Dokument-Nr. 25804
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Bundesverfassungsgericht Beschluss05.03.2018
Verfassungsbeschwerde erfolglos: Kürzung der Zuteilung kostenloser Emissionsberechtigungen zulässigStreichung der Zuteilungsgarantie nicht gerechtfertigt
Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass die Tatsache, dass die im Rahmen des europarechtlichen Emissionshandelssystems ausgegebenen Berechtigungen zur Emission von Treibhausgasen für Betreiber stromproduzierender Anlagen mittlerweile nicht mehr vollständig kostenlos zugeteilt werden und eine zuvor gesetzlich vorgesehene Zuteilungsgarantie nicht verlängert wurde, nicht gegen Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit der Finanzverfassung des Grundgesetzes sowie gegen den allgemeinen Gleichheitssatz verstößt. Das Gericht nahm in diesem Zusammenhang die Verfassungsbeschwerde einer Anlagenbetreiberin gegen die Kürzung der auf ihr Kraftwerk entfallenden Berechtigungen nicht zur Entscheidung an.
Das europaweite Emissionshandelssystem ist ein Instrument des Klimaschutzes, durch das die Treibhausgas-Emissionen bestimmter Anlagen auf eine Gesamtmenge begrenzt und handelbare Berechtigungen zur Emission ausgegeben werden. Die schrittweise Reduktion der erlaubten Emissionsmenge und der Anreiz zur Reduktion von Emissionen durch die Möglichkeit des Verkaufs nicht genutzter Rechte sollen dabei zu einem Rückgang des Ausstoßes von Treibhausgasen führen. Die nationalen Ziele für die Emission von Kohlendioxid in Deutschland sowie die Regeln für die Zuteilung von Emissionsberechtigungen bestimmte für den Zeitraum von 2005 bis 2007 das Zuteilungsgesetz 2007 (ZuG 2007) und für den Zeitraum von 2008 bis 2012 das Zuteilungsgesetz 2012 (ZuG 2012). Die Gesamtmenge der zuzuteilenden Berechtigungen ist danach für die Zuteilungsperiode 2008 bis 2012 auf 453,07 Millionen pro Jahr beschränkt. Falls die Gesamtmenge der zuzuteilenden Berechtigungen eine bestimmte Menge übersteigt, ist eine anteilige Kürzung von Emissionsberechtigungen vorgesehen. Die im ZuG 2007 vorgesehene Zuteilungsgarantie, die unter anderem in den Jahren 2003 und 2004 erfolgte Erweiterungen der Kapazität bestehender Anlagen für die Dauer von zwölf Jahren ab Inbetriebnahme von der anteiligen Kürzung ausnahm, wurde im ZuG 2012 nachträglich gestrichen.
Zuteilungsgesetz 2012 führt anteilige kostenpflichtige Veräußerung von Emissionsberechtigungen ein
Nach der europäischen Emissionshandelsrichtlinie teilen die Mitgliedstaaten für den vorliegend maßgeblichen Zeitraum von 2008 bis 2012 mindestens 90 % der Zertifikate kostenlos zu. Während nach dem Zuteilungsgesetz 2007 (ZuG 2007) für die Zuteilungsperiode 2005 bis 2007 sämtliche Berechtigungen kostenlos zugeteilt worden waren, führte das Zuteilungsgesetz 2012 (ZuG 2012) für die Periode 2008 bis 2012 die kostenpflichtige Veräußerung eines bestimmten Anteils von Emissionsberechtigungen ein. Die Menge der Berechtigungen für die Veräußerung wird durch eine Kürzung ausschließlich der auf die Produktion von Strom entfallenden Zuteilungsmengen erzielt.
