23.11.2024
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Urteil11.09.2007Bundesverfassungsgericht1 BvR 2270/05; 1 BvR 809/06; 1 BvR 830/06
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Bundesverfassungsgericht Urteil11.09.2007

Grundsatzurteil: Staat darf keinen Einfluss auf Rundfunk­ge­bühren habenVerfas­sungs­be­schwerden von ARD und ZDF gegen Festsetzung der Gebühren erfolgreich

ARD, ZDF und Deutschlandfunk haben erfolgreich gegen die Bundesländer geklagt. Die zur Zeit geltende Rundfunkgebühr von 17,03 Euro im Monat sei in verfas­sungs­widriger Weise festgelegt worden, urteilte das Bundes­ver­fas­sungs­gericht. Da schon zum 1. Januar 2009 eine neue Gebührenperiode beginnt, sei es hinnehmbar, dass die jetzt geltende Monatsgebühr in Kraft bleibe. Allerdings müssen die öffentlich-rechtlichen Anstalten einen Ausgleich für die Mindereinnahmen erhalten.

Die Verfas­sungs­be­schwerden der ARD, des ZDF und des Deutsch­land­radios gegen die Festsetzung der Rundfunkgebühr für den Zeitraum 1. April 2005 bis 31. Dezember 2008 waren im Ergebnis erfolgreich. Die Gebüh­ren­fest­setzung, mit der der Gesetzgeber um 28 Cent unter der von der KEF empfohlenen Gebühr geblieben war (dies führt über den Zeitraum von vier Jahren voraussichtlich zu einer Verringerung der Erlöse der Rundfunk­an­stalten aus der Gebüh­re­n­er­höhung um rund 440 Millionen Euro), verletzt die Rundfunk­freiheit der Beschwer­de­führer. Die Gründe, auf die sich der Gesetzgeber für die Abweichung vom Gebüh­ren­vor­schlag der KEF beruft, haben teilweise bereits als solche vor der Rundfunk­freiheit keinen Bestand. In anderen Teilen sind sie nicht hinreichend nachvollziehbar oder gehen sogar von offensichtlich falschen Annahmen aus. Die entsprechenden Zustim­mungs­gesetze und Zustim­mungs­be­schlüsse der Länder zu Artikel 6 Nummer 4 des Achten Rundfun­k­än­de­rungs­staats­ver­trages sind daher verfassungswidrig. Dies entschied das Bundes­ver­fas­sungs­gericht.

Da die neue Periode schon am 1. Januar 2009 beginnt, ist es jedoch verfas­sungs­rechtlich hinnehmbar, bis dahin von einer Neufestsetzung der Gebühr abzusehen. Allerdings muss bei der neu festzusetzenden Gebühr gewährleistet werden, dass den Anstalten ein Ausgleich gewährt wird, falls ihnen auf der Grundlage der verfas­sungs­widrigen Festsetzung der Gebühr für die laufende Periode Mittel - etwa für nötige Investitionen - entgangen sein sollten, deren Bezug nach ihren früheren Bedarfs­an­mel­dungen und den Feststellungen der KEF bereits in dem verstrichenen Gebüh­ren­zeitraum erforderlich war, um die künftige Erfüllung des Rundfunk­auftrags sicherzustellen.

Erfolglos waren dagegen die Verfas­sungs­be­schwerden gegen die Ergänzung der Kriterien, nach denen die KEF die Bedarfs­an­mel­dungen der Rundfunk­an­stalten zu prüfen hat (§ 3 Abs. 1 Satz 2 Rundfunk­fi­nan­zie­rungs­staats­vertrag). Die neu eingefügten Kriterien der gesamt­wirt­schaft­lichen Entwicklung und der Entwicklung der Haushalte der öffentlichen Hand können verfas­sungs­konform dahingehend ausgelegt werden, dass sie nicht als zusätzlicher Prüfungs­ge­genstand zu demjenigen der zutreffenden Ermittlung des Finanzbedarfs hinzutreten sollen, sondern als Hilfskriterien für dessen nähere Bestimmung zu verstehen sind.

