03.12.2024
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Dokument-Nr. 31971

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Bundesverfassungsgericht Beschluss03.06.2022

Erfolgreiche Verfassungs­beschwerde wegen mangelhafter Abwägung bei Prüfung der Zulässigkeit einer SchiedsklauselPechstein kann weiter um Schadenersatz für Sperre kämpfen

Das Bundes­verfassungs­gericht einer Verfassungs­beschwerde wegen Verletzung des Justiz­gewährungs­anspruchs stattgegeben.

Die Beschwer­de­führerin nahm im Februar 2009 an einer Mehrkampf­welt­meis­ter­schaft ihrer Sportart teil. Mit ihrer Wettkampf­meldung verpflichtete sie sich zur Einhaltung der Anti-Doping-Regeln des veranstaltenden internationalen Sportverbandes und unterzeichnete eine Schiedsvereinbarung zugunsten des CAS. Aufgrund der Erhöhung bestimmter Blutwerte der am Wettkampfort von der Beschwer­de­führerin entnommenen Blutproben sperrte die Diszi­pli­na­r­kom­mission des Sportverbandes die Beschwer­de­führerin wegen unerlaubten Blutdopings für zwei Jahre. Nach einer ergänzenden Mitteilung des deutschen Verbandes war die Beschwer­de­führerin damit auch von organisierten Trainings­maß­nahmen sowie von der Teilnahme an den Olympischen Winterspielen in Vancouver/Kanada im Februar 2010 ausgeschlossen. Die Beschwer­de­führerin legte gegen die Entscheidung der Diszi­pli­na­r­kom­mission Berufung beim CAS ein. Nach den maßgeblichen Statuten hatten die Parteien keinen Anspruch auf Öffentlichkeit der Verhandlung. Einem Antrag der Beschwer­de­führerin auf Durchführung einer öffentlichen Verhandlung folgte der CAS nicht und verhandelte nicht-öffentlich. Mit Schiedsspruch vom 25. November 2009 wies der CAS das gegen die Entscheidung der Diszi­pli­na­r­kom­mission gerichtete Berufungsgesuch der Beschwer­de­führerin ab. Die hiergegen beim Schweizer Bundesgericht eingelegten Rechtsbehelfe der Beschwer­de­führerin blieben erfolglos. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte stellte auf eine Indivi­du­al­be­schwerde der Beschwer­de­führerin mit Urteil vom 2. Oktober 2018 hin fest, dass Art. 6 Abs. 1 EMRK mangels einer öffentlichen Verhandlung vor dem CAS verletzt sei.

