21.11.2024
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Urteil01.12.2009Bundesverfassungsgericht1 BvR 2857/07 und 1 BvR 2858/07
passende Fundstellen in der Fachliteratur:
  • NVwZ 2010, 570Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (NVwZ), Jahrgang: 2010, Seite: 570
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Bundesverfassungsgericht Urteil01.12.2009

BVerfG: Ladenöffnung an allen vier Advents­sonntagen in Berlin verfas­sungs­widrigBloßes Umsatz- oder Erwer­b­s­in­teresse für Ausnah­me­re­ge­lungen hinsichtlich der Öffnungszeiten nicht ausreichend

Die Regelung zu den Laden­öff­nungs­zeiten an Advents­sonntagen in Berlin ist nicht verfas­sungsgemäß. Sollen Geschäfte an mehreren Sonn- und Feiertagen in Folge über jeweils viele Stunden hin geöffnet werden, bedarf diese Freigabe der Ladenöffnung Gründe von besonderem Gewicht. Solche Gründe seien aber bei einer siebenstündigen Öffnung an allen vier Advents­sonntagen nicht gegeben und unterschreiten das verfas­sungs­rechtlich gebotene Mindestmaß des Sonntags­schutzes. Die Verfas­sungs­be­schwerden der Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz und des Erzbistums Berlin sind daher zulässig. Dies entschied das Bundes­ver­fas­sungs­gericht.

Bei der sogenannten Födera­lis­mus­reform I im Jahr 2006 wurde die Gesetz­ge­bungs­kom­petenz für das Recht des Ladenschlusses auf die Länder übertragen. Das Abgeord­ne­tenhaus von Berlin beschloss daraufhin das am 17. November 2006 in Kraft getretene Berliner Ladenöffnungsgesetz (BerlLadÖffG). Dieses sieht vor allem schon kraft Gesetzes und ohne die Erfüllung weiterer Voraussetzungen die Freigabe aller vier Adventssonntage in Folge in der Zeit von 13.00 bis 20.00 Uhr für die Ladenöffnung vor. Vier weitere Sonn- und Feiertage jährlich können „im öffentlichen Interesse“ durch Allge­mein­ver­fügung der Senats­ver­waltung freigegeben werden. Zusätzlich dürfen an zwei weiteren Sonn- oder Feiertagen Verkaufsstellen aus Anlass „besonderer Ereignisse, insbesondere von Firmenjubiläen und Straßenfesten“, von 13.00 bis 20.00 Uhr offen gehalten werden. Daneben gibt es eine Reihe von waren­grup­pen­spe­zi­fischen sowie orts- und anlassbezogenen Ausnah­me­be­stim­mungen. Die Ladenöffnung an Werktagen ist vollständig freigegeben (24 Stunden-Öffnungs­mög­lichkeit).

Verfas­sungs­be­schwerden zulässig, da Möglichkeit einer Grund­rechts­ver­letzung hinreichend dargelegt wurde