Hintergrund und Sachverhalt

Das Verfahren zur Festsetzung der Rundfunkgebühr wurde aufgrund des Gebührenurteils des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts vom 22. Februar 1994 (BVerfGE 90, 60) neu geregelt und auf eine gesetzliche Grundlage gestellt. Die Rundfunkgebühr wird seitdem in einem dreistufigen Verfahren festgesetzt. Auf der ersten Stufe melden die Rundfunk­an­stalten auf der Grundlage ihrer Program­ment­schei­dungen ihren Finanzbedarf an. Auf der zweiten Stufe prüft eine aus Fachleuten zusam­men­ge­setzte unabhängige Kommission (Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunk­an­stalten; KEF), ob sich die Program­ment­schei­dungen im Rahmen des Rundfunk­auf­trages halten und ob der daraus abgeleitete Finanzbedarf im Einklang mit den Grundsätzen der Wirtschaft­lichkeit und Sparsamkeit ermittelt worden ist. Die Kommission erstattet den Landes­re­gie­rungen mindestens alle zwei Jahre einen Bericht, in welchem sie die Finanzlage der Rundfunk­an­stalten darlegt und dazu Stellung nimmt, ob, wann und in welcher Höhe die Rundfunkgebühr neu festgesetzt werden sollte. Auf der dritten Stufe setzen die Länder die Gebühren fest.

Mit dem Achten Rundfun­k­än­de­rungs­staats­vertrag beschlossen die Länder, die Rundfunkgebühr zum 1. April 2005 um 88 Cent auf 17,03 Euro im Monat zu erhöhen (Art. 6 Nr. 4 des 8. RÄndStV). Sie blieben damit unter der Empfehlung der KEF, die eine Erhöhung zum 1. Januar 2005 um 1,09 Euro auf 17,24 Euro vorgeschlagen hatte. Die neue Gebühr gilt bis Ende 2008. Die Abweichung von dem Vorschlag der KEF wurde im Wesentlichen mit nicht hinreichend erschlossenen Einspa­r­po­ten­tialen auf Seiten der Rundfunk­an­stalten, dem Ziel der angemessenen Belastung der Gebührenzahler angesichts der angespannten wirtschaft­lichen Lage sowie der Gesamt­ent­wicklung des dualen Rundfunksystems und im Wettbewerb der Medien insgesamt begründet. Der Staatsvertrag wurde durch entsprechende Zustim­mungs­gesetze und -beschlüsse der Länder umgesetzt.

Durch die staats­ver­trag­lichen Regelungen (Art. 6 Nr. 2 des 8. RÄndStV) wurden auch die Kriterien erweitert, nach denen die KEF die Bedarfs­an­mel­dungen der Rundfunk­an­stalten zu prüfen hat. Derzeit hat die KEF unter anderem zu überprüfen, ob der von den Rundfunk­an­stalten angemeldete Finanzbedarf mit den Grundsätzen von Wirtschaft­lichkeit und Sparsamkeit im Einklang steht. Zusätzliches Prüfungs­kri­terium ist für die Gebüh­ren­fest­setzung ab dem 1. Januar 2009 auch die Frage, ob der von den Rundfunk­an­stalten angemeldete Finanzbedarf unter Berück­sich­tigung der gesamt­wirt­schaft­lichen Entwicklung und der Entwicklung der Haushalte der öffentlichen Hand ermittelt worden ist.