BGH: Klage wegen Schieds­ver­ein­barung unzulässig

Die Beschwer­de­führerin hatte zuvor bereits vor einem deutschen Landgericht Klage gegen den deutschen und den internationalen Sportverband auf Feststellung der Rechts­wid­rigkeit der Dopingsperre sowie auf Schadensersatz und Schmerzensgeld erhoben. Das Landgericht wies die Klage mit nicht angegriffenem Urteil ab. Mit ebenfalls nicht angegriffenem Teil-End- und Teil-Zwischenurteil bestätigte das Oberlan­des­gericht die Entscheidung des Landgerichts im Hinblick auf den Feststel­lungs­antrag; im Übrigen stellte es die Zulässigkeit der Klage fest. Die zwischen den Parteien getroffene Schieds­ver­ein­barung stehe dem Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten nicht entgegen. Die Schieds­ver­ein­barung sei nichtig. Auf die Revision des internationalen Sportverbandes hob der Bundes­ge­richtshof mit angegriffenem Urteil vom 7. Juni 2016 das Zwischenurteil des Oberlan­des­ge­richts auf, soweit das Berufungs­gericht zum Nachteil des Sportverbandes erkannt hatte, und wies die Berufung der Beschwer­de­führerin gegen das Urteil des Landgerichts insgesamt zurück. Die Klage sei unzulässig, weil ihr die Einrede der Schieds­ver­ein­barung gemäß § 1032 Abs. 1 in Verbindung mit § 1025 Abs. 2 Zivil­pro­zess­ordnung (ZPO) entgegenstehe. Der CAS sei ein „echtes“ Schiedsgericht im Sinne dieser Vorschriften und die Schieds­ver­ein­barung wirksam. Es stelle keinen Missbrauch der Marktmacht dar, wenn ein Sportverband die Teilnahme eines Athleten an einem Wettkampf von der Unterzeichnung einer Schieds­ver­ein­barung abhängig mache, die gemäß den Anti-Doping-Regeln den CAS als Schiedsgericht vorsehe. Die Verfah­rens­ordnung des CAS enthalte ausreichende Garantien für die Wahrung der Rechte der Athleten. Unter diesen Umständen sei die Schieds­ver­ein­barung auch nicht im Hinblick auf den Justizgewährungsanspruch aus Art. 2 Abs. 1 GG, das Grundrecht auf freie Berufsausübung nach Art. 12 Abs. 1 GG oder das Recht auf ein faires Verfahren nach Art. 6 Abs. 1 der Europäischen Menschen­rechts­kon­vention (EMRK) unwirksam. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwer­de­führerin eine Verletzung von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3, Art. 12 Abs. 1 GG, Art. 101 Abs. 1 Satz 2 und Art. 103 Abs. 1 GG. Darüber hinaus macht sie geltend, in ihren Rechten aus Art. 6 Abs. 1 EMRK verletzt zu sein.

BVerfG: BGH-Urteil stellt Verletzung des Justi­z­ge­wäh­rungs­an­spruch dar