Inzwischen haben alle Bundesländer bis auf den Freistaat Bayern den Ladenschluss durch Landesgesetz geregelt. Im Grundsatz sehen alle Landesgesetze vor, dass an Sonn- und Feiertagen keine Ladenöffnung erfolgt. Als Ausnah­me­re­ge­lungen weisen die meisten anderen Bundesländer vier Sonn- und Feiertage zur Freigabe aus, Baden-Württemberg lediglich drei, Brandenburg hingegen sechs. Zumeist ist eine Ladenöffnung an den Advents­sonntagen ausgeschlossen oder zumindest nur an einem einzigen Adventssonntag im Jahr gestattet. Neben Berlin sehen nur die Gesetze über den Ladenschluss von Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt keinen besonderen Schutz der Adventssonntage vor. Mit ihren Verfas­sungs­be­schwerden wenden sich die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (1 BvR 2857/07) und das Erzbistum Berlin (1 BvR 2858/07) gegen die im Vergleich zur früheren gesetzlichen Regelung und zu den Laden­öff­nungs­be­stim­mungen in den anderen Bundesländern weitergehenden Laden­öff­nungs­mög­lich­keiten an Sonn- und Feiertagen in Berlin. Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat entschieden, dass die Regelung zur Laden­öff­nungs­mög­lichkeit an allen vier Advents­sonntagen (§ 3 Abs. 1 Alternative 2 BerlLadÖffG) mit Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 in Verbindung mit Artikel 140 GG und Art. 139 der Weimarer Reichs­ver­fassung (WRV) unvereinbar ist. Er hat die verfas­sungs­be­schwer­de­füh­renden Kirchen für beschwer­de­befugt erachtet. Die Frage, ob und inwieweit sich Religi­o­ns­ge­mein­schaften im Wege einer Verfas­sungs­be­schwerde auf die verfas­sungs­rechtliche Sonn- und Feier­tags­ga­rantie des Art. 139 WRV (i.V.m. Art. 140 GG) berufen können, war in der Rechtsprechung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts bisher noch nicht geklärt. Diese Garantie ist nicht im Grund­rechts­katalog des Grundgesetzes, sondern in den sogenannten Weimarer Kirchenartikeln verankert, die Bestandteil des Grundgesetzes sind (vgl. Art. 140 GG). Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat die Verfas­sungs­be­schwerden für zulässig gehalten, weil die Beschwer­de­führer die Möglichkeit einer Verletzung in ihrem Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG jedenfalls in Verbindung mit der objek­ti­v­recht­lichen Sonn- und Feier­tags­ga­rantie hinreichend dargetan hatten. Die Möglichkeit einer Grund­rechts­ver­letzung ist dann gegeben, wenn die Verfas­sungs­be­schwerde eine bislang vom Bundes­ver­fas­sungs­gericht noch nicht entschiedene, offene verfas­sungs­rechtliche Frage aufwirft, die die Annahme eines verfas­sungs­be­schwer­de­fähigen Rechts jedenfalls nicht von vornherein ausschließt. Das ist hier hinsichtlich der Frage eines etwaigen Überwirkens der objek­ti­v­recht­lichen Schutzgarantie des Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 139 WRV auf das Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG im Sinne einer Konkretisierung und Stärkung des Grund­rechts­schutzes der Fall.

Öffnung an allen Advents­sonntagen überschreitet verfas­sungs­rechtlich gebotenes Mindestmaß des Sonntags­schutzes

Die in der angegriffenen Regelung vorgesehene Möglichkeit der Ladenöffnung an allen vier Advents­sonntagen ist mit den Schutz­pflicht­an­for­de­rungen aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG in Verbindung mit Art. 140 GG und Art. 139 WRV nicht mehr in Einklang zu bringen. Das gesetzliche Schutzkonzept für die Gewährleistung der Sonn- und Feiertagsruhe muss diese Tage erkennbar als solche der Arbeitsruhe zur Regel erheben; die Ausnahme davon bedarf eines dem Sonntagsschutz gerecht werdenden Sachgrundes. Bloße wirtschaftliche Interessen von Verkaufs­stel­le­n­in­habern und alltägliche Erwer­b­s­in­teressen der Käufer für die Ladenöffnung genügen dafür grundsätzlich nicht. Zudem müssen bei einer flächen­de­ckenden und den gesamten Einzelhandel erfassenden Freigabe der Ladenöffnung rechtfertigende Gründe von besonderem Gewicht vorliegen, wenn mehrere Sonn- und Feiertage in Folge über jeweils viele Stunden hin freigegeben werden sollen. Vor diesem Hintergrund unterschreitet die voraus­set­zungslose siebenstündige Öffnung an allen vier Advents­sonntagen ohne hinreichend gewichtige Gründe das verfas­sungs­rechtlich gebotene Mindestmaß des Sonntags­schutzes. Die Regelung über die Öffnung aufgrund Allge­mein­ver­fügung an vier weiteren Sonn- und Feiertagen trägt nur bei einschränkender Auslegung den Erfordernissen des vom Gesetzgeber zu gewähr­leis­tenden Mindestschutzes Rechnung. Die für verfas­sungs­widrig erklärte Advents­sonn­tags­re­gelung bleibt noch bis zum 31. Dezember 2009 anwendbar, so dass die Ladenöffnung an den vier Advents­sonntagen in diesem Jahr in Berlin noch möglich ist.

