23.11.2024
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Dokument-Nr. 33509

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Bundesverfassungsgericht Beschluss10.11.2023

Verfassungs­beschwerde eines Presse­un­ter­nehmens gegen eine in einem zivil­recht­lichen Verfahren auferlegte Geheimhaltungs­pflicht unzulässigZeitung darf nicht über Zeugenaussagen im Missbrauchss­kandal des Erzbistums Köln berichten

Das Bundes­verfassungs­gericht hat die Verfassungs­beschwerde eines überregional tätigen Presse­un­ter­nehmens, seines Rechts­nach­folgers und zweier Mitarbeiter nicht zur Entscheidung angenommen, die sich gegen eine in einem laufenden zivil­recht­lichen Verfahren auferlegte Geheimhaltungs­pflicht richtet. Damit wird der daneben gestellte Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegenstandslos.

Kläger des Ausgangs­ver­fahren (im Folgenden: Kläger) ist ein dem Erzbistum Köln angehörender katholischer Geistlicher, der sich mit einer Unter­las­sungsklage gegen eine von der Beschwer­de­führerin zu 1) im Jahr 2021 veröffentlichte Berich­t­er­stattung wendet. Die Berich­t­er­stattung betraf den Vorwurf einer dienstlichen Beförderung des Klägers trotz Kenntnis der Entschei­dungs­träger von gegen ihn erhobenen Vorwürfen sexuellen Missbrauchs, die unter anderem auf einen internen Bericht des Erzbistums gestützt wurden. Der Kläger wurde im Nachgang zu dieser Berich­t­er­stattung beurlaubt; in einem kirchen­recht­lichen Verfahren wurde er zwischen­zeitlich freigesprochen. Im Berufungs­ver­fahren bestimmte das OLG Köln die Vernehmung eines Zeugen, auf dessen Schilderungen der interne Bericht des Erzbistums Bezug nimmt. Das Beweisthema umfasste die Frage, ob es „während der Zeit der Tätigkeit des Klägers (…) Saunabesuche, Alkohol, Masturbation und das Vorspielen von Pornofilmen im Zusammenhang mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen“ gegeben habe. Der Berufungssenat schloss für die Dauer der Vernehmung des Zeugen die Öffentlichkeit aus und legte den im Termin anwesenden Mitarbeitern und dem Prozess­be­voll­mäch­tigten der Beschwer­de­führerin zu 2) die Verpflichtung auf, über den Inhalt der Aussage des Zeugen und die Inhalte der Erörterung der Beweisaufnahme Stillschweigen zu bewahren. Die auf § 174 Abs. 3 GVG gestützte Auferlegung von Geheim­hal­tungs­pflichten begründete er damit, dass innerhalb der ihm eingeräumten Ermes­sens­ausübung das Schutzinteresse des Zeugen an der Wahrung seiner Anonymität und seines persönlichen Lebensbereichs das von der Beschwer­de­führerin zu 2) geltend gemachte Recht aus Art. 5 Grundgesetz (GG) und das von ihr wiederholt bekundete Interesse an einer weiteren Berich­t­er­stattung überwiege. Mit ihrer erhobenen Verfassungsbeschwerde und ihrem gestellten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung rügen die Beschwer­de­führer, die ihnen auferlegte Geheim­hal­tungs­ver­pflichtung verletze sowohl ihre Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG als auch das Bestimmt­heitsgebot aus Art. 103 Abs. 2 GG.

