18.10.2024
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Bundesverfassungsgericht Beschluss30.10.2010

BVerfG: Rückwirkende Neuregelung zur Besteuerung von Wohnmobilen verfas­sungsgemäßKein Verstoß gegen verfas­sungs­recht­liches Rückwir­kungs­verbot oder allgemeine Vertrau­ens­schutz­ge­sichts­punkte

Das mit Wirkung vom 1. Mai 2005 in Kraft getretene Kraft­fahr­zeug­steu­er­än­de­rungs­gesetz, das eine rückwirkende Neuregelung zur Besteuerung von Wohnmobilen umfasst, ist verfas­sungsgemäß. Dies entschied das Bundes­ver­fas­sungs­gericht.

Für die Bemessung der Kraftfahrzeugsteuer gab es bis zum 30. April 2005 nur die Fahrzeug­ka­te­gorien Perso­nen­kraftwagen und „andere Fahrzeuge“, zu denen insbesondere Lastkraftwagen zählen. Nach der Rechtsprechung des Bundes­fi­nanzhofs wurden in Analogie zu § 23 Abs. 6a StVZO, der die Zuordnung von so genannten Kombi­na­ti­o­ns­kraftwagen regelt, als Perso­nen­kraftwagen solche Wohnmobile eingeordnet, deren zulässiges Gesamtgewicht 2,8 t nicht überschreitet. Ein Wohnmobil mit einem zulässigen Gesamtgewicht von mehr als 2,8 t stufte der Bundesfinanzhof dementsprechend als „anderes Fahrzeug“ ein. § 23 Abs. 6a StVZO a. F. wurde mit Wirkung ab 1. Mai 2005 aufgehoben, so dass ein Lückenschluss im kraft­fahr­zeug­steu­er­recht­lichen Regelungsgefüge durch eine analoge Anwendung dieser Vorschrift nicht mehr möglich war. Nach einer Absprache der obersten Finanzbehörden der Länder wurde in den Bundesländern jedoch im Hinblick auf eine zu erwartende gesetzliche Neuregelung die bisherige Besteuerung zunächst „übergangsweise“ fortgeführt.

Gesetzgeber nimmt im Jahr 2006 Wohnmobile als eigenständige Fahrzeug­ka­tegorie in Kraft­fahr­zeug­steu­er­gesetz auf

Mit dem am 28. Dezember 2006 verkündeten Dritten Gesetz zur Änderung des Kraft­fahr­zeug­steu­er­ge­setzes hat der Gesetzgeber Wohnmobile als eine eigenständige Fahrzeug­ka­tegorie in das Kraft­fahr­zeug­steu­er­gesetz aufgenommen und hierfür die Steuer mit einem eigenen Tarif nach dem Gewicht und nach Schad­s­tof­f­e­mis­sionen bemessen. Das 3. Kraft­fahr­zeug­steu­er­än­de­rungs­gesetz trat mit Wirkung vom 1. Mai 2005 in Kraft. Nach einer Überg­angs­re­gelung waren Wohnmobile bis zum 31. Dezember 2005 nach der bisherigen Rechtspraxis zu besteuern.

Finanzamt berechnet Kraft­fahr­zeug­steuer für Wohnmobil ab dem 1. Januar 2006 nach neuem Tarif

Der Beschwer­de­führer ist Halter eines im August 2002 zugelassenen Wohnmobils. Nachdem das Finanzamt die Kraft­fahr­zeug­steuer für das Fahrzeug zunächst nach dem für „andere Fahrzeuge“ geltenden Tarif bemessen hatte, setzte es durch Änderungs­be­scheid vom 9. Juli 2007 entsprechend der Neuregelung die Kraft­fahr­zeug­steuer für den Zeitraum bis zum 31. Dezember 2005 wie bisher nach dem zulässigen Gesamtgewicht auf 198 Euro jährlich und ab dem 1. Januar 2006 nach dem neuen Tarif für Wohnmobile auf 310 Euro jährlich fest. Der hiergegen erhobene Einspruch des Beschwer­de­führers sowie seine Klage vor den Finanzgerichten blieben ohne Erfolg.