Mindestniveau des Schutzes der Sonnt- und Feiertage ist zu gewährleisten

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

Das Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG wird in seiner Bedeutung als Schutz­ver­pflichtung des Gesetzgebers durch den objek­ti­v­recht­lichen Schutzauftrag für den Sonn- und Feiertagsschutz aus Art. 139 WRV (i.V.m. Art. 140 GG) konkretisiert, der neben seiner weltlich-sozialen Bedeutung in einer religiös-christlichen Tradition wurzelt. Danach ist ein Mindestniveau des Schutzes der Sonntage und der gesetzlich anerkannten hier der kirchlichen Feiertage durch den Gesetzgeber zu gewährleisten.

Schutzkonzept wird Grundgesetz nicht gerecht

Das Schutzkonzept, das den Regelungen zur Ladenöffnung an Sonn- und Feiertagen im Land Berlin zu Grunde liegt, wird der Schutz­ver­pflichtung des Landes­ge­setz­gebers aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG in seiner Konkretisierung durch Art. 139 WRV in Verbindung mit Art. 140 GG nicht hinreichend gerecht. Zwar greift das Berliner Laden­öff­nungs­gesetz weder gezielt in die Religi­o­ns­freiheit der Beschwer­de­führer ein, noch liegt in den verschiedenen Bestimmungen und Optionen zur Ladenöffnung an Sonn- und Feiertagen das „funktionale Äquivalent“ eines Eingriffs, weil es sich mit den hier angegriffenen Vorschriften an die Verkaufs­stel­le­n­inhaber und nicht an die Religi­o­ns­ge­mein­schaften richtet. Allerdings beschränkt sich die Religi­o­ns­freiheit nicht auf die Funktion eines Abwehrrechts, sondern gebietet auch im positiven Sinn, Raum für die aktive Betätigung der Glaubens­über­zeugung und die Verwirklichung der autonomen Persönlichkeit auf weltanschaulich-religiösem Gebiet zu sichern. Diese Schutzpflicht trifft den Staat auch gegenüber den als Körperschaften des öffentlichen Rechts verfassten Religi­o­ns­ge­mein­schaften. Es ist aber grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, ein Schutzkonzept aufzustellen und normativ umzusetzen. Dabei kommt ihm ein weiter Einschätzungs-, Wertungs- und Gestal­tungs­spielraum zu.

Allein aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG lässt sich keine staatliche Verpflichtung herleiten, die religiös-christlichen Feiertage und den Sonntag unter den Schutz einer näher auszu­ge­stal­tenden generellen Arbeitsruhe zu stellen und das Verständnis bestimmter Religi­o­ns­ge­mein­schaften von nach deren Lehre besonderen Tagen zugrunde zu legen. Das Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG erfährt aber eine Konkretisierung durch die Sonn- und Feier­tags­ga­rantie nach Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 139 WRV; die Sonn- und Feier­tags­ga­rantie wirkt ihrerseits als in der Verfassung getroffene Wertung auf die Auslegung und Bestimmung des Schutzgehalts von Art. 4 Abs. 1 und 2 GG ein und ist deshalb auch bei der Konkretisierung der grund­recht­lichen Schutzpflicht des Gesetzgebers zu beachten. Art. 139 WRV enthält einen Schutzauftrag an den Gesetzgeber, der im Sinne der Gewährleistung eines Mindest­schutz­niveaus dem Grund­rechts­schutz aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG insoweit Gehalt gibt.

