18.10.2024
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Bundesverfassungsgericht Beschluss05.03.2018

Verfassungs­beschwerde erfolglos: Kürzung der Zuteilung kostenloser Emissions­berechtigungen zulässigStreichung der Zutei­lungs­ga­rantie nicht gerechtfertigt

Das Bundes­verfassungs­gericht hat entschieden, dass die Tatsache, dass die im Rahmen des europa­recht­lichen Emissions­handels­systems ausgegebenen Berechtigungen zur Emission von Treibhausgasen für Betreiber strom­pro­du­zie­render Anlagen mittlerweile nicht mehr vollständig kostenlos zugeteilt werden und eine zuvor gesetzlich vorgesehene Zutei­lungs­ga­rantie nicht verlängert wurde, nicht gegen Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit der Finanz­ver­fassung des Grundgesetzes sowie gegen den allgemeinen Gleichheitssatz verstößt. Das Gericht nahm in diesem Zusammenhang die Verfassungs­beschwerde einer Anlagen­be­treiberin gegen die Kürzung der auf ihr Kraftwerk entfallenden Berechtigungen nicht zur Entscheidung an.

Das europaweite Emissi­ons­han­dels­system ist ein Instrument des Klimaschutzes, durch das die Treibhausgas-Emissionen bestimmter Anlagen auf eine Gesamtmenge begrenzt und handelbare Berechtigungen zur Emission ausgegeben werden. Die schrittweise Reduktion der erlaubten Emissionsmenge und der Anreiz zur Reduktion von Emissionen durch die Möglichkeit des Verkaufs nicht genutzter Rechte sollen dabei zu einem Rückgang des Ausstoßes von Treibhausgasen führen. Die nationalen Ziele für die Emission von Kohlendioxid in Deutschland sowie die Regeln für die Zuteilung von Emissi­ons­be­rech­ti­gungen bestimmte für den Zeitraum von 2005 bis 2007 das Zutei­lungs­gesetz 2007 (ZuG 2007) und für den Zeitraum von 2008 bis 2012 das Zutei­lungs­gesetz 2012 (ZuG 2012). Die Gesamtmenge der zuzuteilenden Berechtigungen ist danach für die Zutei­lungs­periode 2008 bis 2012 auf 453,07 Millionen pro Jahr beschränkt. Falls die Gesamtmenge der zuzuteilenden Berechtigungen eine bestimmte Menge übersteigt, ist eine anteilige Kürzung von Emissi­ons­be­rech­ti­gungen vorgesehen. Die im ZuG 2007 vorgesehene Zutei­lungs­ga­rantie, die unter anderem in den Jahren 2003 und 2004 erfolgte Erweiterungen der Kapazität bestehender Anlagen für die Dauer von zwölf Jahren ab Inbetriebnahme von der anteiligen Kürzung ausnahm, wurde im ZuG 2012 nachträglich gestrichen.

Zutei­lungs­gesetz 2012 führt anteilige kosten­pflichtige Veräußerung von Emissi­ons­be­rech­ti­gungen ein

Nach der europäischen Emissi­ons­han­dels­richtlinie teilen die Mitgliedstaaten für den vorliegend maßgeblichen Zeitraum von 2008 bis 2012 mindestens 90 % der Zertifikate kostenlos zu. Während nach dem Zutei­lungs­gesetz 2007 (ZuG 2007) für die Zutei­lungs­periode 2005 bis 2007 sämtliche Berechtigungen kostenlos zugeteilt worden waren, führte das Zutei­lungs­gesetz 2012 (ZuG 2012) für die Periode 2008 bis 2012 die kosten­pflichtige Veräußerung eines bestimmten Anteils von Emissi­ons­be­rech­ti­gungen ein. Die Menge der Berechtigungen für die Veräußerung wird durch eine Kürzung ausschließlich der auf die Produktion von Strom entfallenden Zutei­lungs­mengen erzielt.

