tätigkeit des einzelnen Rechtsanwalts oder Patentanwalts. Diesen Verboten widersprechende Weisungen sind nichtig und daher unbeachtlich. Unzulässige Einflussnahmen stellen außerdem sankti­o­ns­be­wehrte Berufs­pflicht­ver­let­zungen dar.

Spezifische Gefährdungen der Unabhängigkeit nicht erkennbar

Die inter­pro­fes­si­onelle Zusammenarbeit von Rechtsanwälten und Patentanwälten schafft keine spezifischen Gefährdungen, die weitergehende Eingriffe in die Berufsfreiheit rechtfertigen könnten. Insbesondere sind - schon aufgrund des weitgehend überein­stim­menden Berufsrechts - keine Übergriffe in die berufliche Unabhängigkeit durch Angehörige der jeweils anderen Berufsgruppe zu befürchten. Auch die kapital­ge­sell­schaftliche Organi­sa­ti­o­nsform lässt keine Anhaltspunkte für spezifische Gefährdungen der Unabhängigkeit erkennen.

Die Wirksamkeit dieser berufs­recht­lichen Bestimmungen für die Wahrung der beruflichen Unabhängigkeit bleibt nicht hinter der zurück, die sich mit den angegriffenen Regelungen erreichen lässt. Anders als die Bestimmungen, die Einfluss und Entschei­dungs­gewalt einer Berufsgruppe sicherstellen wollen, erreichen die Verbote des Berufsrechts das gesetz­ge­be­rische Ziel unmittelbar, indem sie im konkreten Fall Bindungen untersagen, welche die Unabhängigkeit gefährden.

Sicherung der Quali­fi­ka­ti­o­ns­an­for­de­rungen durch umfassenden Beruf­s­trä­ger­vor­behalt

Auch soweit die angegriffenen Vorschriften auf die Sicherung der Quali­fi­ka­ti­o­ns­an­for­de­rungen zielen, stehen im maßgeblichen Berufsrecht weniger belastende, aber gleichermaßen geeignete Mittel zur Verfügung. Hierfür genügt bereits der für beide Berufs­aus­übungs­ge­sell­schaften geltende umfassende Beruf­s­trä­ger­vor­behalt. Die Berufs­aus­übungs­ge­sell­schaft ist zwar selbst Trägerin der Zulassung, kann selbst als Prozess- oder Verfah­rens­be­voll­mächtigte beauftragt werden und trägt bei dieser Tätigkeit selbst die Rechte und Pflichten eines Rechts- bzw. Patentanwalts. Ungeachtet dessen bleibt die tatsächliche rechts­be­sorgende Tätigkeit natürlichen Personen vorbehalten, die ihrerseits zur Rechts­an­walt­schaft beziehungsweise zur Paten­t­an­walt­schaft zugelassen sind und damit die Quali­fi­ka­ti­o­ns­er­for­dernisse in eigener Person erfüllen müssen. Auch bei gleichzeitiger Zulassung einer inter­pro­fes­si­o­nellen Berufs­aus­übungs­ge­mein­schaft als Rechtsanwalts- und Paten­t­an­walts­ge­sell­schaft bedeutet dies, dass die Beratung und Vertretung in Rechts­an­ge­le­gen­heiten außerhalb von Paten­tan­ge­le­gen­heiten nur durch Berufsträger erbracht werden darf, die selbst die Zulassung zur Rechts­an­walt­schaft erlangt haben.

Angegriffene Vorschriften auch für Schutz vor berufs­rechts­widrigem Handeln nicht erforderlich

Auch für den Schutz vor berufs­rechts­widrigem Handeln sind die angegriffenen Vorschriften nicht erforderlich. Eine persönliche Bindung sämtlicher Berufsträger an das für die Gesellschaft maßgebliche Berufsrecht ist das mildere Mittel gegenüber den angegriffenen Regelungen. Diese setzt unmittelbar bei den maßgeblichen berufs­recht­lichen Pflichten an und vermeidet weitergehende Eingriffe in die inneren Strukturen der Berufs­aus­übungs­ge­sell­schaft, die das angestrebte Ziel nur indirekt erreichen könnten.

Keine Zweifel zu befürchten

Der unmittelbare Ansatz rechtfertigt zudem die Annahme einer zumindest gleichen, wenn nicht sogar gesteigerten Wirksamkeit. Das wird durch die Erfahrungen mit Wirtschafts­prü­fungs­ge­sell­schaften oder Steuer­be­ra­tungs­ge­sell­schaften belegt, bei denen der Gesetzgeber auch bei inter­pro­fes­si­o­neller Zusammenarbeit die Angehörigen der sozie­täts­fähigen Berufe als hinreichend qualifiziert ansieht, um auch den „fremden“ Berufspflichten Genüge zu tun. Aus der Praxis sind keine Hinweise bekannt geworden, die diese Einschätzung auch nur in Zweifel ziehen könnten.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

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