Sonn- und Feier­tags­ga­rantie soll Schutz von Ehe und Familie sowie der Erholung und Erhaltung der Gesundheit zugute kommen

Die funktionale Ausrichtung der sogenannten Weimarer Kirchenartikel auf die Inanspruchnahme des Grundrechts aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG gilt auch für die Gewährleistung der Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung in Art. 139 WRV, obgleich in dieser Norm selbst der religiös-christliche Bezug nicht ausdrücklich erwähnt wird. Denn Art. 139 WRV ist nach seiner Entste­hungs­ge­schichte, seiner systemischen Verankerung in den sogenannten Kirchenartikeln und seinen Regelungs­zwecken ein religiöser, in der christlichen Tradition wurzelnder Gehalt eigen, der mit einer dezidiert sozialen, weltlich-neutral ausgerichteten Zwecksetzung einhergeht. Die Sonn- und Feier­tags­ga­rantie fördert und schützt daher nicht nur die Ausübung der Religi­o­ns­freiheit. Die Gewährleistung der Arbeitsruhe sichert eine wesentliche Grundlage für die Rekre­a­ti­o­ns­mög­lich­keiten des Menschen und zugleich für ein soziales Zusammenleben und ist damit auch Garant für die Wahrnehmung von anderen Grundrechten, die der Persön­lich­keits­ent­faltung dienen. Die Sonn- und Feier­tags­ga­rantie kommt etwa dem Schutz von Ehe und Familie (Art. 6 Abs. 1 GG) ebenso zugute wie der Erholung und Erhaltung der Gesundheit (vgl. Art. 2 Abs. 2 GG). Ihre Bedeutung resultiert wesentlich auch aus dem zeitlichen Gleichklang der Arbeitsruhe. Art. 139 WRV erweist sich so als verfas­sungs­ver­an­kertes Grundelement sozialen Zusammenlebens und staatlicher Ordnung und ist als Konnexgarantie zu verschiedenen Grundrechten zu begreifen.

Sonntag und Feiertage auch verfas­sungs­rechtlich unter besonderen Schutzauftrag gestellt

Die Pflicht des Staates zu weltanschaulich-religiöser Neutralität steht einer Konkretisierung des Schutzgehalts des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG durch Art. 139 WRV nicht entgegen. Denn die Verfassung selbst unterstellt den Sonntag und die Feiertage, soweit sie staatlich anerkannt sind, einem besonderen staatlichen Schutzauftrag und nimmt damit eine Wertung vor, die auch in der christlich-abendländischen Tradition wurzelt und kalendarisch an diese anknüpft.

Sonn- und Feiertagsruhe geht nicht allein auf religiösen Sinngehalt zurück

Art. 139 WRV statuiert für die Arbeit an Sonn- und Feiertagen unter anderem ein Regel-Ausnahme-Verhältnis. Grundsätzlich hat die typische „werktägliche Geschäftigkeit“ an Sonn- und Feiertagen zu ruhen, wobei der Schutz des Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 139 WRV nicht auf einen religiösen oder weltan­schau­lichen Sinngehalt der Sonn- und Feiertage beschränkt ist. Die Regelung zielt in der säkularisierten Gesellschafts- und Staatsordnung aber auch auf die Verfolgung profaner Ziele wie die der persönlichen Ruhe, Besinnung, Erholung und Zerstreuung. Dabei soll die von Art. 139 WRV ebenfalls erfasste Möglichkeit seelischer Erhebung allen Menschen unbeschadet einer religiösen Bindung zuteil werden.

Ausnahmen bei den Öffnungszeiten müssen als solche für die Öffentlichkeit erkennbar bleiben

Auf dieser Grundlage ergibt sich, dass gesetzliche Schutzkonzepte für die Gewährleistung der Sonn- und Feiertagsruhe erkennbar diese Tage als solche der Arbeitsruhe zur Regel erheben müssen. Hinsichtlich der hier in Rede stehenden Ladenöffnung bedeutet dies, dass die Ausnahme eines dem Sonntagsschutz gerecht werdenden Sachgrundes bedarf. Ein bloß wirtschaft­liches Umsatzinteresse der Verkaufs­stel­le­n­inhaber und ein alltägliches Erwer­b­s­in­teresse („Shopping-Interesse“) potenzieller Käufer genügen grundsätzlich nicht, um Ausnahmen von dem verfas­sungs­un­mit­telbar verankerten Schutz der Arbeitsruhe und der Möglichkeit zu seelischer Erhebung an Sonn- und Feiertagen zu rechtfertigen. Darüber hinaus müssen Ausnahmen als solche für die Öffentlichkeit erkennbar bleiben und dürfen nicht auf eine weitgehende Gleichstellung der sonn- und feiertäglichen Verhältnisse mit den Werktagen und ihrer Betriebsamkeit hinauslaufen.