Die Verfas­sungs­be­schwerde hatte Erfolg. Das angegriffene Urteil des Bundes­ge­richtshofs verletzt die Beschwer­de­führerin in ihrem in Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verbürgten Justi­z­ge­wäh­rungs­an­spruch, weil der Bundes­ge­richtshof die Bedeutung des Anspruchs auf Öffentlichkeit des Verfahrens verkannt hat. Die Abwägung des Bundes­ge­richtshofs zwischen dem Justi­z­ge­wäh­rungs­an­spruch und der Vertrags­freiheit und der Verband­s­au­tonomie hält im konkreten Fall den verfas­sungs­recht­lichen Anforderungen nicht stand. Im Rahmen der Prüfung, ob die Schiedsabrede gemäß § 19 des Gesetzes gegen Wettbe­wer­bs­be­schrän­kungen (GWB) unwirksam ist, hat der Bundes­ge­richtshof den in Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verbürgten Justi­z­ge­wäh­rungs­an­spruch der Beschwer­de­führerin zwar durchaus in Betracht gezogen. Der Bundes­ge­richtshof hat ferner angenommen, dass das die staatliche Gerichtsbarkeit ausschließende Schieds­ver­fahren in seiner Ausgestaltung den Gewähr­leis­tungen des Art. 6 EMRK genügen müsse. Dabei hat er jedoch nicht berücksichtigt, dass die Statuten des CAS einen Anspruch auf eine öffentliche Verhandlung nicht vorsahen, welche die Beschwer­de­führerin erfolglos beantragt hatte. Bei der Auslegung des § 19 GWB in seiner auf den Streitfall anwendbaren Fassung ist der Gewähr­leis­tungs­gehalt des allgemeinen Justi­z­ge­wäh­rungs­an­spruch zu berücksichtigen, wonach das schieds­ge­richtliche Verfahren effektiven Rechtsschutz gewährleisten und rechts­s­taat­lichen Mindest­standards genügen muss. Weder der allgemeine Justi­z­ge­wäh­rungs­an­spruch noch Art. 92 GG enthalten ein Verbot privater Schieds­ge­richts­barkeit. Vielmehr ist diese in der Vertrags­freiheit gem. Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 12 Abs. 1 GG verankert. Ein Verzicht auf den Zugang zu den staatlichen Gerichten durch Abschluss einer Schieds­ver­ein­barung im Bereich des Sports ist allerdings jedenfalls nicht uneingeschränkt möglich. Zwar ist sie zur Gewährleistung einer international einheitlichen Sport­ge­richts­barkeit und zur Bekämpfung des Dopings im internationalen Sportwettbewerb erforderlich und als solches verfas­sungs­rechtlich nicht zu beanstanden. Sowohl der allgemeine Justi­z­ge­wäh­rungs­an­spruch selbst als auch der Schutz der durch Art. 2 Abs. 1 GG gewährleisteten Privatautonomie setzen aber der Abdingbarkeit im Weg einer Schieds­ver­ein­barung Grenzen. Mit der gesetzlichen Anerkennung privater Schieds­ge­richts­barkeit eröffnet der Staat dem rechtssuchenden Bürger eine alternative, nicht-staatliche Möglichkeit der verbindlichen Streitbeilegung. Damit der Staat schieds­rich­terliche Entscheidungen anerkennen und in Ausübung seiner Hoheitsgewalt vollstrecken kann, muss er dafür Sorge tragen, dass das schieds­rich­terliche Verfahren effektiven Rechtsschutz gewährleistet und rechts­s­taat­lichen Mindest­standards entspricht. Bei der Auslegung und Anwendung der Vorschriften über die Anerkennung und Vollstreckung von Schieds­ver­fahren und der Wirksamkeit von Schiedsabreden ist der Gewähr­leis­tungs­gehalt des allgemeinen Justi­z­ge­wäh­rungs­an­spruchs aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG zu berücksichtigen.

