21.11.2024
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Bundesverfassungsgericht Beschluss10.11.2022

Verfassungs­beschwerde gegen eine unter Mitwirkung eines abgeordneten Richters ergangene Entscheidung wegen Erledigung erfolglosVerfassungs­beschwerde unzulässig

Das Bundes­verfassungs­gericht hat eine Verfassungs­beschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, mit der sich die Klägerin gegen die Versagung von Prozess­kos­tenhilfe für ein sozial­ge­richt­liches Berufungs­ver­fahren gewandt hatte. An der angegriffenen Entscheidung hatte ein mehrjährig an das Landes­so­zi­al­gericht abgeordneter Richter mitgewirkt. Die Beschwer­de­führerin sah sich aufgrund dessen in ihrem Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) verletzt.

Die Beschwer­de­führerin wendet sich gegen die Ablehnung eines Antrags auf Gewährung von Prozess­kos­tenhilfe für ein sozial­ge­richt­liches Berufungs­ver­fahren. Sie machte vor den Sozialgerichten einen Anspruch auf Bewilligung einer Erwer­bs­min­de­rungsrente geltend. Die von der erstinstanzlich unterlegenen Beschwer­de­führerin im Berufungs­rechtszug beantragte Prozess­kos­tenhilfe wurde mangels Erfolgs­aus­sichten aus den Gründen des taggleich erlassenen, die Berufung zurückweisenden Beschlusses abgelehnt. An beiden Beschlüssen wirkte ein an das Landes­so­zi­al­gericht abgeordneter Richter am Sozialgericht mit. Die gegen die Berufungs­ent­scheidung gerichtete Nicht­zu­las­sungs­be­schwerde hatte vor dem Bundes­so­zi­al­gericht Erfolg. Der erkennende Berufungssenat sei aufgrund der Mitwirkung des mehrjährig abgeordneten Richters nicht ordnungsgemäß besetzt gewesen. In dem nach Aufhebung und Zurück­ver­weisung fortgesetzten Berufungs­rechtszug hat die Beschwer­de­führerin zwischen­zeitlich durch rechtskräftiges Berufungsurteil mit entsprechender Kostenfolge überwiegend obsiegt. Zudem ist ihr Prozess­kos­tenhilfe für den gesamten Berufungs­rechtszug bewilligt worden.

Kein Rechts­schutz­be­dürfnis wegen zwischen­zeitlich rechtskräftiges Berufungsurteil und Koste­n­er­stattung

Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg, weil sie unzulässig ist. Die Beschwer­de­führerin trifft insoweit kein durch Prozess­kos­tenhilfe abzudeckendes Kostenrisiko mehr, wie sie aufgrund des rechtskräftigen Berufungs­urteils endgültig einen Koste­n­er­stat­tungs­an­spruch gegen die Prozessgegnerin erhalten hat und ihr im Übrigen nunmehr Prozess­kos­tenhilfe für den gesamten Berufungs­rechtszug bewilligt worden ist. Sie hätte deswegen ergänzend vortragen müssen, ob und inwieweit das Rechtsschutzbedürfnis für eine Entscheidung über die Verfas­sungs­be­schwerde fortbesteht. Hieran fehlt es. Ein fortwirkendes Rechtsschutzinteresse besteht auch nicht deshalb, weil verfas­sungs­rechtliche Fragen von grundsätzlicher Bedeutung zu klären wären. Die grundsätzlichen Fragen zur Vereinbarkeit des Einsatzes abgeordneter Richterinnen und Richter mit dem Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) sind in der Rechtsprechung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts geklärt.