Vorbringen der Beschwer­de­führer

Die Beschwer­de­führer rügen eine Verletzung ihrer Rundfunk­freiheit. Der – im Interesse der Gewährleistung der Programm­au­tonomie der öffent­lich­recht­lichen Rundfunk­an­stalten bestehende – Grundsatz der Trennung zwischen allgemeinen medien­po­litschen Entscheidungen und Entscheidungen über die Rundfunkgebühr sei nicht beachtet. Die Länder seien zwar befugt, durch Struk­tur­re­formen Gestalt und Auftrag des öffent­lich­recht­lichen Rundfunks weiter zu entwickeln. Eine verfas­sungs­widrige Grenz­über­schreitung finde jedoch statt, wenn die Überlegungen zur Strukturreform inhaltlich mit dem Gebüh­ren­fest­set­zungs­ver­fahren verknüpft würden. Genau dies sei jedoch durch die Art und Weise geschehen, wie bei der Festlegung der Gebührenhöhe von der Empfehlung der KEF abgewichen wurde. Die Länder hätten die Vorgaben aus dem Rundfunkurteil des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts von 1994 nicht beachtet, wonach als Abwei­chungs­gründe im Wesentlichen nur Gesichtspunkte des Infor­ma­ti­o­ns­zugangs und der angemessenen Belastung der Rundfunk­teil­nehmer zulässig seien. Die in der Begründung zum Achten Rundfun­k­än­de­rungs­staats­vertrag aufgeführten Gründe seien nicht geeignet, eine Abweichung zu rechtfertigen, und genügten zudem angesichts ihrer Pauschalität nicht dem erforderlichen Mindestmaß an Nachvoll­zieh­barkeit. Ferner beruhe die Gebüh­ren­fest­setzung zum Teil auf fehlerhaften Annahmen.

Auch die Erstreckung des Prüfungs­auftrags der KEF auf die gesamt­wirt­schaftliche Entwicklung und die Entwicklung der Haushalte der öffentlichen Hand verletze die Rundfunk­freiheit. Der Finanzbedarf der Rundfunk­an­stalten sei eine Größe, die von der gesamt­wirt­schaft­lichen Entwicklung unabhängig zu beurteilen sei. Soweit der Finanzbedarf zur Erfüllung des verfas­sungs­recht­lichen Auftrags erforderlich sei, unterliege der Finanz­ge­währ­leis­tungs­an­spruch nicht der Disposition des Gesetzgebers. Dieser könne den Rundfunkauftrag möglicherweise neu definieren und auf diese Weise den Finanzbedarf reduzieren, nicht aber die Rundfunkgebühr, die sich auf Grund des Finanzbedarfs ergebe, unter Hinweis auf die gesamt­wirt­schaftliche Entwicklung kurzerhand kappen. Davon abgesehen überschreite die der KEF neu zugeordnete Aufgabe deren Fachkompetenz, da es bei der Bewertung des Einflusses der Wirtschaft­s­ent­wicklung auf die Gebüh­ren­emp­fehlung nicht um eine fachliche Frage, sondern bestenfalls um eine politische Bewertung gehe. Die KEF sei aber auf die fachliche Kontrolle begrenzt.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde

A. Gebüh­ren­fest­setzung

I. Der in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG enthaltene Auftrag zur Gewährleistung der Rundfunk­freiheit zielt auf eine Ordnung, die sicherstellt, dass die Vielfalt der bestehenden Meinungen im Rundfunk in möglichster Breite und Vollständigkeit Ausdruck findet. Angesichts der herausgehobenen Bedeutung, die dem Rundfunk unter den Medien wegen seiner Breitenwirkung, Aktualität und Suggestivkraft zukommt, hat das Bundes­ver­fas­sungs­gericht gesetzliche Vorkehrungen zum Schutz der publizistischen Vielfalt als geboten angesehen.

