21.11.2024
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Bundesverfassungsgericht Beschluss26.12.2013

Über Entschädigungs­pflicht des Staates wegen Menschenwürde­verletzungen darf nicht bereits im Prozess­kos­tenhilfe­verfahren entschieden werdenAblehnung des Antrags auf Gewährung von Prozess­kos­tenhilfe zur Geltendmachung von Amtshaftungs­ansprüchen war nicht rechtmäßig

Über die Entschädigungs­pflicht des Staates wegen Menschenwürde­verletzungen darf nicht ohne Weiteres bereits im Prozess­kos­tenhilfe­verfahren entschieden werden. Dies geht aus einer Entscheidung des Bundes­ver­fassungs­gerichts hervor, die an die bestehende Rechtsprechung zu den Grenzen des Prozess­kos­tenhilfe­verfahrens anknüpft. In Fällen der Menschenwürde­verletzung bedarf die Ablehnung einer Geldent­schä­digung in der Regel einer Prüfung und Abwägung im gerichtlichen Erkennt­nis­ver­fahren, da die Schwelle zur Entschädigungs­pflicht generell niedriger anzusetzen ist als bei bloßen Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeits­rechts. Für die konkret vorliegende Konstellation fehlt es an oberge­richt­licher Rechtsprechung, die für die Begründung der Ablehnung hätte herangezogen werden können.

Dem vorzuliegenden Fall liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Der Beschwer­de­führer, der eine lebenslange Freiheitsstrafe wegen Mordes mit anschließender Siche­rungs­ver­wahrung verbüßt, wurde im November 2009 wegen plötzlich auftretender krampfartiger Schmerzen im Unterleib von mehreren Justiz­voll­zugs­be­diensteten in eine Klinik verbracht. Ihm wurden dabei Hand- und Fußfesseln angelegt, die auch während der Behandlung in der Klinik nicht abgenommen wurden. Im Beisein der Justiz­voll­zugs­be­diensteten und von Polizeibeamten wurden ihm im Behand­lungs­zimmer mehrere Einläufe verabreicht. Dabei wurde ihm nicht gestattet, im Anschluss daran die im Behand­lungs­zimmer befindliche fensterlose Toilette aufzusuchen. Vielmehr musste er seine Notdurft im Beisein der Beamten im Behand­lungs­zimmer auf einem Toilettenstuhl verrichten.

Fortdauernde Fesselung anlässlich des Kranken­haus­auf­ent­haltes war rechtswidrig

Die Straf­voll­stre­ckungs­kammer stellte rechtskräftig fest, dass die Siche­rungs­maß­nahmen, insbesondere die fortdauernde Fesselung des Beschwer­de­führers anlässlich des Kranken­haus­auf­ent­haltes, rechtswidrig waren.

LG und OLG lehnten Antrag auf Prozess­kos­tenhilfe zur Geltendmachung von Amtshaf­tungs­ansprüchen ab

Zur Geltendmachung von Amtshaf­tungs­ansprüchen stellte der Beschwer­de­führer einen Antrag auf Prozesskostenhilfe. Diesen Antrag lehnten Land- und Oberlan­des­gericht mangels hinreichender Erfolgsaussicht ab. Die Fesselung habe zwar einen erheblichen Eingriff in das allgemeine Persön­lich­keitsrecht und auch in die Menschenwürde des Beschwer­de­führers dargestellt; dieser sei jedoch durch die Entscheidung der Straf­voll­stre­ckungs­kammer auch ohne Geldentschädigung hinreichend ausgeglichen.

Verletzung des Anspruchs auf Rechts­schutz­gleichheit

Die Verfas­sungs­be­schwerde ist zulässig und offensichtlich begründet. Die angegriffene Entscheidung des Oberlan­des­ge­richts verletzt den Beschwer­de­führer in seinem Anspruch auf Rechts­schutz­gleichheit aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG und ist daher aufzuheben.

Schwierige Rechtsfragen dürfen im Prozess­kos­ten­hil­fe­ver­fahren nicht "durch­ent­schieden" werden

Es läuft dem Gebot der Rechts­schutz­gleichheit zuwider, wenn ein Fachgericht das Zivil­pro­zessrecht dahingehend auslegt, dass auch schwierige, noch nicht geklärte Rechtsfragen im Prozess­kos­ten­hil­fe­ver­fahren „durch­ent­schieden“ werden können. Dies ist der Fall, wenn Prozess­kos­tenhilfe für eine maßgeblich von einer Einzel­fa­ll­be­trachtung abhängige, von der Rechtsprechung noch nicht geklärte Entschä­di­gungsfrage wegen einer - vom Fachgericht selbst als gegeben erachteten - Menschenwürdeverletzung versagt wird.

Noch keine oberge­richtliche Rechtsprechung, wann eine Entschä­di­gungs­pflicht besteht

Zwar ist in der fachge­richt­lichen Rechtsprechung abstrakt geklärt, dass auch bei Verletzungen der Menschenwürde nicht in jedem Falle eine Wieder­gut­machung durch Geldent­schä­digung auszugleichen ist. Zur Frage, wann eine Entschädigungspflicht besteht, gibt es jedoch noch keine oberge­richtliche Rechtsprechung, die vorliegend zur abschließenden Bewertung bereits im summarischen Verfahren herangezogen werden könnte. Diese Prüfung in das Prozess­kos­ten­hil­fe­ver­fahren vorzuverlegen und damit eine bloß summarische Prüfung an die Stelle des Erkennt­nis­ver­fahrens treten zu lassen überspannt die Anforderungen an die Erfolgs­aus­sichten im Prozess­kos­ten­hil­fe­ver­fahren. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass in Fällen der Menschen­wür­de­ver­letzung die entschä­di­gungs­pflichtige Erheb­lich­keits­schwelle niedriger als bei bloßen Verletzungen des allgemeinen Persön­lich­keits­rechts anzusetzen ist.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

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