Bei flächen­de­ckender und den gesamten Einzelhandel erfassenden Freigabe der Ladenöffnung müssen rechtfertigende Gründe vorliegen

Dem Regel-Ausnahme-Gebot kommt generell umso mehr Bedeutung zu, je geringer das Gewicht derjenigen Gründe ist, zu denen der Sonn- und Feiertagsschutz ins Verhältnis gesetzt wird und je weiter­grei­fender die Freigabe der Verkaufs­stel­len­öffnung in Bezug auf das betroffene Gebiet sowie die einbezogenen Handelssparten und Warengruppen ausgestaltet ist. Deshalb müssen bei einer flächen­de­ckenden und den gesamten Einzelhandel erfassenden Freigabe der Ladenöffnung rechtfertigende Gründe von besonderem Gewicht vorliegen, wenn mehrere Sonn- und Feiertage in Folge über jeweils viele Stunden hin freigegeben werden sollen.

Ladenöffnung prägt wegen öffentlicher Wirkung Charakter eines Tages in besonderer Weise

Bei der Einordnung und Bewertung der Durchbrechungen der Arbeitsruhe an Sonn- und Feiertagen kommt der Ladenöffnung großes Gewicht zu. Das Erreichen des Ziels des Sonntags­schutzes - des religiös wie des weltlich motivierten - setzt das Ruhen der typischen werktäglichen Geschäftigkeit voraus. Gerade die Ladenöffnung prägt wegen ihrer öffentlichen Wirkung den Charakter des Tages in besonderer Weise. Von ihr geht eine für jedermann wahrnehmbare Geschäftigkeits- und Betrie­b­s­am­keits­wirkung aus, die typischerweise den Werktagen zugeordnet wird. Dadurch werden notwendig auch diejenigen betroffen, die weder arbeiten müssen noch einkaufen wollen, sondern Ruhe und seelische Erhebung suchen, namentlich auch die Gläubigen christlicher Religionen und die Religi­o­ns­ge­mein­schaften selbst, nach deren Verständnis der Tag ein solcher der Ruhe und der Besinnung ist. Dem Bedarfsdeckungs- und Versor­gung­s­a­r­gument kommt wegen der fast vollständigen Freigabe der werktäglichen Öffnungszeiten (24-Stunden-Öffnung) in Berlin an Sonn- und Feiertagen nur noch geringe Bedeutung zu.

Metro­pol­funktion Berlins kein ausreichender Grund für Sonderregelung

Die Besonderheit der Berliner Advents­sonn­tags­re­gelung (§ 3 Abs. 1 Alternative 2 BerlLadÖffG) besteht darin, dass schon kraft Gesetzes ohne irgendeine weitere Voraussetzung vier Sonntage in Folge für die Dauer von jeweils sieben Stunden zur Ladenöffnung freigegeben werden. Diese Vorschrift hält der Anforderung, dass die Sonntagsruhe die Regel ist, nicht stand, weil sie einen in sich geschlossenen Zeitblock von etwa einem Zwölftel des Jahres vollständig vom Grundsatz der Arbeitsruhe ausnimmt. Daran ändert der allgemein gehaltene Hinweis in der Geset­zes­be­gründung auf die Metro­pol­funktion Berlins nichts. Auch darin spiegeln sich lediglich bloße Umsatz- und Erwer­b­s­in­teressen wider. Der Sache nach läuft die Regelung mithin darauf hinaus, den Sonn- und Feiertagsschutz für die Dauer eines Monates für die Verkaufsstellen, die den äußeren Charakter des Tages auch angesichts der Zahl der unmittelbar wie mittelbar Betroffenen und der Öffent­lich­keits­wirkung maßgeblich prägen, aufzuheben, ohne dass für eine derart intensive Beein­träch­tigung eine hinreichend gewichtige Begründung gegeben würde oder sonst erkennbar wäre, die dem verfas­sungs­recht­lichen Rang des Sonntags­schutzes gerecht werden könnte.