Beschwerdeführerin wendet sich gegen anteilige Kürzung kostenlos zugeteilter Emissionsberechtigungen
Die Beschwerdeführerin betreibt ein in den Jahren 1963 bis 1974 in Betrieb gegangenes Braunkohlekraftwerk, das im Jahre 2003 um einen weiteren Block erweitert wurde. Die Deutsche Emissionshandelsstelle teilte der Beschwerdeführerin für die Zuteilungsperiode 2008 bis 2012 ihre Berechtigungen für das Kraftwerk zu und kürzte die Zuteilungsmenge zur Erzielung des Aufkommens für die kostenpflichtige Veräußerung und wegen Überschreitens der Gesamtmenge zuteilbarer Berechtigungen um den jeweils gesetzlich vorgesehenen Faktor. Auf das gesamte Kraftwerk bezogen wurde für die Zuteilungsperiode durch die kostenlosen Zuteilungen lediglich etwa die Hälfte des Bedarfs abgedeckt. Nach erfolglosem Beschreiten des Rechtswegs wendet sich die Beschwerdeführerin mit ihrer Verfassungsbeschwerde gegen die anteilige Kürzung der kostenlos zugeteilten Emissionsberechtigungen für die Zuteilungsperiode 2008 bis 2012 sowie gegen die Streichung der Zuteilungsgarantie aus der Zuteilungsperiode 2005 bis 2007.
Verfassungsbeschwerde bleibt erfolglos
Das Bundesverfassungsgericht entschied, dass die Verfassungsbeschwerde teilweise nicht den Begründungsanforderungen des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes genügt. Soweit sich die Beschwerdeführerin mittelbar gegen die Regelung zur Kürzung der Zuteilungsmenge wegen Überschreitens der Gesamtmenge zuteilbarer Berechtigungen nach § 4 Abs. 3 ZuG 2012 und die Regelung zur Zuteilung von Emissionsberechtigungen in § 7 ZuG 2012 wendet, mangelt es in der weiteren Beschwerdebegründung an Vortrag dazu, woraus sich die Verfassungswidrigkeit der Vorschriften ergeben soll. Die Rüge einer Verletzung des grundrechtsgleichen Rechts auf den gesetzlichen Richter wegen unhaltbarer Handhabung der Pflicht zur Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union ist ebenfalls unsubstantiiert.
Zuteilungsentscheidung nicht grundrechtswidrig
Die Beschwerdeführerin ist nicht in ihren Grundrechten verletzt. Die Zuteilungsentscheidung erweist sich weder unter dem Gesichtspunkt der vorgenommenen Kürzung kostenloser Emissionsberechtigungen für ihre kostenpflichtige Veräußerung noch unter dem Blickwinkel der Nichtberücksichtigung der Zuteilungsgarantie als grundrechtswidrig.
Emissionshandelsrichtlinie lässt Handlungsfreiräume
Die Veräußerungskürzung ist am Maßstab der Grundrechte des Grundgesetzes und nicht am Unionsrecht zu messen. Das Bundesverwaltungsgericht ist in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise davon ausgegangen, dass die Emissionshandelsrichtlinie den Mitgliedstaaten zwar hinsichtlich der Einführung des Emissionshandels verbindliche Vorgaben macht, ihnen aber bei der Kürzung kostenloser Zuteilungen von Emissionsberechtigungen für die Zuteilungsperiode 2008 bis 2012 Handlungsfreiräume belässt.
Veräußerungsentgelte fallen nicht unter finanzverfassungsrechtliche Bestimmungen über Finanzmonopole und Steuern
Die Veräußerungskürzung verletzt die Beschwerdeführerin nicht in Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit der Finanzverfassung des Grundgesetzes. Die bei der Veräußerung der Emissionszertifikate erzielten Entgelte hat der Bundesgesetzgeber im Rahmen des Aufbaus des europarechtlichen Emissionshandelssystems vorgesehen. Solche Veräußerungsentgelte fallen nicht unter die finanzverfassungsrechtlichen Bestimmungen über Finanzmonopole und Steuern. Bei den Erlösen aus der Veräußerung der Emissionshandelszertifikate handelt es sich insbesondere nicht um Steuern, da die Erlöse nicht voraussetzungslos, sondern als Gegenleistung für die erworbenen Emissionsberechtigungen erhoben werden. Der Bund war für die nationale Regelung des Emissionshandelssystems zuständig. Die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Vollständigkeit des Haushaltsplans wurden gewahrt.