Verfas­sungs­be­schwerde nicht zur Entscheidung angenommen

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat die gegen das Urteil des Bundes­fi­nanzhofs gerichtete Verfas­sungs­be­schwerde, mit der der Beschwer­de­führer im Wesentlichen einen Verstoß gegen das verfas­sungs­rechtliche Rückwirkungsverbot rügt, nicht zur Entscheidung angenommen.

Bundesfinanzhof hat Bedeu­tungs­gehalt des Rechts­s­taats­prinzips bei Auslegung und Anwendung der Neuregelung zur Besteuerung von Wohnmobilen nicht verkannt

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde: Die Voraussetzungen für eine Annahme der Verfas­sungs­be­schwerde liegen nicht vor. Es bestehen keine durchgreifenden Bedenken, dass der Bundesfinanzhof den Bedeu­tungs­gehalt des Rechts­s­taats­prinzips bei der Auslegung und Anwendung der Neuregelung zur Besteuerung von Wohnmobilen grundsätzlich verkannt hat. Diese entfaltet zwar eine echte Rückwirkung, da sie auch für bereits abgeschlossene Veran­la­gungs­zeiträume anwendbar ist, die vor dem Zeitpunkt der Verkündung der Norm liegen. Dies gilt sowohl für den Zeitraum vom 1. Mai bis 31. Dezember 2005 als auch in Bezug auf den hier einschlägigen Zeitraum vom 1. Januar bis 31. Dezember 2006, weil durch die am 28. Dezember 2006 verkündete Neuregelung die bereits am 1. Januar 2006 entstandene Steuerschuld rückwirkend modifiziert wurde.

Eingeführter Sondertarif für Wohnmobile stellt Begünstigung dar

Ein Verstoß gegen das verfas­sungs­rechtliche Rückwir­kungs­verbot oder allgemeine Vertrau­ens­schutz­ge­sichts­punkte liegt jedoch nicht vor. Das Rückwir­kungs­verbot gilt nur für belastende Regelungen. Die Neuregelung für Wohnmobile stellt demgegenüber eine begünstigende Regelung dar. Denn infolge der Überg­angs­re­gelung beschränkt sich der Rückwir­kungs­zeitraum auf den Zeitraum ab dem 1. Januar 2006. Ohne die Neuregelung wären Wohnmobile ab dem 1. Januar 2006 aufgrund des Wegfalls des § 23 Abs. 6a StVZO als Perso­nen­kraftwagen nach dem Hubraum und damit höher zu besteuern, so dass der für sie eingeführte Sondertarif eine Begünstigung darstellt.

Steuer­pflichtige kann nicht darauf vertrauen, dass Gesetzgeber steuerliche Vergünstigungen immer uneingeschränkt aufrechterhält

Des Weiteren ist das Vertrauen des Beschwer­de­führers auf den Fortbestand der alten Rechtslage auch nicht in einer verfas­sungs­rechtlich nicht mehr hinnehmbaren Weise enttäuscht worden. Denn zum einen ist die allgemeine Erwartung des Bürgers, das geltende Recht werde unverändert fortbestehen, verfas­sungs­rechtlich nicht geschützt. Auch der Steuer­pflichtige kann nicht darauf vertrauen, dass der Gesetzgeber steuerliche Vergünstigungen, die er bisher - insbesondere aus konjunk­tur­po­li­tischen Erwägungen - gewährt hat, immer uneingeschränkt auch für die Zukunft aufrechterhält. Zum anderen konnte hier kein Vertrauen in den Fortbestand der bisherigen Besteuerung entstehen, da die frühere Veran­la­gung­s­praxis nur vorläufig gelten sollte und Steuer­fest­set­zungen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung im Hinblick auf die anstehende Neuregelung erfolgen, also verfah­rens­rechtlich jederzeit änderbar bleiben sollten.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

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