18.10.2024
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Sie sehen einen Teil der Glaskuppel und einen Turm des Reichstagsgebäudes in Berlin.

Dokument-Nr. 31927

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Bundesverfassungsgericht Beschluss24.05.2022

Verfassungs­beschwerde wegen unterlassenem Vorab­entscheidungs­ersuchen an den EuGH erfolglosBGH musste EuGH nicht anrufen

Das Bundes­verfassungs­gericht hat eine Verfassungs­beschwerde wegen Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz) nicht zur Entscheidung angenommen. Sie betrifft die Frage, ob der Bundes­ge­richtshof mit der Anerkennung einer urheber­recht­lichen Vergü­tungs­pflicht für direkt an gewerbliche Endkunden veräußerte PCs das Recht des Beschwer­de­führers auf den gesetzlichen Richter nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz (GG) verletzt hat, weil die Entscheidung ohne Durchführung eines Vorab­entscheidungs­ersuchens gemäß Art. 267 Abs. 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) an den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) erging.

Gegenstand des fachge­richt­lichen Ausgangs­ver­fahrens war der Abschluss eines Gesamtvertrages zwischen dem Beschwer­de­führer, eine Nutzer­ver­ei­nigung im Sinne der §§ 8, 35 Verwer­tungs­ge­sell­schafts­gesetz, und den zuständigen Verwer­tungs­ge­sell­schaften der Urheber zur Regelung der urheber­recht­lichen Vergütungspflicht für PCs. Zentraler Streitpunkt war die Frage, ob sich die urheber­rechtliche Vergü­tungs­pflicht auch auf PCs erstreckt, die unmittelbar an gewerbliche Endkunden veräußert werden. Das Oberlan­des­gericht wies die Klage des Beschwer­de­führers ab und setzte auf Widerklage der Verwer­tungs­ge­sell­schaften einen Gesamtvertrag fest, der auch eine Vergü­tungs­pflicht für direkt an gewerbliche Endkunden gelieferte PCs umfasste. Der Bundes­ge­richtshof wies die hiergegen gerichtete Revision des Beschwer­de­führers zurück. Der Beschwer­de­führer rügt eine Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter, weil der Bundes­ge­richtshof ohne Durchführung eines Vorab­ent­schei­dungs­er­suchens zur Auslegung des Art. 5 Abs. 2 Buchstabe b der Richtlinie 2001/29/EG an den EuGH entschieden hat.

Nichtvorlage wegen Annahme geklärter Rechtsprechung vertretbar

Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Die Verfas­sungs­be­schwerde hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Der Beschwer­de­führer zeigt nicht auf, dass der Bundes­ge­richtshof seine Vorlagepflicht gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV im Ausgangs­ver­fahren in nicht mehr vertretbarer Weise gehandhabt und durch das Unterlassen der Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union die Gewährleistung des gesetzlichen Richters nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt hat. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist ein nationales letzt­in­sta­nz­liches Gericht zur Vorlage verpflichtet, wenn sich in einem bei ihm schwebenden Verfahren eine Frage des Unionsrechts stellt, es sei denn, das Gericht hat festgestellt, dass diese Frage nicht entschei­dungs­er­heblich ist, dass die betreffende unions­rechtliche Bestimmung bereits Gegenstand einer Auslegung durch den Gerichtshof der Europäischen Union war oder dass die richtige Anwendung des Unionsrechts derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt. Ein nationales Gericht darf einen vernünftigen Zweifel an der Entscheidung der gestellten Frage nur verneinen, wenn es überzeugt ist, dass auch für die Gerichte der übrigen Mitgliedstaaten und den Gerichtshof die gleiche Gewissheit besteht. Der Bundes­ge­richtshof hat die Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV weder grundsätzlich verkannt noch bestehen Anhaltspunkte dafür, dass er in den angegriffenen Entscheidungen ohne Vorla­ge­be­reit­schaft bewusst von der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union abgewichen wäre. Er hat zwar die unions­rechtliche Vorlagepflicht in Erwägung gezogen, aber angenommen, dass die Anwendung der urheber­recht­lichen Vergü­tungs­re­gelung auch auf unmittelbar an gewerbliche Endkunden veräußerte PCs im Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union stehe und die Rechtslage unter Berück­sich­tigung der bisherigen Rechtsprechung des Gerichtshofs geklärt sei. Diese Annahme traf der BGH auch nicht in unvertretbarer Weise.

Kenntnis über abweichende Gericht­s­ent­scheidung des Öster­rei­chischen Obersten Gerichtshofs nicht dargelegt

Zwar ist angesichts der divergierenden Rechtsprechung des Öster­rei­chischen Obersten Gerichtshofs zweifelhaft, ob hinsichtlich einer grundsätzlichen Erstreckung der Vergü­tungs­pflicht auf gewerbliche Geräteabnehmer von einer unions­recht­lichen Rechtslage auszugehen ist, die eindeutig oder in einer Weise geklärt ist, die keinen vernünftigen Zweifel offenlässt. Wenn dem in letzter Instanz entscheidenden einzel­staat­lichen Gericht das Vorliegen voneinander abweichender Gericht­s­ent­schei­dungen – von Gerichten ein und desselben Mitgliedstaats oder zwischen Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten – zur Auslegung einer auf den Ausgangs­rechtsstreit anwendbaren Vorschrift des Unionsrechts zur Kenntnis gebracht wird, muss es bei seiner Beurteilung der Frage, ob es an einem vernünftigen Zweifel in Bezug auf die richtige Auslegung der fraglichen Unions­rechts­vor­schrift fehlt, besonders sorgfältig sein und dabei insbesondere das mit dem Vorab­ent­schei­dungs­ver­fahren angestrebte Ziel berücksichtigen, die einheitliche Auslegung des Unionsrechts zu gewährleisten. Hier trägt der Beschwer­de­führer aber nicht vor, wann die nur kurze Zeit vor der Verkündung des angegriffenen Revisi­ons­urteils ergangene Entscheidung des Öster­rei­chischen Obersten Gerichtshofs veröffentlicht wurde, so dass anzunehmen wäre, dass der Bundes­ge­richtshof diese zum maßgeblichen Zeitpunkt der Urteils­ver­kündung gekannt hätte oder sie jedenfalls hätte kennen müssen.

Frage der Subsumtion nationalen Rechts unter Unionsrecht nicht vorlagefähig

Zudem stellte die Kammer klar, dass die durch den Beschwer­de­führer ebenfalls aufgeworfene Frage, ob die Generalklauseln im deutschen Recht die Anforderungen der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union an einen Anspruch auf Erstattung einer geleisteten Privat­ko­pie­ver­gütung stellt, als Frage der Subsumtion des nationalen Rechts unter das Unionsrecht schon nach dem Wortlaut des Art. 267 Abs. 1 Buchstabe a AEUV nicht vorlagefähig war. Kommt das höchste nationale Fachgericht – wie hier der Bundes­ge­richtshof – zu dem Ergebnis, dass das nationale Recht unter Einbeziehung seiner Generalklauseln so ausgelegt werden kann, dass es den unions­recht­lichen Erfordernissen gerecht wird, ergibt sich daraus keine vorlagefähige Rechtsfrage. Einer Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union bedürfe es nur, wenn unklar sei, wie die unions­recht­lichen Anforderungen zu verstehen sind.

Quelle: Bundesverfassungsgericht, ra-online (pm/ab)

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