21.11.2024
21.11.2024  
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Dokument-Nr. 33913

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Bundesverfassungsgericht Beschluss11.04.2024

Erfolgreiche Verfassungs­beschwerde eines Journalisten gegen die gerichtliche Untersagung einer kritischen Äußerung über die BundesregierungTweet war zulässige Meinung­s­äu­ßerung

Der Bundes­verfassungs­gericht hat der Verfassungs­beschwerde eines Journalisten stattgeben. Dieser wendet sich gegen eine einstweilige Verfügung, durch die ihm eine kritische Äußerung gegenüber der Bundesregierung untersagt wurde.

Am 25. August 2023 veröffentlichte das Online-Nachrich­ten­magazin (…) einen Artikel mit der Überschrift „Deutschland zahlt wieder Entwick­lungshilfe für Afghanistan“, in dem es unter anderem hieß: „Seit der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan vor zwei Jahren hat die Bundesregierung 371 Millionen Euro für Entwick­lungshilfe im Land bereitgestellt. (…).“ Etwa eine Stunde nach der Veröf­fent­lichung setzte der Beschwer­de­führer auf der Kommu­ni­ka­ti­o­ns­plattform „X“ eine zu diesem Artikel verlinkende Kurznachricht ab. Ihr Text lautete: „Deutschland zahlte in den letzten zwei Jahren 370 MILLIONEN EURO (!!!) Entwick­lungshilfe an die TALIBAN (!!!!!!). Wir leben im Irrenhaus, in einem absoluten, kompletten, totalen, historisch einzigartigen Irrenhaus. Was ist das nur für eine Regierung?!“. Am Ende seiner Kurznachricht fügte der Beschwer­de­führer den Internet-Link zu dem Artikel ein, dessen Überschrift „Deutschland zahlt wieder Entwick­lungshilfe für Afghanistan“ unterhalb des Links angezeigt wurde. Mit angegriffenem Beschluss vom 14. November 2023 untersagte das Kammergericht dem Beschwer­de­führer die Äußerung „Deutschland zahlte in den letzten zwei Jahren 370 MILLIONEN EURO (!!!) Entwick­lungshilfe an die TALIBAN (!!!!!!)“. Juristische Personen des öffentlichen Rechts könnten zivil­recht­lichen Ehrenschutz gegenüber Angriffen in Anspruch nehmen, durch die ihr Ruf in der Öffentlichkeit in unzulässiger Weise herabgesetzt werde. Ein solcher Ehrenschutz könne jedenfalls dann geltend gemacht werden, wenn die konkrete Äußerung geeignet sei, die juristische Person schwerwiegend in ihrer Funktion zu beeinträchtigen. So liege es hier. Durch die Äußerung des Beschwer­de­führers bestünde die Gefahr, dass bei der Bevölkerung der Eindruck entstehe, die Bundesregierung zahle Entwick­lungshilfe an ein Terrorregime, das die Rechte der Bevölkerung mit Füßen trete. Dies könne Zweifel in das Vertrauen der Arbeit der Bundesregierung und ihre Funkti­o­ns­fä­higkeit wecken. Durch den Beschluss des Kammergerichts sieht sich der Beschwer­de­führer in seinem Grundrecht auf Meinungsfreiheit verletzt.