Die Erfor­der­lichkeit ausgestaltender gesetzlicher Regelungen zur Sicherung der Rundfunk­freiheit hat sich im Grundsatz durch die technologischen Neuerungen der letzten Jahre und die dadurch ermöglichte Vermehrung der Übertra­gungs­ka­pa­zitäten sowie die Entwicklung der Medienmärkte nicht geändert. Die neuen Technologien haben eine Vergrößerung und Ausdif­fe­ren­zierung des Angebots und der Verbrei­tungs­formen und -wege gebracht sowie neuartige programm­be­zogene Dienst­leis­tungen ermöglicht. Dadurch haben die Wirkungs­mög­lich­keiten des Rundfunks zusätzliches Gewicht erhalten. Der ökonomische Wettbewerb führt nicht automatisch dazu, dass für die Unternehmen publizistische Ziele im Vordergrund stehen oder dass in den Rundfunk­pro­grammen die Vielfalt der in einer Gesellschaft verfügbaren Informationen, Erfahrungen, Werthaltungen und Verhal­tens­muster abgebildet wird. Insbesondere die Werbe­fi­nan­zierung stärkt den Trend zur Masse­n­at­trak­tivität und zur Standa­r­di­sierung des Angebots. Auch bestehen Risiken einseitiger publizistischer Betätigung und damit Einflussnahme. Gefährdungen des Vielfaltsziels entstehen zudem infolge der Entwicklung der Medienmärkte und insbesondere des erheblichen Konzen­tra­ti­o­ns­drucks im Bereich privat­wirt­schaft­lichen Rundfunks.

Die duale Ordnung eines Nebeneinander von öffent­lich­recht­lichem und privat­wirt­schaft­lichem Rundfunk trägt zur Sicherung der Breite und Vielfalt des Programm­an­gebots bei. Während der Gesetzgeber für den privat­wirt­schaft­lichen Rundfunk im Wesentlichen auf Marktprozesse vertraut, unterliegt der öffent­lich­rechtliche Rundfunk besonderen normativen Erwartungen an sein Programmangebot. Die gesetzlichen Regelungen sollen es dem öffent­lich­recht­lichen Rundfunk ermöglichen, seinen klassischen Funkti­o­ns­auftrag zur Sicherung der Vielfalt des Angebots zu erfüllen, wobei die Entscheidung über die zur Erfüllung dieses Auftrags als nötig angesehenen Inhalte und Formen des Programms den Rundfunk­an­stalten zusteht. Damit der öffent­lich­rechtliche Rundfunk die ihm zukommende Funktion erfüllen kann, wird er vorrangig über öffent­lich­rechtliche Gebühren finanziert.

II. Die Festsetzung der Rundfunkgebühr muss frei von medien­po­li­tischen Zwecksetzungen erfolgen. Hierzu hat das Bundes­ver­fas­sungs­gericht in seinem Urteil vom 22. Februar 1994 Grundsätze aufgestellt, die weiter Bestand haben. Danach hat der Gesetzgeber sicherzustellen, dass die Gebüh­ren­fest­setzung die Rundfunk­freiheit nicht gefährdet und dazu beiträgt, dass die Rundfunk­an­stalten durch eine bedarfsgerechte Finanzierung ihren Funkti­o­ns­auftrag erfüllen können. Der Grundsatz der Trennung zwischen der medien­po­li­tischen Konkretisierung des Rundfunk­auftrags und der Gebüh­ren­fest­setzung soll Risiken einer mittelbaren Einflussnahme auf die Wahrnehmung des Programm­auftrags ausschließen und damit die Programm­freiheit der Rundfunk­an­stalten sichern. Um das Gebot der Trennung prozedural abzusichern, muss das Verfahren der Gebüh­ren­fest­setzung den Rundfunk­an­stalten unter Wahrung ihrer Programm­au­tonomie die erforderlichen finanziellen Mittel sichern und Einflussnahmen des Staates auf die Programm­ge­staltung wirksam ausschließen. Dem wird ein gestuftes Verfahren der Bedarfs­fest­stellung am ehesten gerecht. Die erste Stufe eines solchen Verfahrens bildet die Bedarfs­an­meldung der Rundfunk­an­stalten. Auf einer zweiten Verfahrensstufe ist im Interesse der mit der Gebühr belasteten Teilnehmer eine externe fachliche Kontrolle der Bedarfs­an­mel­dungen durch ein sachverständig zusam­men­ge­setztes Gremium erforderlich. Die abschließende Gebüh­ren­ent­scheidung als dritte Stufe des Verfahrens ist auf der Grundlage der überprüften und gegebenenfalls korrigierten Bedarfs­an­mel­dungen der Rundfunk­an­stalten zu treffen. Wer sie vornimmt und wie dies geschieht, ist Sache gesetzlicher Regelung.

