21.11.2024
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Bundesverfassungsgericht Beschluss18.03.2013

Stich­tags­re­gelung für erbrechtliche Gleichstellung der vor dem 1. Juli 1949 geborenen nichtehelichen Kinder ist verfas­sungsgemäßÜberg­angs­re­gelung des Zweiten Erbrechts­gleich­stel­lungs­ge­setzes nicht zu beanstanden

Die Stich­tags­re­gelung für die erbrechtliche Gleichstellung der vor dem 1. Juli 1949 geborenen nichtehelichen Kinder ist verfas­sungsgemäß. Mit der Entscheidung des Gesetzgebers, die vollständige erbrechtliche Gleichstellung der vor dem 1. Juli 1949 geborenen nichtehelichen Kinder auf Erbfälle ab dem 29. Mai 2009 zu beschränken, hat er seinen Spielraum bei der Gestaltung von Stichtags- und anderen Überg­angs­vor­schriften nicht überschritten. Dies entschied das Bundes­ver­fas­sungs­gericht.

Die Beschwer­de­führer des zugrunde liegenden Falls sind jeweils vor dem 1. Juli 1949 geborene nichteheliche Kinder. Sie machen Rechte aus Erbfällen vor dem 29. Mai 2009 geltend.

Hintergrund

Nach der ursprünglichen Fassung des Bürgerlichen Gesetzbuchs stand nichtehelichen Kindern ein gesetzliches Erbrecht oder ein Pflicht­teilsrecht nur gegenüber ihrer Mutter und den mütterlichen Verwandten zu. Ein Verwandt­schafts­ver­hältnis zwischen nichtehelichen Kindern und ihrem Vater bestand nicht. Die letztgenannte Regelung hat der Gesetzgeber mit Wirkung zum 1. Juli 1970 aufgehoben (Gesetz über die rechtliche Stellung nichtehelicher Kinder vom 19. August 1969 - NEhelG, BGBl I S. 1243). Nach der Übergangsregelung des Art. 12 Nr. I § 10 NEhelG galt jedoch für die vor dem 1. Juli 1949 geborenen Kinder das alte Recht fort. Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hatte diese Überg­angs­re­gelung mehrfach zu überprüfen und hielt sie für noch verfas­sungsgemäß.

Europäische Gerichtshof für Menschenrechte rügt Verletzung der Menschen­rechts­kon­vention

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sah hierin jedoch eine Verletzung von Art. 14 in Verbindung mit Art. 8 der Europäischen Menschen­rechts­kon­vention (Urteil vom 28. Mai 2009 - 3545/04 -, Brauer/Deutschland).

Gesetzgeber passt Überg­angs­re­gelung an

Der Gesetzgeber nahm dieses Urteil zum Anlass, die vorgenannte Überg­angs­re­gelung anzupassen (Zweites Erbrechts­gleich­stel­lungs­gesetz vom 12. April 2011 - ZwErbGleichG, BGBl I S. 615). Für Erbfälle vor dem 29. Mai 2009, bei denen der Nachlass nicht an den Staat gefallen war, blieb es jedoch beim Stichtag 1. Juli 1949.

Sachverhalt im Verfahren 1 BvR 2436/11

Im Verfahren 1 BvR 2436/11 begehrt der 1943 geborene Beschwer­de­führer die Erteilung eines Allei­ner­b­scheins. Er ist das einzige Kind des 2007 verstorbenen Erblassers, der die Vaterschaft im Jahr 1944 anerkannt hat. Sein Antrag blieb im Ausgangs­ver­fahren in allen Instanzen erfolglos.

Sachverhalt im Verfahren 1 BvR 3155/11

Im Verfahren 1 BvR 3155/11 macht der 1940 geborene Beschwer­de­führer Pflicht­teils­ansprüche geltend. Der 2006 verstorbene Erblasser wurde zunächst 1941 und sodann nochmals 1949 zur Zahlung von Kindesunterhalt für den Beschwer­de­führer verurteilt. Testa­men­ta­rische Alleinerbin ist die Tochter des Erblassers aus einer späteren Ehe. Die gegen sie gerichtete Klage blieb im Ausgangs­ver­fahren in allen Instanzen erfolglos.

Anwendung der Überg­angs­re­gelung des Zweiten Erbrechts­gleich­stel­lungs­ge­setzes nicht zu beanstanden

Die Verfas­sungs­be­schwerden sind nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen. Sie sind nicht begründet, da die Überg­angs­re­gelung des Zweiten Erbrechts­gleich­stel­lungs­ge­setzes verfas­sungsgemäß ist und ihre Anwendung durch die ordentlichen Gerichte in den vorliegenden Fällen von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden ist.