Schutz vor Angriff, nicht vor Kritik

Die Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet. Die angegriffene Entscheidung verletzt den Beschwer­de­führer in seinem Grundrecht auf Meinungs­freiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG. Dem Staat kommt kein grundrechtlich fundierter Ehrenschutz zu. Der Staat hat grundsätzlich auch scharfe und polemische Kritik auszuhalten. Zwar dürfen grundsätzlich auch staatliche Einrichtungen vor verbalen Angriffen geschützt werden, da sie ohne ein Mindestmaß an gesell­schaft­licher Akzeptanz ihre Funktion nicht zu erfüllen vermögen. Ihr Schutz darf indessen nicht dazu führen, staatliche Einrichtungen gegen öffentliche Kritik – unter Umständen auch in scharfer Form – abzuschirmen, die von dem Grundrecht der Meinungs­freiheit in besonderer Weise gewährleistet werden soll, und der zudem das Recht des Staates gegenübersteht, fehlerhafte Sachdar­stel­lungen oder diskri­mi­nierende Werturteile klar und unmiss­ver­ständlich zurückzuweisen. Das Gewicht des für die freiheitlich-demokratische Ordnung schlechthin konsti­tu­ie­renden Grundrechts der Meinungs­freiheit ist dann besonders hoch zu veranschlagen, da es gerade aus dem besonderen Schutzbedürfnis der Machtkritik erwachsen ist und darin unverändert seine Bedeutung findet. Voraussetzung jeder rechtlichen Würdigung von Äußerungen ist, dass ihr Sinn zutreffend erfasst worden ist. Auszugehen ist stets vom Wortlaut der Äußerung. Dieser legt ihren Sinn aber nicht abschließend fest. Er wird vielmehr auch von dem sprachlichen Kontext, in dem die umstrittene Äußerung steht, und den Beglei­t­um­ständen, unter denen sie fällt, bestimmt, soweit diese für die Rezipienten erkennbar waren. Bedeutung und Tragweite der Meinungs­freiheit sind verkannt, wenn die Gerichte eine Äußerung unzutreffend als Tatsa­chen­be­hauptung, Formal­be­lei­digung oder Schmähkritik im verfas­sungs­recht­lichen Sinne einstufen mit der Folge, dass sie dann nicht im selben Maß am Schutz des Grundrechts teilnimmt wie Werturteile ohne beleidigenden oder schmähenden Charakter.

Meinungs­freiheit schützt auch Vermengung von Tatsachen und Meinungen

Hieran gemessen, verstößt die Entscheidung des Kammergerichts gegen das Grundrecht der Meinungs­freiheit, da sie den Sinn der angegriffenen Äußerung und deren Charakter einer Meinung­s­äu­ßerung erkennbar verfehlt. Aus der Sicht eines Durch­schnitts­lesers war es bereits angesichts der wiedergegebenen Vorschau des verlinkten Artikels ein hervor­ste­chendes Anliegen des Beschwer­de­führers, zwischen seiner Kurznachricht und einem hiermit verlinkten Nachrich­ten­artikel einen inhaltlichen Bezug herzustellen. Wird für die Kontext­be­stimmung einer Äußerung eine hierin für den Rezipienten erkennbar in Bezug genommene, inhaltlich sogar unmittelbar wahrnehmbare Schlagzeile eines Nachrich­ten­ar­tikels ausgeblendet, verfehlt bereits dies die verfas­sungs­recht­lichen Anforderungen an die Deutung umstrittener Äußerungen. Das war hier der Fall. Indem das Kammergericht für seine Beurteilung die in der Kurznachricht wiedergegebene Schlagzeile „Deutschland zahlt wieder Entwick­lungshilfe für Afghanistan“ ausblendet, verharrt seine Sinndeutung auf einer isolierten Betrachtung des Kurznach­rich­ten­textes. Auch zieht es nicht in Erwägung, ob die Annahme einer Tatsa­chen­be­hauptung angesichts der wiedergegebenen Schlagzeile „Deutschland zahlt wieder Entwick­lungshilfe für Afghanistan“ als fernliegend auszuscheiden und aus der Sicht eines Durch­schnitts­lesers allein die zugespitzte Meinung­s­äu­ßerung anzunehmen sei, mit einer Zahlung von „Entwick­lungshilfe für Afghanistan“ zahle Deutschland faktisch „Entwick­lungshilfe an die Taliban“. Zugleich verliert das Kammergericht aus dem Blick, dass die Kritik an der Bundesregierung als Äußerung, die durch Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens und Meinens geprägt ist, auch dann als Meinung­s­äu­ßerung geschützt wird, wenn sich in ihr Tatsachen und Meinungen vermengten, und dass weder die Bundesregierung Zahlungen von Entwick­lungshilfe „für Afghanistan“ in Abrede stellt, noch die angegriffene Entscheidung in Zweifel zieht, dass die Gefahr ihres mittelbaren Zugutekommens an die Machthaber in Afghanistan besteht.

Quelle: Bundesverfassungsgericht, ra-online (pm/ab)

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