III. Die staats­ver­trag­lichen Regelungen über das Verfahren der Gebüh­ren­fest­setzung, auf denen die angegriffene Gebüh­ren­ent­scheidung beruht, sind mit diesen verfas­sungs­recht­lichen Anforderungen vereinbar. Mit dem dreistufigen Verfahren aus Bedarfs­an­meldung der Rundfunk­an­stalten, Prüfung der Anmeldung und Bedarfs­fest­stellung durch das politisch unabhängige Fachgremium der KEF und abschließender Festsetzung der Gebühr durch den Rundfunk­ge­setzgeber ist den beschriebenen verfas­sungs­recht­lichen Anforderungen genügt.

IV. Nach den gesetzlichen Regelungen ist dem Gesetzgeber die abschließende Entscheidung über die Festsetzung der Gebührenhöhe vorbehalten. Diese ist auf der Grundlage des von der KEF ermittelten Finanzbedarfs zu treffen. Das schließt Abweichungen des Gesetzgebers von dem Gebüh­ren­vor­schlag der KEF nicht aus. Doch kommen dafür nur Gründe in Betracht, die vor der Rundfunk­freiheit Bestand haben; programmliche und medien­po­li­tische Zwecke scheiden in diesem Zusammenhang aus. Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat hierzu in seinem Urteil vom 22. Februar 1994 ausgeführt, dass sich die zulässigen Abwei­chungs­gründe im Wesentlichen in den beiden Gesichtspunkten der Sicherung des Infor­ma­ti­o­ns­zugangs und der angemessenen Belastung für die Gebührenzahler erschöpfen werden. Diese Abwei­chungs­gründe sind nicht abschließend gemeint, wenn sie sich auch mit Rücksicht auf die vom Gesetzgeber zu beachtenden Grundsätze der Programm­neu­tralität und Programm­ak­zes­so­rietät regelmäßig darin erschöpfen werden. Die Abwei­chungs­be­fugnis insbesondere unter dem Gesichtpunkt der angemessenen Belastung der Gebührenzahler und ihres Infor­ma­ti­o­ns­zugangs ermächtigt zur abwägenden Berück­sich­tigung gerade auch der wirtschaft­lichen Interessen der Gebührenzahler. Außerhalb des Rundfunks liegende Faktoren wie die allgemeine wirtschaftliche Lage, die Einkom­men­s­ent­wicklung oder sonstige Abgaben­be­las­tungen der Bürger darf der Gebüh­ren­ge­setzgeber im Rahmen der Abwei­chungs­be­fugnis berücksichtigen, soweit sie sich auf die finanzielle Belastung der Gebührzahler auswirken oder deren Zugang zur Information durch den Rundfunk gefährden.

Der fachlich ermittelte Finanzbedarf muss allerdings die Grundlage für die Festsetzung der Gebührenhöhe bleiben. Der Bedarfs­fest­stellung ist ein entsprechendes Gewicht beizumessen, das über das einer bloßen Entschei­dungshilfe hinausreicht. Daher sind für eine Abweichung vom Gebüh­ren­vor­schlag der KEF nachprüfbare Gründe anzugeben. Der Gesetzgeber hat die seine Abweichung recht­fer­ti­genden Tatsa­che­n­an­nahmen nachvollziehbar zu benennen und seine daran anknüpfende Bewertung offen zu legen. Anderenfalls könnte es nicht gelingen, in Gebüh­ren­ent­schei­dungen versteckte Eingriffe in die Programm­au­tonomie abzuwehren.