Erzielung von Veräußerungserlösen mit Gleichheitssatz vereinbar
Die Veräußerungsregelung des § 19 ZuG 2012 und die Kürzungsregelung des § 20 ZuG 2012 sind auch mit Art. 3 Abs. 1 GG und dem daraus für das Steuer- und Abgabenrecht folgenden Grundsatz der Belastungsgleichheit vereinbar. Neben der steuerlichen Inanspruchnahme bedürfen nichtsteuerliche Abgaben, die den Einzelnen zu einer weiteren Finanzleistung heranziehen, zur Wahrung der Belastungsgleichheit der Abgabepflichtigen einer über den Zweck der Einnahmeerzielung hinausgehenden besonderen sachlichen Rechtfertigung. Die Erzielung von Veräußerungserlösen ist generell mit dem Gleichheitssatz vereinbar. Der Veräußerungsregelung des § 19 ZuG 2012 kommt angesichts der engen Verzahnung mit der Kürzungsregelung des § 20 ZuG 2012 abgabengleiche Wirkung zu. Die sachliche Legitimation der streitgegenständlichen Erzielung von Veräußerungserlösen ergibt sich aus ihrem Charakter als Vorteilsabschöpfungsabgabe im Rahmen einer öffentlich-rechtlichen Nutzungsregelung.
Betreiber emissionshandelspflichtiger Anlagen hat durch Emissionsberechtigungen Sondervorteil
Dem Betreiber einer emissionshandelspflichtigen Anlage, der zusätzliche Emissionsberechtigungen vom Staat erwerben kann, darf über das mit den kostenlosen Zertifikaten zugeteilte Kontingent hinaus die Luft zum Zweck der Ableitung von CO2-Emissionen nutzen. Ihm wird damit ein Sondervorteil gegenüber all denjenigen Betreibern emissionshandelspflichtiger Anlagen zuteil, die keine Emissionszertifikate erwerben und damit keine entsprechende Menge CO2 emittieren dürfen. Dass außerhalb des Emissionshandelssystems die Emission von Kohlendioxid ohne Emissionszertifikate zulässig ist, ändert nichts an dem Sondervorteil durch den Erwerb innerhalb des Emissionshandelssystems.
Emissionshandelssystem soll natürliche Ressource kontingentieren
Die Reinheit der Luft stellt eine knappe natürliche Ressource dar. Die gesetzgeberische Erwägung, die Luft könne nur in begrenztem Maße Kohlendioxid aufnehmen, ohne dass dies schädliche Auswirkungen auf das Klima habe, ist ohne weiteres nachvollziehbar. Das knappe Gut ist nicht die Luft selbst, sondern ihr Verschmutzungsgrad. Die Nutzung der Luft durch Emission von Kohlendioxid durch stark emittierende Anlagen unterliegt in Form des Emissionshandelsregimes auch einer öffentlich-rechtlichen Bewirtschaftung. Mit dem Emissionshandelssystem ist ein bis dahin kostenfreier und nur durch die natürlichen Ressourcengrenzen beschränkter Nutzungsraum dem ungeregelten Zugriff entzogen und kontingentiert worden. Die Nutzung der Ressource Luft wird durch diese Begrenzung quantitativ gesteuert und einer Verteilungsordnung unterworfen. Dieses Bewirtschaftungssystem fußt auf der Verknappung der zur Verfügung stehenden Umweltressourcen durch staatliche Festlegung.