Beschwer­de­führerin wendet sich gegen anteilige Kürzung kostenlos zugeteilter Emissi­ons­be­rech­ti­gungen

Die Beschwer­de­führerin betreibt ein in den Jahren 1963 bis 1974 in Betrieb gegangenes Braun­koh­le­kraftwerk, das im Jahre 2003 um einen weiteren Block erweitert wurde. Die Deutsche Emissi­ons­han­dels­stelle teilte der Beschwer­de­führerin für die Zutei­lungs­periode 2008 bis 2012 ihre Berechtigungen für das Kraftwerk zu und kürzte die Zuteilungsmenge zur Erzielung des Aufkommens für die kosten­pflichtige Veräußerung und wegen Überschreitens der Gesamtmenge zuteilbarer Berechtigungen um den jeweils gesetzlich vorgesehenen Faktor. Auf das gesamte Kraftwerk bezogen wurde für die Zutei­lungs­periode durch die kostenlosen Zuteilungen lediglich etwa die Hälfte des Bedarfs abgedeckt. Nach erfolglosem Beschreiten des Rechtswegs wendet sich die Beschwer­de­führerin mit ihrer Verfassungsbeschwerde gegen die anteilige Kürzung der kostenlos zugeteilten Emissi­ons­be­rech­ti­gungen für die Zutei­lungs­periode 2008 bis 2012 sowie gegen die Streichung der Zutei­lungs­ga­rantie aus der Zutei­lungs­periode 2005 bis 2007.

Verfas­sungs­be­schwerde bleibt erfolglos

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht entschied, dass die Verfas­sungs­be­schwerde teilweise nicht den Begrün­dungs­an­for­de­rungen des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts­ge­setzes genügt. Soweit sich die Beschwer­de­führerin mittelbar gegen die Regelung zur Kürzung der Zuteilungsmenge wegen Überschreitens der Gesamtmenge zuteilbarer Berechtigungen nach § 4 Abs. 3 ZuG 2012 und die Regelung zur Zuteilung von Emissi­ons­be­rech­ti­gungen in § 7 ZuG 2012 wendet, mangelt es in der weiteren Beschwer­de­be­gründung an Vortrag dazu, woraus sich die Verfas­sungs­wid­rigkeit der Vorschriften ergeben soll. Die Rüge einer Verletzung des grund­rechts­gleichen Rechts auf den gesetzlichen Richter wegen unhaltbarer Handhabung der Pflicht zur Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union ist ebenfalls unsubstantiiert.

Zutei­lungs­ent­scheidung nicht grund­rechts­widrig

Die Beschwer­de­führerin ist nicht in ihren Grundrechten verletzt. Die Zutei­lungs­ent­scheidung erweist sich weder unter dem Gesichtspunkt der vorgenommenen Kürzung kostenloser Emissi­ons­be­rech­ti­gungen für ihre kosten­pflichtige Veräußerung noch unter dem Blickwinkel der Nicht­be­rück­sich­tigung der Zutei­lungs­ga­rantie als grund­rechts­widrig.

Emissi­ons­han­dels­richtlinie lässt Handlungs­freiräume

Die Veräu­ße­rungs­kürzung ist am Maßstab der Grundrechte des Grundgesetzes und nicht am Unionsrecht zu messen. Das Bundes­ver­wal­tungs­gericht ist in verfas­sungs­rechtlich nicht zu beanstandender Weise davon ausgegangen, dass die Emissi­ons­han­dels­richtlinie den Mitgliedstaaten zwar hinsichtlich der Einführung des Emissi­ons­handels verbindliche Vorgaben macht, ihnen aber bei der Kürzung kostenloser Zuteilungen von Emissi­ons­be­rech­ti­gungen für die Zutei­lungs­periode 2008 bis 2012 Handlungs­freiräume belässt.

Veräu­ße­rungs­entgelte fallen nicht unter finanz­ver­fas­sungs­rechtliche Bestimmungen über Finanzmonopole und Steuern

Die Veräu­ße­rungs­kürzung verletzt die Beschwer­de­führerin nicht in Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit der Finanz­ver­fassung des Grundgesetzes. Die bei der Veräußerung der Emissi­ons­zer­ti­fikate erzielten Entgelte hat der Bundes­ge­setzgeber im Rahmen des Aufbaus des europa­recht­lichen Emissi­ons­han­dels­systems vorgesehen. Solche Veräu­ße­rungs­entgelte fallen nicht unter die finanz­ver­fas­sungs­recht­lichen Bestimmungen über Finanzmonopole und Steuern. Bei den Erlösen aus der Veräußerung der Emissi­ons­han­dels­zer­ti­fikate handelt es sich insbesondere nicht um Steuern, da die Erlöse nicht voraus­set­zungslos, sondern als Gegenleistung für die erworbenen Emissi­ons­be­rech­ti­gungen erhoben werden. Der Bund war für die nationale Regelung des Emissi­ons­han­dels­systems zuständig. Die verfas­sungs­recht­lichen Anforderungen an die Vollständigkeit des Haushaltsplans wurden gewahrt.