V. Die angegriffene Gebüh­ren­fest­setzung ist nach diesen Maßstäben mit der Rundfunk­freiheit der Beschwer­de­führer nicht vereinbar. Die genannten Gründe für die Abweichung vom Gebüh­ren­vor­schlag der KEF genügen den Anforderungen an eine Abweichung von der Bedarfs­fest­stellung nicht. (Insoweit ist die Entscheidung mit 7 : 1 Stimmen ergangen.)

1. Der zuerst genannte Abwei­chungsgrund der Berück­sich­tigung der angespannten wirtschaft­lichen Lage benennt zwar einen grundsätzlich zulässigen Abwei­chungs­ge­sichtspunkt. Die Landes­ge­setzgeber sind befugt, von der Bedarfs­fest­stellung durch die KEF abzuweichen, um die Angemessenheit der finanziellen Belastung der Gebührenzahler jenseits der Bedarfs­ka­l­ku­lation der KEF zu wahren und damit auch die Akzeptanz der Gebüh­ren­ent­scheidung bei den Betroffenen zu erleichtern. Dabei dürfen sie die allgemeine Wirtschaftslage und dadurch bedingte finanzielle Einschränkungen für die Bevölkerung berücksichtigen, wenn und soweit diese sich auf die finanzielle Belastung der Rundfunk­teil­nehmer auswirken. Das Vorliegen einer unangemessenen Belastung für die Gebührenzahler muss der Gesetzgeber mit hinreichend nachprüfbaren Tatsachen darlegen. Diese tatsächlichen Ausführungen könnten etwa auf die Entwicklung der Realeinkommen oder der gesamten Abgaben­be­lastung der Rundfunk­teil­nehmer und des Anteils der Rundfunkgebühr an ihnen oder auch auf die Notwendigkeit generell durch­zu­füh­render Einsparungen in den öffentlichen Haushalten bezogen sein. Im konkreten Fall kann jedoch dahingestellt bleiben, ob das Vorliegen einer unangemessenen Belastung hinreichend nachvollziehbar dargelegt worden ist. Denn der Gesetzgeber wollte allein darauf die Abweichung vom Gebüh­ren­vor­schlag der KEF nicht stützen, wie die weiteren angeführten Gründe zeigen. Diese weiteren Gründe genügen ihrerseits den Anforderungen an eine Abweichung von der Bedarfs­fest­stellung nicht, so dass die Begründung für die Gebüh­re­n­ab­weichung die Entscheidung der Landes­ge­setzgeber insgesamt nicht trägt.

2. Soweit der Gesetzgeber auf im KEF-Bericht genannte, aber nicht hinreichend erschlossene Einspa­r­po­tentiale sowie auf Einspa­r­po­tentiale durch Selbstbindungen der Anstalten verweist, genügt dieser generelle, nicht näher spezifizierte Verweis den Anforderungen an eine Abweichung nicht. Die Begründung steht im offen­sicht­lichen Widerspruch zu den Ausführungen der KEF und der Rundfunk­an­stalten, ohne dass ersichtlich wird, warum diese unzutreffend sein sollen.

3. Auch der Verweis des Gebüh­ren­ge­setz­gebers auf Einspa­r­po­tentiale, die erst durch den Achten Rundfun­k­än­de­rungs­staats­vertrag geschaffen wurden und die deshalb nicht Gegenstand der Bedarfs­fest­stellung der KEF sein konnten, vermag eine Abweichung nicht zu rechtfertigen. Soweit der Gesetzgeber auf erwartete Mehreinnahmen aus Änderungen des Gebüh­ren­be­frei­ungs­rechts verweist, ist nicht nachvollziehbar, auf welcher fachlichen Grundlage diese Bewertung erfolgt ist. Jedenfalls ist die KEF in ihrem schon wenig später erstellten 15. Bericht zu dem Ergebnis gelangt, dass die Neuordnung der Befrei­ung­s­tat­be­stände voraussichtlich zu Mindereinnahmen sowie Zusatzkosten von rund 25 Millionen Euro führten. Darüber hinaus ist der KEF keine Möglichkeit einer Prüfung und gegebenenfalls Neuberechnung des Bedarfs eingeräumt worden. Soweit Einspa­r­po­tentiale aufgrund der Einstellung der analogen terrestrischen Fernseh­über­tragung angenommen wurden, ist aus der Begründung nicht hinreichend erkennbar, in welcher Größenordnung sie sich einstellen. Darüber hinaus ist die Besonderheit des Deutsch­land­radios verkannt worden, das als reiner Hörfunk­ver­an­stalter von dieser Maßnahme überhaupt nicht betroffen sein konnte.