Veräußerungskürzung mit Grundgesetz vereinbar
Auch die Veräußerungskürzung gemäß § 20 ZuG 2012 verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Die mit der Kürzung der Zuteilung kostenloser Emissionsberechtigungen verbundene größere Belastung der stromproduzierenden Anlagen der Energiewirtschaft im Vergleich insbesondere zu Industrieanlagen ist aus Gründen der Vorteilsabschöpfung sachlich gerechtfertigt. Mit der Kürzungsregelung werden Vorteile ausgeglichen, die den stromproduzierenden Unternehmen mit der kostenlosen Zuteilung von Emissionszertifikaten über die Befugnis zur Nutzung der Luft zum Anlagenbetrieb hinaus zuteil werden. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass auf dem deutschen Strommarkt - anders als in anderen Branchen - ein hoher Einpreisungsgrad besteht und damit die Stromerzeuger über die Möglichkeit verfügen, mit den kostenlos zugeteilten Zertifikaten unbeabsichtigte Zusatzerlöse zu generieren. Die Unterscheidung zwischen Zuteilungen für Branchen, die den Marktwert kostenlos zugeteilter Zertifikate einpreisen können, und solchen, die dazu nicht in der Lage sind, ist durch hinreichend gewichtige sachliche Gründe gerechtfertigt.
Streichung der Zuteilungsgarantie nicht zu beanstanden
Die Regelung des § 2 Satz 3 ZuG 2012, nach der die Zuteilungsgarantie für in den Jahren 2003 und 2004 erfolgte Kapazitätserweiterungen bestehender Anlagen nicht fortgilt, ist von Verfassungs wegen ebenfalls nicht zu beanstanden. Selbst wenn man die Streichung der Zuteilungsgarantie als Eingriff in Art. 14 Abs. 1 GG ansieht, ist dieser jedenfalls gerechtfertigt. Dabei kann offenbleiben, ob die Streichung der Zuteilungsgarantie den Anforderungen einer echten Rückwirkung genügen muss. Die Streichung der Zuteilungsgarantie wäre selbst dann nicht zu beanstanden, wenn ihr echte Rückwirkung zukäme. Denn ein schutzwürdiges Vertrauen der betreffenden Anlagenbetreiber auf den Fortbestand der Zuteilungsgarantie konnte sich zu keinem Zeitpunkt bilden.
Das Vertrauen der Betroffenen auf die geltende Rechtslage bedarf insbesondere dann nicht des Schutzes gegenüber sachlich begründeten rückwirkenden Gesetzesänderungen, wenn dadurch kein oder nur ganz unerheblicher Schaden verursacht worden ist. Auch das Rechtsstaatsprinzip schützt nicht vor jeglicher Enttäuschung. Die gesetzliche Regelung muss generell geeignet sein, im Vertrauen auf ihr Fortbestehen Entscheidungen und Dispositionen herbeizuführen oder zu beeinflussen, die sich bei Änderung der Rechtslage nachteilig auswirken.
Unangemessene Benachteiligung durch Streichung der Zuteilungsgarantie nicht ersichtlich
Die Zuteilungsgarantie knüpfte an bereits vor Inkrafttreten des Zuteilungsgesetzes 2007 getätigte und abgeschlossene Investitionen an. Der Gesetzgeber wollte damit bereits erfolgte Anstrengungen zur Emissionsminderung honorieren, nicht aber Anreize für zukünftige Investitionen schaffen. Selbst wenn man mit der Beschwerdeführerin davon ausgeht, dass die Zuteilungsgarantie zu Dispositionen von erheblichem Gewicht führen konnte, erweist sich ein Vertrauen der betreffenden Anlagenbetreiber als nicht schutzwürdig. Es ist weder dargelegt noch sonst ersichtlich, dass die Streichung der Zuteilungsgarantie die betreffenden Anlagenbetreiber unangemessen benachteiligt. Das Bundesverwaltungsgericht führt in der angegriffenen Entscheidung in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise aus, dass durch die grundlegende Umstellung der Zuteilungsregeln für bestehende Energieanlagen dem Effizienzgedanken und der Berücksichtigung des Minderungspotentials der jeweiligen Anlage Rechnung getragen werde.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 19.04.2018
Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online
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