Umsatz- und Erwer­b­s­in­teresse rechtfertigt keine Ausnahme von der Arbeitsruhe

Die weitere Regelung, wonach die Senats­ver­waltung im öffentlichen Interesse ausnahmsweise die Öffnung von Verkaufsstellen an höchstens vier (weiteren) Sonn- oder Feiertagen durch Allge­mein­ver­fügung zulassen kann (§ 6 Abs. 1 BerlLadÖffG), ist mit dem Grundrecht der Beschwer­de­führer aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG in Verbindung mit Art. 140 GG und Art. 139 WRV bei einschränkender Auslegung vereinbar. Hinsichtlich der Zahl von vier Tagen lässt sich gegen die Regelung im Blick auf die Gesamtzahl von regelhaft 52 Sonntagen im Jahr und von insgesamt neun je nicht zwingend auf einen Sonntag fallenden weiteren Feiertagen nichts erinnern, zumal bestimmte Feiertage von dieser Öffnungs­mög­lichkeit ausgenommen sind. Da die Freigabe zudem durch Allge­mein­ver­fügung erfolgt, bedarf es einer Verwal­tungs­ent­scheidung, die die Möglichkeit eröffnet, die jeweils betroffenen Interessen und Rechtsgüter konkret in eine Abwägung einzubeziehen. Den verfas­sungs­recht­lichen Bedenken gegenüber der allgemein gehaltenen Voraussetzung für die Ausnah­me­re­gelung, dass die Öffnung „im öffentlichen Interesse“ liegt, kann durch eine die Wertung des Art. 139 WRV berück­sich­tigende Auslegung Rechnung getragen werden. Eine solche Auslegung verlangt ein öffentliches Interesse solchen Gewichts, das die Ausnahmen von der Arbeitsruhe rechtfertigt, wobei auch insoweit das alleinige Umsatz- und Erwer­b­s­in­teresse auf Seiten der Verkaufs­stel­le­n­inhaber und das alltägliche „Shoppin­g­in­teresse“ auf der Kundenseite nicht genügt. Darüber hinaus bedürfen diese Öffnungs­mög­lich­keiten durch Allge­mein­ver­fügung bei verfas­sungs­kon­former Auslegung einer uhrzeitlichen Eingrenzung, die die Vorschrift selbst nicht ausdrücklich vorsieht.

Die weiteren angegriffenen Bestimmungen, die das Schutzkonzept des Landes­ge­setz­gebers mit Ausnahmen versehen, begegnen keinen verfas­sungs­recht­lichen Bedenken.

Adventssonntage im Jahr 2009 weiterhin verkaufsoffene Sonntage

Die Regelung zur Öffnung der Verkaufsstellen an allen vier Advents­sonntagen bleibt trotz der Feststellung der Verfas­sungs­wid­rigkeit unter Berück­sich­tigung der Berufs­aus­übungs­freiheit der Verkaufs­stel­le­n­inhaber, ihres in die Regelung gesetzten Vertrauens und der von ihnen für die Vorweih­nachtszeit des Jahres 2009 getroffenen Dispositionen in diesem Jahr noch anwendbar. Ob und wie der Berliner Landes­ge­setzgeber seine Schutz­kon­zeption anpasst, obliegt seiner Gestal­tungsmacht nach Maßgabe der Grundsätze dieser Entscheidung.

Die Entscheidung ist zur Beschwer­de­be­fugnis der Religi­o­ns­ge­mein­schaften und zur Konkretisierung des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG durch Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 139 WRV mit 5 : 3 Stimmen, hinsichtlich der Anforderungen des Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 139 WRV einstimmig ergangen.

Quelle: ra-online, BVerfG

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