Unzureichende Abwägung bei Prüfung der Wirksamkeit der Schieds­ver­ein­barung

Die hiernach gebotenen Minde­st­an­for­de­rungen an die Ausgestaltung des von der konkreten Schiedsabrede erfassten schieds­rich­ter­lichen Verfahrens können dabei nicht ohne Ansehung der tatsächlichen Wahlfreiheit des der Schiedsabrede Unterworfenen beurteilt werden. Hat einer der beiden Vertragspartner ein solches Gewicht, dass er den Vertragsinhalt faktisch einseitig bestimmen kann, ist es Aufgabe des Rechts, auf die Wahrung der Grund­rechts­po­si­tionen beider Vertragspartner hinzuwirken, um zu verhindern, dass sich für einen Vertragsteil die Selbst­be­stimmung in eine Fremdbestimmung verkehrt. Kollidierende Grund­rechts­po­si­tionen sind hierfür in ihrer Wechselwirkung zu erfassen und nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz so in Ausgleich zu bringen, dass sie für alle Beteiligten möglichst weitgehend wirksam werden.

Bedeutung des Anspruchs auf öffentliche Verhandlung des Verfahrens verkannt

Indem der Bundes­ge­richtshof nicht berücksichtigt hat, dass die Statuten des CAS keinen Anspruch auf eine öffentliche Verhandlung vorsahen, die die Beschwer­de­führerin bereits im vorangegangenen Schieds­ver­fahren erfolglos beantragt hatte, und damit die Anforderungen des Art. 6 Abs. 1 EMRK in ihrer Ausgestaltung durch die Rechtsprechung des EGMR verkannt hat, hat er in der Folge auch den Gewähr­leis­tungs­gehalt des Justi­z­ge­wäh­rungs­an­spruchs der Beschwer­de­führerin nicht mit dessen vollem Gewicht in die Abwägung eingestellt. Der Grundsatz der Öffentlichkeit mündlicher Verhandlungen ist ein wesentlicher Bestandteil des Rechts­s­taats­prinzips und geht in seiner Bedeutung damit über einzelne Verfah­rens­re­ge­lungen weit hinaus. Auch entspricht er dem allgemeinen Öffent­lich­keits­prinzip der Demokratie. Die Gerichts­öf­fent­lichkeit sollte in Gestalt einer Verfah­rens­ga­rantie dem Schutz der an der Verhandlung Beteiligten gegen eine der öffentlichen Kontrolle entzogene Geheimjustiz dienen. Ist durch die normative Ausgestaltung des Verfahrens ein gleichwertig effektiver, rechts­s­taat­lichen Mindest­standards entsprechender Rechtsschutz zu gewährleisten, ist daher zu beachten, dass Bestandteil des Rechts­s­taats­prinzips auch der Grundsatz der Öffentlichkeit mündlicher Verhandlungen ist, der in Art. 6 Abs. 1 EMRK ergänzend normiert ist. Die rechts­s­taatliche Komponente der Gerichts­öf­fent­lichkeit zielt darauf, die Einhaltung des formellen und materiellen Rechts zu gewährleisten. Dies soll zur Gewährleistung von Verfah­rens­ge­rech­tigkeit im Sinne einer Verfah­rens­ga­rantie der Beteiligten beitragen. Dabei kann die Öffentlichkeit aus zwingenden Gründen des Allgemeinwohls auch dort ganz oder teilweise ausgeschlossen werden, wo sie nach der Verfassung grundsätzlich geboten ist. Der Grundsatz der Öffentlichkeit besagt insbesondere noch nichts zu den Modalitäten, unter denen die Öffentlichkeit zugelassen wird. Das entspricht auch den Gewähr­leis­tungen aus Art. 6 Abs. 1 EMRK. Die Europäische Menschen­rechts­kon­vention steht in der deutschen Rechtsordnung im Rang eines Bundesgesetzes. Im Rahmen der Heranziehung der EMRK als Auslegungshilfe berücksichtigt das Bundes­ver­fas­sungs­gericht allerdings Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. In der Rechtsprechung des EGMR ist zwar anerkannt, dass Art. 6 Abs. 1 EMRK nicht in allen Fällen eine öffentliche Verhandlung voraussetzt und auf eine öffentliche Verhandlung verzichtet werden kann. Daher können freiwillige Schieds­ver­fahren regelmäßig auch nicht-öffentliche Verhandlungen vorsehen. Die Voraussetzungen, unter denen von einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden kann, lagen im Streitfall nach der Entscheidung des EGMR indes nicht vor.

Wirksamkeit der Schieds­ver­ein­barung genügt weder den Garantien des EMRK noch den Anforderungen des Justi­z­ge­wäh­rungs­an­spruchs

Bei dem Verstoß gegen den rechtsstaatlich zwingend zu beachtenden Öffent­lich­keits­grundsatz handelt es sich auch nicht nur um einen Verstoß gegen eine bloße Verfah­rens­klausel. Daher kommt es auch nicht darauf an, ob im Verfahren der Beschwer­de­führerin konkret eine öffentliche Verhandlung geboten ist oder von einer solchen nach Maßgabe der Rechtsprechung des EGMR abgesehen werden könnte. Maßgeblich ist, dass die durch die Schieds­ge­richts­ver­ein­barung in Bezug genommenen Statuten des CAS einen Anspruch auf eine öffentliche Verhandlung auch für solche Fälle nicht vorsahen, in denen eine öffentliche Verhandlung nach Maßgabe des Art. 6 Abs. 1 EMRK zwingend geboten ist. Damit genügt die für die Wirksamkeit der hier gegen­ständ­lichen Schieds­ver­ein­barung maßgebliche normative Ausgestaltung des schieds­ge­richt­lichen Verfahrens insgesamt weder den Garantien des Art. 6 Abs. 1 EMRK noch den insoweit korre­spon­die­renden Anforderungen des Justi­z­ge­wäh­rungs­an­spruchs des Betroffenen. Ob die heutige veränderte Verfah­rens­ordnung diesen Grundsatz gewährleistet, brauchte nicht entschieden zu werde

Quelle: Bundesverfassungsgericht, ra-online (pm/ab)

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