Erzielung von Veräu­ße­rungs­erlösen mit Gleichheitssatz vereinbar

Die Veräu­ße­rungs­re­gelung des § 19 ZuG 2012 und die Kürzungs­re­gelung des § 20 ZuG 2012 sind auch mit Art. 3 Abs. 1 GG und dem daraus für das Steuer- und Abgabenrecht folgenden Grundsatz der Belas­tungs­gleichheit vereinbar. Neben der steuerlichen Inanspruchnahme bedürfen nicht­steu­erliche Abgaben, die den Einzelnen zu einer weiteren Finanzleistung heranziehen, zur Wahrung der Belas­tungs­gleichheit der Abgabe­pflichtigen einer über den Zweck der Einnah­me­er­zielung hinausgehenden besonderen sachlichen Rechtfertigung. Die Erzielung von Veräu­ße­rungs­erlösen ist generell mit dem Gleichheitssatz vereinbar. Der Veräu­ße­rungs­re­gelung des § 19 ZuG 2012 kommt angesichts der engen Verzahnung mit der Kürzungs­re­gelung des § 20 ZuG 2012 abgabengleiche Wirkung zu. Die sachliche Legitimation der streit­ge­gen­ständ­lichen Erzielung von Veräu­ße­rungs­erlösen ergibt sich aus ihrem Charakter als Vorteils­ab­schöp­fungs­abgabe im Rahmen einer öffentlich-rechtlichen Nutzungs­re­gelung.

Betreiber emissi­ons­han­dels­pflichtiger Anlagen hat durch Emissi­ons­be­rech­ti­gungen Sondervorteil

Dem Betreiber einer emissi­ons­han­dels­pflichtigen Anlage, der zusätzliche Emissi­ons­be­rech­ti­gungen vom Staat erwerben kann, darf über das mit den kostenlosen Zertifikaten zugeteilte Kontingent hinaus die Luft zum Zweck der Ableitung von CO2-Emissionen nutzen. Ihm wird damit ein Sondervorteil gegenüber all denjenigen Betreibern emissi­ons­han­dels­pflichtiger Anlagen zuteil, die keine Emissi­ons­zer­ti­fikate erwerben und damit keine entsprechende Menge CO2 emittieren dürfen. Dass außerhalb des Emissi­ons­han­dels­systems die Emission von Kohlendioxid ohne Emissi­ons­zer­ti­fikate zulässig ist, ändert nichts an dem Sondervorteil durch den Erwerb innerhalb des Emissi­ons­han­dels­systems.

Emissi­ons­han­dels­system soll natürliche Ressource kontingentieren

Die Reinheit der Luft stellt eine knappe natürliche Ressource dar. Die gesetz­ge­be­rische Erwägung, die Luft könne nur in begrenztem Maße Kohlendioxid aufnehmen, ohne dass dies schädliche Auswirkungen auf das Klima habe, ist ohne weiteres nachvollziehbar. Das knappe Gut ist nicht die Luft selbst, sondern ihr Verschmut­zungsgrad. Die Nutzung der Luft durch Emission von Kohlendioxid durch stark emittierende Anlagen unterliegt in Form des Emissi­ons­han­dels­regimes auch einer öffentlich-rechtlichen Bewirtschaftung. Mit dem Emissi­ons­han­dels­system ist ein bis dahin kostenfreier und nur durch die natürlichen Ressour­cen­grenzen beschränkter Nutzungsraum dem ungeregelten Zugriff entzogen und kontingentiert worden. Die Nutzung der Ressource Luft wird durch diese Begrenzung quantitativ gesteuert und einer Vertei­lungs­ordnung unterworfen. Dieses Bewirt­schaf­tungs­system fußt auf der Verknappung der zur Verfügung stehenden Umwelt­res­sourcen durch staatliche Festlegung.