4. Nicht tragfähig ist schließlich auch die Begründung, dass die aktuelle Gesamt­ent­wicklung der Aufgaben im dualen Rundfunksystem und im Wettbewerb der Medien berücksichtigt werden müsse. Sofern der Gesetzgeber mit der Abweichung von dem Gebüh­ren­vor­schlag das Ziel verfolgt, auf den Wettbewerb der privat­wirt­schaft­lichen und der öffent­lich­recht­lichen Medien im dualen System einzuwirken, handelte es sich um eine - im Rahmen der Gebüh­ren­ent­scheidung unzulässige - medien­po­li­tische Zwecksetzung.

VI. Die verfas­sungs­recht­lichen Mängel der Gebüh­ren­fest­setzung führen nicht zur Nichtigkeit, weil der dadurch herbeigeführte Zustand dem Grundgesetz noch ferner stünde als der bisherige. Bei einer Nichtigkeit entfiele die Rechtsgrundlage für die Höhe der Rundfunkgebühr.

Eine rückwirkende Gebüh­re­n­er­höhung scheidet zur Wieder­her­stellung eines verfas­sungs­gemäßen Zustands aus. Denn eine möglicherweise durch das Fehlen hinreichender Mittel ausgelöste Verschlech­terung des Programm­an­gebots ließe sich angesichts der Zeitge­bun­denheit der Wirkungen des Rundfunks nicht schlicht durch eine entsprechende finanzielle Mehrausstattung in späteren Zeiträumen kompensieren.

Da die neue Periode schon am 1. Januar 2009 beginnt, erscheint es verfas­sungs­rechtlich hinnehmbar, bis dahin von einer Neufestsetzung der Gebühr abzusehen. Allerdings muss bei der neu festzusetzenden Gebühr gewährleistet werden, dass den Anstalten ein Ausgleich gewährt wird, falls ihnen auf der Grundlage der verfas­sungs­widrigen Festsetzung der Gebühr für die laufende Periode Mittel - etwa für nötige Investitionen - entgangen sein sollten, deren Bezug nach ihren früheren Bedarfs­an­mel­dungen und den Feststellungen der KEF bereits in dem verstrichenen Gebüh­ren­zeitraum erforderlich war, um die künftige Erfüllung des Rundfunk­auftrags sicherzustellen.

B. Prüfungs­kri­terien für Bedarfs­an­mel­dungen

Soweit sich die Verfas­sungs­be­schwerden gegen die Ergänzung der Kriterien wenden, nach denen die KEF die Bedarfs­an­mel­dungen der Rundfunk­an­stalten zu prüfen hat, sind sie unbegründet. Die neu eingefügten Kriterien der gesamt­wirt­schaft­lichen Entwicklung und der Entwicklung der Haushalte der öffentlichen Hand können verfas­sungs­konform dahingehend ausgelegt werden, dass sie nicht als zusätzlicher Prüfungs­ge­genstand zu demjenigen der zutreffenden Ermittlung des Finanzbedarfs hinzutreten sollen, sondern als Hilfskriterien für dessen nähere Bestimmung zu verstehen sind. Der Gesetzgeber wollte die bisherige fachlich orientierte Praxis der KEF bestärken, nicht hingegen ihr politische Entschei­dungs­spielräume in einer für die Rundfunk­freiheit wesentlichen Frage einräumen.

Quelle: ra-online, Pressemitteilungen Nr. 44/07 und 90/07 des BVerfG

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