Neuregelung bietet keine Differenzierung innerhalb der Gruppe der nichtehelichen Kinder

Der Prüfungsmaßstab ist in erster Linie aus Art. 6 Abs. 5 GG zu entnehmen. Dieses Grundrecht enthält eine Wertent­scheidung, die der Gesetzgeber auch im Rahmen des allgemeinen Gleich­heits­satzes zu beachten hat. Diese Wertent­scheidung kann auch dann verfehlt werden, wenn die gesetzliche Regelung einzelne Gruppen nichtehelicher Kinder im Verhältnis zu anderen Gruppen schlechter stellt. Eine tatbestandliche Differenzierung innerhalb der Gruppe der nichtehelichen Kinder findet sich in der Neuregelung nicht mehr. Zu prüfen bleibt indes, ob die Abgrenzung des zeitlichen Anwen­dungs­be­reichs des alten und des neuen Rechts mit dem allgemeinen Gleichheitssatz vereinbar ist.

Ungleich­be­handlung nur noch von geringerer Intensität

Mit dem Zweiten Erbrechts­gleich­stel­lungs­gesetz wird primär nicht mehr nach einem persönlichen Merkmal - dem Geburtsdatum -, sondern nach einem zufälligen, von außen kommenden Ereignis - dem Datum des Erbfalls - differenziert, so dass die Ungleich­be­handlung nunmehr von geringerer Intensität ist.

Gesetzgeber muss bei Überg­angs­vor­schriften den ihm zukommenden Spielraum in sachgerechter Weise nutzten

Die verfas­sungs­rechtliche Prüfung von Stichtags- und anderen Überg­angs­vor­schriften muss sich auf die Frage beschränken, ob der Gesetzgeber den ihm zukommenden Spielraum in sachgerechter Weise genutzt hat, ob er die für die zeitliche Anknüpfung in Betracht kommenden Faktoren hinreichend gewürdigt hat und die gefundene Lösung sich im Hinblick auf den gegebenen Sachverhalt und das System der Gesamtregelung durch sachliche Gründe rechtfertigen lässt oder als willkürlich erscheint.

Gesetzgeber muss einen mit dem Grundgesetz unvereinbaren Rechtszustand nicht zwingend rückwirkend beseitigen

Im Übrigen entspricht es der Rechtsprechung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts, dass der Gesetzgeber einen mit dem Grundgesetz unvereinbaren Rechtszustand nicht rückwirkend beseitigen muss, wenn die Verfas­sungs­rechtslage bisher nicht hinreichend geklärt war. Dies muss erst recht in einem Fall wie dem vorliegenden gelten, in dem die Verfas­sungs­mä­ßigkeit der bisherigen Rechtslage mehrfach durch das Bundes­ver­fas­sungs­gericht ausdrücklich bestätigt wurde.

Gesetzgeber hat die für und gegen die getroffene Regelung sprechenden sachlichen Argumente sorgfältig abgewogen

Den hiernach eröffneten Spielraum hat der Gesetzgeber nicht überschritten. Wie sich aus den Geset­zes­ma­te­rialien ergibt, hat er im Laufe des Gesetz­ge­bungs­ver­fahrens die für und gegen die getroffene Regelung sprechenden sachlichen Argumente sorgfältig abgewogen. Insbesondere hat der Gesetzgeber grundsätzlich berücksichtigt, dass dem Schutz des Vertrauens der Väter nichtehelicher Kinder und deren erbberechtigter Familien­an­ge­hörigen nach der Entscheidung des Gerichtshofs vom 28. Mai 2009 nicht mehr der gleiche Stellenwert zukommen konnte wie bisher angenommen. Allerdings müsse dann anderes gelten, wenn der Erbfall bereits eingetreten und damit das Vermögen des Erblassers bereits im Wege der Gesamt­rechts­nachfolge auf die nach geltendem Recht berufenen Erben übergegangen sei, da eine Entziehung dieser Rechtsstellung eine echte Rückwirkung bedeutet hätte, die verfas­sungs­rechtlich nur in engen Ausnahmefällen möglich sei.

Der Gesetzgeber war auch nicht durch die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 28. Mai 2009 gehalten, eine weitergehende Rückwirkung vorzusehen. Der Gerichtshof hat bereits im Jahr 1979 klargestellt, dass Handlungen oder Rechtslagen, die vor der Verkündung eines Urteils lägen, nicht in Frage gestellt werden müssten; dies folge aus dem Prinzip der Rechts­si­cherheit.

Gerichte mussten Neuregelung nicht über deren Wortlaut hinaus rückwirkend auf Fälle der Beschwer­de­führer anwenden

Die Auslegung und Anwendung der Überg­angs­re­gelung durch die ordentlichen Gerichte in den vorliegenden Fällen ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden. Es ist nicht ersichtlich, dass die Gerichte aus verfas­sungs­recht­licher Sicht gehalten gewesen wären, die Neuregelung über ihren Wortlaut hinaus rückwirkend auf die Fälle der Beschwer­de­führer anzuwenden. Ob eine solche teleologische Erweiterung in bestimmten Fällen, die in tatsächlicher Hinsicht dem durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte im Urteil vom 28. Mai 2009 entschiedenen vergleichbar waren, in Betracht kommt, kann offen bleiben. Die Ausgangs­ver­fahren bieten zur abschließenden Beantwortung dieser Frage keinen Anlass.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

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