Veräu­ße­rungs­kürzung mit Grundgesetz vereinbar

Auch die Veräu­ße­rungs­kürzung gemäß § 20 ZuG 2012 verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Die mit der Kürzung der Zuteilung kostenloser Emissi­ons­be­rech­ti­gungen verbundene größere Belastung der strom­pro­du­zie­renden Anlagen der Energie­wirt­schaft im Vergleich insbesondere zu Indus­trie­anlagen ist aus Gründen der Vorteils­ab­schöpfung sachlich gerechtfertigt. Mit der Kürzungs­re­gelung werden Vorteile ausgeglichen, die den strom­pro­du­zie­renden Unternehmen mit der kostenlosen Zuteilung von Emissi­ons­zer­ti­fikaten über die Befugnis zur Nutzung der Luft zum Anlagenbetrieb hinaus zuteil werden. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass auf dem deutschen Strommarkt - anders als in anderen Branchen - ein hoher Einprei­sungsgrad besteht und damit die Stromerzeuger über die Möglichkeit verfügen, mit den kostenlos zugeteilten Zertifikaten unbeabsichtigte Zusatzerlöse zu generieren. Die Unterscheidung zwischen Zuteilungen für Branchen, die den Marktwert kostenlos zugeteilter Zertifikate einpreisen können, und solchen, die dazu nicht in der Lage sind, ist durch hinreichend gewichtige sachliche Gründe gerechtfertigt.

Streichung der Zutei­lungs­ga­rantie nicht zu beanstanden

Die Regelung des § 2 Satz 3 ZuG 2012, nach der die Zutei­lungs­ga­rantie für in den Jahren 2003 und 2004 erfolgte Kapazi­täts­er­wei­te­rungen bestehender Anlagen nicht fortgilt, ist von Verfassungs wegen ebenfalls nicht zu beanstanden. Selbst wenn man die Streichung der Zutei­lungs­ga­rantie als Eingriff in Art. 14 Abs. 1 GG ansieht, ist dieser jedenfalls gerechtfertigt. Dabei kann offenbleiben, ob die Streichung der Zutei­lungs­ga­rantie den Anforderungen einer echten Rückwirkung genügen muss. Die Streichung der Zutei­lungs­ga­rantie wäre selbst dann nicht zu beanstanden, wenn ihr echte Rückwirkung zukäme. Denn ein schutzwürdiges Vertrauen der betreffenden Anlagen­be­treiber auf den Fortbestand der Zutei­lungs­ga­rantie konnte sich zu keinem Zeitpunkt bilden.

Das Vertrauen der Betroffenen auf die geltende Rechtslage bedarf insbesondere dann nicht des Schutzes gegenüber sachlich begründeten rückwirkenden Geset­ze­s­än­de­rungen, wenn dadurch kein oder nur ganz unerheblicher Schaden verursacht worden ist. Auch das Rechts­s­taats­prinzip schützt nicht vor jeglicher Enttäuschung. Die gesetzliche Regelung muss generell geeignet sein, im Vertrauen auf ihr Fortbestehen Entscheidungen und Dispositionen herbeizuführen oder zu beeinflussen, die sich bei Änderung der Rechtslage nachteilig auswirken.

Unangemessene Benachteiligung durch Streichung der Zutei­lungs­ga­rantie nicht ersichtlich

Die Zutei­lungs­ga­rantie knüpfte an bereits vor Inkrafttreten des Zutei­lungs­ge­setzes 2007 getätigte und abgeschlossene Investitionen an. Der Gesetzgeber wollte damit bereits erfolgte Anstrengungen zur Emissi­ons­min­derung honorieren, nicht aber Anreize für zukünftige Investitionen schaffen. Selbst wenn man mit der Beschwer­de­führerin davon ausgeht, dass die Zutei­lungs­ga­rantie zu Dispositionen von erheblichem Gewicht führen konnte, erweist sich ein Vertrauen der betreffenden Anlagen­be­treiber als nicht schutzwürdig. Es ist weder dargelegt noch sonst ersichtlich, dass die Streichung der Zutei­lungs­ga­rantie die betreffenden Anlagen­be­treiber unangemessen benachteiligt. Das Bundes­ver­wal­tungs­gericht führt in der angegriffenen Entscheidung in verfas­sungs­rechtlich nicht zu beanstandender Weise aus, dass durch die grundlegende Umstellung der Zutei­lungs­regeln für bestehende Energieanlagen dem Effizi­enz­ge­danken und der Berück­sich­tigung des Minde­rungs­po­tentials der jeweiligen Anlage Rechnung getragen werde.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

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