Verwendung nicht vollständig persönlich unabhängiger Richter wegen unzureichender Ausstattung des Gerichts nicht gerechtfertigt

Wegen der Bedeutung der richterlichen Unabhängigkeit für den Rechts­schutz­auftrag der Gerichte und das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Justiz sind die Gerichte grundsätzlich mit hauptamtlich und planmäßig endgültig angestellten Richtern zu besetzen. Haben bei einer Entscheidung ohne zwingende Gründe Richter mitgewirkt, die nicht hauptamtlich und planmäßig endgültig angestellt sind, so ist das Recht auf den gesetzlichen Richter gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt. Solche zwingenden Gründe liegen etwa dann vor, wenn Richter zur Eignungs­er­probung abgeordnet werden oder wenn vorübergehend ausfallende planmäßige Richter durch die im Geschäfts­ver­tei­lungsplan bestimmten Vertreter nicht hinreichend ersetzt werden können oder wenn ein zeitweiliger außer­ge­wöhn­licher Arbeitsanfall aufzuarbeiten ist. Die Verwendung nicht vollständig persönlich unabhängiger Richter ist demgegenüber nicht gerechtfertigt, wenn die Arbeitslast des Gerichts nicht bewältigt werden kann, weil es unzureichend mit Planstellen ausgestattet ist oder weil die Justiz­ver­waltung es versäumt hat, offene Planstellen binnen angemessener Frist zu besetzen.

Grundsätze gelten auch für Abordnung von auf Lebenszeit ernannten Richterinnen und Richtern

Diese Grundsätze finden auch auf die Abordnung von auf Lebenszeit ernannten Richterinnen und Richtern Anwendung. Denn soweit das Abord­nungs­ver­hältnis betroffen ist, verfügen auch diese nicht über persönliche Unabhängigkeit im Sinne des Art. 97 Abs. 2 GG. Die Entscheidung über eine Abordnung sowie über sich gegebenenfalls anschließende Folge­ab­ord­nungen obliegt der Justiz­ver­waltung. Dieser eröffnet sich so der kontrollierende Zugriff darüber, ob ein abord­nungs­williger Richter seine Tätigkeit an einem anderen Gericht aufnehmen oder dort fortführen darf. Mit der Begrenzung solcher Einwir­kungs­mög­lich­keiten soll der Gefahr des „Belohnens“ oder „Abstrafens“ für ein bestimmtes Entschei­dungs­ver­halten begegnet werden. Hinzu kommt, dass die richterliche Unabhängigkeit auch durch die amtsangemessene Besoldung der Richterinnen und Richter zu gewährleisten ist. Damit geriete es in Konflikt, wenn Richterinnen und Richter, auch wenn sie bereits auf Lebenszeit ernannt sind, auf Grundlage einer Abordnung auf Dauer die Tätigkeit eines statushöheren Amtes ausübten.

Hier LSG strukturell unzureichend mit Planstel­le­n­ausstattung ausgestattet

Die Feststellung eines – eine Abordnung recht­fer­ti­genden – zeitweiligen außer­ge­wöhn­lichen Arbeitsanfalls in Abgrenzung zu einer unzureichenden Ausstattung des Gerichts mit planmäßigen Richterinnen und Richtern erfordert eine Prognose, die an der für einen überschaubaren Zeitraum zu erwartenden Eingangs­be­lastung zu orientieren ist. Eine zu erwartende Dauerbelastung des Gerichts kann die Abordnung eines planmäßigen Richters – auch nicht in der Erwartung, diese werde sich in fernerer Zukunft reduzieren – nicht rechtfertigen. Diese Maßgaben binden nicht nur die Justiz­ver­waltung, sondern auch und insbesondere den Haushalts­ge­setzgeber, der für eine zureichende Perso­nal­ausstattung der Justiz insgesamt Sorge tragen muss. Haushalts­rechtliche Sparzwänge erlauben keine Alternative zur Ernennung von Richtern auf Lebenszeit. Trotz der Erfolglosigkeit ihrer Verfas­sungs­be­schwerde waren der Beschwer­de­führerin ihre notwendigen Auslagen zu erstatten, weil ihre Verfas­sungs­be­schwerde Aussicht auf Erfolg hatte. Vorliegend beruhte der mehrjährige Einsatz des abgeordneten Richters auf einer strukturell unzureichenden Planstel­le­n­ausstattung des Landes­so­zi­al­ge­richts und konnte so eine (Folge-)Abordnung nicht rechtfertigen. Die Beschwer­de­führerin war deshalb durch den Prozess­kos­tenhilfe versagenden Beschluss in ihrem Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) verletzt.

Quelle: Bundesverfassungsgericht, ra-online (pm/ab)

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