Prozesse finden zwar in der, aber nicht für die Öffentlichkeit statt

Die Verfas­sungs­be­schwerde ist unzulässig, da ihre Begründung eine Verletzung von Rechten im Sinne des § 90 Abs. 1 BVerfGG inhaltlich nachvollziehbar nicht erkennen lässt. Zwar beinhaltet die ausgesprochene Geheim­hal­tungs­ver­pflichtung einen intensiven Eingriff in die Pressefreiheit der Beschwer­de­führer. Verfas­sungs­rechtlich relevante Fehler bei der Auslegung oder Anwendung von § 174 Abs. 3 GVG sind indes weder dargetan noch ersichtlich. Mit ihrer Verfas­sungs­be­schwerde legen die Beschwer­de­führer ungeachtet einer gesteigerten Prüfungs­kom­petenz des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts im Bereich der Kommu­ni­ka­ti­o­ns­grund­rechte eine die Pressefreiheit verkennende Fehlgewichtung der schutzwürdigen Interessen des Zeugen bei einer Aussage in öffentlicher Sitzung nicht dar. Die Aufarbeitung sexueller Übergriffe auf Kinder und Jugendliche durch Geistliche und sonstige Mitarbeiter der katholischen Kirche bildet allerdings ein gesell­schaft­liches Thema, das von einem herausragenden öffentlichen Infor­ma­ti­o­ns­in­teresse begleitet wird. Dem steht jedoch gegenüber, dass Prozesse zwar in der, aber nicht für die Öffentlichkeit stattfinden. Einer unbegrenzten Öffentlichkeit der Verhandlungen vor dem erkennenden Gericht stehen gewichtige Interessen gegenüber. Für § 171 b Abs. 1 GVG war es eine verfas­sungs­rechtlich unbedenkliche Entscheidung des Gesetzgebers, den Ausschluss der Öffentlichkeit nicht davon abhängig zu machen, dass das Schutzinteresse des Betroffenen überwiegt, sondern ihn bereits zu ermöglichen, wenn bei einer Verletzung schutzwürdiger Interessen des Betroffenen das Interesse an der öffentlichen Erörterung dieser Umstände nicht überwiegt. § 174 Abs. 3 GVG verstärkt diesen Schutz des Betroffenen. Er zielt damit zugleich - mittelbar - auf die Vermeidung von Einschüch­te­rungs­ef­fekten ab, die bei Fehlen einer effektiv geschützten Aussa­ge­si­tuation auf Seiten der Betroffenen zu besorgen wären, und die zugleich die im öffentlichen Interesse stehende Funkti­o­ns­tüch­tigkeit der Rechtspflege beeinträchtigen würden.

Schutz des Zeugen vorrangig

Nicht mit der Rechtsprechung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts in Einklang zu bringen ist es, mit den Beschwer­de­führern das Beweisthema lediglich der Privat- oder gar nur der Sozialsphäre des Zeugen zuzuordnen. Indem es Hintergrund, Hergang und Folgen sexueller Handlungen umfasst, die dem Zeugen widerfahren sein sollen, berührt es vielmehr insgesamt dessen Recht auf freie Persön­lich­keits­ent­faltung und Wahrung seiner Intimsphäre. Diesem Recht auch unter den Bedingungen der Rechtspflege in einer seinem Stellenwert gerecht werdenden Weise Rechnung zu tragen, sind die Gerichte durch Anwendung der ihnen in den Vorschriften der §§ 169 bis 174 GVG eingeräumten Befugnisse in besonderer Weise berufen. Das öffentliche Infor­ma­ti­o­ns­in­teresse ist daher nicht in gleicher Weise schützenswert wie die übrigen dem allgemeinen Persön­lich­keitsrecht des Zeugen gegen­über­tre­tenden Interessen, insbesondere das öffentliche Interesse an einer ungestörten Wahrheits- und Rechtsfindung. Diesem Umstand wird die Begründung der Verfas­sungs­be­schwerde nicht gerecht.

Verletzung der Pressefreiheit nicht nachvollziehbar dargelegt

Ebenso wenig gelingt es den Beschwer­de­führern, die ihnen auferlegte Geheimhaltungspflicht unter dem Aspekt der Erfor­der­lichkeit nachvollziehbar anzugreifen. Bereits nicht nachvollziehbar begründet haben die Beschwer­de­führer, weshalb sich die ihnen auferlegte Geheim­hal­tungs­pflicht auch auf sämtliche etwaig identischen Tatsachen erstrecke, die bereits vor Vernehmung des Zeugen bekannt geworden seien. Weder dargelegt noch ersichtlich ist deshalb auch, weshalb die ausgesprochene Geheim­hal­tungs­ver­pflichtung mit Blick auf § 353 d Nr. 2 StGB nicht dem Bestimmt­heits­grundsatz genügen sollte. Nicht nachvollziehbar darzulegen vermögen die Beschwer­de­führer eine Verletzung der Pressefreiheit aber auch insoweit, als sie rügen, dass die Geheim­hal­tungs­ver­pflichtung nicht auf identi­fi­zierende Tatsachen beschränkt worden sei. Abgesehen von der Vermeidung einer erneuten Aktivierung der bereits entstandenen Identi­fi­zier­barkeit durfte sich das Oberlan­des­gericht auch davon leiten lassen, nicht auch die unter Ausschluss der Öffentlichkeit erfolgte Aussage des Zeugen zum Ursprung einer erneuten Konfrontation des Zeugen mit dem von ihm geschilderten Geschehnissen durch eine Berich­t­er­stattung der Beschwer­de­führer werden zu lassen.

Quelle: Bundesverfassungsgericht, ra-online (pm/ab)

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